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# taz.de -- Flüchtlingspolitik im Sudan: Störenfriede oder wirtschaftliche St…
> Der Sudan war schon immer ein wichtiges Transitland für Flüchtlinge – was
> die Regierung bislang kaum interessiert hat. Nun hat sie sie als
> Faustpfand entdeckt. Und die EU reagiert.
Bild: Milizen bewachen erbeutete Waffen in der Konfliktregion Darfur
Der ostafrikanische Sudan ist eines der wichtigsten Transitländer für
Migranten. Sie kommen vor allem aus Eritrea, Äthiopien, Südsudan, aber auch
aus dem Tschad, Niger, Somalia und der Zentralafrikanischen Republik. Den
Sudan durchqueren sie, weil er an Ägypten und Libyen grenzt, von wo zurzeit
die meisten Boote nach Europa ablegen. Viele Migranten halten sich nur ein
paar Tage, maximal ein paar Wochen im Sudan auf. Andere leben dort auf
Dauer, zum Teil als registrierte Flüchtlinge, zum Teil ohne Papiere.
Das Interesse der sudanesischen Regierung an Migration war bislang eher
gering. Migranten wurden jahrelang geduldet; Rechte genießen sie kaum
welche. Lange Zeit verfolgte der Sudan – wie viele afrikanische Länder –
eine Politik der offenen Grenzen, auch wenn die illegale Einreise ein
Straftatbestand ist, der mit bis zu zwei Jahren Gefängnis geahndet werden
kann.
Aktuell steigt das Interesse der sudanesischen Regierung an den Migranten,
die sie als Faustpfand entdeckt hat, um Druck auf die EU auszuüben –
ähnlich wie Libyen unter Muammar al-Gaddafi oder zurzeit die Türkei. Erst
2016 drohte ein einflussreicher sudanesischer Grenzschützer, Migranten an
der Grenze zu Libyen nicht länger an ihrer Weiterreise zu hindern, wenn die
EU nicht mehr Anerkennung für die Anstrengungen des Sudan zeige – soll
heißen: wenn sie nicht bald zahlt.
Dass die EU zahlt, steht fest: So hat die EU Abkommen mit dem Sudan im Wert
von über 140 Millionen Euro geschlossen: Eine „Spezialmaßnahme“ im Wert v…
100 Millionen Euro soll der Bevölkerung in krisengeplagten Regionen
zugutekommen. Gemeint sind Gebiete, in denen gekämpft wird, in denen viele
Flüchtlinge leben und solche, die besonders stark vom Klimawandel betroffen
sind. Die EU will mit den 100 Millionen zur Armutsbekämpfung beitragen und
hofft, dass dadurch weniger Menschen fliehen. Das Geld kommt aus dem
Nothilfe-Treuhandfonds für Afrika, den die EU im November 2015 auf dem
Gipfel von Valletta beschlossen hat: 1,8 Milliarden Euro sollen zur
Bekämpfung von Fluchtursachen eingesetzt werden.
## EU-Gelder für „Migrationsmanagement“
Weitere 40 Millionen Euro investiert die EU im Rahmen eines Projekts zum
„besseren Migrations-Management“. Die Bundesregierung finanziert
zusätzliche fünf Millionen. Für den Sudan sind dafür anteilig Gelder
vorgesehen. Ziel ist es, die Rechte von Migranten zu stärken und
gleichzeitig Schleusertum und Menschenhandel zu bekämpfen. Durchgeführt
wird es von einem Konsortium von fünf EU-Mitgliedstaaten (Deutschland,
Frankreich, Großbritannien, Italien, Malta). Die deutsche Gesellschaft für
internationale Zusammenarbeit (GIZ) übernimmt die Führungsrolle.
Angesiedelt ist das Projekt unter dem Dach des Khartum-Prozesses.
Finanziert wird es ebenfalls durch den EU-Treuhandfonds. Sechs Millionen
Euro steuert das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung (BMZ) bei.
Zusätzliche EU-Gelder kommen dem Sudan aus länderübergreifenden
EU-Afrika-Projekten zugute. Dazu zählen ein Migrations- und
Mobilitätsdialog zwischen der EU und Afrika, ein Regionales Schutz- und
Entwicklungsprogramms (RDPP) für das Horn von Afrika und ein Projekt, das
auf „gemischte Migrationsströme“ in Ostafrika abzielt.
