# taz.de -- Flüchtlingspolitik im Sudan: Störenfriede oder wirtschaftliche St… | |
> Der Sudan war schon immer ein wichtiges Transitland für Flüchtlinge – was | |
> die Regierung bislang kaum interessiert hat. Nun hat sie sie als | |
> Faustpfand entdeckt. Und die EU reagiert. | |
Bild: Milizen bewachen erbeutete Waffen in der Konfliktregion Darfur | |
Der ostafrikanische Sudan ist eines der wichtigsten Transitländer für | |
Migranten. Sie kommen vor allem aus Eritrea, Äthiopien, Südsudan, aber auch | |
aus dem Tschad, Niger, Somalia und der Zentralafrikanischen Republik. Den | |
Sudan durchqueren sie, weil er an Ägypten und Libyen grenzt, von wo zurzeit | |
die meisten Boote nach Europa ablegen. Viele Migranten halten sich nur ein | |
paar Tage, maximal ein paar Wochen im Sudan auf. Andere leben dort auf | |
Dauer, zum Teil als registrierte Flüchtlinge, zum Teil ohne Papiere. | |
Das Interesse der sudanesischen Regierung an Migration war bislang eher | |
gering. Migranten wurden jahrelang geduldet; Rechte genießen sie kaum | |
welche. Lange Zeit verfolgte der Sudan – wie viele afrikanische Länder – | |
eine Politik der offenen Grenzen, auch wenn die illegale Einreise ein | |
Straftatbestand ist, der mit bis zu zwei Jahren Gefängnis geahndet werden | |
kann. | |
Aktuell steigt das Interesse der sudanesischen Regierung an den Migranten, | |
die sie als Faustpfand entdeckt hat, um Druck auf die EU auszuüben – | |
ähnlich wie Libyen unter Muammar al-Gaddafi oder zurzeit die Türkei. Erst | |
2016 drohte ein einflussreicher sudanesischer Grenzschützer, Migranten an | |
der Grenze zu Libyen nicht länger an ihrer Weiterreise zu hindern, wenn die | |
EU nicht mehr Anerkennung für die Anstrengungen des Sudan zeige – soll | |
heißen: wenn sie nicht bald zahlt. | |
Dass die EU zahlt, steht fest: So hat die EU Abkommen mit dem Sudan im Wert | |
von über 140 Millionen Euro geschlossen: Eine „Spezialmaßnahme“ im Wert v… | |
100 Millionen Euro soll der Bevölkerung in krisengeplagten Regionen | |
zugutekommen. Gemeint sind Gebiete, in denen gekämpft wird, in denen viele | |
Flüchtlinge leben und solche, die besonders stark vom Klimawandel betroffen | |
sind. Die EU will mit den 100 Millionen zur Armutsbekämpfung beitragen und | |
hofft, dass dadurch weniger Menschen fliehen. Das Geld kommt aus dem | |
Nothilfe-Treuhandfonds für Afrika, den die EU im November 2015 auf dem | |
Gipfel von Valletta beschlossen hat: 1,8 Milliarden Euro sollen zur | |
Bekämpfung von Fluchtursachen eingesetzt werden. | |
## EU-Gelder für „Migrationsmanagement“ | |
Weitere 40 Millionen Euro investiert die EU im Rahmen eines Projekts zum | |
„besseren Migrations-Management“. Die Bundesregierung finanziert | |
zusätzliche fünf Millionen. Für den Sudan sind dafür anteilig Gelder | |
vorgesehen. Ziel ist es, die Rechte von Migranten zu stärken und | |
gleichzeitig Schleusertum und Menschenhandel zu bekämpfen. Durchgeführt | |
wird es von einem Konsortium von fünf EU-Mitgliedstaaten (Deutschland, | |
Frankreich, Großbritannien, Italien, Malta). Die deutsche Gesellschaft für | |
internationale Zusammenarbeit (GIZ) übernimmt die Führungsrolle. | |
Angesiedelt ist das Projekt unter dem Dach des Khartum-Prozesses. | |
Finanziert wird es ebenfalls durch den EU-Treuhandfonds. Sechs Millionen | |
Euro steuert das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und | |
Entwicklung (BMZ) bei. | |
Zusätzliche EU-Gelder kommen dem Sudan aus länderübergreifenden | |
EU-Afrika-Projekten zugute. Dazu zählen ein Migrations- und | |
Mobilitätsdialog zwischen der EU und Afrika, ein Regionales Schutz- und | |
