# taz.de -- Professor über Alternative Heilkunde: „Wir sind die Speerspitze … | |
> Professor Harald Walach leitet das Institut für Transkulturelle | |
> Gesundheitswissenschaften, wo kürzlich eine Masterarbeit zum Hellsehen | |
> für Furore sorgte. | |
Bild: Hat wenig mit Schulmedizin zu tun: Massage mit Klangschalen. | |
taz: „Völlige Entgleisung akademischer Qualitätsstandards“, urteilt die | |
Süddeutsche Zeitung über die Bewertung einer Masterarbeit zum Hellsehen an | |
Ihrem Institut. Das sind ziemlich heftige Anschuldigungen. | |
Harald Walach: Wir haben dazu öffentlich Stellung bezogen. Und wir | |
versuchen so transparent wie möglich zu kommunizieren und unsere Position | |
darzustellen. Das ist nicht immer einfach in einem Klima, in dem, im | |
Wesentlichen von bestimmten Segmenten der Bloggerszene, sehr aggressiv | |
gegen uns gehetzt wird. | |
Finden Sie den Vorwurf unberechtigt? | |
Ich finde die Substanz dieser Arbeit gut. Wenn jemand ein Vierteljahr Zeit | |
hat, so wie es die Prüfungsordnung vorsieht, und in diesem Zeitraum ein | |
sehr aufwendiges Experiment realisiert, eine große Datenmenge generiert und | |
diese korrekt auswertet, sind bestimmte Kriterien erfüllt. Wenn Leute | |
sagen, die Tatsache, dass man solche Sachen wie Seherfähigkeit überhaupt | |
untersucht und solche Fragestellungen bearbeitet, sei unwissenschaftlich, | |
das halte ich für Unfug. Das kommt aus einer positivistischen | |
Geisteshaltung heraus, die passé ist. | |
Fühlen sie Sie sich als Opfer des Shitstorms? | |
Auch. Wir bieten einer postmodernen Inquisition Angriffsfläche. Einer | |
Definition von Wissenschaftlichkeit, die nur bestimmte Inhalte akzeptiert. | |
Und andere Inhalte, wie zum Beispiel Komplementäre Medizin und Homöopathie, | |
Spiritualität und Achtsamkeit, als nicht wissenschaftlich betrachtet. | |
Wie gehen Sie mit dem Vorwurf um, ein Gegenaufklärer zu sein? | |
Ich halte den Vorwurf der Gegenaufklärung für vollkommen absurd und er | |
kommt aus meiner Sicht aus einer völlig verkürzten Sicht dessen, was | |
Rationalität und wissenschaftliche Methodik ist. Dieser Vorwurf geht davon | |
aus, dass das, was wir als wissenschaftliches Wissen im Moment generiert | |
haben, den Horizont dessen definiert, was rational ist. Das halte ich für | |
Unfug. Weil Wissenschaft sich immer dadurch definiert, dass sie mit den im | |
Moment vorhandenen Methoden und mit neu zu entwickelnden Methoden neues | |
Gelände, neue Gedanken, neue Welten erschließt. In dem Sinne würde ich uns | |
als die Speerspitze der Aufklärung bezeichnen, weil wir versuchen, das, was | |
wir im Moment wissen, weiter zu treiben. | |
Würden Sie in bestimmten Kreisen ernster genommen werden, wenn Sie nicht | |
Psychologie, sondern Medizin studiert hätten? | |
Ich glaube nicht. Ich habe mir im Laufe der letzten 20 bis 25 Jahre, seit | |
ich mich mit diesen Themen beschäftige, viel Grundwissen innerhalb der | |
Medizin angeeignet. Die Stärke dessen, was wir gemacht haben, ist die | |
methodische Reflexion, und gerade die reflektive Distanz, die wir zu den | |
Themen haben, ist sehr hilfreich. | |
Also wenn Sie Fachmediziner wären, wären Sie stärker in Ihrem Fach | |
verwickelt? | |
Ja, was ich immer wieder beobachte, ist, dass Mediziner selbst in ihrer | |
Ausbildung nicht lernen, wissenschaftlich zu reflektieren. Sie lernen, | |
Wissen, das generiert worden ist, gut anzuwenden. Mediziner sind | |
Problemlöser, praktische Problemlöser. Wir können uns den Luxus leisten, | |
über dieses Wissen zu reflektieren. | |
Was macht Ihr Institut für Transkulturelle Gesundheitswissenschaften? | |
Es ist der Versuch, kulturwissenschaftliche und geisteswissenschaftliche | |
Reflexionen auf medizinisches Handeln und medizinische Inhalte anzuwenden. | |
Das ist ein postgradualer Studiengang. Das heißt, wir haben es mit fertig | |
ausgebildeten Leuten zutun, Mediziner meistens, aber auch Apotheker und | |