Für das gesamte Horn von Afrika beschloss die EU 2015 zehn Projekte im Wert
von 250 Millionen Euro. Sie alle sind Teil des Treuhandfonds und sollen
Instabilität, irreguläre Migration und Zwangsvertreibung in der Region
bekämpfen.
## Haftbefehl und Entwicklungsgelder
Einzelne EU-Mitgliedstaaten führen zusätzlich auf bilateraler Ebene
Projekte im Sudan durch, so zum Beispiel die Briten, die Niederländer und
die Italiener. Deutschland hat im März 2016 ein Abkommen im Wert von 35
Millionen abgeschlossen. Dabei sollen junge Menschen in Ostsudan eine
Berufsausbildung in der Landwirtschaft, Fahrzeugmechanik und
Möbelproduktion erhalten. Geplant ist, mit dem Projekt sowohl Sudanesen als
auch Flüchtlinge anzusprechen, von denen viele – vor allem Eritreer und
Äthiopier – im Ostsudan leben. Gleichzeitig sollen Gemeinden unterstützt
werden, die besonders viele Flüchtlinge aufnehmen. Dabei geht es um
Ernährung, Bildung, medizinische und Wasser-Versorgung.
Dass die EU in derart großem Umfang in den Sudan investiert, ist
bemerkenswert: Seit einigen Jahren ist die staatliche Entwicklungshilfe mit
diesem Land ausgesetzt, schließlich wird der sudanesische Staatschef Omar
Hassan Ahmad al-Bashir seit 2009 mit einem internationalen Haftbefehl
gesucht. Für Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und
Genozid im noch immer nicht befriedeten Darfur-Konflikt.
Die knapp 40 Millionen umfassende Bevölkerung des Sudan ist ethnisch stark
heterogen: 15 größere Ethnien werden gezählt; sie sprechen um die 75
Sprachen. Prinzipiell unterteilt sich die Bevölkerung in Araber und
Angehörige schwarzafrikanischer Ethnien. Problematisch dabei ist eine
starke Hierarchisierung zu Lasten der Schwarzafrikaner. Sie werfen der
arabisch-dominierten Regierung immer wieder vor, sie von Regierungsposten
auszuschließen und sie grundsätzlich zu diskriminieren.
2003 griffen aus Schwarzafrikanern bestehende Rebellentruppen
Regierungsangehörige an, was zum Ausbruch des Konflikts geführt hat. Die
Religion spielt dabei eigentlich keine Rolle. 99 Prozent der einen Großteil
der Rebellen stellenden Fur („Darfur“ bedeutet „Land der Fur“) gelten a…
Muslime. Auf den gesamten Sudan bezogen sind siebzig Prozent der
Bevölkerung Muslime.
## Keine Pässe für Binnenvertriebene
Im Kern fordern die Rebellen mehr Mitbestimmung und eine stärkere
Entwicklung ihrer von mehreren Dürreperioden in Mitleidenschaft gezogenen
Region. Leidtragend ist vor allem die Zivilbevölkerung: Laut UN-Angaben
sollen um die 300.000 Menschen im Darfur-Konflikt ihr Leben verloren haben.
Die Webseite „World Without Genocide“ geht von 460.000 Toten aus,
wohingegen die sudanesische Regierung die Zahl der Toten weitaus geringer
einschätzt. Laut Vereinten Nationen sollen durch den Konflikt knapp drei
Millionen ihre Heimat verloren haben. Diese Binnenvertriebenen klagen
oftmals über Diskriminierung. So sollen sie zum Beispiel nur schwer an
Pässe kommen. Dadurch können sie den Sudan nicht verlassen, um im Ausland
Asyl zu beantragen.
Darfur grenzt an den von christlichen, schwarzafrikanischen Ethnien
dominierten Südsudan, der 2011 nach jahrzehntelangem Bürgerkrieg mit dem
Norden seine Unabhängigkeit erlangt hat. In den Grenzregionen kommt es noch
immer häufig zu Unruhen. Ein wesentlicher Streitpunkt sind Erdöl-Quellen.