Entwicklungsprogramms (RDPP) für das Horn von Afrika und ein Projekt, das | |
auf „gemischte Migrationsströme“ in Ostafrika abzielt. | |
Für das gesamte Horn von Afrika beschloss die EU 2015 zehn Projekte im Wert | |
von 250 Millionen Euro. Sie alle sind Teil des Treuhandfonds und sollen | |
Instabilität, irreguläre Migration und Zwangsvertreibung in der Region | |
bekämpfen. | |
## Haftbefehl und Entwicklungsgelder | |
Einzelne EU-Mitgliedstaaten führen zusätzlich auf bilateraler Ebene | |
Projekte im Sudan durch, so zum Beispiel die Briten, die Niederländer und | |
die Italiener. Deutschland hat im März 2016 ein Abkommen im Wert von 35 | |
Millionen abgeschlossen. Dabei sollen junge Menschen in Ostsudan eine | |
Berufsausbildung in der Landwirtschaft, Fahrzeugmechanik und | |
Möbelproduktion erhalten. Geplant ist, mit dem Projekt sowohl Sudanesen als | |
auch Flüchtlinge anzusprechen, von denen viele – vor allem Eritreer und | |
Äthiopier – im Ostsudan leben. Gleichzeitig sollen Gemeinden unterstützt | |
werden, die besonders viele Flüchtlinge aufnehmen. Dabei geht es um | |
Ernährung, Bildung, medizinische und Wasser-Versorgung. | |
Dass die EU in derart großem Umfang in den Sudan investiert, ist | |
bemerkenswert: Seit einigen Jahren ist die staatliche Entwicklungshilfe mit | |
diesem Land ausgesetzt, schließlich wird der sudanesische Staatschef Omar | |
Hassan Ahmad al-Bashir seit 2009 mit einem internationalen Haftbefehl | |
gesucht. Für Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und | |
Genozid im noch immer nicht befriedeten Darfur-Konflikt. | |
Die knapp 40 Millionen umfassende Bevölkerung des Sudan ist ethnisch stark | |
heterogen: 15 größere Ethnien werden gezählt; sie sprechen um die 75 | |
Sprachen. Prinzipiell unterteilt sich die Bevölkerung in Araber und | |
Angehörige schwarzafrikanischer Ethnien. Problematisch dabei ist eine | |
starke Hierarchisierung zu Lasten der Schwarzafrikaner. Sie werfen der | |
arabisch-dominierten Regierung immer wieder vor, sie von Regierungsposten | |
auszuschließen und sie grundsätzlich zu diskriminieren. | |
2003 griffen aus Schwarzafrikanern bestehende Rebellentruppen | |
Regierungsangehörige an, was zum Ausbruch des Konflikts geführt hat. Die | |
Religion spielt dabei eigentlich keine Rolle. 99 Prozent der einen Großteil | |
der Rebellen stellenden Fur („Darfur“ bedeutet „Land der Fur“) gelten a… | |
Muslime. Auf den gesamten Sudan bezogen sind siebzig Prozent der | |
Bevölkerung Muslime. | |
## Keine Pässe für Binnenvertriebene | |
Im Kern fordern die Rebellen mehr Mitbestimmung und eine stärkere | |
Entwicklung ihrer von mehreren Dürreperioden in Mitleidenschaft gezogenen | |
Region. Leidtragend ist vor allem die Zivilbevölkerung: Laut UN-Angaben | |
sollen um die 300.000 Menschen im Darfur-Konflikt ihr Leben verloren haben. | |
Die Webseite „World Without Genocide“ geht von 460.000 Toten aus, | |
wohingegen die sudanesische Regierung die Zahl der Toten weitaus geringer | |
einschätzt. Laut Vereinten Nationen sollen durch den Konflikt knapp drei | |
Millionen ihre Heimat verloren haben. Diese Binnenvertriebenen klagen | |
oftmals über Diskriminierung. So sollen sie zum Beispiel nur schwer an | |
Pässe kommen. Dadurch können sie den Sudan nicht verlassen, um im Ausland | |
Asyl zu beantragen. | |
Darfur grenzt an den von christlichen, schwarzafrikanischen Ethnien | |
dominierten Südsudan, der 2011 nach jahrzehntelangem Bürgerkrieg mit dem | |
Norden seine Unabhängigkeit erlangt hat. In den Grenzregionen kommt es noch | |
immer häufig zu Unruhen. Ein wesentlicher Streitpunkt sind Erdöl-Quellen. | |
