| # taz.de -- Geflüchtete im Sudan: Endstation Khartum | |
| > Einhunderttausend Eritreer sitzen auf dem Weg nach Europa im Sudan fest. | |
| > Liegt das an der europäischen Flüchtlingspolitik? | |
| Bild: Ein Marktplatz in Djeref – in dem Viertel von Khartum leben sehr viele … | |
| In einem dunklen Zimmer in Khartum, das früher einmal eine Garage gewesen | |
| ist, sitzt ein junger Mann aus Eritrea in weißem Ein Poster im | |
| Flüchtlingslager AlUnterhemd auf einer Bettkante und erzählt, wie sein | |
| Traum von Europa zerbrach. | |
| Wenn Noah Solomon* spricht, dann flüstert er. Wenn es an der blauen | |
| Metalltür klopft, schreckt er zusammen. Auf seinen Unterarm hat er sich | |
| „Sorry Mam“ tätowiert. Einmal auf Englisch – einmal auf Tigrinisch. Vor | |
| zwei Jahren ist er aus Libyen in die sudanesische Hauptstadt zurückgekehrt. | |
| Solomons Geschichte ist die eines Überlebenden oder – je nachdem, wer sie | |
| erzählt – die eines Versagers. Er ist einer von Tausenden ostafrikanischen | |
| Geflüchteten, die in den vergangenen Jahren nach Khartum kamen, um von hier | |
| weiterzuziehen nach Libyen und von dort nach Europa. | |
| 1,1 Millionen Geflüchtete leben laut Angaben des Flüchtlingshilfswerks | |
| [1][UNHCR] im Sudan. 122.000 kommen aus Eritrea, andere aus Äthiopien und | |
| Südsudan. Wie viele sich wie Solomon unregistriert im Land aufhalten, weiß | |
| niemand. | |
| ## War die EU erfolgreich? | |
| 2014 hat die EU die strategische Bedeutung des Sudan für Migration nach | |
| Europa erkannt und den [2][Khartum-Prozess] gestartet, eine Initiative zur | |
| Vernetzung der EU mit den Ländern am Horn von Afrika. Es ist ein Versuch, | |
| Menschen wie Noah Solomon von der Flucht nach Europa abzuhalten. | |
| 81 Millionen Euro hat die EU bis 2022 für das Better Migration Management | |
| (BMM) in den acht Ländern am Horn von Afrika bereitgestellt, das zum | |
| Großteil von der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit | |
| (GIZ) umgesetzt wird. Das offizielle Ziel der GIZ lautet: MigrantInnen | |
| besser schützen. Mit Informationskampagnen, die über die Gefahren auf den | |
| Fluchtrouten aufklären sollen. Oder mit dem Training von Grenzpolizisten | |
| und Behörden wie dem Nationalen Komitee zur Bekämpfung von Menschenhandel. | |
| Tatsächlich ist die Zahl der Geflüchteten vom Horn von Afrika seit Beginn | |
| des Khartum-Prozesses stetig zurückgegangen. 2015 waren 25 Prozent aller | |
| Geflüchteten, 39.000 Menschen, die von Nordafrika nach Italien flohen, aus | |
| Eritrea. Aus keinem Land kamen damals mehr. Im Jahr 2019 sind es noch so | |
| wenige, dass sie in der Statistik nicht mehr separat gelistet werden. | |
| Und das, obwohl die Zahl der EritreerInnen, die jedes Jahr in den Sudan | |
| kommen, nach Angaben der sudanesischen Behörden und des UNHCR stets | |
| konstant geblieben ist. | |
| Sind diese Zahlen Belege für den Erfolg der EU-Politik am Horn von Afrika? | |
| In Al-Jerif, einem Viertel in der sudanesischen Hauptstadt Khartum, liegt | |
| hinter einem unscheinbaren Metalltor ein Teil der Antwort. Die Frauen legen | |
