| # taz.de -- Filmfestspiele von Cannes: Schlaflos in Busan | |
| > Cannes 9: Mord und Liebe in Korea, tragische Migration in Belgien, | |
| > inszeniert von den Gebrüdern Dardenne. Endspurt beim Filmfestival in | |
| > Cannes. | |
| Bild: Nadege Ouedraogo, Charlotte De Bruyne, Luc Dardenne und Jean-Pierre Darde… | |
| An der Croisette geht es zwar noch lebhaft zu, doch das nahe Ende der | |
| Filmfestspiele von Cannes macht sich allmählich bemerkbar. Im Palais | |
| herrscht merklich weniger Betrieb, unter den Besuchern grassiert eine | |
| Müdigkeit und der Wettbewerb ist nun zu gut zwei Dritteln vorüber. Große | |
| Favoriten sind bisher allerdings noch sehr Geschmackssache, wie es scheint. | |
| Ein unter Kritiker:Innen besonders beliebter Beitrag ist „Decision to | |
| Leave“ des [1][koreanischen Regisseurs Park Chan-wook]. Die Geschichte | |
| eines Kriminalfalls in der Nähe von Busan, in dem der Kommissar sich in die | |
| Hauptverdächtige, die Witwe des Mordopfers, verliebt, verspricht auf den | |
| ersten Blick einen klassischen Film noir. | |
| Da sind die rätselhafte Frau und der von Schlaflosigkeit geplagte | |
| Ermittler, der sich besinnungslos und ohne Rücksicht auf sein eigenes | |
| Privatleben in sie zu verlieben beginnt, und da ist die Erwartung, dass es | |
| für den Mann am Ende böse ausgehen wird: Womöglich hat die Verdächtige | |
| etwas zu verbergen, das dem Kommissar irgendwann zum Verhängnis wird. | |
| Doch Park Chan-wook hat eine andere Erzählung im Sinn. Er konzentriert sich | |
| neben hochkomischen Darstellungen der Polizeiarbeit, abgezirkelten | |
| Interieurs und beeindruckenden Aufnahmen von steil aufragenden Felsen – das | |
| Opfer ist beim Bergsteigen abgestürzt – auf die scheinbar unmotivierte | |
| Beziehung des ungleichen Paars. | |
| Dass man nicht recht herausbekommt, was die beiden aneinander finden, ist | |
| eines der Hindernisse, wenn man der Sache folgen will. Man hat | |
| zwischendurch den Eindruck, man sieht einer Romanze zu, die sich nicht ganz | |
| entscheiden kann, weil sie sich eigentlich dem Thrillergenre verpflichtet | |
| fühlt. So gleitet man beim Zuschauen stets ein wenig an der Sache ab, | |
| verliert den Faden. Ein Film, der es einem nicht leicht macht, mithin. | |
| Einfacher hat man es hingegen bei den [2][belgischen Filmemachern, den | |
| Brüdern Jean-Pierre und Luc Dardenne]. Ihr Wettbewerbsfilm „Tori et Lokita“ | |
| folgt dem Schicksal eines Geschwisterpaars, das aus einem nicht näher | |
| benannten afrikanischen Staat nach Belgien geflohen ist. Tori (Pablo | |
| Schils), der kleine Bruder, hat eine Aufenthaltsgenehmigung erhalten, die | |
| ältere Lokita (Joely Mbundu) jedoch nicht. Ihr droht die Abschiebung. Um | |
| ihren Bruder nicht allein zurückzulassen, lässt sie sich darauf ein, für | |
| einen Drogenhändler in dessen am Stadtrand versteckter Cannabisproduktion | |
| zu arbeiten. Sie hofft so auf einen gefälschten Pass als Lohn. | |
| Die Handlung ist, sonst wären es nicht die Brüder Dardenne, darauf | |
| angelegt, dass der Plan nicht aufgehen kann. Dass man sich trotz aller | |
| Erwartbarkeit auf das moralische Drama einlässt, ist vor allem dem | |
| flüssigen Zusammenspiel der Hauptdarsteller, die in „Tori et Lokita“ ihre | |
| ersten Filmrollen haben, zu verdanken. Interessant auch, dass alle der | |
| Hauptfiguren migrantisch geprägt sind. Bloß mit der anklagenden | |
| Eindeutigkeit ist es am Ende ein bisschen zu viel. Nicht zuletzt deshalb | |
| gab es bei der Premiere unter dem Applaus auch vereinzelte Buhrufe. | |
| 26 May 2022 | |
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| Tim Caspar Boehme | |
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