Auch im Südsudan bleibt die Lage instabil, was immer wieder Südsudanesen in | |
den Sudan flüchten lässt. Diese erfüllen laut dem Flüchtlingshilfswerk der | |
Vereinten Nationen (UNHCR) alle Flüchtlingseigenschaften. Davon zu | |
unterscheiden sind Südsudanesen, die ursprünglich aus wirtschaftlichen | |
Gründen in den Norden migriert sind, durch kämpferische | |
Auseinandersetzungen in ihrer Heimat dann aber vor Ort zu Flüchtlingen im | |
juristischen Sinn wurden. Experten sprechen von „Flüchtlingen sur place“. | |
Die dritte Gruppe sind Südsudanesen, die schon vor der Teilung im Nordteil | |
gelebt haben und nach Unabhängigkeit ihres Landes nicht in ihre Heimat | |
zurückgekehrt sind. Insgesamt sollen sich zurzeit um die 350.000 | |
Südsudanesen im Sudan aufhalten. Ihre Nationalität ist zum Teil ungeklärt. | |
Das UNHCR fürchtet, sie könnten auf Dauer staatenlos bleiben. | |
## Sanktionen und Waffenembargo | |
International ist der Sudan isoliert. Die USA werfen ihm vor, Terroristen | |
zu unterstützen. Fünf Jahre lang gewährte Sudans Präsident al-Bashir dem | |
damals noch jungen und späteren Al-Kaida-Führer Osama bin Laden | |
Unterschlupf – bis er den Sudan 1996 verließ. 1997 erließ der damalige | |
US-Präsident Bill Clinton Sanktionen gegen Sudan, die noch heute gelten. | |
Bereits 1994 untersagte die EU Waffenexporte in den Sudan. 2004 kam ein | |
Verbot technischer sowie finanzieller Unterstützung in Bezug auf | |
Waffenlieferungen hinzu. Jegliche Unterstützung militärischer Aktivitäten, | |
ob technischer oder finanzieller Art, ist untersagt. Das Embargo gilt bis | |
heute – für den gesamten Sudan. 2005 verhängten die Vereinten Nationen | |
Sanktionen als Reaktion auf den Darfur-Konflikt. Sie beinhalten ein Verbot | |
von Waffen-Lieferungen nach Darfur. 2011 weitete die EU ihre Sanktionen auf | |
Südsudan aus. Bestimmte Dual-Use-Güter, also Güter, die sowohl zivil als | |
auch militärisch einsetzbar sind, können dennoch in beide Länder eingeführt | |
werden, allerdings nur zu humanitären Zwecken. | |
Die EU kann im Sudan Projekte nicht auf staatlicher Ebene, sondern | |
lediglich über internationale Hilfsorganisationen und | |
Implementierungspartner wie die GIZ durchführen. Die baut zurzeit ihre | |
Präsenz im Sudan aus. So hat sie zum Beispiel Büros für das Bessere | |
Migrationsmanagement-Projekt angemietet. | |
Sudan galt bislang als Zielland für Arbeitssuchende aus allen Teilen | |
Afrikas. Khartums Universität war ein Anziehungspunkt für Studenten vom | |
ganzen Kontinent, besonders Muslime. Doch die durch die Sanktionen | |
geknebelte Wirtschaft weist schon lange einen Abwärtstrend auf. | |
Arbeitssuchende Migranten finden nicht mehr wie einst Jobs und ziehen | |
weiter gen Norden, und die gut ausgebildeten Sudanesen suchen selbst im | |
Ausland Arbeit. | |
## Repressionen gegen Oppositionelle | |
Immer wieder werden Oppositionelle und Journalisten festgenommen. Während | |
einer Serie von Demonstrationen 2013 wurden laut Amnesty International | |
mindestens 185 Menschen getötet. Der sudanesische Geheimdienst NISS | |
(National Intelligence and Security Service) ist berüchtigt. Amnesty | |
International beschuldigt NISS-Angehörige, Personen willkürlich | |
festzunehmen, zu inhaftieren, zu foltern und anderweitig zu misshandeln. | |
Bis zu viereinhalb Monate können Inhaftierte ohne gerichtliche Überprüfung | |
festgehalten werden. NISS-Mitarbeiter genießen Straffreiheit für im Dienst | |
begangene Vergehen. Amnesty International spricht von einer „Kultur der | |
Straflosigkeit“. Einen wesentlichen Beitrag zur Einschüchterung leisten die | |
