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# taz.de -- Toter Geflüchteter in Gefängnis Kleve: Suizid bleibt reine Spekul…
> Es gibt Zweifel am Gutachten, das die NRW-Regierung im Fall Amad Ahmad
> entlastet. Der Gutachter spricht von „halb-subjektiven“ Einschätzungen.
Bild: Amad Ahmad starb in Zelle 143 der Klever Justizvollzugsanstalt
Düsseldorf taz | Im Fall des [1][monatelang grundlos inhaftierten und in
seiner Zelle in Kleve verbrannten Geflüchteten Amad Ahmad] bleiben Ablauf
und Grund des tödlichen Feuers unklar. Bei einer Befragung vor dem
Untersuchungsausschuss des Düsseldorfer Landtags relativierte der von der
Polizei beauftragte Brandsachverständige Guido Schweers am Dienstagabend
zentrale Teile seines Gutachtens. In seinem Text hatte er geschrieben, die
Umstände des Todes deuteten auf „vorsätzliche Brandstiftung vermutlich mit
suizidaler Absicht“ hin.
Nun aber erklärte Schweers, seine Aussagen zur Dauer des Feuers oder der
Frage, wie lange der Brand durch ein geöffnetes Fenster zusätzlich
angeheizt wurde, beruhten auf „halb-subjektiven Einschätzungen aus der
Ermittlungsakte“. Auch die Frage, ob technisch abklärbar sei, dass der Tod
des aus Syrien stammenden Kurden Amad Ahmads tatsächlich ein Suizid war,
musste der 53-jährige Gutachter verneinen: „selbstverständlich nicht.“
Zwar gehen auch die von den Eltern Amad Ahmads beauftragten Anwälte
„mangels anderer Anhaltspunkte“ davon aus, dass der aus Syrien Geflohene
das Feuer in seiner Zelle am 17. September 2018 selbst entzündet hat.
Allerdings könnte dies auch ein verzweifelter Hilferuf gewesen sein: Mehr
als zwei Monate saß der 26-Jährige da schon ohne jede Rechtsgrundlage in
Haft.
Erst einen Tag vor seinem Tod am 29. September 2018 räumte die
Staatsanwaltschaft Kleve ein, dass Amad Ahmad Opfer [2][einer kaum zu
glaubenden Verwechselung] geworden sein soll: Informationen aus den
Polizeidatenbanken Inpol und Viva waren vermischt worden.
## Die Zweifel bleiben
Weil der als „hellhäutig“ beschriebene Kurde deshalb mit dem aus Mali
stammenden „schwarzhäutigen“ Amedy G. verwechselt wurde, soll ein gegen den
Malier vorliegender Haftbefehl gegen Amad Ahmad angewendet worden sein.
Fotos, aus denen die Verwechselung wegen der unterschiedlichen Hautfarbe
direkt klar wird, verglich niemand.
Der Tod Amad Ahmads, dessen Haut zu 38 Prozent verbrannt war und der nach
einer Lungentransplantation im Bochumer Klinikum Bergmannsheil an
„Multiorganversagen nach Verbrennungskrankheit“ starb, wurde damit zum
Skandal, der zwei Minister des nordrhein-westfälischen
CDU-Ministerpräsidenten Armin Laschet gefährdete: Innenminister Herbert
Reul und Justizminister Peter Biesenbach, beide ebenfalls Christdemokraten,
mussten schwere Fehler einräumen, gerieten massiv unter Druck.
Für Entlastung sorgte erst die Suizidthese des Brandsachverständigen
Schweers, die Biesenbachs Ministerium im November 2018 präsentierte – und
die den Tod des Geflüchteten als eine Art unvermeidbaren Unfall darstellte.
Doch an der Belastbarkeit des Schweers-Gutachtens bleiben nach der Sitzung
des Untersuchungsausschusses Zweifel. Vor dem Ausschuss bekräftigte der
Geschäftsführer des Instituts für Brand- und Löschforschung Korbinian
Pasedag Vorwürfe, die er bereits vor mehr als zwei Jahren in den vom WDR
produzierten Fernsehmagazinen Monitor und Westpol erhoben hat.
## Selbst der Fernseher war geschmolzen
Der von Schweers geschilderte Brandablauf, nach dem Amad Ahmad etwa 15
Minuten in der nur 9,15 Quadratmeter großen brennenden Zelle ausgeharrt und
erst danach das Fenster geöffnet und um Hilfe gerufen haben soll, sei
technisch unmöglich. Ohne Luftzufuhr von außen „war schon nicht genug
Sauerstoff im Raum, um nur die Matratze abzubrennen“, sagte Pasedag.
Zerstört wurden aber große Teile des Mobiliars des Haftraums – nach dem
Schweers-Gutachten, das der taz vorliegt, verbrannte zusätzlich etwa eine
als Bettunterlage dienende Sperrholzplatte. Selbst der Fernseher war danach
„verschmolzen und zertropft“. Reine Spekulation sei auch die Suizidthese,
erklärte vor dem Untersuchungsausschuss der Brandsachverständige Henry
Portz: „Ob eine Selbstmordabsicht vorgelegen hat, kann der Brandgutachter
nicht wissen.“
Unsicher bleibt damit, wann genau Amad Ahmad erstmals um Hilfe gerufen hat
– und wie schnell die Mitarbeiter:innen der Justizvollzugsanstalt
reagiert haben. Der Untersuchungsausschuss setzt seine Arbeit mit der
Befragung von Mitgefangenen, die den zu Unrecht Inhaftierten nach Hilfe
schreiend am Zellenfenster gesehen haben wollen, am Mittwoch fort.
Klar sei aber, dass das „offizielle Brandgutachten durchaus Lücken“
aufweise und Ursachen jenseits der Suizidthese ausblende, kritisiert
deshalb nicht nur der Obmann der Grünen im Untersuchungsausschuss, Stefan
Engstfeld. „Auf die Frage, warum Amad Ahmad das Feuer legte, gab es viel zu
früh eine passende Antwort der Landesregierung – nämlich vorsätzliche
Brandstiftung mit suizidaler Absicht“, sagt auch SPD-Frakionsvize Sven
Wolf.
Überfällig sei besonders die Installation von Notrufknöpfen in allen
Hafträumen, sagt Wolf: „Das kann Leben retten.“ Denn bis heute gibt es in
Nordrhein-Westfalens Gefängnissen nur Gegensprechanlagen, die nicht
deutlich machen, ob sich Inhaftierte in einer existenziellen Notlage
befinden. Beim Brand von Amad Ahmads Zelle war die Gegensprechanlage durch
einen anderen Gefangenen belegt.
10 Mar 2021
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## AUTOREN
Andreas Wyputta
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