| # taz.de -- Flüchtlingspolitik im Sudan: Störenfriede oder wirtschaftliche St… | |
| > Der Sudan war schon immer ein wichtiges Transitland für Flüchtlinge – was | |
| > die Regierung bislang kaum interessiert hat. Nun hat sie sie als | |
| > Faustpfand entdeckt. Und die EU reagiert. | |
| Bild: Milizen bewachen erbeutete Waffen in der Konfliktregion Darfur | |
| Der ostafrikanische Sudan ist eines der wichtigsten Transitländer für | |
| Migranten. Sie kommen vor allem aus Eritrea, Äthiopien, Südsudan, aber auch | |
| aus dem Tschad, Niger, Somalia und der Zentralafrikanischen Republik. Den | |
| Sudan durchqueren sie, weil er an Ägypten und Libyen grenzt, von wo zurzeit | |
| die meisten Boote nach Europa ablegen. Viele Migranten halten sich nur ein | |
| paar Tage, maximal ein paar Wochen im Sudan auf. Andere leben dort auf | |
| Dauer, zum Teil als registrierte Flüchtlinge, zum Teil ohne Papiere. | |
| Das Interesse der sudanesischen Regierung an Migration war bislang eher | |
| gering. Migranten wurden jahrelang geduldet; Rechte genießen sie kaum | |
| welche. Lange Zeit verfolgte der Sudan – wie viele afrikanische Länder – | |
| eine Politik der offenen Grenzen, auch wenn die illegale Einreise ein | |
| Straftatbestand ist, der mit bis zu zwei Jahren Gefängnis geahndet werden | |
| kann. | |
| Aktuell steigt das Interesse der sudanesischen Regierung an den Migranten, | |
| die sie als Faustpfand entdeckt hat, um Druck auf die EU auszuüben – | |
| ähnlich wie Libyen unter Muammar al-Gaddafi oder zurzeit die Türkei. Erst | |
| 2016 drohte ein einflussreicher sudanesischer Grenzschützer, Migranten an | |
| der Grenze zu Libyen nicht länger an ihrer Weiterreise zu hindern, wenn die | |
| EU nicht mehr Anerkennung für die Anstrengungen des Sudan zeige – soll | |
| heißen: wenn sie nicht bald zahlt. | |
| Dass die EU zahlt, steht fest: So hat die EU Abkommen mit dem Sudan im Wert | |
| von über 140 Millionen Euro geschlossen: Eine „Spezialmaßnahme“ im Wert v… | |
| 100 Millionen Euro soll der Bevölkerung in krisengeplagten Regionen | |
| zugutekommen. Gemeint sind Gebiete, in denen gekämpft wird, in denen viele | |
| Flüchtlinge leben und solche, die besonders stark vom Klimawandel betroffen | |
| sind. Die EU will mit den 100 Millionen zur Armutsbekämpfung beitragen und | |
| hofft, dass dadurch weniger Menschen fliehen. Das Geld kommt aus dem | |
| Nothilfe-Treuhandfonds für Afrika, den die EU im November 2015 auf dem | |
| Gipfel von Valletta beschlossen hat: 1,8 Milliarden Euro sollen zur | |
| Bekämpfung von Fluchtursachen eingesetzt werden. | |
| ## EU-Gelder für „Migrationsmanagement“ | |
| Weitere 40 Millionen Euro investiert die EU im Rahmen eines Projekts zum | |
| „besseren Migrations-Management“. Die Bundesregierung finanziert | |
| zusätzliche fünf Millionen. Für den Sudan sind dafür anteilig Gelder | |
| vorgesehen. Ziel ist es, die Rechte von Migranten zu stärken und | |
| gleichzeitig Schleusertum und Menschenhandel zu bekämpfen. Durchgeführt | |
| wird es von einem Konsortium von fünf EU-Mitgliedstaaten (Deutschland, | |
| Frankreich, Großbritannien, Italien, Malta). Die deutsche Gesellschaft für | |