vielen Spitzel, die der NISS beschäftigt. Experten gehen von Tausenden | |
allein für die Hauptstadt Khartum aus. | |
Dennoch wird in Deutschland nur gut jeder zweite Asylantrag von Sudanesen | |
anerkannt. Abgelehnte Asylbewerber müsste der Sudan eigentlich | |
zurücknehmen. Das tut das Land allerdings nur äußerst ungern: EU-weit nur | |
in zwölf Prozent aller Fälle. Diese Rate ist weitaus geringer als für | |
andere afrikanischen Herkunftsländer, wo sie im Schnitt bei dreißig Prozent | |
liegt. 12.000 Sudanesen sollen sich illegal in der EU aufhalten. Ibrahim | |
Ghandour, der sudanesische Außenminister, sagte gegenüber der ARD, man sei | |
bereit, sie alle sofort zurückzunehmen – unter einer Bedingung: „Setzt ihr | |
im Gegenzug euren Hilfsfonds um, und sie sind herzlich willkommen.“ | |
Die EU hat vor, mit dem Sudan eng in Rückführungsfragen zu kooperieren. Ein | |
Rückübernahmeabkommen gibt es noch nicht, dafür ein Strategiepapier der EU, | |
in dem vorgeschlagen wird, über eine Erleichterung der US-Sanktionen, | |
Schuldenerlass und eine Zusammenarbeit im Bereich Terrorismusbekämpfung zu | |
diskutieren, wenn sich der Sudan in puncto Rückführung kooperativ zeige. | |
Bei mangelnder Kooperation könne hingegen über Visarestriktionen | |
nachgedacht werden. | |
## Bilaterale Rückführungen | |
Im August 2016 unterzeichnete die italienische Polizei eine | |
Absichtserklärung mit der sudanesischen Regierung. Darin geht es unter | |
anderem um eine bessere Zusammenarbeit bei Rückführungen. Die scheitert – | |
EU-weit – bislang oft an der fehlenden Identifizierung der Betroffenen, wie | |
an fehlenden Reisedokumenten. Nur wenige Wochen später zeigte das Abkommen | |
erste Ergebnisse: Ende August schob Italien 48 Sudanesen in ihr Heimatland | |
ab. | |
Kurze Zeit später zog Frankreich nach. Als das als „Dschungel“ bekannte | |
Flüchtlingslager von Calais im Oktober 2016 geräumt wurde, ordnete ein | |
französisches Gericht die Abschiebung mehrerer Sudanesen an. | |
Weitere Entwicklungen sind auf das verstärkte EU-„Engagement“ im Sudan | |
zurückzuführen: Immer häufiger nehmen sudanesische Grenzschützer Migranten | |
fest. Mal in der Wüste auf dem Weg nach Libyen, mal in Khartom, wo viele | |
Migranten ohne offizielle Erlaubnis als Teeverkäufer, Autowäscher oder | |
Reinigungskraft arbeiten. Legal zu arbeiten ist ihnen so gut wie unmöglich. | |
Denn arbeiten dürfen nur offiziell registrierte Flüchtlinge – und auch das | |
nur in der Theorie. Eine Arbeitsgenehmigung wird nur in seltenen Fällen | |
ausgestellt. | |
## Abschiebungen aus dem Sudan | |
Wer von der Polizei aufgegriffen wird, landet erst einmal auf dem | |
Polizeirevier. Von wo aus er sich im Idealfall freikaufen kann, wie viele | |
Migranten berichten. Wer nicht genug Geld habe, werde inhaftiert, oftmals | |
für mehrere Wochen, in seltenen Fällen bis zu einem Jahr. Gelegentlich | |
schiebt der Sudan Migranten ab: zum Beispiel nach Äthiopien, wo | |
Minderheiten gewaltsam unterdrückt werden, und nach Eritrea, wo den | |
Rückkehrern Folter und Mord drohen, denn Landesflucht gilt als schweres | |
Vergehen: An der Grenze zum Sudan herrscht ein Schießbefehl. | |
Das UNHCR wirft dem Sudan vor, Schutzbedürftige abzuschieben, ohne ihnen | |
die Möglichkeit gegeben zu haben, Asyl zu beantragen. Dem UNHCR zufolge | |
handelt es sich dabei um einen Verstoß gegen internationales Recht, allen | |
voran gegen die Genfer Flüchtlingskonvention. Auch Deutschland habe diese | |
Abschiebungen bei bilateralen Treffen angemahnt, heißt es in Berliner | |
Regierungskreisen. | |
