# taz.de -- Tödlicher Zellenbrand in Kleve: Entlastung nur auf dem Papier | |
> Im Ausschuss zur Aufklärung des Todes von Amad Ahmad entlastet der letzte | |
> Zeuge die Polizei. Die Grundlage hierfür sind „rekonstruierte“ Daten. | |
Bild: Das Grab Amad Ahmads, der unrechtmäßig im Gefängnis eingesperrt wurde … | |
Düsseldorf taz | Möglicherweise wird nie mehr aufgeklärt, wer für die | |
illegale Verhaftung des 26-jährigen Kurden Amad Ahmad verantwortlich ist, | |
der zunächst [1][monatelang unrechtmäßig eingesperrt war] und schließlich | |
im Gefängnis Kleve verbrannte. Zwar bemüht sich seit November 2018 ein | |
Parlamentarischer Untersuchungsausschuss des nordrhein-westfälischen | |
Landtags um Aufklärung zum Tod des Geflüchteten. Doch die Arbeit des | |
Ausschusses endet mit der laufenden Legislaturperiode im Mai – und auch | |
nach der Befragung des Informatik-Professors und IT-Sicherheitsexperten | |
Thorsten Holz als letztem Zeugen bleiben entscheidende Fragen offen. | |
Festgenommen wurde Amad Ahmad am 6. Juli 2018, nachdem er an einem | |
Baggersee im niederrheinischen Geldern die Tochter eines lokalen | |
Polizeibeamten und drei ihrer Freundinnen belästigt haben soll. | |
„Beleidigung auf sexueller Grundlage“ wurde ihm vorgeworfen – für eine | |
mehrmonatige Haft reicht das kaum aus. | |
Dennoch wanderte er für mehr als zwei Monate erst in den Knast in Geldern, | |
danach in die Justizvollzugsanstalt Kleve. Dort brannte am 17. September | |
2018 sein Haftraum völlig aus. Ahmad, der vor dem syrischen Assad-Regime | |
nach Deutschland geflohen war, lag mit schwersten Verletzungen auf dem | |
Gefängnisflur – 38 Prozent seiner Haut waren verbrannt. Am 29. September | |
2018 starb er nach einer Lungentransplantation im Bochumer | |
Unfallkrankenhaus Bergmannsheil. Als Todesursache wurde „Multiorganversagen | |
nach Verbrennungskrankheit“ angegeben. | |
Massiv unter Druck gerieten damit die CDU-Landesminister für Inneres und | |
Justiz, Herbert Reul und Peter Biesenbach. Denn möglich gemacht haben soll | |
die mehrmonatige Haft ein fehlerhafter und völlig unprofessioneller Umgang | |
mit der landeseigenen Polizeidatenbank ViVA und der bundeseigenen | |
Polizei-Software INPOL. In den Systemen soll die Regierungsbeschäftigte | |
Katarina J. am 4. Juli 2018, also zwei Tage vor der Verhaftung Amad Ahmads, | |
Daten des hellhäutigen Kurden mit denen des als „schwarzhäutig“ | |
beschriebenen Amedy G. aus Mali kombiniert haben. | |
## Ein Vertuschungsversuch? | |
„Personenzusammenführung“ heißt dieser Vorgang im Polizeijargon. | |
Vorliegende Fotos beider Männer wurden nicht verglichen. Als | |
Alias-Tarnidentität von Amad Ahmad galt seitdem Amedy G. – und weil Amedy | |
G. wegen Diebstahls per Haftbefehl gesucht wurde, blieb Amad Ahmad in Haft. | |
Ob dieser Hergang plausibel ist, wollte der Untersuchungsausschuss durch | |
ein Gutachten des Informatikers Thorsten Holz klären lassen. Schließlich | |
hatte die ermittelnde Staatsanwaltschaft Kleve im Januar 2021 eingeräumt, | |
„dass Daten des Personendatensatzes (…) im Landesbestand ViVA gelöscht | |
wurden.“ Auch in der Bundesdatenbank INPOL [2][seien Daten vernichtet | |
worden] – und das, obwohl Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul | |
jede Datenlöschung untersagt hatte. | |
Im Raum stand damit der Verdacht, dass die Polizei selbst lange nach | |
Bekanntwerden des Skandals belastendes Material zwecks Fehlervertuschung | |
habe verschwinden lassen. Christdemokrat Reul reagierte schnell – und | |
versicherte im Landtag, nicht mehr vorhanden seien nur die Informationen | |
aus INPOL. In der Landesdatenbank ViVA dagegen habe sein schon im Dezember | |
2018 verhängtes Löschmoratorium gegriffen. „Alle relevanten Daten sind nach | |
wie vor vorhanden und stehen Ihnen zur Verfügung“, versicherte der Minister | |
den Abgeordneten. | |
Und tatsächlich konnte auch der IT-Sicherheitsexperte Holz „keine | |
nachträglichen Manipulationen an dem relevanten Datenbestand“ feststellen. | |
Allerdings: Seine Analyse basiere „auf nachgestellten Szenarien, bei denen | |
die Abläufe in einer Fachtestumgebung realistisch simuliert werden | |
konnten“, schreibt der 40-Jährige in seinem Gutachten. Denn digital | |
existieren die Informationen offenbar tatsächlich nicht mehr. „Die | |
Originaldaten liegen in ausgedruckter Form vor, aufgrund der Löschung (…) | |
sind die Originaldaten nicht mehr vorhanden“, schreibt Holz. | |