| internationale Zusammenarbeit (GIZ) übernimmt die Führungsrolle. | |
| Angesiedelt ist das Projekt unter dem Dach des Khartum-Prozesses. | |
| Finanziert wird es ebenfalls durch den EU-Treuhandfonds. Sechs Millionen | |
| Euro steuert das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und | |
| Entwicklung (BMZ) bei. | |
| Zusätzliche EU-Gelder kommen dem Sudan aus länderübergreifenden | |
| EU-Afrika-Projekten zugute. Dazu zählen ein Migrations- und | |
| Mobilitätsdialog zwischen der EU und Afrika, ein Regionales Schutz- und | |
| Entwicklungsprogramms (RDPP) für das Horn von Afrika und ein Projekt, das | |
| auf „gemischte Migrationsströme“ in Ostafrika abzielt. | |
| Für das gesamte Horn von Afrika beschloss die EU 2015 zehn Projekte im Wert | |
| von 250 Millionen Euro. Sie alle sind Teil des Treuhandfonds und sollen | |
| Instabilität, irreguläre Migration und Zwangsvertreibung in der Region | |
| bekämpfen. | |
| ## Haftbefehl und Entwicklungsgelder | |
| Einzelne EU-Mitgliedstaaten führen zusätzlich auf bilateraler Ebene | |
| Projekte im Sudan durch, so zum Beispiel die Briten, die Niederländer und | |
| die Italiener. Deutschland hat im März 2016 ein Abkommen im Wert von 35 | |
| Millionen abgeschlossen. Dabei sollen junge Menschen in Ostsudan eine | |
| Berufsausbildung in der Landwirtschaft, Fahrzeugmechanik und | |
| Möbelproduktion erhalten. Geplant ist, mit dem Projekt sowohl Sudanesen als | |
| auch Flüchtlinge anzusprechen, von denen viele – vor allem Eritreer und | |
| Äthiopier – im Ostsudan leben. Gleichzeitig sollen Gemeinden unterstützt | |
| werden, die besonders viele Flüchtlinge aufnehmen. Dabei geht es um | |
| Ernährung, Bildung, medizinische und Wasser-Versorgung. | |
| Dass die EU in derart großem Umfang in den Sudan investiert, ist | |
| bemerkenswert: Seit einigen Jahren ist die staatliche Entwicklungshilfe mit | |
| diesem Land ausgesetzt, schließlich wird der sudanesische Staatschef Omar | |
| Hassan Ahmad al-Bashir seit 2009 mit einem internationalen Haftbefehl | |
| gesucht. Für Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und | |
| Genozid im noch immer nicht befriedeten Darfur-Konflikt. | |
| Die knapp 40 Millionen umfassende Bevölkerung des Sudan ist ethnisch stark | |
| heterogen: 15 größere Ethnien werden gezählt; sie sprechen um die 75 | |
| Sprachen. Prinzipiell unterteilt sich die Bevölkerung in Araber und | |
| Angehörige schwarzafrikanischer Ethnien. Problematisch dabei ist eine | |
| starke Hierarchisierung zu Lasten der Schwarzafrikaner. Sie werfen der | |
| arabisch-dominierten Regierung immer wieder vor, sie von Regierungsposten | |
| auszuschließen und sie grundsätzlich zu diskriminieren. | |
| 2003 griffen aus Schwarzafrikanern bestehende Rebellentruppen | |
| Regierungsangehörige an, was zum Ausbruch des Konflikts geführt hat. Die | |
| Religion spielt dabei eigentlich keine Rolle. 99 Prozent der einen Großteil | |
| der Rebellen stellenden Fur („Darfur“ bedeutet „Land der Fur“) gelten a… | |
| Muslime. Auf den gesamten Sudan bezogen sind siebzig Prozent der | |
| Bevölkerung Muslime. | |
| ## Keine Pässe für Binnenvertriebene | |
| Im Kern fordern die Rebellen mehr Mitbestimmung und eine stärkere | |