Wenn der Sudan seine Grenzen in Zukunft stärker kontrolliert, werden immer | |
mehr Migranten im Sudan bleiben müssen statt nach Europa weiterreisen zu | |
können. Auch jetzt entschließen sich schon viele dazu, erst einmal im Sudan | |
auszuharren. Entweder weil sie zu große Angst vor der gefährlichen Reise | |
durch Libyen und über das Mittelmeer haben oder weil ihnen das Geld fehlt: | |
Um die fünftausend Dollar bräuchten sie aktuell für die Strecke vom Sudan | |
bis nach Europa, sagen Flüchtlinge in Khartum. Zahlungskräftige Kunden | |
können den Sudan mit dem Flugzeug verlassen. Es soll Luxusdeals geben, die | |
über die Philippinen oder Singapur mit Schengen-Visum nach Europa führen – | |
für 30.000 Dollar. | |
## Gestoppter Transit | |
Den allermeisten bleibt jedoch nur die Mittelmeerüberquerung – oder sich | |
bis auf Weiteres im Sudan niederzulassen. Aktuell wird der Sudan immer | |
stärker von einem Transit- zu einem Zielland. Dabei dürfte es die vielen in | |
Khartum im Untergrund lebenden Migranten eigentlich gar nicht geben: Das | |
sudanesische Gesetz sieht vor, dass ausnahmslos alle Flüchtlinge im Sudan | |
in Lagern leben. Man spricht dabei von einer „encampment policy“. Es heißt, | |
nur unter dieser Bedingung sei das Land der Genfer Flüchtlingskonvention | |
beigetreten. Das UNHCR mahnt diese Entscheidung ab und fordert die | |
Regierung auf, die Rechte aller Flüchtlinge anzuerkennen – unabhängig | |
davon, ob sie in Camps oder in städtischen Gebieten leben. | |
Registrieren lassen können sich Flüchtlinge in der Regel nur in den direkt | |
hinter der Grenze liegenden Flüchtlingslagern. Für alle von Osten her | |
kommenden Flüchtlinge – Eritreer und Äthiopier – ist das das Camp Shagara… | |
Geleitet wird es offiziell von der für Flüchtlinge zuständigen, dem | |
Innenministerium untergeordneten Behörde COR (Commissioner for Refugees). | |
Partner ist das UNHCR. Shagarab ist zurzeit die Sammelstelle, in der alle | |
Flüchtlinge der neun ostsudanesischen, von UNHCR und Regierung gemeinsam | |
betriebenen Lager ihren Asylantrag stellen. Seit Januar 2016 können | |
Flüchtlinge auch direkt in der Hauptstadt Khartum um Asyl ersuchen. Das | |
gilt allerdings nicht für Flüchtlinge, die vorher in Lagern im Ostsudan | |
waren. | |
Immer mehr Flüchtlinge umgehen diese Camps und lassen sich von Schleusern | |
direkt nach Khartum bringen – um dort Geld zu verdienen oder gleich nach | |
Europa weiterzureisen. Der Name Shagarab hat sich bis nach Eritrea | |
rumgesprochen, niemand will dorthin. Das liegt zum einen an den schlechten | |
Lebensverhältnissen: Jeder Flüchtling erhält am Monatsanfang | |
Lebensmittelgutscheine im Wert von 120 sudanesischen Pfund, aktuell circa | |
acht Euro. Viele berichten, die Gutscheine reichten nur für eine Woche. Die | |
verbleibenden drei Wochen seien sie auf die Unterstützung von Verwandten | |
aus dem Ausland angewiesen. | |
## Schmuggel und Entführungen | |
Die medizinische Versorgung ist nicht weniger besorgniserregend: Ein Arzt | |
ist für 35.000 Menschen zuständig, außerdem versorgt er Patienten aus den | |
umliegenden Gemeinden. Die Verzweiflung im Camp ist groß. Regelmäßig nehmen | |
sich Flüchtlinge das Leben, angeblich jeden Monat einer. Das Camp zu | |
verlassen, ist illegal. Dennoch tun es viele, der Ausgang wird kaum | |
kontrolliert. Wer wegläuft, riskiert, entführt zu werden. Nomadenstämme, | |
die bislang in Gold-, Benzin- und Waffenschmuggel verwickelt waren, haben | |
nun das Geschäft mit den Flüchtlingen entdeckt: Sie bringen ihre Opfer an | |
geheime Orte, wo sie wochen-, oft monatelang festgehalten und gefoltert | |
