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# taz.de -- Femizide in Berlin: Aufschrei der Initiativen
> Antigewaltprojekte gedenken einer getöteten Frau in Spandau. Ab jetzt
> wollen sie nach jedem Femizid rote Schuhe vor die jeweiligen Rathäuser
> tragen.
Bild: Ein roter Schuh, Blumen, Kerzen. Und Flyer gegen Gewalt gegen Frauen vor …
BERLIN taz | Die roten Schuhe gehen zwischen all den Blumen, Kerzen und
Flyern fast unter. Gut 100 Frauen unterschiedlicher Altersgruppen
versammeln sich am Mittwochmittag vor dem Rathaus Spandau. Einige haben
Rosen dabei, die sie bei den Schuhen ablegen. Auch Grabkerzen, Teelichter
und Plakate mit der Aufschrift „Stoppt Femizide“ bringen sie mit. Ein
Zusammenschluss aus Sozialarbeiter*innen, Mitarbeiter*innen von
Frauenhäusern und weiteren Beschäftigten bei Berlins Antigewaltprojekten
haben die Schuhe am Mittwoch vor dem Rathaus aufgestellt.
Mit dieser Aktion wollen sie an den jüngsten Femizid dort erinnern: Am 3.
April war eine 56-Jährige Frau tot in ihrer Wohnung im Spandauer Ortsteil
Falkenhagener Feld gefunden worden – mutmaßlich ermordet. Tatverdächtig ist
ihr Lebenspartner, ein 60-Jähriger Mann. Femizid meint die Tötung von
Frauen, weil sie Frauen sind. Der Begriff Feminizid bezieht auch die
strukturelle Ebene mit ein.
„Wir freuen uns sehr, dass so viele gekommen sind, damit haben wir nicht
gerechnet“, eröffnet eine Rednerin die von den Antigewaltprojekten
initiierte „Aktion Rote Schuhe“. Solche Schuhe sind inzwischen ein
weltweites Symbol gegen tödliche Gewalt gegen Frauen. „[1][10 Wochen nach
dem ersten Berliner Femizid dieses Jahres] legen wir wieder unsere Arbeit
nieder, um darauf aufmerksam zu machen, dass eine Frau von ihrem Ex-Partner
in Spandau getötet wurde“, sagt sie. Sie und weitere Redner*innen
fordern mehr Frauenhausplätze, mehr Bildungsarbeit und konsequente
Täterarbeit, [2][um Femizide zu verhindern]. „Wie lange sollen wir noch
gedenken?“, heißt es gleich in mehreren Redebeiträgen.
Um genau zu sein, erinnern die Teilnehmer*innen der Kundgebung dort gar
nicht mehr an den letzten Femizid in Berlin, sondern an den letzten in
Spandau. Denn in der Zwischenzeit, nur eine knappe Woche später, fand die
Polizei am 10. April eine leblose 57-jährige Frau auf dem Beifahrersitz
eines Autos in Moabit. Der 49 Jahre alte, wohl stark alkoholisierte
Autofahrer steht in Verdacht, sie getötet zu haben.
## Gewalttaten im öffentlichen Raum
Hinzu kommen allein in den vergangenen vier Wochen weitere Gewalttaten
gegen Frauen im öffentlichen Raum: In Moabit hatte laut Polizeiangaben ein
Mann eine auf einer Bank liegende Frau mit Deospray besprüht und sein
Feuerzeug darangehalten, sodass ihre Haare Feuer fingen. Und Ende März
hatte ein Mann eine Sexarbeiterin erst mit seinen Fäusten attackiert und
dann mit einer Eisenstange verprügelt. Am 19. März wiederum hatte im
brandenburgischen Schönefeld ein 58-jähriger Mann seine 59-jährige Ehefrau
in der gemeinsamen Wohnung getötet.
„Ich bin hier, weil das Thema Femizid zu wenig Aufmerksamkeit erhält, von
der Politik zu wenig priorisiert wird und immer noch oft als Frauenthema
gesehen wird“, sagt eine Teilnehmerin der Kundgebung. „Jede Frau ist eine
zu viel, und sollte nicht untergehen“, sagt eine andere.
„Wir solidarisieren uns mit der Aktion Rote Schuhe“, sagt eine Sprecherin
vom Netzwerk gegen Feminizide, ein Zusammenschluss von Aktivist*innen, die
bereits seit Längerem auf Femizide aufmerksam machen. Sie begleiten
Prozesse und bieten Bildungsarbeit in Schulen an. „Es ist bezeichnend, dass
die Initiative aus dem Bereich der Antigewaltarbeit kommt. Der politische
Aufschrei dagegen, der bleibt aus“, kritisiert sie. Den bräuchte es aus
ihrer Sicht aber, und vor allem auch den Willen, Maßnahmen umzusetzen,
damit sich langfristig etwas ändert.