Auch im Südsudan bleibt die Lage instabil, was immer wieder Südsudanesen in
den Sudan flüchten lässt. Diese erfüllen laut dem Flüchtlingshilfswerk der
Vereinten Nationen (UNHCR) alle Flüchtlingseigenschaften. Davon zu
unterscheiden sind Südsudanesen, die ursprünglich aus wirtschaftlichen
Gründen in den Norden migriert sind, durch kämpferische
Auseinandersetzungen in ihrer Heimat dann aber vor Ort zu Flüchtlingen im
juristischen Sinn wurden. Experten sprechen von „Flüchtlingen sur place“.
Die dritte Gruppe sind Südsudanesen, die schon vor der Teilung im Nordteil
gelebt haben und nach Unabhängigkeit ihres Landes nicht in ihre Heimat
zurückgekehrt sind. Insgesamt sollen sich zurzeit um die 350.000
Südsudanesen im Sudan aufhalten. Ihre Nationalität ist zum Teil ungeklärt.
Das UNHCR fürchtet, sie könnten auf Dauer staatenlos bleiben.
## Sanktionen und Waffenembargo
International ist der Sudan isoliert. Die USA werfen ihm vor, Terroristen
zu unterstützen. Fünf Jahre lang gewährte Sudans Präsident al-Bashir dem
damals noch jungen und späteren Al-Kaida-Führer Osama bin Laden
Unterschlupf – bis er den Sudan 1996 verließ. 1997 erließ der damalige
US-Präsident Bill Clinton Sanktionen gegen Sudan, die noch heute gelten.
Bereits 1994 untersagte die EU Waffenexporte in den Sudan. 2004 kam ein
Verbot technischer sowie finanzieller Unterstützung in Bezug auf
Waffenlieferungen hinzu. Jegliche Unterstützung militärischer Aktivitäten,
ob technischer oder finanzieller Art, ist untersagt. Das Embargo gilt bis
heute – für den gesamten Sudan. 2005 verhängten die Vereinten Nationen
Sanktionen als Reaktion auf den Darfur-Konflikt. Sie beinhalten ein Verbot
von Waffen-Lieferungen nach Darfur. 2011 weitete die EU ihre Sanktionen auf
Südsudan aus. Bestimmte Dual-Use-Güter, also Güter, die sowohl zivil als
auch militärisch einsetzbar sind, können dennoch in beide Länder eingeführt
werden, allerdings nur zu humanitären Zwecken.
Die EU kann im Sudan Projekte nicht auf staatlicher Ebene, sondern
lediglich über internationale Hilfsorganisationen und
Implementierungspartner wie die GIZ durchführen. Die baut zurzeit ihre
Präsenz im Sudan aus. So hat sie zum Beispiel Büros für das Bessere
Migrationsmanagement-Projekt angemietet.
Sudan galt bislang als Zielland für Arbeitssuchende aus allen Teilen
Afrikas. Khartums Universität war ein Anziehungspunkt für Studenten vom
ganzen Kontinent, besonders Muslime. Doch die durch die Sanktionen
geknebelte Wirtschaft weist schon lange einen Abwärtstrend auf.
Arbeitssuchende Migranten finden nicht mehr wie einst Jobs und ziehen
weiter gen Norden, und die gut ausgebildeten Sudanesen suchen selbst im
Ausland Arbeit.
## Repressionen gegen Oppositionelle
Immer wieder werden Oppositionelle und Journalisten festgenommen. Während
einer Serie von Demonstrationen 2013 wurden laut Amnesty International
mindestens 185 Menschen getötet. Der sudanesische Geheimdienst NISS
(National Intelligence and Security Service) ist berüchtigt. Amnesty
International beschuldigt NISS-Angehörige, Personen willkürlich
festzunehmen, zu inhaftieren, zu foltern und anderweitig zu misshandeln.
Bis zu viereinhalb Monate können Inhaftierte ohne gerichtliche Überprüfung
festgehalten werden. NISS-Mitarbeiter genießen Straffreiheit für im Dienst
begangene Vergehen. Amnesty International spricht von einer „Kultur der
Straflosigkeit“. Einen wesentlichen Beitrag zur Einschüchterung leisten die
vielen Spitzel, die der NISS beschäftigt. Experten gehen von Tausenden
allein für die Hauptstadt Khartum aus.
