# taz.de -- Feuertod in der JVA Kleve: Polizist für unschuldig erklärt | |
> Ein Polizeibeamter soll nicht erkannt haben, dass der in der Zelle | |
> verbrannte Amad A. Opfer einer Verwechselung wurde – glaubt die | |
> Staatsanwaltschaft. | |
Bild: In der Justizvollzugsanstalt Kleve | |
Im Fall des ohne jede Rechtsgrundlage monatelang inhaftierten und in seiner | |
Gefängniszelle verbrannten [1][Kurden Amad Ahmad] hat die | |
Staatsanwaltschaft Kleve ihre Ermittlungen auch gegen den letzten im | |
Verdacht der Freiheitsberaubung stehenden Polizisten eingestellt. | |
Es könne „nicht festgestellt werden“, dass der für die Polizeibehörde Kl… | |
arbeitende Beamte Frank G. „erkannt oder zumindest billigend in Kauf | |
genommen“ habe, dass der in Syrien geborene Amad Ahmad Opfer einer | |
Verwechselung mit einem Mann aus dem afrikanischen Mali wurde, heißt es in | |
einer am Donnerstagnachmittag [2][veröffentlichten gemeinsamen Erklärung] | |
der Staatsanwaltschaft Kleve und der Polizei Krefeld. Sie war eingeschaltet | |
worden, um eine unabhängige Untersuchung zu gewährleisten. | |
Dabei lagen Frank G. offenbar eindeutigste Hinweise auf diese Verwechselung | |
vor: Amad Ahmad sei „nicht identisch“ mit dem Malier Amedy G., notierte die | |
Staatsanwältin Silke Schaper aus Braunschweig schon am 27. Juli 2018 in | |
einem Vermerk, den sie nach einen Telefonat mit dem Klever Polizisten | |
gefertigt hatte. Die Worte „nicht identisch“ sind in dem Schreiben, das der | |
taz vorliegt, unterstrichen. | |
Amad Ahmad war am 6. Juli 2018 festgenommen worden, weil er an einem | |
Baggersee in Geldern an der niederländischen Grenze vier junge Frauen | |
verbal sexuell belästigt haben soll. Eine der Frauen rief daraufhin ihren | |
Vater, einer Verkehrspolizisten, an. Die Wache in Geldern setzte zwei | |
Streifenwagen in Bewegung, die den 26-Jährigen festnahmen. Amad Ahmad hatte | |
in unmittelbarer Nähe des Baggersee-Strands auf einer Bank auf die Polizei | |
gewartet. | |
## Amad Ahmad offenbar verwechselt | |
Vorgeworfen wurde ihm „Beleidigung auf sexueller Grundlage“. Für eine | |
mehrmonatige Haft reicht dieser Vorwurf nicht aus. Dennoch saß der Kurde | |
hinter Gittern, bis am 17. September 2018 seine Zelle in der | |
Justizvollzugsanstalt Kleve ausbrannte. Der vor dem syrischen Assad-Regime | |
Geflohene wurde dabei bis zur Unkenntlichkeit entstellt – 38 Prozent seiner | |
Haut verbrannten. | |
Am 29. September 2018 starb Amad Ahmad nach einer Lungentransplantation im | |
auf schwerste Verbrennungen spezialisierten Bochumer Klinikum | |
Bergmannsheil. Einen Tag zuvor hatte der Sprecher der Staatsanwaltschaft | |
Kleve, Günter Neifer, den schwersten Fehler einräumen müssen, der | |
Ermittlern unterlaufen kann: Amad Ahmad sei wohl Opfer einer Verwechselung | |
geworden, erklärte der Oberstaatsanwalt. | |
Am 5. Oktober 2018 entschuldigte sich auch Nordrhein-Westfalens | |
CDU-Innenminister Herbert Reul. Wie es zu dem tödlichen Fehler kommen | |
konnte, [3][klärt seit Dezember 2018] ein Untersuchungsausschuss des | |
Landtags. Dessen Zeugenbefragungen haben bisher ergeben, dass eine | |
sogenannte „Personenzusammenführung“ Grund für die Verwechselung gewesen | |
sein soll. | |
Eine Regierungsangestellte soll Daten, die in der landeseigenen Datenbank | |
„ViVA“ über Amad Ahmad gespeichert waren, mit Informationen über den Mali… | |
