| # taz.de -- Geflüchteter verbrannte in JVA Kleve: Haftgrund unbekannt | |
| > Der in seiner Zelle verbrannte Amad Ahmad wusste nie, warum er im | |
| > Gefängnis saß. Mitgefangene, die ihm helfen wollten, wurden schikaniert. | |
| Bild: JVA Kleve: Hier wurde Amad Ahmad monatelang bis zu seinem Tod grundlos in… | |
| Düsseldorf taz | Der monatelang grundlos inhaftierte und in seiner Zelle | |
| [1][im Gefängnis Kleve verbrannte Amad Ahmad] wusste offenbar bis zu seinem | |
| Tod nicht, warum er überhaupt eingesperrt war. Das haben Mitgefangene vor | |
| dem Untersuchungsausschuss des Düsseldorfer Landtags am Mittwoch ausgesagt. | |
| „Ich weiß es nicht“, habe Amad Ahmad auf die Frage geantwortet, warum er im | |
| Knast säße, erklärte der 24 Jahre alte Jan-Hendrik H. Wegen der Aussagen | |
| von Inhaftierten tagte der Untersuchungsausschuss nicht wie üblich im | |
| Landtag, sondern im durch drei Schleusen abgeriegelten Hochsicherheitstrakt | |
| des Oberlandesgerichts Düsseldorf, an dessen Rückseite Polizisten mit | |
| Maschinenpistolen standen. | |
| Über den Grund seiner Haft habe Amad Ahmad nur spekulieren können, erklärte | |
| H. „Ich habe eine Handyrechnung nicht bezahlt“, habe ihm der vor dem Regime | |
| des syrischen Diktators Assad geflohene Kurde gesagt. | |
| Der Mitinhaftierte Hamsa N. berichtete, Amad Ahmad habe vermutet, er sitze | |
| im Gefängnis, weil er als mittelloser Migrant beim Schwarzfahren erwischt | |
| worden sei. Hilfe durch einen Anwalt habe der zu Unrecht Eingesperrte nicht | |
| erhalten, sagte der Zeuge H.: „Er hatte keinen.“ | |
| ## Vorwürfe gegen die Gefängnispsychologin | |
| Amad Ahmad war am 6. Juli 2018 festgenommen worden, weil er an einem | |
| Baggersee im niederrheinischen Geldern vier junge Frauen, darunter die | |
| Tochter eines ortsansässigen Polizisten, verbal belästigt haben soll. Eine | |
| monatelange Haft rechtfertigt das nicht. | |
| Weil nach dem mutmaßlichen Vorfall aber Informationen aus den | |
| Polizeidatenbanken Inpol und ViVA vertauscht worden sein sollen, wanderte | |
| der damals 26-Jährige trotzdem ins Gefängnis: Auf den „hellhäutigen“ Kur… | |
| wurde der Haftbefehl eines in Hamburg gesuchten, als „schwarzhäutig“ | |
| beschriebenen Mannes aus Mali angewandt – in den Datenbanken vorliegende | |
| Fotos [2][will bei der Polizei niemand verglichen haben]. | |
| Am Abend des 17. September 2018 brach in Amad Ahmads Zelle in der | |
| Justizvollzugsanstalt (JVA) Kleve dann [3][ein tödliches Feuer] aus: 38 | |
| Prozent seiner Haut verbrannten. Am 29. September 2018 starb er im Bochumer | |
| Klinikum Bergmannsheil nach einer Lungentransplantation. Erst einen Tag | |
| zuvor hatte die Staatsanwaltschaft Kleve eingeräumt, dass Amad Ahmad wohl | |
| Opfer einer „Verwechselung“ geworden sei. | |
| Auch von der Gefängnispsychologin Andrea Z., die er auf Rat des | |
| Mitgefangenen H. ansprach, erhielt Amad Ahmad keine Hilfe – sie glaubte ihm | |
| nicht. „Er sei nie in Hamburg gewesen“, hielt Z. in einem Vermerk fest. | |
| „Schon gar nicht zur angegebenen Tatzeit – da sei er noch gar nicht in | |
| Deutschland gewesen“, notierte die heute 63-Jährige – und setzte ein | |
| skeptisches „usw. usf“, also „und so weiter und so fort“ dahinter. | |
| ## Von der Psychologin ruhiggestellt? | |