Dennoch wird in Deutschland nur gut jeder zweite Asylantrag von Sudanesen
anerkannt. Abgelehnte Asylbewerber müsste der Sudan eigentlich
zurücknehmen. Das tut das Land allerdings nur äußerst ungern: EU-weit nur
in zwölf Prozent aller Fälle. Diese Rate ist weitaus geringer als für
andere afrikanischen Herkunftsländer, wo sie im Schnitt bei dreißig Prozent
liegt. 12.000 Sudanesen sollen sich illegal in der EU aufhalten. Ibrahim
Ghandour, der sudanesische Außenminister, sagte gegenüber der ARD, man sei
bereit, sie alle sofort zurückzunehmen – unter einer Bedingung: „Setzt ihr
im Gegenzug euren Hilfsfonds um, und sie sind herzlich willkommen.“
Die EU hat vor, mit dem Sudan eng in Rückführungsfragen zu kooperieren. Ein
Rückübernahmeabkommen gibt es noch nicht, dafür ein Strategiepapier der EU,
in dem vorgeschlagen wird, über eine Erleichterung der US-Sanktionen,
Schuldenerlass und eine Zusammenarbeit im Bereich Terrorismusbekämpfung zu
diskutieren, wenn sich der Sudan in puncto Rückführung kooperativ zeige.
Bei mangelnder Kooperation könne hingegen über Visarestriktionen
nachgedacht werden.
## Bilaterale Rückführungen
Im August 2016 unterzeichnete die italienische Polizei eine
Absichtserklärung mit der sudanesischen Regierung. Darin geht es unter
anderem um eine bessere Zusammenarbeit bei Rückführungen. Die scheitert –
EU-weit – bislang oft an der fehlenden Identifizierung der Betroffenen, wie
an fehlenden Reisedokumenten. Nur wenige Wochen später zeigte das Abkommen
erste Ergebnisse: Ende August schob Italien 48 Sudanesen in ihr Heimatland
ab.
Kurze Zeit später zog Frankreich nach. Als das als „Dschungel“ bekannte
Flüchtlingslager von Calais im Oktober 2016 geräumt wurde, ordnete ein
französisches Gericht die Abschiebung mehrerer Sudanesen an.
Weitere Entwicklungen sind auf das verstärkte EU-„Engagement“ im Sudan
zurückzuführen: Immer häufiger nehmen sudanesische Grenzschützer Migranten
fest. Mal in der Wüste auf dem Weg nach Libyen, mal in Khartom, wo viele
Migranten ohne offizielle Erlaubnis als Teeverkäufer, Autowäscher oder
Reinigungskraft arbeiten. Legal zu arbeiten ist ihnen so gut wie unmöglich.
Denn arbeiten dürfen nur offiziell registrierte Flüchtlinge – und auch das
nur in der Theorie. Eine Arbeitsgenehmigung wird nur in seltenen Fällen
ausgestellt.
## Abschiebungen aus dem Sudan
Wer von der Polizei aufgegriffen wird, landet erst einmal auf dem
Polizeirevier. Von wo aus er sich im Idealfall freikaufen kann, wie viele
Migranten berichten. Wer nicht genug Geld habe, werde inhaftiert, oftmals
für mehrere Wochen, in seltenen Fällen bis zu einem Jahr. Gelegentlich
schiebt der Sudan Migranten ab: zum Beispiel nach Äthiopien, wo
Minderheiten gewaltsam unterdrückt werden, und nach Eritrea, wo den
Rückkehrern Folter und Mord drohen, denn Landesflucht gilt als schweres
Vergehen: An der Grenze zum Sudan herrscht ein Schießbefehl.
Das UNHCR wirft dem Sudan vor, Schutzbedürftige abzuschieben, ohne ihnen
die Möglichkeit gegeben zu haben, Asyl zu beantragen. Dem UNHCR zufolge
handelt es sich dabei um einen Verstoß gegen internationales Recht, allen
voran gegen die Genfer Flüchtlingskonvention. Auch Deutschland habe diese
Abschiebungen bei bilateralen Treffen angemahnt, heißt es in Berliner
Regierungskreisen.