| Entwicklung ihrer von mehreren Dürreperioden in Mitleidenschaft gezogenen | |
| Region. Leidtragend ist vor allem die Zivilbevölkerung: Laut UN-Angaben | |
| sollen um die 300.000 Menschen im Darfur-Konflikt ihr Leben verloren haben. | |
| Die Webseite „World Without Genocide“ geht von 460.000 Toten aus, | |
| wohingegen die sudanesische Regierung die Zahl der Toten weitaus geringer | |
| einschätzt. Laut Vereinten Nationen sollen durch den Konflikt knapp drei | |
| Millionen ihre Heimat verloren haben. Diese Binnenvertriebenen klagen | |
| oftmals über Diskriminierung. So sollen sie zum Beispiel nur schwer an | |
| Pässe kommen. Dadurch können sie den Sudan nicht verlassen, um im Ausland | |
| Asyl zu beantragen. | |
| Darfur grenzt an den von christlichen, schwarzafrikanischen Ethnien | |
| dominierten Südsudan, der 2011 nach jahrzehntelangem Bürgerkrieg mit dem | |
| Norden seine Unabhängigkeit erlangt hat. In den Grenzregionen kommt es noch | |
| immer häufig zu Unruhen. Ein wesentlicher Streitpunkt sind Erdöl-Quellen. | |
| Auch im Südsudan bleibt die Lage instabil, was immer wieder Südsudanesen in | |
| den Sudan flüchten lässt. Diese erfüllen laut dem Flüchtlingshilfswerk der | |
| Vereinten Nationen (UNHCR) alle Flüchtlingseigenschaften. Davon zu | |
| unterscheiden sind Südsudanesen, die ursprünglich aus wirtschaftlichen | |
| Gründen in den Norden migriert sind, durch kämpferische | |
| Auseinandersetzungen in ihrer Heimat dann aber vor Ort zu Flüchtlingen im | |
| juristischen Sinn wurden. Experten sprechen von „Flüchtlingen sur place“. | |
| Die dritte Gruppe sind Südsudanesen, die schon vor der Teilung im Nordteil | |
| gelebt haben und nach Unabhängigkeit ihres Landes nicht in ihre Heimat | |
| zurückgekehrt sind. Insgesamt sollen sich zurzeit um die 350.000 | |
| Südsudanesen im Sudan aufhalten. Ihre Nationalität ist zum Teil ungeklärt. | |
| Das UNHCR fürchtet, sie könnten auf Dauer staatenlos bleiben. | |
| ## Sanktionen und Waffenembargo | |
| International ist der Sudan isoliert. Die USA werfen ihm vor, Terroristen | |
| zu unterstützen. Fünf Jahre lang gewährte Sudans Präsident al-Bashir dem | |
| damals noch jungen und späteren Al-Kaida-Führer Osama bin Laden | |
| Unterschlupf – bis er den Sudan 1996 verließ. 1997 erließ der damalige | |
| US-Präsident Bill Clinton Sanktionen gegen Sudan, die noch heute gelten. | |
| Bereits 1994 untersagte die EU Waffenexporte in den Sudan. 2004 kam ein | |
| Verbot technischer sowie finanzieller Unterstützung in Bezug auf | |
| Waffenlieferungen hinzu. Jegliche Unterstützung militärischer Aktivitäten, | |
| ob technischer oder finanzieller Art, ist untersagt. Das Embargo gilt bis | |
| heute – für den gesamten Sudan. 2005 verhängten die Vereinten Nationen | |
| Sanktionen als Reaktion auf den Darfur-Konflikt. Sie beinhalten ein Verbot | |
| von Waffen-Lieferungen nach Darfur. 2011 weitete die EU ihre Sanktionen auf | |
| Südsudan aus. Bestimmte Dual-Use-Güter, also Güter, die sowohl zivil als | |
| auch militärisch einsetzbar sind, können dennoch in beide Länder eingeführt | |
| werden, allerdings nur zu humanitären Zwecken. | |
| Die EU kann im Sudan Projekte nicht auf staatlicher Ebene, sondern | |
