| # taz.de -- Aus Le Monde diplomatique: Öko-Poker um Ecuador | |
| > Auf dem Gipfel Rio+20 werden reiche Länder versuchen, eine „grüne | |
| > Ökonomie“ durchzusetzen. Anlass, um an einen guten Vorschlag aus Ecuador | |
| > zu erinnern. | |
| Bild: Wird die Rettung des Urwalds gelingen? | |
| Auf der zweiten UN-Konferenz für Umwelt und nachhaltige Entwicklung – nach | |
| dem ersten „Erdgipfel“ von Rio im Jahr 1992 Rio+20 genannt – werden einige | |
| der reichen Länder versuchen, eine „grüne Ökonomie“ durchzusetzen, die im | |
| Einklang mit dem neoliberalen Wirtschaftsmodell steht. Den Schwellen- und | |
| Entwicklungsländern geht es hingegen eher um die Balance zwischen sozialem | |
| Fortschritt und Schutz der Ökosysteme, die zugleich die nationale | |
| Souveränität respektiert. | |
| Vorreiter dieser Politik ist Ecuador. Präsident Rafael Correa hat bereits | |
| im Juni 2007 ein revolutionäres Vorhaben angekündigt: Ecuador würde auf die | |
| Ausbeutung der nachgewiesenen Ölvorkommen im Gebiet des | |
| Yasuní-Nationalparks verzichten, wenn die „internationale Gemeinschaft“ dem | |
| Land dafür eine Entschädigung zahlt.(1) Die sollte die Hälfte der 7 | |
| Milliarden Dollar ausmachen, die man als Öleinnahmen für die nächsten 13 | |
| Jahre erwartet. Mit diesen Geldern will man den Ausbau erneuerbarer | |
| Energien finanzieren, Ökosysteme bewahren oder sanieren und die indigene | |
| Bevölkerung der Urwälder schützen. Zudem sollen neue Sozialprogramme und | |
| Forschungsprojekte über die wirtschaftliche Nutzung der biologischen | |
| Ressourcen finanziert werden. | |
| Diese sogenannte Yasuní-ITT-Initiative (nach den Ölvorkommen Ishpingo, | |
| Tambococha und Tiputini) bietet auf den ersten Blick den besten Ausweg aus | |
| der Sackgasse, in der die internationalen Verhandlungen zum Klimaschutz und | |
| zum Schutz der Artenvielfalt derzeit stecken. In Ecuador würde man 400 | |
| Millionen Tonnen an CO(2)-Emissionen allein dadurch einsparen, dass das Öl | |
| im Boden bleibt, und zugleich eines der artenreichsten Ökosysteme der Erde | |
| vor der Zerstörung bewahren. Damit würde man, ohne mit der Logik der | |
| Vermarktung von Natur zu brechen, der rücksichtslosen Extraktionswirtschaft | |
| einen Riegel vorschieben. Ausgerechnet in einem armen Land, das für seine | |
| Entwicklung auf die Einnahmen aus dem Export von Rohstoffen angewiesen ist, | |
| soll also das doppelte Ziel einer ökologischen und einer sozialökonomischen | |
| Wende verwirklicht werden? Zu schön, um wahr zu sein. Denn natürlich gibt | |
| es gewaltige Hindernisse. | |
| ## Reiche Länder zahlen für Artenschutz | |
| Nach seiner Wahl zum Präsidenten Ende 2006 betrieb Correa zunächst eine | |
| Politik nach venezolanischen Vorbild: Verstaatlichung von | |
| Schlüsselindustrien, sozialpolitische Programme und eine neue Verfassung | |
| mit mehr Rechten für die ärmsten Ecuadorianer. Außerdem beschloss der neue | |
| Präsident, die Schulden seines Landes nicht mehr im vollen Umfang zu | |
| bedienen, weil diese großenteils auf „illegitime“ Art zustande gekommen | |
| waren.(2) | |
| In der Folge gelang es Correa, die Zahl der Arbeitslosen zu senken und die | |
| Gehälter im öffentlichen Dienst anzuheben. Zudem konnte sich Ecuador ein | |
| Stück weit aus der Bevormundung durch internationale Organisationen wie IWF | |
| und Weltbank befreien. Doch dann kam der Putschversuch vom September 2010, | |
| der offenbarte, wie schwach und instabil die „Revolution der Bürger“ war. | |
| Mittlerweile ist auch das Verhältnis der indigenen Bevölkerung zum | |
| Präsidenten angespannt, insbesondere zur mächtigen Konföderation der | |
| indigenen Nationalitäten Ecuadors(Conaie). Einige Gruppen kritisieren die | |