Psychologen. Kommunikation, Beziehungsaspekte stehen dabei im Mittelpunkt. | |
Diese sind zentral bei der Vermittlung sogenannter unspezifischer Therapien | |
wie Homöopathie oder Naturheilverfahren, die die Selbstheilungskräfte | |
anregen. | |
Würden Sie sich als Vermittlungsstelle zwischen Medizin und Psychologie | |
sehen? | |
Vermittlungsstelle ist vielleicht ein ganz gutes Wort, aber nicht zwischen | |
Psychologie und Medizin, sondern insgesamt zwischen Medizin, | |
geisteswissenschaftlicher Reflexion, zu der aber auch Kommunikation gehört. | |
Welche Rolle spielen andere Kulturen? | |
Der Begriff der Transkulturalität bedeutet bei uns Folgendes: Wenn wir | |
unsere medizinische Kultur anschauen, dann ist es ja nicht so, dass wir nur | |
unsere eigene Kultur weiterentwickelt haben, sondern wir haben vielerlei | |
Einflüsse von anderen Kulturen aufgenommen. Akupunktur ist so ein typisches | |
Beispiel für Transkulturalität und bedeutet, dass unsere medizinische | |
Kultur durch externe Einflüsse befruchtet wird und umgekehrt. Oder nehmen | |
wir ein anderes Beispiel: Ayurveda ist eine Mischung aus Lebenskunst, | |
Lebenshaltung und medizinischer Interventionstechnik, die legt sehr viel | |
Wert auf Lebensführung, Diät, bestimmte Geisteshaltungen. Um diese Mischung | |
von medizinischen Kulturen geht es uns, diese zu reflektieren und zu | |
überlegen, was ist im Rahmen unserer Kultur sinnvoll einsetzbar. | |
Ich habe Mediziner-Freunde, die sofort aufschreien, wenn sie Ayurveda | |
hören. | |
Ach ja? Manchmal zu Recht. Aber das liegt natürlich daran, dass es zum Teil | |
völlig unreflektiert bei uns angenommen wird oder in einem Ayurveda-Hotel | |
ein Teilaspekt herausgenommen wird, der zu einem sehr großen Komplex von | |
Diagnose und Therapie gehört: Ich sehe Ayurveda als eine diätetische | |
Einstellung. | |
Ich habe eine Kurzumfrage unter Kollegen gemacht, wann sie zu alternativer | |
Medizin greifen. Jeder Zweite sagte: Wenn alles andere nicht mehr hilft. | |
Ja, das ist häufig der Fall, das Menschen sich zunächst im Rahmen der | |
konventionellen Medizin behandeln lassen. Leute, die bei Homöopathen oder | |
Komplementärmedizinern landen, haben oft alles Mögliche ausprobiert. | |
Patienten sind pragmatische Empiriker, die gehen dorthin, wo ihnen geholfen | |
wird. | |
Auch wenn es ein nachgewiesen unwirksames Mittel war? | |
Wenn sie als Patient ein Problem haben, dann wollen sie, dass es weggeht: | |
Ob das weggeht, weil der Arzt zaubert, weil er den Placebo-Effekt genial | |
anwenden kann, weil er ein schönes kausales Wirkmittel hat, das ist ihnen | |
egal. Und die Diskussion darüber fehlt bei uns. | |
Sie meinen, die für Patienten zentrale Frage „Wie hilft mir was?“ wird | |
nicht umfassend genug gestellt? | |
Medizin ist durch die Abstraktion des Maschinenmodells vom Körper groß | |
geworden. Das war auch sehr sinnvoll die letzten 150 Jahre seit Virchow, | |
weil wir dadurch akute und sehr bedrohliche Zustände in den Griff bekommen | |
haben. Wir können heute, wenn Leute in einer Unfallsituation schwerste | |
Verletzungen haben, mit relativ guten Chancen helfen, weil wir wissen, wie | |
der Körper funktioniert. Dieses Wissen hätten wir nicht, wenn wir nicht | |
diese Abstraktion des Maschinenmodells innerhalb der Medizin weiter | |
getrieben hätten. Das Problem ist nur, dass viele Krankheiten | |
Netzwerkstörungen sind, wo wir den Körper oder den Organismus als ein | |
komplexes Netzwerk begreifen müssen, in dem sehr, sehr viele | |
unterschiedliche Probleme ineinandergreifen. Und dafür brauchen wir eine | |
neue Form der Praxis. | |
Und die sehen Sie in der Komplementärmedizin angelegt? | |
Ich glaube, dass die in der Komplementärmedizin angewandten Therapieformen | |
genau das tun. Sie versuchen den Körper in eine Eigenreaktion zu bringen | |
oder zu stimulieren, dass er sich selber mit seiner eigenen therapeutischen | |