| ihre Kopftücher ab, die Männer tragen Rosenkränze ums Handgelenk. Die | |
| Menschen hier drinnen sprechen Tigrinisch und nicht Arabisch wie auf der | |
| Straße. Alle in der Garagensiedlung in Al-Jerif teilen ein Schicksal: Sie | |
| sind aus Eritrea geflohen. | |
| Hier lebt Noah Solomon, der 2016 vor dem Wehrdienst in den Sudan floh und | |
| 2017 den Beschluss fasste, nach Europa zu gehen. | |
| Nebenan wohnt Elena Semere*, Ende 40, zusammen mit ihren erwachsenen | |
| Töchtern. Sie ist vor vier Jahren aus Eritrea geflohen, nachdem ihr Mann | |
| zur Arbeit ging und spurlos verschwand. Über dem Schminktisch hängt ein | |
| Poster: „Happy Birthday“ steht darauf, daneben eine große Zwei und das Foto | |
| eines kleinen Jungen, ihres Enkels: „Wenn er groß ist, wird er die Wahrheit | |
| über seinen Vater erfahren müssen, das bricht mir das Herz.“ Ihre Tochter | |
| wurde auf der Flucht von einem Schlepper an der Grenze vergewaltigt. | |
| Eine Tür weiter das Zimmer von Yusuf Edris*. Ein Mann mit einer langen | |
| Narbe auf der linken Wange. Seine drei jüngeren Geschwister sind über das | |
| Mittelmeer nach Italien geflohen, leben inzwischen in Dortmund und Berlin, | |
| zum Beweis zeigt er Fotos auf seinem Smartphone. An der Zimmerwand hängt | |
| ein buntes Poster, das den Erzengel Michael zeigt, wie er dem Teufel eine | |
| Lanze durch den Rücken treibt. „Wollen wir nicht alle Engel sein und das | |
| Böse besiegen?“, fragt Edris. Bis vor drei Jahren hat er als Schlepper | |
| gearbeitet und Menschen gegen Geld von Eritrea in den Sudan gebracht. | |
| Für die Europäische Union ist Yusuf Edris kein Engel, sondern der Endgegner | |
| im Kampf gegen Migration. Im Jahr 2017 hat die EU gemeinsam mit den | |
| sudanesischen Behörden zusätzlich zum BMM das Regional Operational Center | |
| in Khartum (ROCK) eröffnet. Ein Geheimdienstzentrum, in dem Daten über | |
| irreguläre Migrationsströme in Ostafrika gesammelt werden, um so | |
| Schleppernetzwerke besser bekämpfen zu können. | |
| Die sudanesische Regierung hat bereits 2014 die Antischleppergesetze | |
| verschärft, das Nationale Komitee zur Bekämpfung von Menschenhandel | |
| vermeldet Jahr für Jahr steigende Zahlen der Verhafteten. Im „Trafficking | |
| in Persons Report“, einem Jahresbericht des US-Außenministeriums, ist Sudan | |
| vor zwei Jahren von der schwarzen Liste gestrichen worden. Doch noch immer | |
| wird dort vermerkt, Mitglieder des Militärs würden Minderjährige für den | |
| Krieg im Jemen rekrutieren, außerdem gebe es keine Bemühungen, die | |
| Verschleppung von Sexarbeiterinnen zu stoppen. | |
| Beim Interview erzählt Yusuf Edris, dass er selbst zwei Jahre lang wegen | |
| Menschenschmuggels im Gefängnis saß. Nicht im Sudan, sondern in Eritrea. | |
| Dass er wieder freigelassen wurde, sei für ihn ein Wunder. Es sei ein | |
| Irrglaube, dass sich Migration bekämpfen lasse, indem man Schmuggler | |
| bekämpfe. „Wir helfen den Leuten, der grausamsten Diktatur der Welt zu | |
| entfliehen. Wir riskieren unser Leben und nehmen dafür Geld. Ich sehe darin | |
