# taz.de -- Geflüchtete und Klimaschutz: Profiteure des Klimawandels | |
> Staaten mit hohem Treibhausgasausstoß treffen auch intensive | |
> Vorbereitungen, künftige Fluchtbewegungen abzuwehren, zeigt eine neue | |
> Studie. | |
Bild: Kanada gibt jährlich 15-mal so viel für die Grenzausrüstung aus wie f�… | |
BERLIN taz | Noch weiß niemand, wie viele Menschen in den kommenden | |
Jahrzehnten wegen der Erderhitzung ihre Heimat werden verlassen müssen. Die | |
Prognosen gehen in die Hunderte Millionen. Schon jetzt aber zeigt sich: Die | |
Staaten, die am meisten Treibhausgase ausstoßen, bereiten sich am | |
intensivsten darauf vor, künftige Fluchtbewegungen abzuwehren – und | |
vernachlässigen gleichzeitig den Klimaschutz. | |
Eine am Montag vorgestellte Studie des Transnational Institute (TNI) in | |
Amsterdam zeigt, dass sieben der größten Treibhausgas-Emittenten der Welt | |
heute im Schnitt 2,3-mal so viel für die Aufrüstung der Grenzen ausgeben | |
wie für Klimaschutz. [1][Das stärkste Missverhältnis weise demnach Kanada | |
auf,] das heute jährlich 15-mal so viel für die Grenzaufrüstung wie für den | |
Klimaschutz ausgibt (1,5 Milliarden gegenüber rund 100 Millionen | |
US-Dollar), gefolgt von Australien, (13,5-mal so viel; 2,7 Milliarden zu | |
200 Millionen US-Dollar) und den USA (11-mal so viel; 19,6 gegenüber 1,8 | |
Milliarden US-Dollar). | |
Gemeinsam mit Großbritannien, Japan, Deutschland und Frankreich haben diese | |
Staaten seit 1850 zusammen 48 Prozent der weltweiten Treibhausgase | |
ausgestoßen. Ihre Grenzschutzausgaben sind zwischen 2013 und 2018 um 29 | |
Prozent gestiegen. Gleichzeitig haben diese Länder ihre Versprechen zur | |
Klimaschutzfinanzierung nicht eingehalten: Für die Jahre 2013 bis 2018 | |
hatten die Regierungen dieser sieben Staaten im Schnitt jährlich rund 30 | |
Milliarden Dollar für Grenzschutz bezahlt – fast genauso viel wie für den | |
Klimaschutz. Laut der NGO Oxfam waren davon nur 14,4 Milliarden Dollar | |
tatsächliche Ausgaben – beim Rest handelte es sich um Kredite für | |
Entwicklungsländer. | |
Umgekehrt sind die Länder mit den niedrigsten historischen Emissionen am | |
stärksten von klimabedingter Vertreibung der Bevölkerung betroffen. Somalia | |
zum Beispiel habe nur 0,00027 Prozent der Gesamtemissionen seit 1850 | |
ausgestoßen, hatte aber im Jahr 2020 mehr als eine Million Einwohner_innen | |
(6 Prozent der Bevölkerung), die durch eine klimabedingte Katastrophe | |
vertrieben wurden. | |
## Überwachungsindustrie ist Profiteur des Klimawandels | |
Die Militarisierung der Grenzen sei zum Teil auf nationale Strategien zur | |
Klimasicherheit zurückzuführen, die seit den frühen 2000er Jahren | |
Klimaflüchtlinge überwiegend als „Bedrohung“ und nicht als Opfer von | |
Ungerechtigkeit betrachten, so das TNI. „Diese ‚globale Klimamauer‘ zielt | |
darauf ab, mächtige Länder gegen Migranten abzuschotten.“ [2][Die Grenz-, | |
Überwachungs- und Militärindustrie] ist deshalb ein Profiteur des | |
Klimawandels. | |
Schon heute liegt der Umsatz der Branche bei 65 Milliarden Dollar im Jahr. | |
Analysten sehen bis Ende des Jahrzehnts ein Wachstumspotenzial von bis zu 7 | |
Prozent jährlich. Damit sich diese Prognosen bewahrheiten, drängen | |
Grenzschutzunternehmen mit vorgeschalteten Lobbyorganisationen wie der | |
„European Organisation for Security“ die Staaten dazu, „sich auf die | |
Militarisierung ihrer Reaktion auf die Klimafolgen zu konzentrieren, | |
anstatt die Ursachen zu bekämpfen,“ schreiben die Forscher_innen des | |
TNI. Die Folge seien immer mehr Aufträge für die Grenzschutzindustrie, ein | |
zunehmend feindliches Umfeld für Flüchtlinge und Migrant_innen. | |
Auftraggeber sind dabei nicht nur Staaten, sondern immer öfter auch | |
Energiekonzerne selbst. So haben Firmen wie Chevron, Exxon, BP der Shell in | |
den vergangenen Jahren millionenschwere Aufträge an Dutzende | |
Sicherheitsfirmen aus dem Grenzschutzsektor vergeben: Exxon Mobile etwa | |
nimmt die Rüstungsfirma L3 Harris für „Aufklärung“ rund um seine | |
Förderanlagen im nigerianischen Niger-Delta in Dienst – die eingesetzte | |
Technik ist exakt dieselbe wie L3 Harris sie andernorts an | |
Grenzschutzbehörden verkauft. Auch die staatliche saudische Ölfirma Saudi | |
Aramco lässt L3 Harris Rohölpipelines überwachen. | |
Eine wachsende Anzahl von (Ex-)Führungskräften aus dem einen Sektor sitzt | |
schon heute in Vorständen des jeweils anderen Sektors: In den Chefetagen | |
fünf großer fossiler Energiekonzerne sind Ex-Manager von Grenzschutzfirmen | |
vertreten. 21 Unternehmen aus dem Grenzschutzbusiness wiederum haben aktive | |
oder ehemalige Führungskräfte von fossilen Energiekonzernen in ihren | |
Reihen. | |
25 Oct 2021 | |
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## AUTOREN | |
Christian Jakob | |
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