| # taz.de -- Frankreich über Bodentruppen: Macron und Scholz im Ukrainekrieg | |
| > Frankreichs Präsident bringt Bodentruppen in der Ukraine ins Gespräch. | |
| > Deutschlands Kanzler widerspricht. Was verbirgt sich hinter der Debatte? | |
| Bild: Le président inspiziert schonmal die Truppen. Cherbourg, 19.1.2024 | |
| Wladimir Putin soll nicht den Eindruck gewinnen, dass die Ukraine im Stich | |
| gelassen werde. „Wir sind weder resigniert noch defätistisch!“ war die | |
| Botschaft von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zum Abschluss einer | |
| Ukraine-Unterstützer-Konferenz in Paris, zu der er am Montag kurzfristig | |
| rund 25 Länder eingeladen hatte. | |
| Um dies zu untermauern, wählte er hinterher in der nächtlichen | |
| Pressekonferenz eine öffentliche Drohung, die am Dienstag für [1][gehörige | |
| Aufregung quer durch Europa] gesorgt hat. | |
| In der „Dynamik“ einer intensivierten Unterstützung der Ukraine dürfe auch | |
| die eventuelle Entsendung von Bodentruppen nicht ausgeschlossen werden, | |
| erklärte Macron. „Es gibt heute keinen Konsens dafür, ganz offiziell | |
| Bodentruppen zu entsenden, aber nichts darf ausgeschlossen werden“, sagte | |
| er. „Wir werden alles tun, was nötig ist, damit Russland diesen Krieg nicht | |
| gewinnen kann“. Die Alliierten seien „nicht im Krieg mit Russland“, aber | |
| entschlossen, „einen russischen Sieg nicht zuzulassen“. | |
| Mit seiner Äußerung, alle Optionen offenzuhalten, wiederholt Macron | |
| hinsichtlich der militärischen Unterstützung für die Ukraine, was | |
| Frankreich seit jeher zu seiner nuklearen Abschreckungsdoktrin sagt: Man | |
| müsse bewusst unklar bleiben zur Art und zur Dimension eines eventuellen | |
| Einsatzes. Der französische Premier Gabriel Attal wiederholte am Dienstag, | |
| man dürfe „nichts ausschließen in einem Krieg, der im Herzen Europas tobt�… | |
| ## Heilsamer Ruck gesucht | |
| Ein direkter westlicher Militäreinsatz in der Ukraine war bisher durchaus | |
| ausgeschlossen. Dass nun Macron dieses Tabu bricht, verdeutlicht vor allem, | |
| als wie dramatisch die Lage zwei Jahre nach Beginn des russischen Überfalls | |
| auf die Ukraine eingeschätzt wird. Die unzureichenden Waffen- und | |
| Munitionslieferungen aus dem Westen waren der Hauptgrund für die | |
| russischen Geländegewinne in den letzten Wochen im Osten der Ukraine | |
| gewesen. | |
| „Von einer Million Bomben, die uns die EU versprochen hatte, haben wir | |
| nicht die Hälfte, sondern leider nur 30 Prozent bekommen“, bedauerte vor | |
| Beginn des Treffens der ukrainische Staatschef Wolodymyr Selenskyj, der die | |
| teilnehmenden westlichen Partner in einer Videobotschaft eindringlich um | |
| raschere und stärkere Hilfe ersuchte. Es gehe dabei auch um die Sicherheit | |
| der Nachbarstaaten und ganz Europas. | |
| Aus diesem Grund dürfe die Ukraine nicht verlieren, sagte auch Macron: „Die | |
| russische Niederlage ist im Interesse der europäischen Sicherheit und der | |
| Stabilität unentbehrlich“, erklärte er feierlich. Ein heilsamer „Ruck“ … | |
| Alliierten sei notwendig, da Russland „immer aggressiver“ werde. | |
| Den Ruck hat es gegeben, wenn auch vielleicht nicht so, wie Macron ihn sich | |
| vorgestellt hatte. Deutschland jedenfalls fühlt sich direkt angesprochen | |
| und brüskiert. Erst wenige Stunden vor Macron hatte Bundeskanzler Olaf | |
| Scholz öffentlich die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die | |
| Ukraine kategorisch ausgeschlossen – nur um dann in Paris von Macron zu | |
| hören zu bekommen: „Einige von denen, die heute ‚Niemals‘ sagen, sind | |
| dieselben, die vor zwei Jahren sagten: ‚Niemals, Panzer, niemals, niemals | |
| Flugzeuge‘“, und „Vor zwei Jahren sagten einige an diesem Tisch: Wir werd… | |
| Schlafsäcke und Helme schicken.“ | |
| ## Sogar Slowakei und Polen einig | |
| In Reaktion auf Macrons Äußerung zum eventuellen Einsatz von Bodentruppen | |
| widersprach Scholz dann am Dienstag, man habe sich in Paris „sehr | |
| einhellig“ verständigt, „dass es keine Bodentruppen, keine Soldaten auf | |