| nichts Verwerfliches.“ | |
| Wir treffen Ramadan Ahmed in der sudanesischen Kleinstadt Kassala, wenige | |
| Kilometer entfernt von der eritreischen Grenze. Er ist Aktivist für die | |
| Rechte von Geflüchteten und Mitglied in der eritreischen Opposition ELF. | |
| Für ihn ist die Strategie der EU zu kurz gedacht. Die sogenannten | |
| Schlepper, die die Regierung verhaftet, seien oft einfache Leute: | |
| Taxifahrer oder Guides, die in der Grenzregion lebten und den Menschen für | |
| kleine Summen den Weg in die Stadt wiesen. „Wer Migration bekämpfen will, | |
| muss die Ursachen bekämpfen, aber die Situation in Eritrea hat sich in den | |
| letzten Jahren stetig verschlechtert“, sagt Ahmed über das Land, in dem | |
| Diktator Isayas Afewerki seit fast 27 Jahren herrscht. | |
| Während unseres Aufenthalts im Sudan sprechen wir mit 20 EritreerInnen. Die | |
| Liste der Verbrechen, die sie der Regierung vorwerfen, ist lang: Der Staat | |
| verpflichte College-AbgängerInnen für unbegrenzte Zeit in den National | |
| Service, berichten sie. Auch an andere Arbeitsplätze werde man von der | |
| Regierung gezwungen. Manche müssten für ausländische Bergbau- oder | |
| Straßenbauunternehmen arbeiten, Oppositionellen drohten Verhaftungen und | |
| lebenslange Gefängnisstrafen ohne Gerichtsverfahren. | |
| Es ist illegal, Eritrea ohne Erlaubnis der Behörden zu verlassen, wer es | |
| doch tut, riskiert, an der Grenze erschossen zu werden. Nach dem | |
| Friedensabkommen mit Äthiopien im Jahr 2018 hat Eritrea für wenige Monate | |
| seine Grenzen geöffnet; nachdem viele Menschen die Möglichkeit zur Flucht | |
| nutzten, sind sie inzwischen wieder geschlossen. Das EU-Parlament stellte | |
| 2017 in einer Resolution klar, dass Eritrea eine der „schlechtesten | |
| Menschenrechtsbilanzen der Welt“ habe, und beurteilte den National Service | |
| als „Zwangsarbeit“ und eine „Form der Sklaverei“. | |
| Dies alles hält die EU nicht davon ab, Eritrea 80 Millionen Euro aus ihrem | |
| Treuhandfonds für Afrika zur Verfügung zu stellen, um ein Straßenbauprojekt | |
| zur Verbindung von Eritrea und Äthiopien zu realisieren. Unter anderem mit | |
| dem Ziel, damit „Migrationsursachen“ zu bekämpfen. | |
| ## Zehn Prozent sind geflohen | |
| Vergangene Woche hat eine von Exileritreern gegründete NGO, die Stiftung | |
| Menschenrechte für Eritreer, in Amsterdam Klage gegen die EU eingereicht. | |
| Der Vorwurf: Arbeiter aus dem National Service würden gezwungen, die | |
| Straßen zu bauen. Die EU verstoße daher gegen ihre eigenen Prinzipien und | |
| gegen internationales Recht. Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights | |
| Watch kritisieren, dass es keine Möglichkeiten gebe, die Arbeitsbedingungen | |
| vor Ort zu überwachen. Die EU verfügt in Eritrea nicht einmal über eine | |
| Vertretung. | |
| Der Exodus, den Eritrea im vergangenen Jahrzehnt erlebt hat, lässt sich | |
| nicht aufhalten: Mehr als eine halbe Millionen Menschen sind außer Landes | |
| geflohen, rund 10 Prozent der Gesamtbevölkerung. | |