| lediglich über internationale Hilfsorganisationen und | |
| Implementierungspartner wie die GIZ durchführen. Die baut zurzeit ihre | |
| Präsenz im Sudan aus. So hat sie zum Beispiel Büros für das Bessere | |
| Migrationsmanagement-Projekt angemietet. | |
| Sudan galt bislang als Zielland für Arbeitssuchende aus allen Teilen | |
| Afrikas. Khartums Universität war ein Anziehungspunkt für Studenten vom | |
| ganzen Kontinent, besonders Muslime. Doch die durch die Sanktionen | |
| geknebelte Wirtschaft weist schon lange einen Abwärtstrend auf. | |
| Arbeitssuchende Migranten finden nicht mehr wie einst Jobs und ziehen | |
| weiter gen Norden, und die gut ausgebildeten Sudanesen suchen selbst im | |
| Ausland Arbeit. | |
| ## Repressionen gegen Oppositionelle | |
| Immer wieder werden Oppositionelle und Journalisten festgenommen. Während | |
| einer Serie von Demonstrationen 2013 wurden laut Amnesty International | |
| mindestens 185 Menschen getötet. Der sudanesische Geheimdienst NISS | |
| (National Intelligence and Security Service) ist berüchtigt. Amnesty | |
| International beschuldigt NISS-Angehörige, Personen willkürlich | |
| festzunehmen, zu inhaftieren, zu foltern und anderweitig zu misshandeln. | |
| Bis zu viereinhalb Monate können Inhaftierte ohne gerichtliche Überprüfung | |
| festgehalten werden. NISS-Mitarbeiter genießen Straffreiheit für im Dienst | |
| begangene Vergehen. Amnesty International spricht von einer „Kultur der | |
| Straflosigkeit“. Einen wesentlichen Beitrag zur Einschüchterung leisten die | |
| vielen Spitzel, die der NISS beschäftigt. Experten gehen von Tausenden | |
| allein für die Hauptstadt Khartum aus. | |
| Dennoch wird in Deutschland nur gut jeder zweite Asylantrag von Sudanesen | |
| anerkannt. Abgelehnte Asylbewerber müsste der Sudan eigentlich | |
| zurücknehmen. Das tut das Land allerdings nur äußerst ungern: EU-weit nur | |
| in zwölf Prozent aller Fälle. Diese Rate ist weitaus geringer als für | |
| andere afrikanischen Herkunftsländer, wo sie im Schnitt bei dreißig Prozent | |
| liegt. 12.000 Sudanesen sollen sich illegal in der EU aufhalten. Ibrahim | |
| Ghandour, der sudanesische Außenminister, sagte gegenüber der ARD, man sei | |
| bereit, sie alle sofort zurückzunehmen – unter einer Bedingung: „Setzt ihr | |
| im Gegenzug euren Hilfsfonds um, und sie sind herzlich willkommen.“ | |
| Die EU hat vor, mit dem Sudan eng in Rückführungsfragen zu kooperieren. Ein | |
| Rückübernahmeabkommen gibt es noch nicht, dafür ein Strategiepapier der EU, | |
| in dem vorgeschlagen wird, über eine Erleichterung der US-Sanktionen, | |
| Schuldenerlass und eine Zusammenarbeit im Bereich Terrorismusbekämpfung zu | |
| diskutieren, wenn sich der Sudan in puncto Rückführung kooperativ zeige. | |
| Bei mangelnder Kooperation könne hingegen über Visarestriktionen | |
| nachgedacht werden. | |
| ## Bilaterale Rückführungen | |
| Im August 2016 unterzeichnete die italienische Polizei eine | |
| Absichtserklärung mit der sudanesischen Regierung. Darin geht es unter | |
| anderem um eine bessere Zusammenarbeit bei Rückführungen. Die scheitert – | |
