Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Häusliche Gewalt in Schleswig-Holstein: Gewaltschutz mit Lücken
> Bei Verstößen gegen Kontaktverbote müssen Opfer häuslicher Gewalt diese
> selbst aktiv beim Familiengericht anzeigen. Das scheitert in der Praxis
> häufig.
Bild: Soll in Schleswig-Holstein die Kontrolle von Kontaktverboten verbessern: …
Rendsburg taz | Der Mann wird in Handfesseln in den Gerichtssaal geführt.
Er ist schlank, grauhaarig, wirkt unauffällig, doch in der Anklageschrift
zählt die Staatsanwältin 29 Taten auf, die ihm zur Last gelegt werden:
Drohungen, Nötigungen und tätliche Angriffe sind darunter. Betroffen waren
vor allem seine Ex-Frau und deren Familienmitglieder. Dabei hatte ein
Gericht untersagt, dass sich der Mann ihnen näherte. [1][Warum wirkt der
Gewaltschutz nicht]?
Kerstin Hansen von der [2][Koordinierungsstelle der Netzwerke gegen
häusliche Gewalt], KIK, beginnt mit den guten Seiten: Seit es Gesetze wie
die Wegweisung gibt, müssen die gewalttätigen Personen – meist sind es
Männer – das Haus verlassen. Früher blieb den Opfern, meist Frauen und
Kinder, nur die Flucht. Auch internationale Abkommen wie die
Istanbul-Konvention seien hilfreich, um Gewaltopfer zu schützen.
In Politik und Gesellschaft ist das Thema angekommen. Gerade in
Schleswig-Holstein sei vieles vorbildlich, lobt Hansen. So erhalten
Frauenhäuser nach einem festen Schlüssel Geld über den kommunalen
Finanzausgleich, auch das KIK-Netzwerk sei einzigartig: In regionalen
Gruppen kommen Vertreter:innen von Polizei, Justiz und Beratungsstellen
zusammen und besprechen Präventionsmaßnahmen.
## Bis zu 40 Prozent der Männer übertreten die Anordnungen
Doch es blieben Lücken im Hilfesystem. Eine große klafft bei der
Durchsetzung von Kontaktverboten. So im Fall des Mannes aus Norderstedt,
der in Kiel vor dem Landgericht steht. Obwohl das Familiengericht
angeordnet hatte, dass er sich seiner Ex-Frau und ihren Angehörigen nicht
nähert, tat er es immer wieder: Im Juli 2024 bedrohte er sie an ihrem
Arbeitsplatz, war mehrfach bei ihrer Wohnung, klingelte und brüllte
Drohungen vor den Häusern der Eltern und ihrer Schwester. Im November
wartete er wieder bei der Arbeitsstelle der Ex-Frau. Mitte Dezember stand
er mehrfach vor ihrer Wohnungstür. Insgesamt 20-mal verstieß er gegen die
Auflagen.
Das sei nicht ungewöhnlich, sagt Katharina Wulf, Geschäftsführerin des
[3][Landesverbandes der Frauenberatungsstellen]: „Die meisten Männer halten
sich an die Anordnung, aber viele eben auch nicht.“ Genaue Zahlen lägen
nicht vor, aber nach den Informationen aus den Beratungsstellen würden bis
zu 40 Prozent der gerichtlichen Anordnungen mehr oder weniger häufig
übertreten. Die betroffenen Frauen wenden sich in der Regel an die Polizei.
„Die kommen eigentlich immer zuverlässig“, sagt Hansen. Für den Moment ist
die Bedrohung damit behoben – mehr aber nicht. Denn die Anordnung des
Familiengerichts unterliegt dem Zivilrecht. „Damit der Mann sanktioniert
wird, mit Ordnungsgeld oder Ordnungshaft, muss die Frau sich an das
Familiengericht wenden, das die Anordnung erlassen hat, und zwar in jedem
einzelnen Fall wieder“, erklärt die Gewaltschutz-Expertin.
## Nach Meldungen passiert oft nichts
Sie sieht diese Regelung als Problem: „Viele Frauen wissen das nicht, sie
denken – wie es eigentlich auch der gesunde Menschenverstand nahelegt – es
reiche, die Polizei zu rufen.“ Selbst einigen Fachleuten sei das korrekte
Verfahren unbekannt. „In den Beratungsstellen sagen wir es den Frauen
inzwischen, aber es bleibt kompliziert“, sagt Hansen. Wichtig sei auch, die
Fälle zu dokumentieren, etwa per Foto.
