| # taz.de -- Forschung zu Nachhaltigkeit: Notwendige Neuorientierung | |
| > In Deutschland formiert sich eine Wissenschaftler-Allianz für mehr | |
| > Nachhaltigkeit und Transformation. Experten für Umwelt und Naturschutz | |
| > werden rarer. | |
| Bild: Die ökosystemare Forschung soll besser werden. | |
| Der Nachhaltigkeitsgipfel in Rio zeigt: Der Zustand des Planeten verlangt | |
| ein Umsteuern. Auch die Forschung müsse ihren Beitrag zur „Großen | |
| Transformation“ leisten, fordert vor kurzem der Wissenschaftliche Beirat | |
| für Globale Umweltveränderungen (WBGU). In ihrem letzten Gutachten haben | |
| die Berater von Angela Merkel sogar die Einrichtung einer | |
| „Bundesuniversität“ empfohlen, die „Forschung und Bildung für die | |
| Transformation zur Nachhaltigkeit“ zum Hauptthema haben soll. | |
| Der Weg dorthin ist aber noch weit. Erst vereinzelt keimen in der deutschen | |
| Wissenschaftslandschaft Pflänzchen einer neuen „Nachhaltigkeits- und | |
| Transformationsforschung“, wie sie etwa die Lüneburger Leuphana-Universität | |
| zum Leitbild erhoben hat. Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) warnt | |
| sogar vor einer weiteren Verschlechterung, nachdem er in den letzten Jahren | |
| immer häufiger feststellen musste, dass ihm Ansprechpartner für Natur- und | |
| Umweltfragen in den Hochschulen zunehmend abhandenkamen. | |
| In einer Studie („Nachhaltige Wissenschaft“) kommen die Naturschützer zu | |
| dem alarmierenden Befund, dass in den deutschen Hochschulen die auf | |
| Nachhaltigkeit und ökosystemare Zusammenhänge ausgelegten Lehrstühle und | |
| Forschungsinstitute auf der „Roten Liste“ der gefährdeten | |
| Wissenschaftsdisziplinen stehen. | |
| „Wir konstatieren eine dramatische Veränderung in der Wissenschaft, ohne | |
| dass dies in der Öffentlichkeit Aufmerksamkeit erregt hat“, stellt der | |
| BUND-Vorsitzende Hubert Weiger fest. So seien in den vergangenen Jahren die | |
| Lehrstühle für Freiland-Ökologie abgewickelt worden, um an deren Stelle | |
| dann genetische und mikrobiologische Lehrstühle einzurichten. | |
| ## Deutsche Forscher angewiesen auf Österreich | |
| Immer stärker dominiere auch in der Biologie die Anwendungsorientierung, | |
| etwa zur Nutzung gentechnisch veränderter Pflanzen. Überblicksorientierte | |
| Forschungsrichtungen mit Grundlageninteresse, etwa zur Biodiversität, sind | |
| auf dem Rückzug. Mittlerweile sind deutsche Forscher bei diesen Themen auf | |
| die Zuarbeit von Kollegen aus Österreich angewiesen. | |
| Das Unbehagen über diese Entwicklung hat über den Wissenschaftlichen Beirat | |
| des BUND inzwischen zu einer neuen Allianz der Ökoforscher geführt: dem | |
| „Verbund für Nachhaltige Wissenschaft“ (NaWis), der im aktuellen | |
| Wissenschaftsjahr des Forschungsministeriums unter dem Titel | |
| „Transformatives Wissen schaffen“ mit mehreren Veranstaltungen auftritt. | |
| Dem Verbund gehören neben den Universitäten Kassel und Lüneburg auch das | |
| Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt, Energie sowie das Potsdamer Institut | |
| for Advanced Sustainable Studies (IASS) unter Leitung von Klaus Töpfer an. | |
| Uwe Schneidewind, Präsident des Wuppertal-Instituts und maßgeblicher | |
| Initiator des NaWis-Verbundes, plädiert für ein ganzheitliches | |