| EU-weit – bislang oft an der fehlenden Identifizierung der Betroffenen, wie | |
| an fehlenden Reisedokumenten. Nur wenige Wochen später zeigte das Abkommen | |
| erste Ergebnisse: Ende August schob Italien 48 Sudanesen in ihr Heimatland | |
| ab. | |
| Kurze Zeit später zog Frankreich nach. Als das als „Dschungel“ bekannte | |
| Flüchtlingslager von Calais im Oktober 2016 geräumt wurde, ordnete ein | |
| französisches Gericht die Abschiebung mehrerer Sudanesen an. | |
| Weitere Entwicklungen sind auf das verstärkte EU-„Engagement“ im Sudan | |
| zurückzuführen: Immer häufiger nehmen sudanesische Grenzschützer Migranten | |
| fest. Mal in der Wüste auf dem Weg nach Libyen, mal in Khartom, wo viele | |
| Migranten ohne offizielle Erlaubnis als Teeverkäufer, Autowäscher oder | |
| Reinigungskraft arbeiten. Legal zu arbeiten ist ihnen so gut wie unmöglich. | |
| Denn arbeiten dürfen nur offiziell registrierte Flüchtlinge – und auch das | |
| nur in der Theorie. Eine Arbeitsgenehmigung wird nur in seltenen Fällen | |
| ausgestellt. | |
| ## Abschiebungen aus dem Sudan | |
| Wer von der Polizei aufgegriffen wird, landet erst einmal auf dem | |
| Polizeirevier. Von wo aus er sich im Idealfall freikaufen kann, wie viele | |
| Migranten berichten. Wer nicht genug Geld habe, werde inhaftiert, oftmals | |
| für mehrere Wochen, in seltenen Fällen bis zu einem Jahr. Gelegentlich | |
| schiebt der Sudan Migranten ab: zum Beispiel nach Äthiopien, wo | |
| Minderheiten gewaltsam unterdrückt werden, und nach Eritrea, wo den | |
| Rückkehrern Folter und Mord drohen, denn Landesflucht gilt als schweres | |
| Vergehen: An der Grenze zum Sudan herrscht ein Schießbefehl. | |
| Das UNHCR wirft dem Sudan vor, Schutzbedürftige abzuschieben, ohne ihnen | |
| die Möglichkeit gegeben zu haben, Asyl zu beantragen. Dem UNHCR zufolge | |
| handelt es sich dabei um einen Verstoß gegen internationales Recht, allen | |
| voran gegen die Genfer Flüchtlingskonvention. Auch Deutschland habe diese | |
| Abschiebungen bei bilateralen Treffen angemahnt, heißt es in Berliner | |
| Regierungskreisen. | |
| Wenn der Sudan seine Grenzen in Zukunft stärker kontrolliert, werden immer | |
| mehr Migranten im Sudan bleiben müssen statt nach Europa weiterreisen zu | |
| können. Auch jetzt entschließen sich schon viele dazu, erst einmal im Sudan | |
| auszuharren. Entweder weil sie zu große Angst vor der gefährlichen Reise | |
| durch Libyen und über das Mittelmeer haben oder weil ihnen das Geld fehlt: | |
| Um die fünftausend Dollar bräuchten sie aktuell für die Strecke vom Sudan | |
| bis nach Europa, sagen Flüchtlinge in Khartum. Zahlungskräftige Kunden | |
| können den Sudan mit dem Flugzeug verlassen. Es soll Luxusdeals geben, die | |
| über die Philippinen oder Singapur mit Schengen-Visum nach Europa führen – | |
| für 30.000 Dollar. | |
| ## Gestoppter Transit | |
| Den allermeisten bleibt jedoch nur die Mittelmeerüberquerung – oder sich | |
| bis auf Weiteres im Sudan niederzulassen. Aktuell wird der Sudan immer | |
| stärker von einem Transit- zu einem Zielland. Dabei dürfte es die vielen in | |
| Khartum im Untergrund lebenden Migranten eigentlich gar nicht geben: Das | |