Doch selbst wenn Frauen die Verstöße dem Gericht melden, passiert oft lange
nichts: „Zwar gilt Eilbedürftigkeit, wenn ein Opfer häuslicher Gewalt zum
ersten Mal beantragt, dass sich der Täter nicht nähern darf“, erklärt
Katharina Wulf. „Aber wenn Verstöße gemeldet werden, landet das erst mal
auf dem großen Stapel.“
Der Prozess gegen den Mann aus Norderstedt hat gerade erst begonnen. Welche
Maßnahmen die Frau und ihre Familie gegen den Ex-Partner unternahmen, wird
das Verfahren ergeben. Für Wulf und Hansen bleibt es eine ärgerliche Lücke
in der Hilfekette gegen Gewalttäter. Die wird bleiben, erklärt Jana Hämmer,
Sprecherin des Innenministeriums: „Zivilrechtliche Maßnahmen müssen durch
die Betroffenen selbst beantragt werden.“ Hier könne nur eine Änderung auf
Bundesebene Abhilfe schaffen.
## Fußfesseln sollen helfen
Allerdings hat das Land Schleswig-Holstein in diesem Jahr [4][ein neues
Gewaltschutzgesetz] erlassen und verwaltungsrechtlich die Möglichkeit
geschaffen, dass die Polizei beim Amtsgericht polizeirechtliche Maßnahmen
zum Schutz der Opfer erwirken kann. „Damit sollen Schutzlücken in
Hochrisikofällen geschlossen werden, in denen die Opfer nicht in der Lage
sind, zivilrechtlichen Schutz zu erwirken“, so Hämmer.
[5][Neu ist auch die elektronische „Fußfessel“], die das Parlament in Kiel
im März beschlossen hat. „Wir wollen die Opfer häuslicher Gewalt besser als
bisher schützen“, verspricht Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack. Doch
Anordnungen seien nur dann wirksam, wenn sie effektiv überwacht würden –
dazu sei die [6][Fußfessel ein wichtiger Baustein], um bestehende
Schutzlücken zu schließen. Doch die allein könne den Schutz der Betroffenen
nicht gewährleisten. Daher hat Schleswig-Holstein ein landesweit
verbindliches Hochrisikomanagement eingeführt, das den Polizist:innen
verbindliche Vorgaben macht, wie sie in Fällen von häuslicher Gewalt
vorgehen sollen.
Für Katharina Wulf vom Verband der Frauenberatungsstellen ist ein weiterer
Punkt wichtig: Täter erhalten neuerdings Angebote zur Gewaltprävention.
„Deutlich besser wäre, wenn sie verpflichtet wären, an so einer Maßnahme
teilzunehmen, aber auch so ist es wichtig, dass vom Täter aus gedacht
wird“, sagt Wulf. „Nicht die Opfer, sondern Täter und Gesellschaft müssen
sich ändern.“
16 Jul 2025
## LINKS
[1] /Gewalthilfe-fuer-Frauen/!6070639
[2] https://www.schleswig-holstein.de/DE/landesregierung/themen/soziales/schutz…
[3] https://lfsh.de/landesverband
[4] https://verkuendungsportal.schleswig-holstein.de/home/gvobl/veroeffentlichu…
[5] https://www.landtag.ltsh.de/nachrichten/25_03_26_schutz_haeusliche_gewalt/
[6] /Fesseln-sollen-Frauen-retten/!6078788/
## AUTOREN
Esther Geißlinger
## TAGS
Kontaktverbot
Schwerpunkt Femizide
Fußfessel
Gewalt gegen Kinder
häusliche Gewalt
Gewalt gegen Frauen
Schleswig-Holstein
Gewalt
Social-Auswahl
Schwerpunkt Femizide
häusliche Gewalt
Schwerpunkt Femizide
Schwerpunkt Femizide
Schwerpunkt Femizide
## ARTIKEL ZUM THEMA
Häusliche Gewalt: Elektro-Fußfessel soll Opfer schützen
Ein Gesetzentwurf des Bundesjustizministeriums sieht vor, dass Gerichte
künftig die Täter zum Tragen eines solchen Geräts verpflichten können. Das
Ausmaß häuslicher Gewalt ist erschreckend hoch.
KI als Hilfe für Gewaltbetroffene: Chatbot „Maja“ soll Gewaltopfern helfen
Ein Hamburger Startup möchte Menschen aus Gewaltbeziehungen helfen. Das
Unternehmen setzt dabei auf KI. Konventionelle Anlaufstellen sind
skeptisch.
Femizid bei Hannover: Rassistisches Motiv vermutet
Knapp zwei Wochen nach dem Mord an einer 26-jährigen Algerierin durch ihren
deutschen Nachbarn, suchen Ermittler*innen weiter nach einem Motiv.
Lebenslange Haft für Femizid in Berlin: Mord aus Besitzdenken
Wegen Mordes an seiner Ex-Partnerin bekommt ein Mann lebenslange Haft.
Besitzdenken wird als frauenfeindliches Motiv im Urteil berücksichtigt.
Frauenmord vor Berliner Gericht: Für die Anklage nur Routine
Nach einem mutmaßlichen Femizid wollen Staatswanwaltschaft und Verteidigung
sich über das Strafmaß einigen. Von patriarchaler Gewalt ist keine Rede.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.