| Ausbeutung von Bodenschätzen, die eine Bedrohung für die Gebiete der | |
| Indigenen darstellen; andere stoßen sich an den Bemühungen, gewisse | |
| gewohnheitsrechtliche Praktiken zu verbieten, die sich mit dem politischen | |
| Neubeginn in Ecuador kaum vereinbaren lassen (wie die noch mancherorts | |
| praktizierte Lynchjustiz). | |
| ## Viele Indigene leben von der Erdölförderung | |
| Für Ecuador spielt das Erdöl eine Schlüsselrolle. Die Einkünfte aus dem | |
| Erdölexport decken die Hälfte der Staatsausgaben ab, ohne sie sind die | |
| Sozialprogramme nicht zu finanzieren. Die Kehrseite ist die weitgehende | |
| Abhängigkeit von ausländischen Ölkonzernen, die 40 Prozent der | |
| ecuadorianischen Vorkommen kontrollieren und wie eine neokoloniale Macht | |
| auftreten. | |
| Für die indigene Bevölkerung ist die Erdölförderung in einigen Gebieten die | |
| einzige Verdienstmöglichkeit. Doch die Auswirkungen auf die Umwelt und die | |
| Gesundheit der Menschen sind katastrophal. Die Gruppe Acción Ecológica | |
| (Ökologische Aktion) fordert daher ein absolutes Verbot neuer Bohrungen. | |
| Ermutigt wurde sie dadurch, dass ein ecuadorianisches Gericht den | |
| Energiekonzern Chevron-Texaco im Februar 2011 wegen massiver | |
| Umweltverschmutzung im Amazonasgebiet zu einer Zahlung von 18 Milliarden | |
| Dollar verurteilte.(3) | |
| Die Erdölpolitik war aber auch innerhalb der neuen Regierung von Anfang an | |
| umstritten. Das Konzept eines Fördermoratoriums und einer umfassenden | |
| Energiewende war lange vor Correas Amtsübernahme in einem Kreis linker | |
| Intellektueller um den Ökonomen Alberto Acosta entwickelt worden. Als | |
| Acosta 2007 Energie- und Bergbauminister wurde, konnte er auf dieser | |
| Grundlage relativ rasch sein Yasuní-Konzept ausarbeiten.(4) Acostas | |
| Gegenspieler ist das staatseigene Unternehmen Petroecuador, das darauf | |
| drängt, das Öl unter dem Yasuní-Nationalpark so schnell wie möglich zu | |
| fördern. Denn nachdem der Barrelpreis seit 2007 von 60 auf über 100 Dollar | |
| angestiegen ist, verspricht auch die Ausbeute von schwer erschließbaren | |
| Lagerstätten – wie des ITT-Felds – hohe Gewinne. | |
| ## Deutschland „unterstützt“ mit Invetsitionsprojekten | |
| Präsident Correa muss sich also entscheiden. Will er schnelle, aber | |
| „schmutzige“ Ölgewinne, um sein politisches Programms zu finanzieren – o… | |
| will er die Forderungen der Ökologen und der indigenen Bevölkerung | |
| erfüllen? Angesichts dieses Dilemmas ist die ITT-Initiative ein geschickter | |
| Schachzug, denn sie gibt die Verantwortung für die Förderung oder | |
| Nichtförderung an die internationale Gemeinschaft weiter. | |
| Die Initiative wurde erstmals auf dem Klimagipfel von Kopenhagen im | |
| Dezember 2009 vorgestellt. Seit 2010 besteht ein Treuhandfonds bei der UN, | |
| der bis Ende 2011 durch Beiträge zahlreicher reicher Länder 100 Millionen | |
| Dollar einsammeln sollte. Da aber nur wenige Länder zu Zahlungen bereit | |
| waren, kam sehr viel weniger Geld zusammen als erhofft. Spanien zahlte 1,4 | |
| Millionen Dollar ein. Zwei französische Gebietskörperschaften (die Region | |
| Rhône-Alpes und das Departement Meurthe-et-Moselle) und einige Länder, die | |
| weder zu den reichen Ländern noch zu den großen Umweltsündern zählen | |
| (Chile, Kolumbien, Georgien, die Türkei) überwiesen Beträge zwischen 50.000 | |
| und 200.000 Dollar. Andere Zusagen, etwa der belgischen Wallonie, wurden | |
| nicht eingehalten. Deutschland entschied sich, nach einer Reihe | |
| widersprüchlicher Äußerungen(5) am Ende für eine andere Form der | |
| „Unterstützung“: durch bilaterale Investitionsprojekte, die der deutschen | |