| sudanesische Gesetz sieht vor, dass ausnahmslos alle Flüchtlinge im Sudan | |
| in Lagern leben. Man spricht dabei von einer „encampment policy“. Es heißt, | |
| nur unter dieser Bedingung sei das Land der Genfer Flüchtlingskonvention | |
| beigetreten. Das UNHCR mahnt diese Entscheidung ab und fordert die | |
| Regierung auf, die Rechte aller Flüchtlinge anzuerkennen – unabhängig | |
| davon, ob sie in Camps oder in städtischen Gebieten leben. | |
| Registrieren lassen können sich Flüchtlinge in der Regel nur in den direkt | |
| hinter der Grenze liegenden Flüchtlingslagern. Für alle von Osten her | |
| kommenden Flüchtlinge – Eritreer und Äthiopier – ist das das Camp Shagara… | |
| Geleitet wird es offiziell von der für Flüchtlinge zuständigen, dem | |
| Innenministerium untergeordneten Behörde COR (Commissioner for Refugees). | |
| Partner ist das UNHCR. Shagarab ist zurzeit die Sammelstelle, in der alle | |
| Flüchtlinge der neun ostsudanesischen, von UNHCR und Regierung gemeinsam | |
| betriebenen Lager ihren Asylantrag stellen. Seit Januar 2016 können | |
| Flüchtlinge auch direkt in der Hauptstadt Khartum um Asyl ersuchen. Das | |
| gilt allerdings nicht für Flüchtlinge, die vorher in Lagern im Ostsudan | |
| waren. | |
| Immer mehr Flüchtlinge umgehen diese Camps und lassen sich von Schleusern | |
| direkt nach Khartum bringen – um dort Geld zu verdienen oder gleich nach | |
| Europa weiterzureisen. Der Name Shagarab hat sich bis nach Eritrea | |
| rumgesprochen, niemand will dorthin. Das liegt zum einen an den schlechten | |
| Lebensverhältnissen: Jeder Flüchtling erhält am Monatsanfang | |
| Lebensmittelgutscheine im Wert von 120 sudanesischen Pfund, aktuell circa | |
| acht Euro. Viele berichten, die Gutscheine reichten nur für eine Woche. Die | |
| verbleibenden drei Wochen seien sie auf die Unterstützung von Verwandten | |
| aus dem Ausland angewiesen. | |
| ## Schmuggel und Entführungen | |
| Die medizinische Versorgung ist nicht weniger besorgniserregend: Ein Arzt | |
| ist für 35.000 Menschen zuständig, außerdem versorgt er Patienten aus den | |
| umliegenden Gemeinden. Die Verzweiflung im Camp ist groß. Regelmäßig nehmen | |
| sich Flüchtlinge das Leben, angeblich jeden Monat einer. Das Camp zu | |
| verlassen, ist illegal. Dennoch tun es viele, der Ausgang wird kaum | |
| kontrolliert. Wer wegläuft, riskiert, entführt zu werden. Nomadenstämme, | |
| die bislang in Gold-, Benzin- und Waffenschmuggel verwickelt waren, haben | |
| nun das Geschäft mit den Flüchtlingen entdeckt: Sie bringen ihre Opfer an | |
| geheime Orte, wo sie wochen-, oft monatelang festgehalten und gefoltert | |
| werden. Ihre Familien sind per Telefon live dabei. Dadurch wollen die | |
| Entführer erreichen, dass die Angehörigen schnell bezahlen. Summen von | |
| 10.000 Dollar werden gefordert. Ein eritreisches Durchschnittsgehalt | |
| beträgt 25 Euro im Monat. Mobile Geldtransfersysteme via SMS machen die | |
| Lösegeldzahlungen via Handy über Landesgrenzen hinweg möglich. | |
| Aus Angst vor diesen Entführungen wie auch aus mangelnden Mitteln und | |
| allgemeiner Perspektivlosigkeit im Sudan entschließen sich viele | |
| Flüchtlinge dazu, dauerhaft im Camp zu bleiben. In Shagarab, das Anfang der | |