## Bloß eine Excel-Tabelle | |
Trotzdem könne nachvollzogen werden, „dass die Personenzusammenführung am | |
4. Juli 2018 um 12:08 Uhr“, also schon zwei Tage vor der Festnahme von Amad | |
Ahmad, durch die Regierungsbeschäftigte J. „erfolgte“, erklärt der | |
IT-Experte. Der Obmann der CDU im Untersuchungsausschuss, Oliver Kehrl, | |
hält deshalb die Polizei seines Innenministers Reul für entlastet: „Das | |
Gutachten bestätigt, dass die Thesen einer Verschwörung oder Manipulation | |
immer schon Unfug waren“, sagt der Christdemokrat – und legt nach: | |
„Gelöscht oder vertuscht“ worden sei gar nichts. | |
„Überhaupt nicht schlüssig“ sei das, sagt dagegen der Anwalt der Familie | |
des in Haft tödlich Verletzten, Sven Forst: „Es ist unstrittig, dass die | |
Originaldaten nicht mehr vorliegen“, betont der Jurist. Bei den | |
ausgedruckten Daten handele es sich um „eine einfache Excel-Tabelle, die | |
jeder und jede ändern kann“. Dass die Regierungsbeschäftigte J. die | |
Personenzusammenführung vorgenommen habe, könne deshalb „nur vermutet“ | |
werden. | |
Unklar bleibt bis heute auch, warum und auf wessen Anweisung Katarina J. am | |
4. Juli 2018 die Daten von Amad Ahmad und Amedy G. unzulässig vermischt | |
haben soll. Vor dem Landtags-Untersuchungsausschuss erklärte sie, | |
Personenzusammenführungen seien gar nicht ihre Aufgabe. Ihr eigentlicher | |
Job sei der Eintrag neuer Vorwürfe gegen Verdächtige in ViVA. An den | |
konkreten Fall habe sie keinerlei Erinnerung. Personenzusammenführungen | |
habe sie aber nur auf Anweisung von Kriminalbeamten oder ihres Chefs | |
Klaus-Dieter M. durchgeführt. | |
Der wiederum versichert, im Juli 2018 nur noch formal Vorgesetzter gewesen | |
zu sein: Auf dem Weg in den Ruhestand habe er sein Büro schon im Mai | |
geräumt. | |
## „Kollektives und systematisches Versagen“ | |
„Warum und auf wessen Anweisung Katarina J. die Personenzusammenführung | |
durchgeführt hat, werden wir nicht klären können“, sagt deshalb der | |
stellvertretende SPD-Fraktionssitzende Sven Wolf. Über das „Triumphgeheul | |
der CDU“ ärgert sich auch der Obmann der Grünen, Stefan Engstfeld: Er hält | |
die Inhaftierung Amad Ahmads für ein Symbol des „kollektiven und | |
systematischen Versagens der Strafverfolgungs- und Vollstreckungsbehörden | |
in NRW“. | |
Denn weder Engstfeld noch Wolf können nachvollziehen, warum niemand von den | |
Polizist:innen, die sich im größten Bundesland mit dem Fall beschäftigten, | |
die Fotos des hellhäutigen Kurden mit denen eines dunkelhäutigen Mannes | |
verglichen – die Verwechselung wäre sofort aufgefallen. „Mehr als 20 Beamte | |
hatten den Vorgang in der Hand, hätten helfen können, hätten helfen | |
müssen“, sagt der Sozialdemokrat Wolf. | |
Wie offensichtlich die Verwechselung gewesen sei, zeige auch ein Vermerk | |
der niedersächsischen Staatsanwältin Silke Schaper, die Amedy G. von | |
Braunschweig aus wegen Diebstahls suchen ließ, erinnert Engstfeld: Die | |
Staatsanwältin hatte schon am 27. Juli 2018, also mehr als zwei Monate vor | |
dem Tod Amad Ahmads, festgehalten, das der zu Unrecht Inhaftierte und Amedy | |
G. „nicht identisch“ sein konnten. Ihrer „geografisch interessierten | |
Mitarbeiterin“ sei aufgefallen, dass der Geburtsort des Kurden, das | |
syrische Aleppo, tausende Kilometer von Mali entfernt liege, erklärte | |
Schaper in Düsseldorf vor dem Untersuchungsausschuss. | |
Dessen Aufklärungsarbeit sei deshalb mehr als notwendig gewesen, sind die | |
Oppositionsvertreter Wolf und Engstfeld überzeugt. Denn auch wenn unklar | |
bleiben sollte, wer tatsächlich Urheber der Verhaftung Amad Ahmads war, hat | |
die schwarz-gelbe Landesregierung erste Konsequenzen aus der | |
Aufklärungsarbeit gezogen: Die Polizeidatenbank ViVA wurde so verändert, | |
dass vorhandene Fotos sofort ins Auge stechen. | |
CDU-Justizminister Peter Biesenbach, der den Tod Amad Ahmads lange als | |
unvermeidbaren Suizid betrachtete und die Möglichkeit eines verzweifelten | |
Hilferufs ignorieren wollte, lässt die Gefängnisse schrittweise mit | |
feuerfesten Möbeln ausstatten. | |
Und die Beamt:innen von Polizei und Justiz, hoffen Wolf und Engstfeld, | |
seien „sensibilisiert“, die Identität von Verdächtigen und Inhaftierten | |
künftig genauestens zu prüfen. Mit anderen Worten: Sie wissen, dass bei | |
weiteren tödlichen Fehlern auch ihnen selbst maximale Konsequenzen drohen. | |
9 Feb 2022 | |
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## AUTOREN | |
Andreas Wyputta | |
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