| Der Mitgefangene H. klagte vor dem Untersuchungsausschuss außerdem, er sei | |
| von Z. selbst für suizidgefährdet erklärt worden und habe Wochen in einer | |
| streng kontrollierten „Beobachtungszelle“ verbringen müssen – nachdem er | |
| mit Amad Ahmad bei der Psychologin vorgesprochen habe. „Für mich war das | |
| eine Ruhigstellung“, sagte H. | |
| Von seinen früheren Statements gegenüber dem ARD-Magazin Monitor | |
| distanzierte sich der weiter inhaftierte H. dagegen. Dem Fernsehmagazin | |
| hatte der 24-jährige geschildert, dass er den Brand in Amad Ahmads Zelle | |
| bereits gegen 19 Uhr bemerkt habe – was bedeuten würde, dass die Klever | |
| Justizvollzugsbeschäftigten die Hilferufe des in der brennenden Zelle | |
| Eingesperrten fast 20 Minuten ignoriert hätten. | |
| Laut Polizeiermittlungen soll Amad Ahmad sich erst um 19:19 Uhr per | |
| Gegensprechanlage gemeldet haben – allerdings sei der wachhabende Beamte | |
| mit der Überwachung eines Telefonats eines anderen Gefangenen beschäftigt | |
| gewesen. | |
| Vor dem Untersuchungsausschuss sagte H. am Mittwoch aber aus, er könne sich | |
| nicht mehr an den genauen Zeitpunkt erinnern, an dem er den Brand bemerkt | |
| habe. Amad Ahmad allerdings hätten Aussagen von JVA-Bediensteten | |
| beunruhigt: Die hätten ihm erklärt, er werde nach seiner Haftentlassung | |
| nach Syrien abgeschoben, sagte H. | |
| ## Die CDU wiegelt ab | |
| Für die CDU-Landtagsfraktion, die im Untersuchungsausschuss auch den | |
| Vorsitzenden stellt, ergab sich dennoch keine Notwendigkeit für weitere | |
| Nachfragen. Wohl, weil die christdemokratischen NRW-Landesminister für | |
| Inneres und Justiz, Herbert Reul und Peter Biesenbach, durch den Tod Amad | |
| Ahmads massiv unter Druck geraten waren und Rücktrittsforderungen kontern | |
| mussten. | |
| CDU-Obmann Oliver Kehrl lobte stattdessen die JVA-Bediensteten: Die hätten | |
| „mutig, zügig und entschlossen die Rettungsmaßnahmen eingeleitet und | |
| durchgeführt“. Ein Ende der Ausschussarbeit hatte Kehrl schon vor einem | |
| Jahr gefordert – den Skandal, dass Amad Ahmad überhaupt ohne jeden Grund | |
| illegal in Haft saß, erwähnte der Christdemokrat nicht. | |
| Für die SPD mahnte deren Fraktionsvize Sven Wolf dagegen, Reul und | |
| Biesenbach trügen weiter die politische Verantwortung dafür, dass Amad | |
| Ahmad „bürokratisch verwaltet“ und nicht „rechtsstaatlich und | |
| menschenwürdig behandelt“ wurde. | |
| Auch zeigte Wolf sich alarmiert über die neuen Vorwürfe gegen die | |
| Gefängnispsychologin Andrea Z. Ähnlich erschüttert äußerte sich die | |
| Initiative Amad Ahmad, die eine lückenlose Aufklärung des Skandals fordert: | |
| „Uns drängt sich der Eindruck von willkürlicher, aber auch rassistischer | |
| Ungleichbehandlung und Bestrafungsmaßnahmen auf, die durch | |
| pathologisierende Diagnosen begründet werden“, heißt es in einem Statement | |
| der Initiative. | |
| Der Obmann der Grünen, Stefan Engstfeld, will Andrea Z. deshalb noch einmal | |
| in Düsseldorf sehen. „Die Rolle der Psychologin muss verstärkt untersucht | |
| werden“, sagte Engstfeld der taz: „Ich fordere, sie noch einmal vor den | |
| Ausschuss zu laden.“ | |
| 11 Mar 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Andreas Wyputta | |
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