| Als Noah Solomon 2016 aus Eritrea nach Khartum flieht, findet er Arbeit in | |
| einer Putzfirma. Tagsüber reinigt er Bürogebäude, in den späten | |
| Abendstunden brät er Burger in einem Restaurant. Er verdient gerade so viel | |
| Geld, dass es zum Überleben reicht. Er besitzt weder Arbeitserlaubnis noch | |
| Aufenthaltsgenehmigung. Im Januar 2017 sei in dem Restaurant, in dem er | |
| gearbeitet habe, die Kasse gestohlen worden, erzählt er. | |
| Sein Chef habe ihn verdächtigt und die Polizei gerufen. Weil er kein Geld | |
| für einen Anwalt gehabt habe, habe er sich nicht verteidigen können und sei | |
| wegen Diebstahls zu drei Monaten Gefängnis verurteilt worden. „Damals habe | |
| ich verstanden: Ich muss hier weg, wenn ich jemals in Würde leben will“, | |
| sagt er. Als er im April 2017 aus der Haft entlassen worden sei, habe er | |
| beschlossen zu fliehen. FreundInnen hätten ihm den Kontakt zu einem | |
| Schlepper vermittelt. | |
| In Omdurman besteigt er dann einen Pick-up. „Thatchers“ nennen die | |
| Schlepper die weißen Toyotas nach der „Iron Lady“, der ehemaligen | |
| britischen Premierministerin. Außerhalb der Stadt wird er zusammen mit etwa | |
| 120 anderen Menschen auf einen Lastwagen verladen und bis zur libyschen | |
| Grenze gebracht. | |
| Mehrere Geflüchtete seien auf der fünftägigen Fahrt tot zusammengebrochen, | |
| erinnert sich Solomon. Sie hätten die Toten mit bloßen Händen im Sand | |
| begraben. | |
| An der Grenze werden sie von den sudanesischen Schleppern an Libyer | |
| übergeben. Die fahren mit den Passagieren weiter Richtung Norden, laden sie | |
| in einer Lagerhalle aus weißen Ziegeln ab. Bis hierhin muss niemand | |
| bezahlen – jetzt wollen die Schlepper ihr Geld. | |
| 1.500 Dollar. Wer sofort zahlt, darf weiterreisen Richtung Meer, nach | |
| Tripolis. Wer nicht zahlen kann, wird als Geisel genommen. Die Schlepper | |
| wählen die Telefonnummern der Familien im Sudan oder Eritrea; sobald diese | |
| ans Telefon gehen, beginnen zwei die Geisel zu foltern. Mit Fäusten, mit | |
| Stöcken, mit Stromkabeln. Die gleiche Prozedur. Wieder und wieder. Jeden | |
| Tag. | |
| Noah Solomons Familie in Eritrea beginnt Geld zusammenzukratzen. Die Mutter | |
| verkauft all ihren Schmuck, die Möbel, sogar die Betten. „Bis das Haus | |
| komplett leer war“, sagt Solomon. Das Geld liefert die Familie bei einem | |
| Mittelsmann in Eritrea ab. | |
| Er kommt frei und reist weiter nach Sabrata, einer Hafenstadt an der | |
| libyschen Küste. Mit einem Facebook-Aufruf sammelt er Geld für die | |
| Überfahrt nach Europa. Mithilfe von Mitgliedern aus der Diaspora, | |
| entfernten Verwandten und FreundInnen, die es nach Europa geschafft haben, | |
| gelingt es ihm, 2.000 Dollar aufzubringen. | |
| ## Warten auf die Überfahrt | |
| Zusammen mit Hunderten anderen wartet er in einer Lagerhalle auf die | |
| Überfahrt, als sie von einer Gruppe bewaffneter Männer überfallen werden. | |
| Die Schlepper werden erschossen, die Flüchtenden mit vorgehaltener Waffe | |
| abgeführt und in ein anderes Lager gebracht. | |
| Zwar schafft er es, nach wenigen Tagen zu entkommen. Aber das Geld für die | |