Wenn der Sudan seine Grenzen in Zukunft stärker kontrolliert, werden immer
mehr Migranten im Sudan bleiben müssen statt nach Europa weiterreisen zu
können. Auch jetzt entschließen sich schon viele dazu, erst einmal im Sudan
auszuharren. Entweder weil sie zu große Angst vor der gefährlichen Reise
durch Libyen und über das Mittelmeer haben oder weil ihnen das Geld fehlt:
Um die fünftausend Dollar bräuchten sie aktuell für die Strecke vom Sudan
bis nach Europa, sagen Flüchtlinge in Khartum. Zahlungskräftige Kunden
können den Sudan mit dem Flugzeug verlassen. Es soll Luxusdeals geben, die
über die Philippinen oder Singapur mit Schengen-Visum nach Europa führen –
für 30.000 Dollar.
## Gestoppter Transit
Den allermeisten bleibt jedoch nur die Mittelmeerüberquerung – oder sich
bis auf Weiteres im Sudan niederzulassen. Aktuell wird der Sudan immer
stärker von einem Transit- zu einem Zielland. Dabei dürfte es die vielen in
Khartum im Untergrund lebenden Migranten eigentlich gar nicht geben: Das
sudanesische Gesetz sieht vor, dass ausnahmslos alle Flüchtlinge im Sudan
in Lagern leben. Man spricht dabei von einer „encampment policy“. Es heißt,
nur unter dieser Bedingung sei das Land der Genfer Flüchtlingskonvention
beigetreten. Das UNHCR mahnt diese Entscheidung ab und fordert die
Regierung auf, die Rechte aller Flüchtlinge anzuerkennen – unabhängig
davon, ob sie in Camps oder in städtischen Gebieten leben.
Registrieren lassen können sich Flüchtlinge in der Regel nur in den direkt
hinter der Grenze liegenden Flüchtlingslagern. Für alle von Osten her
kommenden Flüchtlinge – Eritreer und Äthiopier – ist das das Camp Shagara…
Geleitet wird es offiziell von der für Flüchtlinge zuständigen, dem
Innenministerium untergeordneten Behörde COR (Commissioner for Refugees).
Partner ist das UNHCR. Shagarab ist zurzeit die Sammelstelle, in der alle
Flüchtlinge der neun ostsudanesischen, von UNHCR und Regierung gemeinsam
betriebenen Lager ihren Asylantrag stellen. Seit Januar 2016 können
Flüchtlinge auch direkt in der Hauptstadt Khartum um Asyl ersuchen. Das
gilt allerdings nicht für Flüchtlinge, die vorher in Lagern im Ostsudan
waren.
Immer mehr Flüchtlinge umgehen diese Camps und lassen sich von Schleusern
direkt nach Khartum bringen – um dort Geld zu verdienen oder gleich nach
Europa weiterzureisen. Der Name Shagarab hat sich bis nach Eritrea
rumgesprochen, niemand will dorthin. Das liegt zum einen an den schlechten
Lebensverhältnissen: Jeder Flüchtling erhält am Monatsanfang
Lebensmittelgutscheine im Wert von 120 sudanesischen Pfund, aktuell circa
acht Euro. Viele berichten, die Gutscheine reichten nur für eine Woche. Die
verbleibenden drei Wochen seien sie auf die Unterstützung von Verwandten
aus dem Ausland angewiesen.
## Schmuggel und Entführungen
Die medizinische Versorgung ist nicht weniger besorgniserregend: Ein Arzt
ist für 35.000 Menschen zuständig, außerdem versorgt er Patienten aus den
umliegenden Gemeinden. Die Verzweiflung im Camp ist groß. Regelmäßig nehmen
sich Flüchtlinge das Leben, angeblich jeden Monat einer. Das Camp zu
verlassen, ist illegal. Dennoch tun es viele, der Ausgang wird kaum
kontrolliert. Wer wegläuft, riskiert, entführt zu werden. Nomadenstämme,
die bislang in Gold-, Benzin- und Waffenschmuggel verwickelt waren, haben
nun das Geschäft mit den Flüchtlingen entdeckt: Sie bringen ihre Opfer an
geheime Orte, wo sie wochen-, oft monatelang festgehalten und gefoltert
werden. Ihre Familien sind per Telefon live dabei. Dadurch wollen die
Entführer erreichen, dass die Angehörigen schnell bezahlen. Summen von
10.000 Dollar werden gefordert. Ein eritreisches Durchschnittsgehalt
beträgt 25 Euro im Monat. Mobile Geldtransfersysteme via SMS machen die
Lösegeldzahlungen via Handy über Landesgrenzen hinweg möglich.