Amedy G. aus der „Inpol“-Datenbank des Bundes vermischt haben. In dem damit | |
vorliegenden Datensatz wurde der Gesuchte einmal als „hellhäutig“, einmal | |
als „schwarzhäutig“ beschrieben – doch das soll niemandem der über 20 | |
Polizist:innen und mindestens acht Justizvollzugsmitarbeiter:innen, die | |
seit der Verhaftung Amad Ahmads mit dem Fall betraut waren, aufgefallen | |
sein. | |
## Staatsanwältin mit Gedächtnislücken | |
Auch die weiter vorliegenden Fotos des Afrikaners Amedy G. und des Syrers | |
Amad Ahmad will in NRW niemand verglichen haben. Dass die Verwechselung | |
mehr als auffällig war, bewies dagegen eine Bürokraft der niedersächsischen | |
Staatsanwältin Silke Schaper, die Amedy G. von Braunschweig aus wegen | |
Diebstahls suchen ließ. | |
Ihrer „geografisch interessierten Mitarbeiterin“ sei aufgefallen, dass Amad | |
Ahmads in den Akten angegebener Geburtsort, das syrische Aleppo, nicht im | |
tausende Kilometer entfernten westafrikanischen Mali liege, erklärte | |
Schaper vor dem Landtags-Untersuchungsausschuss. Dort berief sich die | |
Staatsanwältin allerdings auf große Gedächtnislücken. [4][„Ich kann mich | |
nicht erinnern“], sagte Schaper in Düsseldorf immer wieder. | |
Unklar blieb damit, ob die Staatsanwältin dem Klever Polizisten Frank G. in | |
ihrem Telefonat am 27. Juli 2018 explizit klargemacht hat, dass Amad Ahmad | |
nicht der Gesuchte Amedy G. sein könne – oder ob sie dies als Fazit des | |
Telefonats für ihre Unterlagen notierte. | |
Auf dieser Unklarheit beruht jetzt die Einstellung der Ermittlungen gegen | |
Frank G.: Es stehe „nicht fest, dass auch dem Polizeibeamten aufgrund des | |
Gesprächs und der ihm im Übrigen vorliegenden Informationen die | |
Personenverwechselung bewusst war“, argumentieren die Staatsanwaltschaft | |
Kleve und die Polizei Krefeld in ihrer gemeinsamen Erklärung. | |
## Untersuchungsausschuss prüft den Fall weiter | |
Den Obleuten von SPD und Grünen im Untersuchungsausschuss reicht das nicht. | |
Selbst das nordrhein-westfälische Landeskriminalamt habe „dem Kripobeamten | |
G.in einem Gutachten attestiert, dass er die unrechtmäßige Inhaftierung | |
hätte erkennen und darauf reagieren müssen“, kritisiert SPD-Fraktionsvize | |
Sven Wolf. | |
Zumindest im noch laufenden Disziplinarverfahren gegen Frank G. müsse | |
CDU-Innenminister Reul „das Fehlverhalten intensiv prüfen und daraus die | |
richtigen Schlüsse ziehen“, fordert der Sozialdemokrat. Zweifel hat auch | |
der Grüne Obmann Stefan Engstfeld: „Wir werden die Akten der | |
Staatsanwaltschaft anfordern – und ganz genau anschauen“, sagte der | |
Landtagsabgeordnete der taz. | |
Wie der Sozialdemokrat Wolf kann Engstfeld nicht verstehen, warum einer | |
Sachbearbeiterin im niedersächsischen Braunschweig die Verwechselung | |
auffiel – rund 30 nordrhein-westfälischen Landesbediensteten aber nicht. | |
Auf den Untersuchungsausschuss, der aktuell Grund, Ablauf und Umstände des | |
tödlichen Zellenbrands untersucht, wartet bis zum Abschluss der | |
Legislaturperiode 2022 noch viel Arbeit. | |
5 Feb 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Tod-von-Amad-Ahmad-in-der-JVA-Kleve/!5690973 | |
[2] https://www.presseportal.de/blaulicht/pm/50667/4830315 | |
[3] /Brand-in-JVA-Kleve/!5558633 | |
[4] /Feuertod-in-der-JVA-Kleve/!5692043 | |
## AUTOREN | |
Andreas Wyputta | |
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