Das Netzwerk weist außerdem darauf hin, dass noch immer viele [3][Femizide
gar keine Aufmerksamkeit bekommen]. „Auch Feminizide an Transpersonen oder
an nicht-binären Menschen gehen unter“, sagt die Sprecherin. Das Netzwerk
fordert etwa, dass auch versuchte Feminizide erfasst werden sollten. „Das
Risiko, nicht geschützt zu werden, steigt mit anderen
Diskriminierungsformen“, sagt sie. Rassismusbetroffene Frauen seien
besonders gefährdet, Sexarbeiter*innen dazu auch noch weniger
geschützt.
## Kriterien für besondere Gefährdung
Rebecca Bondü von der Psychologischen Hochschule Berlin hat in einem
[4][Forschungsverbund Kriterien herausgearbeitet], die der Polizei oder
Mitarbeiter*innen in der Antigewalthilfe helfen sollen, einzuschätzen,
wie hoch das Risiko ist für einen Intimizid – also einen Femizid durch den
(Ex-)Partner. Das Projekt wurde vom Bundesministerium für Bildung und
Forschung gefördert.
„Faktoren sind etwa: wenn die Frau Ängste oder sogar Todesangst äußert,
wenn die Kinder darüber sprechen, oder wenn der Täter offen oder auch
versteckt über Tötungsabsichten spricht“, sagt Bondü. Warnsignale seien
auch suizidales Verhalten des Täters oder „Trigger-Ereignisse“, etwa wenn
Täter realisieren, dass eine Trennung nun endgültig ist. „Wir schulen etwa
Polizist*innen, sodass sie mit diesem Risiko-Analyse-Instrument arbeiten
können“, sagt Bondü. Die Hoffnung ist, damit Femizide zu verhindern.
Ende Februar ging in Berlin der [5][Prozess gegen den Mörder von Norhan A.]
zuende. Die 36-jährige war im August von ihrem Ex-Partner in Zehlendorf
niedergestochen worden. „Norhan tat alles, um sich zu schützen“, betonte
das Netzwerk „Wir wollen uns lebend“ in einer Stellungnahme nach dem
Prozess und Urteilsspruch. A. hatte Anzeige erstattet, sie erwirkte eine
Gewaltschutzanordnung und war mit ihren Kindern in eine Schutzwohnung
gezogen.
„Gerechtigkeit für Norhan würde bedeuten, dass sie noch am Leben wäre“,
schreibt das Netzwerk. Aktuell rufen sie dazu auf, den Prozess gegen den
mutmaßlichen Mörder von Nikki N. zu begleiten. Sie war zwei Tage nach
Norhan A. ermordet worden.
## Adresse über die Kinder
„Der Mörder von Norhan A. hatte ihre Adresse über den Umgang mit den
Kindern herausgefunden“, sagt Nua Ursprung von der Berliner Initiative
gegen Gewalt an Frauen BIG e. V. „Er hatte ihr mit dem Mord gedroht, es gab
ein Strafverfahren gegen ihn. Aber er durfte die Kinder trotzdem sehen. Das
hat er ausgenutzt“, sagt sie. Antigewaltinitiativen wie BIG e. V. fordern
seit Langem, dass gewalttätigen Männern der Umgang und Kontakt zu den
Kindern verwehrt wird. „Dazu bräuchte es noch nicht mal Geld, um das
umzusetzen“, sagt Ursprung.
Doch [6][auch Geld ist wichtig]: Die Organisator*innen der Aktion
Rote Schuhe fordern generell eine bessere Finanzierung. „Es gibt zu
[7][wenig Stimmen dazu in der Öffentlichkeit]“, sagt eine der
Organisator:innen. „Wir, die tagtäglich mit den Betroffenen zu tun
haben, haben uns deshalb zusammengeschlossen“, sagt sie.
Vor dem Rathaus Spandau wird es plötzlich ruhig. Während der 3-minütigen
Gedenkstille stört nicht mal das Marktschwirren, nur das Rauschen des
Autoverkehrs ist zu hören. Immer wieder bleiben Passant:innen stehen,
lesen die Flyer und Plakate und fragen leise nach. Die Aktion soll auch in
Zukunft stattfinden erklärt eine Organisatorin: „Am darauffolgenden
Mittwoch eines jeden Berliner Femizids rufen wir dazu auf, sich vor dem
Rathaus des jeweiligen Bezirks zu versammeln um Druck auf die Politik
auszuüben“, sagt sie. „Denn klar ist: Das sind keine Einzelfälle. Das The…
ist nicht privat.“
16 Apr 2025
## LINKS
[1] /Kundgebung-gegen-Berliner-Femizid/!6063935
[2] /Berliner-Opfer-von-Femiziden/!6021843
[3] /Femizide-in-Deutschland/!6074222
[4] https://idw-online.de/de/news844797
[5] https://www.rbb-online.de/kontraste/ueber_den_tag_hinaus/terrorismus/norhan…
[6] /Haushaltsdebatte-in-Berlin/!6054934
[7] /Geschlechtsspezifische-Gewalt/!6034451
## AUTOREN
Johanna Weinz
Uta Schleiermacher
## TAGS
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