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# taz.de -- Lebenslange Haft für Femizid in Berlin: Mord aus Besitzdenken
> Wegen Mordes an seiner Ex-Partnerin bekommt ein Mann lebenslange Haft.
> Besitzdenken wird als frauenfeindliches Motiv im Urteil berücksichtigt.
Bild: Mit Kerzen und Bildern gedenkt das „Netzwerk gegen Femizide“ bei eine…
BERLIN taz | Es fallen überraschend klare Worte bei der Urteilsverkündung
im Mordprozess gegen Önder K.: „Es ist mittlerweile eine schreckliche
Regelmäßigkeit, mit der Gerichte mit solchen Taten zu tun haben: Mann tötet
Frau nach Ende der Beziehung“, sagt der Vorsitzende Richter am Montag am
Berliner Landgericht – und weist damit auf die geschlechtsspezifische
Dimension der Tötungen hin.
Trotzdem müsse man in jedem Einzelfall der Tötung einer Frau die genauen
Motive prüfen. Im Fall Önder K. ist sich das Schwurgericht sicher: Er
handelte aus „besonders übersteigertem Besitzdenken“ und damit aus niederen
Beweggründen. Der Täter wird zu lebenslanger Haft verurteilt.
Im August 2024 erstach Önder K. seine 28-jährige Ex-Partnerin Nikoleta,
auch Nikki genannt, mit einem Küchenmesser. Der Täter suchte sie vor ihrer
Wohnung in Friedrichsfelde auf und verletzte sie im Hausflur mit 28 Stichen
so schwer, dass sie kurz nach der Tat im Krankenhaus verstarb. Nikki hatte
sich vier Monate zuvor von ihm getrennt und lebte mit ihren zwei Kindern in
einer Wohnung in Friedrichsfelde. In den Monaten nach der Trennung wurde
sie von Önder K. immer wieder kontaktiert und aufgesucht, mehrfach wandte
sich Nikki Hilfe suchend an die Polizei, sie erstattete fünfmal Anzeige.
Nicht erst in der Beziehung zu Nikki fiel der Täter durch Stalking auf. In
den vorangegangenen Gerichtsterminen war durch Zeugenaussagen deutlich
geworden, dass er bereits in der Vergangenheit eine Ex-Partnerin so sehr
bedrängte, dass diese die Stadt verließ. Dieses Verhalten sei eine
Blaupause für das gewesen, was Nikki später erlebte, so der Richter. Nikki
habe klare Worte gefunden, dass es zwischen den beiden vorbei ist – der
Täter habe das nicht akzeptiert.
Zu anschließenden Kontrollversuchen zählte der Richter den Diebstahl ihres
Handys sowie das Vorspielen von gemeinsamen Sexvideos vor einem fremden
Mann. So eine Demütigung sei „das Dreckigste, was man machen kann“. Auch im
Tatablauf sieht der Richter keinen Zufall, „sondern ganz viel klare
Entscheidung“. Im Nachgang der Tat habe Önder K. beispielsweise noch vor
seiner Festnahme sein Handy zerstört.
## Außergewöhnliches Urteil
Dass die femizidale Dimension der Tat im Rahmen der „niederen Beweggründe“
berücksichtigt wird, ist keineswegs selbstverständlich, sagt Deria Amsel
(Name von der Redaktion geändert) vom Netzwerk gegen Femizide, die bereits
mehrere Femizidprozesse vor Gericht mitverfolgt hat. „Femizid als
gesonderten juristischen Straftatbestand gibt es nicht, häufig
[1][verschwindet die geschlechtsspezifische Dimension der Frauenmorde
hinter der Anklage wegen Totschlags]“, so Amsel. „Die vermeintlich
verletzten Gefühle der Täter, wie Wut oder Eifersucht, werden häufig sogar
als strafmildernd interpretiert, da der Täter nur im Affekt gehandelt haben
soll.“
Aufgrund der juristischen Unschärfe und einer fehlenden offiziellen
Femizid-Definition mangelt es an genauen Fallzahlen zu Femiziden. Die
Tendenz ist aber klar: [2][Die geschlechtsspezifische Gewalt, deren
Höhepunkt der Femizid ist, steigt bundesweit und auch in Berlin an]. Aus
einer aktuellen Antwort des Senats auf eine Anfrage der Grünen-Fraktion im
Abgeordnetenhaus geht hervor, dass im Schnitt jeden Monat eine Frau in
Berlin getötet wird, in den meisten Fällen im Rahmen einer
(Ex-)Partnerschaft.