werden. Ihre Familien sind per Telefon live dabei. Dadurch wollen die | |
Entführer erreichen, dass die Angehörigen schnell bezahlen. Summen von | |
10.000 Dollar werden gefordert. Ein eritreisches Durchschnittsgehalt | |
beträgt 25 Euro im Monat. Mobile Geldtransfersysteme via SMS machen die | |
Lösegeldzahlungen via Handy über Landesgrenzen hinweg möglich. | |
Aus Angst vor diesen Entführungen wie auch aus mangelnden Mitteln und | |
allgemeiner Perspektivlosigkeit im Sudan entschließen sich viele | |
Flüchtlinge dazu, dauerhaft im Camp zu bleiben. In Shagarab, das Anfang der | |
Achtziger gegründet wurde, leben bereits Menschen in der dritten | |
Generation. | |
Wer sich dagegen entschließt, aus dem Camp zu fliehen oder dieses von | |
Anfang an zu umgehen, hat in seltenen Fällen in Khartum die Möglichkeit, | |
sich gegen eine „Strafgebühr“ legalisieren zu lassen. Die Karte, die sie | |
dabei erhielten, sei allerdings im Zweifelsfall nicht viel wert, wie viele | |
Flüchtlinge berichten: Oftmals zerbrächen Polizisten die Karten kurzerhand | |
bei Razzien, heißt es. | |
Experten zufolge sind die häufiger stattfindenden Razzien nicht die einzige | |
Folge der verstärkten EU-Zusammenarbeit mit dem Sudan: Für den Schutz der | |
Grenze zu Libyen habe Präsident al-Bashir eine für ihre Brutalität bekannte | |
Einsatztruppe rekrutiert: die RSF (Rapid Support Forces), die sich aus | |
Janjaweed, den im Darfurkrieg eingesetzten sogenannten Reitermilizen | |
zusammensetzen soll. Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch | |
werfen den Janjaweed schwere Vergehen wie Massenvergewaltigungen vor. Ein | |
im Sudan lebender Migrations-Experte beobachtet, dass sich durch den | |
Einsatz der RSF die Fluchtrouten aktuell stärker über den Nordsudan in | |
Richtung Ägypten verlagern. | |
## Visafreiheit für Syrer | |
Am Flughafen in Khartum ist von der geplanten besseren Ausstattung der | |
Grenzen, wie sie sich die EU wünscht, noch nichts zu spüren: Ausgefeilte | |
Technik ist nirgendwo zu sehen. 2009 hat der Sudan biometrische Pässe | |
eingeführt. Jeder, der seitdem einen neuen Pass beantragt hat oder einen | |
abgelaufenen hat verlängern lassen, ist nun im Besitz eines biometrischen | |
Passes. Zuständig für Pass-Angelegenheiten und Einwanderung ist eine dem | |
Innenministerium unterstehende Behörde. | |
Immer häufiger sind am Flughafen – sowie in Khartum – Syrer anzutreffen. | |
Neben Malaysia und Iran ist der Sudan das letzte Land, das Syrern noch ohne | |
Visum Zutritt gewährt. Syrien und der Sudan hatte lange Zeit gute | |
Beziehungen. Der syrische Herrscher Baschar al-Assad hat sich hinter | |
al-Bashir gestellt, als gegen diesen ein internationaler Haftbefehl | |
erlassen wurde. Etwas gelitten haben die Beziehungen, als Gerüchte laut | |
wurden, der Sudan statte syrische Rebellen mit Waffen aus. | |
Grundsätzlich ist das Verhältnis jedoch nach wie vor gut, was sich in den | |
Bedingungen für syrische Flüchtlinge niederschlägt: Ihr Aufenthalt im Sudan | |
ist an keine Frist gebunden. Sie können Geschäfte eröffnen und haben Zugang | |
zu medizinischer Versorgung und Bildung, genau wie sudanesische | |
Staatsangehörige. Syrer lassen sich im Sudan nicht als Flüchtlinge | |
registrieren, ebenso wenig leben sie in Camps. Ein in den sechziger Jahren | |
geschlossenes Abkommen hat zur Folge, dass Syrer leicht an eine | |
Niederlassungserlaubnis für den Sudan kommen. Um die 120.000 Syrer sollen | |
sich dort derzeit aufhalten, und jeden Monat kommen angeblich Hunderte | |
dazu. | |
12 Dec 2016 | |
## AUTOREN | |
Lea Wagner | |
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