Aus Angst vor diesen Entführungen wie auch aus mangelnden Mitteln und
allgemeiner Perspektivlosigkeit im Sudan entschließen sich viele
Flüchtlinge dazu, dauerhaft im Camp zu bleiben. In Shagarab, das Anfang der
Achtziger gegründet wurde, leben bereits Menschen in der dritten
Generation.
Wer sich dagegen entschließt, aus dem Camp zu fliehen oder dieses von
Anfang an zu umgehen, hat in seltenen Fällen in Khartum die Möglichkeit,
sich gegen eine „Strafgebühr“ legalisieren zu lassen. Die Karte, die sie
dabei erhielten, sei allerdings im Zweifelsfall nicht viel wert, wie viele
Flüchtlinge berichten: Oftmals zerbrächen Polizisten die Karten kurzerhand
bei Razzien, heißt es.
Experten zufolge sind die häufiger stattfindenden Razzien nicht die einzige
Folge der verstärkten EU-Zusammenarbeit mit dem Sudan: Für den Schutz der
Grenze zu Libyen habe Präsident al-Bashir eine für ihre Brutalität bekannte
Einsatztruppe rekrutiert: die RSF (Rapid Support Forces), die sich aus
Janjaweed, den im Darfurkrieg eingesetzten sogenannten Reitermilizen
zusammensetzen soll. Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch
werfen den Janjaweed schwere Vergehen wie Massenvergewaltigungen vor. Ein
im Sudan lebender Migrations-Experte beobachtet, dass sich durch den
Einsatz der RSF die Fluchtrouten aktuell stärker über den Nordsudan in
Richtung Ägypten verlagern.
## Visafreiheit für Syrer
Am Flughafen in Khartum ist von der geplanten besseren Ausstattung der
Grenzen, wie sie sich die EU wünscht, noch nichts zu spüren: Ausgefeilte
Technik ist nirgendwo zu sehen. 2009 hat der Sudan biometrische Pässe
eingeführt. Jeder, der seitdem einen neuen Pass beantragt hat oder einen
abgelaufenen hat verlängern lassen, ist nun im Besitz eines biometrischen
Passes. Zuständig für Pass-Angelegenheiten und Einwanderung ist eine dem
Innenministerium unterstehende Behörde.
Immer häufiger sind am Flughafen – sowie in Khartum – Syrer anzutreffen.
Neben Malaysia und Iran ist der Sudan das letzte Land, das Syrern noch ohne
Visum Zutritt gewährt. Syrien und der Sudan hatte lange Zeit gute
Beziehungen. Der syrische Herrscher Baschar al-Assad hat sich hinter
al-Bashir gestellt, als gegen diesen ein internationaler Haftbefehl
erlassen wurde. Etwas gelitten haben die Beziehungen, als Gerüchte laut
wurden, der Sudan statte syrische Rebellen mit Waffen aus.
Grundsätzlich ist das Verhältnis jedoch nach wie vor gut, was sich in den
Bedingungen für syrische Flüchtlinge niederschlägt: Ihr Aufenthalt im Sudan
ist an keine Frist gebunden. Sie können Geschäfte eröffnen und haben Zugang
zu medizinischer Versorgung und Bildung, genau wie sudanesische
Staatsangehörige. Syrer lassen sich im Sudan nicht als Flüchtlinge
registrieren, ebenso wenig leben sie in Camps. Ein in den sechziger Jahren
geschlossenes Abkommen hat zur Folge, dass Syrer leicht an eine
Niederlassungserlaubnis für den Sudan kommen. Um die 120.000 Syrer sollen
sich dort derzeit aufhalten, und jeden Monat kommen angeblich Hunderte
dazu.
12 Dec 2016
## AUTOREN
Lea Wagner
## TAGS
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Sudan
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