| Überfahrt ist weg. Als er endlich das Meer sieht, ist er zum Aufgeben | |
| gezwungen. Mithilfe eines Händlers, der von Libyen in den Sudan reist, | |
| kehrt er nach einem Jahr zurück. | |
| In Al-Jerif kennen die benachbarten Jugendlichen Solomons Geschichte; ob | |
| diese sie vom großen Traum von Europa abbringen wird, vermag er nicht zu | |
| sagen. „Niemand kann sich den Horror vorstellen, bis er ihn nicht mit | |
| eigenen Augen gesehen hat.“ | |
| Laut einer Studie, die die UN-Entwicklungsorganisation UNDP im Oktober 2019 | |
| veröffentlichte und für die rund 2.000 MigrantInnen, die von Afrika nach | |
| Europa geflohen waren, interviewt wurden, gaben 93 Prozent der Menschen an, | |
| dass sie über die Risiken der Flucht Bescheid wussten – und nur 2 Prozent | |
| sagten, dass Aufklärung sie an der Reise gehindert hätte. | |
| Warum aber sind die Zahlen derer, die von Sudan nach Libyen aufbrechen und | |
| von dort weiter nach Europa fliehen, in der Vergangenheit so stark | |
| zurückgegangen? | |
| Die GIZ verweist gerne auf ihr eigenes Engagement: Insgesamt habe das BMM | |
| mit seinen Kampagnen 150.000 Menschen am Horn von Afrika erreicht, schreibt | |
| die Organisation für Entwicklungszusammenarbeit auf Anfrage der taz. | |
| Ebenso, dass 18.200 schutzbedürftige MigrantInnen darin unterstützt wurden, | |
| Zugang zu Gesundheits- und psychosozialer Versorgung sowie rechtlicher | |
| Beratung zu bekommen. | |
| Wenn man Hamdan Dagalo zuhört, geht der Rückgang der Geflüchtetenzahlen vor | |
| allem auf sein Konto. Der Anführer der sudanesischen Rapid Support Forces | |
| (RSF), der der Übergangsregierung angehört und als derzeit mächtigster Mann | |
| im Sudan gilt, sagte in einem Interview mit al-Dschasira im Jahr 2017, die | |
| EU verliere „Millionen im Kampf gegen Migration, deshalb sollten sie uns | |
| unterstützen“. | |
| Die RSF, die früher Janjaweed hießen, waren bis zu dessen Sturz so etwas | |
| wie die Privatmiliz des Ex-Diktators Omar al-Baschir und werden für den | |
| Genozid in Darfur mitverantwortlich gemacht. Verschiedene | |
| Menschenrechtsorganisationen haben in der Vergangenheit den Verdacht | |
| geäußert, die EU unterstütze die RSF beim Grenzschutz. Auf Anfrage der taz | |
| bestreitet die EU jedoch, dass es je finanzielle Unterstützung für die | |
| Miliz gegeben habe. | |
| Die meisten Geflüchteten, mit denen wir in Khartum sprechen, sind weder | |
| RSF-Kämpfern an der Grenze begegnet, noch haben sie von den Projekten der | |
| EU gehört. „Das Leben für uns Eritreer hat sich, seit ich hier lebe, kein | |
| bisschen verbessert“, sagt Solomon, als er über die Zeit nach seiner | |
| Rückkehr aus Libyen spricht. Dass kaum noch Menschen aus dem Sudan fliehen, | |
| hat wahrscheinlich andere Gründe. | |
| „Der Weg nach Libyen ist seit mehr als einem Jahr verschlossen“, sagt Yusuf | |
| Edris, der selbst nie Menschen nach Libyen geschleust haben will, aber | |
| Kollegen von früher kennt, die entlang der Route arbeiten. „Das Risiko ist | |