| ukrainischem Boden geben wird, die von europäischen Staaten oder von | |
| Nato-Staaten dort hingeschickt werden“. | |
| Aber weder der deutsche Bundeskanzler noch der französische Staatspräsident | |
| sprechen für ganz Europa oder die Nato. Österreichs Regierung stellte am | |
| Dienstag klar, es habe in Paris „keinen Konsens“ gegeben. Die eher | |
| russlandfreundliche Slowakei und das eher ukrainefreundliche Polen | |
| schlossen beide eine eventuelle Truppenentsendung in die Ukraine aus. | |
| Etwas weniger definitiv meinte der schwedische Premierminister Ulf | |
| Kristersson, eine Entsendung von Soldaten sei kein aktuelles Thema, da | |
| diesbezüglich keine Anfrage existiere. Auch die Nato stellte am Dienstag | |
| klar, es gebe „keine Planungen“ für eine Truppenentsendung in die Ukraine. | |
| Mit scharfer Kritik an Macron reagierte in Frankreich vor allem die linke | |
| Opposition. Der Parteichef der Sozialisten, Olivier Faure, sprach von einer | |
| „besorgniserregenden Leichtfertigkeit“ des Staatspräsidenten. „Den | |
| Widerstand der Ukraine unterstützen, ja. In den Krieg mit Russland | |
| eintreten und den ganzen Kontinent hineinziehen: Wahnsinn“, kommentierte | |
| Faure. Der frühere Linken-Präsidentschaftskandidat Jean-Luc Mélenchon | |
| nannte Macrons Drohung „totalen Wahnsinn“, die Rechtsextreme Marine Le Pen | |
| sprach von „Sorglosigkeit“. | |
| ## Militärische Präsenz in der Westukraine | |
| Weniger umstritten als ein Truppeneinsatz ist die von Tschechien lancierte | |
| Idee, mit EU-Geldern in Drittstaaten das von der Ukraine dringend benötigte | |
| Kriegsmaterial einzukaufen, vor allem Artilleriemunition, die zwar von der | |
| EU versprochen wurde, aber nicht in ausreichender Menge zur Verfügung | |
| steht. Nach einigem Zögern scheint sich nun auch Macron diesem Vorschlag | |
| anzuschließen, was eine Erhöhung der Lieferungen ermöglicht. | |
| Großbritannien ist das einzige Land, das am Dienstag eine eventuelle | |
| Entsendung von Militärpersonal in die Ukraine nicht kategorisch | |
| zurückzuweisen schien. „Wir haben keine Pläne für eine größere | |
| Stationierung, abgesehen von einer kleineren Anzahl an Personal, die im | |
| Land ist, um die ukrainischen Streitkräfte zu unterstützen“, sagte am | |
| Dienstag ein Sprecher von Premierminister Rishi Sunak, Es handelt sich | |
| dabei in erster Linie um medizinische Ausbilder. | |
| Bekannt ist schon länger, dass britische Spezialkräfte zumindest punktuell | |
| in der Ukraine anwesend sind, etwa um ukrainische Truppen in neues | |
| Militärgerät einzuweisen. Zu Beginn des Krieges vor zwei Jahren gab es | |
| weitergehende britische Überlegungen, im Falle einer russischen Eroberung | |
| der ukrainischen Hauptstadt Kyjiw eine logistische militärische Präsenz | |
| westlicher Staaten im Westen der Ukraine aufzubauen, etwa in den Städten | |
| Lwiw und Odessa. | |
| Später hat es ebenfalls Überlegungen gegeben, die nötige Wartung und | |
| Reparatur westlichen Militärgeräts in der Ukraine direkt vor Ort von | |
| westlichem Personal durchführen zu lassen. Das wäre eine dauerhafte | |
| ausländische Militärpräsenz, allerdings nicht in Form von „Bodentruppen“. | |
| ## Si vis pacem… | |
| Es ist dieses Reizwort, mehr als das Thema an sich, das Macrons Vorstoß | |
| gewollt oder ungewollt kontrovers macht. Die französische Zeitung Le Monde | |
| zitierte am Dienstag einen ungenannten Experten in Paris, der sagte, | |
| angedacht sei aktuell nicht die Entsendung von Kampftruppen, aber durchaus | |
| von Militärpersonal für Aufklärung, Minenräumung und medizinische | |
| Versorgung. | |
| „Wie immer gibt es eine Maximaloption, eine Minimaloption und eine | |
| Null-Option; wir planen alles, aber es gibt keine Entscheidung“, sagte er. | |
| „Der Sinn besteht darin, den Russen eine klare Botschaft zu senden: Ihr | |
| könnt nicht alles machen.“ Solche Feinheiten scheinen in der öffentlichen | |
| politischen Debatte unterzugehen. | |
| 27 Feb 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Rudolf Balmer | |
| Dominic Johnson | |
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