| Achtziger gegründet wurde, leben bereits Menschen in der dritten | |
| Generation. | |
| Wer sich dagegen entschließt, aus dem Camp zu fliehen oder dieses von | |
| Anfang an zu umgehen, hat in seltenen Fällen in Khartum die Möglichkeit, | |
| sich gegen eine „Strafgebühr“ legalisieren zu lassen. Die Karte, die sie | |
| dabei erhielten, sei allerdings im Zweifelsfall nicht viel wert, wie viele | |
| Flüchtlinge berichten: Oftmals zerbrächen Polizisten die Karten kurzerhand | |
| bei Razzien, heißt es. | |
| Experten zufolge sind die häufiger stattfindenden Razzien nicht die einzige | |
| Folge der verstärkten EU-Zusammenarbeit mit dem Sudan: Für den Schutz der | |
| Grenze zu Libyen habe Präsident al-Bashir eine für ihre Brutalität bekannte | |
| Einsatztruppe rekrutiert: die RSF (Rapid Support Forces), die sich aus | |
| Janjaweed, den im Darfurkrieg eingesetzten sogenannten Reitermilizen | |
| zusammensetzen soll. Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch | |
| werfen den Janjaweed schwere Vergehen wie Massenvergewaltigungen vor. Ein | |
| im Sudan lebender Migrations-Experte beobachtet, dass sich durch den | |
| Einsatz der RSF die Fluchtrouten aktuell stärker über den Nordsudan in | |
| Richtung Ägypten verlagern. | |
| ## Visafreiheit für Syrer | |
| Am Flughafen in Khartum ist von der geplanten besseren Ausstattung der | |
| Grenzen, wie sie sich die EU wünscht, noch nichts zu spüren: Ausgefeilte | |
| Technik ist nirgendwo zu sehen. 2009 hat der Sudan biometrische Pässe | |
| eingeführt. Jeder, der seitdem einen neuen Pass beantragt hat oder einen | |
| abgelaufenen hat verlängern lassen, ist nun im Besitz eines biometrischen | |
| Passes. Zuständig für Pass-Angelegenheiten und Einwanderung ist eine dem | |
| Innenministerium unterstehende Behörde. | |
| Immer häufiger sind am Flughafen – sowie in Khartum – Syrer anzutreffen. | |
| Neben Malaysia und Iran ist der Sudan das letzte Land, das Syrern noch ohne | |
| Visum Zutritt gewährt. Syrien und der Sudan hatte lange Zeit gute | |
| Beziehungen. Der syrische Herrscher Baschar al-Assad hat sich hinter | |
| al-Bashir gestellt, als gegen diesen ein internationaler Haftbefehl | |
| erlassen wurde. Etwas gelitten haben die Beziehungen, als Gerüchte laut | |
| wurden, der Sudan statte syrische Rebellen mit Waffen aus. | |
| Grundsätzlich ist das Verhältnis jedoch nach wie vor gut, was sich in den | |
| Bedingungen für syrische Flüchtlinge niederschlägt: Ihr Aufenthalt im Sudan | |
| ist an keine Frist gebunden. Sie können Geschäfte eröffnen und haben Zugang | |
| zu medizinischer Versorgung und Bildung, genau wie sudanesische | |
| Staatsangehörige. Syrer lassen sich im Sudan nicht als Flüchtlinge | |
| registrieren, ebenso wenig leben sie in Camps. Ein in den sechziger Jahren | |
| geschlossenes Abkommen hat zur Folge, dass Syrer leicht an eine | |
| Niederlassungserlaubnis für den Sudan kommen. Um die 120.000 Syrer sollen | |
| sich dort derzeit aufhalten, und jeden Monat kommen angeblich Hunderte | |
| dazu. | |
| 12 Dec 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Lea Wagner | |
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