Die Initiative „Femizide stoppen“ zählte nach eigener Recherche im
vergangenen Jahr deutschlandweit 114 Femizide. Nikki erscheint im
Instagram-Feed der Initiative als 63. Kachel. Ein Mord, eine Kachel. Dieses
Jahr sind es bereits 50 Kacheln.
## Mangelnde Präventionsansätze
Um besonders gefährdete Frauen wie Nikki vor Femiziden zu schützen, fordern
frauenpolitische Initiativen schon seit Langem [3][interdisziplinäre
Fallkonferenzen,] bei denen Polizei, Bezirks- und Jugendämter sowie
Beratungsstellen gemeinsam Schutzstrategien für gewaltbetroffene Frauen
entwickeln. Denn bislang darf beispielsweise die Polizei keine
Informationen an die Gerichte weiterleiten, wenn sich ein Mann einem
Kontaktverbot widersetzt.
„Jugendämtern, Frauenhäusern und insbesondere Beratungsstellen, die
besonders eng mit den Frauen in Kontakt stehen, muss ein besserer Austausch
ermöglicht werden“, fordert Nua Ursprung von der Berliner Initiative gegen
Gewalt an Frauen (BIG). Das solle auch fördern, dass mit den Frauen, nicht
über ihre Köpfe hinweg gearbeitet wird. Seit April dieses Jahres sind die
Fallkonferenzen rechtlich möglich.
„Die meisten diskutierten Maßnahmen gegen Femizide setzen viel zu spät an�…
kritisiert Ursprung. Dabei müsse Prävention bereits im Grundschulalter
beginnen. [4][Doch gerade im Präventionsbereich würden die Leerstellen
immer größer.] Anfang dieses Jahres wurden dem Präventionsprojekt von BIG,
welches an Berliner Schulen mit Schüler*innen, Lehrer*innen und Eltern
zu häuslicher Gewalt arbeitet, die [5][finanzielle Förderung vollständig
gestrichen]. Weil damit auch der ganzen Initiative das Aus drohte, sprang
kurzfristig die Senatsverwaltung für Inneres über die Landeskommission
„Berlin gegen Gewalt“ für die Finanzierung ein – allerdings nur bis Ende
des Jahres. Darüber hinaus ist die Zukunft des Projektes ungewiss.
Auch die Täterarbeitsprojekte des Berliner Zentrums gegen Gewaltprävention
laufen aktuell auf Basis von kurzfristiger Notfinanzierung. „Auch
Täterarbeit ist wichtige Präventionsarbeit, weil Männer in der Regel nicht
nur einmal gewalttätig werden“, sagt Ursprung. „Wir müssen Ansätze förd…
die Gewalt nachhaltig vorbeugen und gewalttätig gewordene Männer wieder
gesellschaftsfähig machen.“
7 Jul 2025
## LINKS
[1] /Frauenmord-vor-Gericht/!6096417
[2] /Geschlechtsspezifische-Gewalt/!6047236
[3] /Razzia-in-Frauenhaus/!6088135
[4] /Gewalthilfegesetz-in-Berlin/!6090349
[5] https://www.nd-aktuell.de/artikel/1192185.gewalt-gegen-frauen-femizide-in-b…
## AUTOREN
Lea Kleinsorge
## TAGS
Schwerpunkt Femizide
Feminismus
lebenslange Haft
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Schwerpunkt 1. Mai in Berlin
Schwerpunkt Femizide
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tragen.
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