| zu groß, die Lage in Libyen zu unübersichtlich.“ In den letzten eineinhalb | |
| Jahren seien immer öfter „Menschentransporte“ wie jener von Noah Solomon | |
| von konkurrierenden Warlords überfallen worden, sodass sich der Schmuggel | |
| nicht mehr lohne. | |
| Nach zwei Wochen Recherche in Khartum und im Osten Sudans, nach Interviews | |
| mit Staatsanwälten, Schleppern, Geflüchteten und NGO-MitarbeiterInnen | |
| scheint es, als seien es nicht zuallererst die Millionen, die die EU in das | |
| BMM investiert, und auch nicht die Milizen wie die RSF, die die | |
| MigrantInnen aufhalten. | |
| Es ist vor allem der neu entfachte Bürgerkrieg in Libyen und das dadurch | |
| entstandene Machtvakuum, das das Geschäftsmodell der Schlepper unrentabel | |
| macht – und Geflüchtete zum Ausharren im Sudan zwingt. | |
| ## Lockdown in Khartum | |
| Für den unwahrscheinlichen Fall, dass sich die Lage in Libyen bald | |
| verbessert, hat die Afrikanische Union vorgesorgt. Im Oktober 2019 gab sie | |
| bekannt, ein Continental Operational Center in Khartum zu eröffnen. Hier | |
| sollen sich die Geheimdienste Afrikas vernetzen, um gemeinsam Grenzen und | |
| Menschenhandel besser zu kontrollieren und zu überwachen. | |
| Auf unsere Anfrage schreibt eine Sprecherin der EU Kommission, das Center | |
| sei eine Initiative der Afrikanischen Union, „nichtsdestotrotz“ werde „es | |
| Gespräche zwischen der EU und der AU geben, um den Austausch mit dem | |
| Continental Center zu diskutieren“. | |
| Jérôme Tubiana, Wissenschaftler des niederländischen Clingendael Institute, | |
| das 2018 eine Studie über die Auswirkungen der EU-Politik im Sudan | |
| veröffentlichte, warnt: „Die EU ist die Hauptgeldgeberin für die AU. Es ist | |
| interessant zu sehen, wie die EU so viel der Migrationsarbeit wie möglich | |
| an die Afrikanische Union auszulagern versucht, nicht zuletzt weil sich so | |
| ethische Dilemmata verwässern lassen.“ | |
| In Khartum hat die Regierung Mitte April wegen des Coronavirus einen | |
| kompletten Lockdown beschlossen. Bislang gibt es 2.700 bestätigte Fälle und | |
| 111 Tote. Die Menschen werden dazu angehalten, zu Hause zu bleiben. Polizei | |
| und Militär kontrollieren die Straßen. Die Geflüchteten aus Eritrea leiden | |
| besonders unter den Maßnahmen. Oft sind sie nicht registriert, haben keinen | |
| Zugang zur Krankenversorgung und müssen sich als Tagelöhner den | |
| Lebensunterhalt auf der Straße verdienen. | |
| Die Jugendlichen in Al-Jerif suchen weiter nach Wegen, das Land zu | |
| verlassen. Es gibt Gerüchte von neuen Fluchtrouten: über die Westgrenze in | |
| den Tschad, weiter nach Algerien oder Marokko, und von dort über das | |
| Mittelmeer. | |
| Noah Solomon will davon nichts wissen. Seit er zurück ist, arbeitet er | |
| nicht, verlässt nicht das Zimmer, das er sich mit einem Freund teilt. | |
| „Warum sollte ich?“, fragt er. Hier im Sudan fürchtet er die Polizei. Zu | |
| Hause in Eritrea würde er verhaftet. | |
| Sein Traum von Europa sei in Libyen vernichtet worden, sagt er, als wir uns | |
| noch vor der Coronakrise auf zwei Stahlfederbetten in seinem Zimmer in der | |
