# taz.de -- Flucht und Seenotrettung: Staatliche Hilfe nicht in Sicht | |
> Die Ampel wollte sich einst für staatliche Seenotrettung im Mittelmeer | |
> einsetzen. Passiert ist bislang wenig. Und die Zahl der Flüchtenden | |
> steigt. | |
Bild: Lampedusa am 11. Juli: Geflüchtete warten darauf, die „San Marco“ be… | |
BERLIN taz | Die Zahl der Menschen, die über das Mittelmeer nach Europa | |
[1][flüchten], ist in den vergangenen Wochen deutlich gestiegen. Allein in | |
den ersten zehn Julitagen sind nach Angaben der Seenotrettungsorganisation | |
Sea-Watch über 2.000 Geflüchtete auf der italienischen Insel Lampedusa | |
angekommen. „Das Wetter ist immer ein zentraler Faktor, deshalb sind die | |
Zahlen im Sommer oft höher“, erklärt Sea-Watch-Sprecher Oliver Kulikowski. | |
Weil zuletzt immer mehr Menschen mit Booten Lampedusa erreicht hatten, | |
brachten die italienischen Behörden am Wochenende mehrere hundert Menschen | |
aus einem ohnehin schon überfülllten Camp für Geflüchtete auf das Festland. | |
Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration der Vereinten | |
Nationen (IOM) sind in der ersten Jahreshälfte bereits mehr als 900 | |
Menschen auf der Flucht über das Mittelmeer ertrunken. Mehrere zivile | |
Seenotrettungsorganisationen gehen davon aus, dass die Dunkelziffer sogar | |
noch deutlich höher liegt. Sie sprechen weiterhin von | |
[2][menschenverachtenden Zuständen an den europäischen Außengrenzen.] | |
Daran hätte auch die Ankündgung der Bundesregierung aus dem | |
Koalitionsvertrag, „eine staatlich koordinierte und europäisch getragene | |
Seenotrettung im Mittelmeer anzustreben“, bislang nichts geändert. Ein | |
Sprecher des Innenministeriums erklärte auf Nachfrage, die Organisation der | |
Seenotrettung sei laut Völkerrecht nach wie vor Aufgabe der Grenzstaaten. | |
Weiter verweist das Ministerium auf die jüngsten Beschlüsse der | |
EU-Innnenminister:innen von Anfang Juni. Darin einigte sich Nancy Faeser | |
(SPD) mit ihren europäischen Kolleg:innen auf eine freiwillige | |
Verteilung von Geflüchteten auf zwölf EU-Staaten. Zugleich beinhaltet der | |
Beschluss eine neue Datenbank, die europaweit Fingerabdrücke von | |
Asylbewerber:innen sammelt und eine neue Regelung zum sogenannten | |
„Screening“, die es EU-Staaten künftig erlaubt, Menschen auf der Flucht bis | |
zu fünf Tage lang für „Identifizierungs- und Sicherheitskontrollen“ | |
festzuhalten. | |
## Mehr als 24.000 Tote seit 2014 | |
Clara Bünger, Sprecherin für Fluchtpolitik der Linksfraktion im Bundestag, | |
sieht hinsichtlich solcher Beschlüsse noch „keinerlei Anzeichen dafür, dass | |
die Einrichtung einer staatlich getragenen, zivilen Seenotrettung auf | |
europäischer Ebene im Mittelmeer überhaupt zur Diskussion steht.“ | |
Auch Axel Steier, Vorsitzender der [3][Dresdner Seenotrettungsorganisation | |
Mission Lifeline], die ein Rettungsschiff im Mittelmeer betreibt, hält die | |
bisherigen Versprechen der Regierung für unglaubwürdig: „Wenn die Ampel das | |
Sterben im Mittelmeer wirklich verhindern will, könnte sie sofort mit | |
Evakuierungsflügen Menschen aus Libyen nach Deutschland holen oder selbst | |
Rettungsschiffe schicken.“ | |
Derzeit beteiligt sich die Bundesregierung mit etwa 30 Soldat:innen und | |
einem Aufklärungsflugzeug an der EU-Mission „Irini“ im Mittelmeer. Die | |
Einsatzkräfte sollen Schleusernetzwerke bekämpfen und Waffen- sowie | |
Ölschmuggel verhindern. Laut einer Sprecherin des Verteidigungsministeriums | |
sei es bei der Mission bisher aber noch zu keiner Situation gekommen, in | |
der Einheiten der Bundeswehr in einen Seenotrettungsfall einbezogen waren. | |
Nachdem die Zahl der Geflüchteten über das Mittelmeer zwischen 2016 und | |
2019 stark gesunken war, wurden seit 2020 wieder mehr Ankünfte in Europa | |
registriert. Aufgrund der durch den Ukraine-Krieg verschärften | |
Ernährungskrise in mehreren afrikanischen Ländern rechnen die zivilen | |
Rettungsorganisationen in den kommenden Monaten mit einem noch stärkeren | |
Anstieg. | |
Seit 2014 sind laut den Zahlen der IOM mehr als 24.000 Menschen auf der | |
Route über das Mittelmeer gestorben. | |
13 Jul 2022 | |
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## AUTOREN | |
Aaron Wörz | |
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