| Seite Profite garantieren. | |
| Die nachhaltigste Unterstützung leistete die italienische Regierung, wenn | |
| auch nicht in Form einer Gabe, sondern mit einem Schuldenschnitt: 51 | |
| Millionen Dollar an ecuadorianischen Zahlungsverpflichtungen wurden | |
| annulliert. Angesichts der italienischen Schuldenkrise lässt sich kaum | |
| sagen, ob Yasuní bei der Entscheidung der Regierung in Rom eine Rolle | |
| gespielt hat. Norwegen etwa hat Ecuador schon 2006 – ohne ökologische | |
| Begründung – allein auf Druck sozialer Initiativen Schulden in Höhe von 20 | |
| Millionen Dollar gestrichen. Solche und andere Leistungen verrechnete Quito | |
| als Beiträge zu dem Yasuní-Fonds. So wurde das 100-Millionen-Dollar-Ziel | |
| Ende 2011 für erreicht erklärt, obwohl der Kontostand nie mehr als 3 | |
| Millionen Dollar betrug. | |
| ## | |
| Auch die großen Umweltschutzorganisationen sind nicht rückhaltlos | |
| begeistert. Greenpeace begrüßt zwar die Bereitschaft, das Erdöl im Boden zu | |
| belassen, unterstützt aber aus Prinzip keine Regierungsprojekte. Friends of | |
| the Earth setzt sich zwar gleichfalls dafür ein, Emissionen von | |
| Treibhausgasen zu vermeiden, die Artenvielfalt zu bewahren und die Rechte | |
| der einheimischen Urbevölkerung zu wahren, aber die NGO fürchtet, dass | |
| Yasuní sich als ein Präzedenzfall von „ökologischer Erpressung“ erweisen | |
| könnte. | |
| Sylvain Angerand betreut bei der französischen Sektion von Friends of the | |
| Earth die Kampagne zur Rettung der Regenwälder. Er hält es für eine gute | |
| Sache, das Öl unter der Erde zu lassen, meint aber: „Die ökologische Schuld | |
| industrialisierter Länder des Nordens gegenüber dem Süden muss nicht | |
| unbedingt in Form einer finanziellen Entschädigung beglichen werden.“ | |
| Kritisch sieht der Umweltschützer – wie ein Teil der indigenen Bevölkerung | |
| Ecuadors auch –, dass in anderen Landesteilen weiterhin eine intensive | |
| Ausbeutung von Bodenschätzen praktiziert wird. | |
| ## Oder Ausverkauf für die grüne Imagepflege der Multis? | |
| Die ITT-Initiative hatte von Beginn an mit zahllosen Schwierigkeiten zu | |
| kämpfen. Seit Beginn der Finanzkrise im Herbst 2008 und vor allem seit dem | |
| Scheitern des Kopenhagener Klimagipfels von 2009 sind die ohnehin | |
| verfahrenen internationalen Verhandlungen zur Eindämmung des Klimawandels | |
| fast völlig zum Erliegen gekommen. Die UNO konzentriert sich auf die | |
| Durchsetzung von REDD+, einer Waldschutzinitiative. Die will die private | |
| Wirtschaft in den Emissionshandel einbinden, wobei die Entscheidungshebel | |
| in den Händen der großen Staaten bleiben. Die Debatten über das | |
| Yasuní-Projekt passt den reichen Ländern nicht in den Kram. Sie nutzen die | |
| Staatsschuldenkrise und die Sparprogramme als Vorwand, um es höflich | |
| abzuservieren. Sie sehen in der Initiative Ecuadors nur einen misslichen | |
| Präzedenzfall: Die Finanzierung von Yasuní würde dazu führen, dass Länder | |
| des Südens dasselbe für hunderte ähnliche Projekte fordern. | |
| Angesichts dieses feindlichen Umfelds hat sich Ecuador den Unternehmen | |
| zugewendet.(6) Aber auch hier sind die Erfolgsaussichten mehr als unsicher. | |
| Zudem besteht die sehr reale Gefahr, dass der Umweltschutz damit | |
| instrumentalisiert wird. Denn die Spender würden im Gegenzug die | |
| Möglichkeit erhalten, mit dem Logo Yasuní für ihre Produkte zu werben. So | |
| könnte sich etwa – im schrecklichsten Fall – ein Autobauer oder | |
| Energiegigant mit dem Motto der Initiative schmücken, das da lautet: | |
| „Yasuní-Produkt. Gemeinsam für eine bessere Welt!“ | |
| ## | |
| Doch die Regierung Correa könnte auch versucht sein, einen noch | |