| Garagensiedlung in Al-Jerif gegenübersitzen. Er warte jetzt bloß noch auf | |
| den Tod. Dieses Jahr wird er 24. | |
| *Alle Namen der Geflüchteten wurden auf deren Bitte hin geändert, da die | |
| Betroffenen sich vor Verfolgung durch die sudanesischen Behörden fürchten | |
| 25 May 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.unhcr.org/dach/de/38227-mehr-internationale-solidaritaet-fuer-f… | |
| [2] /EU-Fluechtlingspolitik-im-Sudan/!5355404 | |
| ## AUTOREN | |
| Bartholomäus von Laffert | |
| ## TAGS | |
| Migration | |
| Sudan | |
| Eritrea | |
| Theater | |
| Sudan | |
| Asyl | |
| Lesestück Recherche und Reportage | |
| Schwerpunkt Libyenkrieg | |
| Schwerpunkt Flucht | |
| Schwerpunkt Flucht | |
| Sudan | |
| Flüchtlingspolitik | |
| migControl | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Regisseur über sudanesische Revolution: „Die Flamme am Lodern halten“ | |
| Das Stück „Kuras Hassab“ fordert Rechenschaft für gesellschaftliche | |
| Repression im Sudan. Regisseur Walid Al-Alfi spricht über Theater und | |
| Revolution. | |
| Notstand in Krisenregion Darfur: Störfeuer gegen Sudans Frieden | |
| Die Befriedung der Bürgerkriegsregion ist eine Bewährungsprobe für die neue | |
| Regierung. Ausgerechnet jetzt töten wieder Milizen Demonstranten. | |
| Geflüchtete aus Eritrea: Jahrelanges Warten, Ende ungewiss | |
| 1.200 anerkannte Flüchtlinge aus Eritrea warten, ihre Familien nach | |
| Deutschland holen zu dürfen. Die sitzen in Äthiopien, Libyen und dem Sudan | |
| fest. | |
| Frauenrevolution im Sudan: Nach dem Sturz | |
| Um gegen das Regime zu protestieren, verbündeten sich Frauen und Männer im | |
| Sudan. Beseitigten sie mit der Diktatur auch die Ungleichheit? | |
| Massaker in Libyen: Miliz tötet mehr als 30 Migranten | |
| Weil sie sich gegen ihre Folterknechte gewehrt hatten, wurde eine Gruppe | |
| entführter Migranten ermordet. Das Verbrechen wird wohl ungesühnt bleiben. | |
| Militärdienstverweigerer aus Syrien: Zwischenerfolg vor dem EuGH | |
| Eine Expertin plädiert dafür, dass Menschen Asyl erhalten, die vor dem | |
| Kriegsdienst in Syrien fliehen. Das Bamf hatte zuletzt anders entschieden. | |
| 100 Kilometer Demoroute für Geflüchtete: Wütend von Landau bis nach Mainz | |
| Fridays-for-Future-AktivistInnen traten für Geflüchtete in den | |
| Hungerstreik. Jetzt folgte ein Protestmarsch durch Rheinland-Pfalz. | |
| Tote und Verletzte in Khartum: Sudans Reformen in Gefahr | |
| Sudans neue Regierung reformiert den Militärapparat der Bashir-Diktatur. | |
| Jetzt meutern Geheimdienstler, die um ihre Jobs fürchten. | |
| Flüchtlingspolitik in Kenia: Starthilfe statt Spenden | |
| In Kakuma wird ein neues Konzept der Flüchtlingshilfe erprobt: Nicht mehr | |
| Almosen in Lagern, sondern Starthilfen in der Gesellschaft. | |
| Flüchtlingspolitik im Sudan: Störenfriede oder wirtschaftliche Stütze? | |
| Der Sudan war schon immer ein wichtiges Transitland für Flüchtlinge – was | |
| die Regierung bislang kaum interessiert hat. Nun hat sie sie als Faustpfand | |
| entdeckt. Und die EU reagiert. |