Kapazität heilt. Diese Selbstheilungspozesse halte ich für eine | |
wissenschaftlich hochinteressante Frage . | |
Auch eine sehr unspezifische … | |
Selbst wenn beispielsweise Homöopathie nur unspezifisch wirksam wäre, wäre | |
es eine nützliche Therapie, weil sie dann als eine Therapie zu verstehen | |
wäre, die es ermöglicht, den Selbstheilungseffekt in einer Person | |
anzusteuern und zu maximieren. | |
Ihr Buch „Weg mit den Pillen“ sehen Sie als eine Streitschrift., Mit wem | |
streiten Sie? Mit den Ärzten, der Pharmaindustrie? | |
Na ja, die Pharmaindustrie die wird immer gerne als der große Buhmann | |
gesehen. Das würde ich nicht so pauschal sagen, es wurden sehr gute, sehr | |
hilfreiche Medikamente entwickelt. Die pharmazeutische Industrie ist | |
sozusagen der ökonomische Ableger des kausalistischen Denkens. Es geht mir | |
darum, Bewusstheit dafür zu wecken, dass dieses rein mechanistisch kausale | |
Denken in eine Sackgasse führt. Das ist die Botschaft meines Buches. Dass | |
man darüber nachdenkt, dass der Organismus nicht nur eine Maschine ist, an | |
der man herumschrauben kann. | |
Was kann Ihr Forschungsgebiet dazu beitragen, dass die Scharlatanerie vom | |
seriösen Angebot unterscheidbar wird? | |
Ich sehe auch, dass es notwendig ist, Seriosität in dieses Gebiet zu | |
bringen, und das ist auch unsere Absicht. Wir würden zum Beispiel sehr | |
gerne langfristig Datenmonitoring-Systeme einführen. Man könnte sich gut | |
vorstellen, dass Ärzte in einem großen Netzwerk freiwillig ihre Daten, also | |
ihre Erfolge und auch ihre Misserfolge, dokumentieren, damit man über eine | |
gelungene und kluge wissenschaftliche Auswertung sieht, bei welchen | |
Krankheiten man welche Therapieformen anwenden soll und welche besser | |
nicht. | |
Eine Art homöopathischen TÜV? | |
Klingt nett, aber sehr mechanistisch. Doch so könnte man eine | |
Qualitätssicherung installieren. Und natürlich müsste verstärkt an | |
Universitäten dazu geforscht werden. | |
Welche Rolle könnten dabei die Krankenkassen spielen? | |
Die Kassen könnten über Forschungsprojekte Modellvorhaben durchführen. Aber | |
sie sind für innovative Projekte nicht wahnsinnig aufgeschlossen. | |
Sie sagen, es kann sein, dass bestimmte Kommunikationsstrategien, völlig | |
unabhängig davon, ob sie homöopathische Kügelchen oder konventionelle | |
Medikamente verteilen, erfolgreicher sind als andere. Ist das der Glaube an | |
rituell geschulte Schamanen? | |
Nein, aber die Kommunikationsstrategien müssten eben erforscht werden. Das | |
halte ich für eine zentrale Frage, weil das dazu führen würde, dass man in | |
der medizinischen Ausbildung nicht nur nach Methoden, sondern nach | |
persönlichen Fähigkeiten schauen würde. | |
Das klingt nach Hexerei. Hingegen ist das ganzheitliche Zusammenspiel, die | |
ärztliche Zuwendung doch längst gesellschaftlicher Konsens, eine | |
Binsenweisheit? | |
Gesellschaftlicher Konsens ist es, dass man ganzheitlicher und umfassender | |
mit Krankheiten umgehen sollte. Aber dieser gesellschaftliche Konsens hat | |
sich nur teilweise in den akademischen Institutionen niedergeschlagen. Die | |
Leute stimmen mit den Füßen ab. Sie gehen zu den Ärzten, die sie | |
einigermaßen ganzheitlich betrachten und behandeln. Deswegen ist das ja so, | |
dass viele Ärzte diese Zusatzbezeichnungen anstreben. Das ist durchaus ein | |
Marketingvorteil. | |
15 Jun 2012 | |
## AUTOREN | |
Edith Kresta | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Forschung zu Nachhaltigkeit: Notwendige Neuorientierung | |
In Deutschland formiert sich eine Wissenschaftler-Allianz für mehr | |
Nachhaltigkeit und Transformation. Experten für Umwelt und Naturschutz | |
werden rarer. | |
Drohende Krise bei Antibiotika: Eine Wunderwaffe wird stumpf | |
Antibiotika haben Millionen Leben gerettet. Aber nun versagen so viele der | |
Medikamente gegen Krankheitserreger wie noch nie. Was tun? |