| Wissenschaftskonzept mit gesellschaftlicher Orientierung. | |
| „Wir brauchen für unsere Umwelt nicht nur immer mehr neue und effizientere | |
| Technologien“, so der Ökoforscher. „Es fehlt in Deutschland an Forschung | |
| für Transformationsstrategien.“ Naturwissenschaften und Geistes- plus | |
| Sozialwissenschaften müssten auf neue Weise zusammengeführt werden. Das | |
| Forschungssystem, so Schneidewind, müsse „stärker auf die großen | |
| gesellschaftlichen Herausforderungen“ – wie Klima, Armut, Gesundheit und | |
| neue Wachstumsmodelle – ausgerichtet werden. | |
| ## Reduzierter Spielraum | |
| Der eigene große Veränderungsprozess des letzten Jahrzehnts in der | |
| deutschen Wissenschaftslandschaft, die Exzellenzinitiative, hat den | |
| Ökofächern auch nicht geholfen. Mehr Drittmittel von Auftraggebern, mehr | |
| Industrienähe sind jetzt zum Mainstream in den deutschen Hochschulen | |
| geworden. Der Spielraum für unabhängige und kritische Wissenschaft | |
| reduziert sich dadurch. | |
| Auch mit der jüngsten Ausschüttung des Exzellenz-Füllhorns mit 2,7 | |
| Milliarden Euro auf 39 Universitäten werden Forschungscluster und | |
| Graduiertenschulen gefördert, die nach Auffassung Schneidewinds „von den | |
| Ideen wirklich transdisziplinären Designs noch erheblich entfernt sind“. | |
| Immerhin sei im Vergleich zur ersten Runde des Exzellenzwettbewerbs aus | |
| Sicht einer „Wissenschaft für Nachhaltigkeit“ eine leichte Verbesserung zu | |
| erkennen. | |
| Unter den 88 DFG-geförderten Einrichtungen macht Schneidewind 15 aus, die | |
| einen „unmittelbaren Bezug zum Themenfeld Nachhaltigkeit und der damit | |
| verbundenen Transformation“ besitzen. Darunter Graduiertenschulen für | |
| Afrikastudien (Bayreuth) und Energiewissenschaft (Darmstadt) sowie | |
| Exzellenzcluster zu Biomasse-Kraftstoffen (Aachen) und den Ozeanen der | |
| Zukunft (Kiel). Auch im Zukunftskonzept der Uni Tübingen („Forschung, | |
| Relevanz, Verantwortung“) lasse sich ein neuer Kurs erkennen. | |
| Kurz vor der Rio-Konferenz hatte sich außerdem die Deutsche | |
| Unesco-Kommission mit einem Memorandum („Wissenschaft für Nachhaltigkeit: | |
| Der Durchbruch muss gelingen“) für eine Wissenschaftswende ausgesprochen. | |
| „Wir müssen die Nachhaltigkeitswissenschaft als einen dringend nötigen | |
| Reformmotor für das Wissenschaftssystem insgesamt nutzen“, sagt der Autor | |
| des Papiers, Gerd Michelsen, Gründer des Öko-Instituts und heute Inhaber | |
| des Unesco-Lehrstuhls „Hochschulbildung für nachhaltige Entwicklung“ an der | |
| Uni Lüneburg. | |
| Immerhin finden die Transformationsforscher jetzt auch politisches Gehör. | |
| In der kommenden Woche werden Schneidewind und seine Kollegen vom | |
| Bundestags-Forschungsausschuss angehört. Und am 3. Juli wird in Berlin von | |
| mehreren Verbänden – unter anderem Naturschutzorganisationen und | |
| Wissenschaftlervereinigungen – die „Zivilgesellschaftliche Plattform | |
| Wissenschaftspolitik“ gestartet, die eine „nachhaltigkeitsorientierte | |
| Reform“ der Wissenschaftspolitik anstrebt. | |
| 21 Jun 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Manfred Ronzheimer | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Klimawandel | |
| Ortwin Renn | |
| Wissenschaftsrat | |
| Schwerpunkt Fußball-EM 2024 | |
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