| gefährlicheren Weg zu beschreiten, der schon am Beginn der Initiative | |
| erwogen wurde: die Integration des Projekts in den Emissionshandel. Dann | |
| könnten „Yasuní-Garantiezertifikate“ erworben und in „Emissionsguthaben… | |
| umgewandelt werden, die den Ausstoß von Treibhausgasen reicher Länder oder | |
| großer Konzerne kompensieren.(7) Im Moment sieht es nicht danach aus, als | |
| wollte Ecuador diesen Weg tatsächlich gehen. Aber wenn sich kein anderer | |
| als gangbar erweist, könnte sich die Regierung Correa am Ende doch noch | |
| dafür entscheiden. | |
| Für ein kleines und armes Land ist eine Energiewende eine gewaltige | |
| Herausforderung. Die Erfolgsaussichten der ITT-Initiative sind gering. Von | |
| Correa wird sie keineswegs bedingungslos unterstützt, aber er will sie bis | |
| zu den nächsten Nationalwahlen 2013 auf jeden Fall am Leben erhalten. Denn | |
| angesichts des Widerstands der Conaie, die für Yasuní kämpft und im März | |
| mit einem Marsch auf Quito „gegen den umfassenden Abbau von Bodenschätzen | |
| in unserem Land“ protestiert hat, kann er sich ein vollständiges Einknicken | |
| nicht leisten. | |
| Paradoxerweise lassen die Zweifel und Unsicherheiten rund um die | |
| Yasuní-ITT-Initiative andere Erfolge der „Revolution der Bürger“ aus dem | |
| Blick geraten, die sehr real, wenn auch noch nicht endgültig gesichert | |
| sind. Immerhin ist das Ideal eines „guten Lebens“ (jenseits | |
| wirtschaftlicher Erfolge) in der ecuadorianischen Verfassung | |
| festgeschrieben. Aber die grün-alternativen Bewegungen des Nordens | |
| interpretieren die Situation allzu sehr nach ihrem eigenen Schema: eine | |
| Urbevölkerung, die quasi von Natur aus ökologisch gesinnt sei;(8) böse | |
| fossile Energieträger, die den Ausbau von guten erneuerbaren Energien | |
| verhindern; umweltpolitische Vorhaben, die wie durch Zauberhand politische | |
| Differenzen überbrücken. | |
| Da ist die Versuchung groß, Correa in simplifizierender Weise als | |
| leuchtendes Vorbild zu sehen. Tatsächlich lässt sich das Yasuní-ITT-Projekt | |
| aber nur als Teil eines Veränderungsprozesses in Ecuador verstehen. Und der | |
| ist in eine differenzierte soziale und wirtschaftliche Realität | |
| eingebettet. | |
| Fußnoten: | |
| (1) Siehe Leah Temper und Joan Martínez Alier, „Das Öl soll in der Erde | |
| bleiben“, "Le Monde diplomatique, Mai 2008. | |
| (2) So der Befund einer internationalen Untersuchungskommission: | |
| www.quetzal-leipzig.de/lateinamerika/ecuador/illegale-und-illegitime-schuld | |
| en-in-ecuador-rueckzahlung-ja-oder-nein-19093.html. | |
| (3) Im Januar 2012 bestätigte ein ecuadorianisches Berufungsgericht das | |
| Urteil und verdoppelte die Zahlung von 8,6 Milliarden Dollar auf 18 | |
| Milliarden Dollar – weil sich das Unternehmen nicht, wie im Februar 2011 | |
| erstinstanzlich gefordert, entschuldigt hatte. | |
| (4) Siehe Alberto Acosta, „Öl für zehn Tage – Die Schäden der Förderung | |
| aber bleiben“, "Le Monde diplomatique, März 2011. | |
| (5) Der deutsche Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) distanzierte sich | |
| bei seinem Amtsantritt 2009 von den Zusagen Deutschlands. | |
| (6) [1][www.yasuni-itt.de]. | |
| (7) Aurélien Bernier, „Monopoly mit dem Weltklima“, | |
| "Le Monde diplomatique, Dezember 2007. | |
| (8) Vgl. Renaud Lambert, „Pachamama“, "Le Monde diplomatique, Februar 2011. | |
| Aus dem Französischen von Herwig Engelmann | |
| [2][Le Monde diplomatique] vom 8.6.2012 | |
| 17 Jun 2012 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://www.yasuni-itt.de/ | |
| [2] http://www.monde-diplomatique.de | |
| ## AUTOREN | |
| Aurelien Bernier | |
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