| # taz.de -- 20 Jahre nach dem Sürücü-Mord: Sie wollte ihr Leben selbst besti… | |
| > Als Hatun Sürücü von ihrem Bruder getötet wurde, sprachen alle von | |
| > Ehrenmord. Heute reden wir von Femiziden. Macht das Gewaltstrukturen | |
| > sichtbarer? | |
| Bild: Hatun Aynur Sürücü mit ihrem Sohn Can im Jahr 1999 | |
| Hatun Aynur Sürücü wollte Elektroinstallateurin werden und stand kurz vor | |
| ihrer Gesellenprüfung. Doch dann kam der Tod. Er kam in Gestalt ihres | |
| jüngeren Bruders. Der tötete sie am 7. Februar 2005 mit drei Kopfschüssen | |
| aus einer Pistole, [1][an einer Bushaltestelle vor dem Haus in Tempelhof], | |
| in dem sie damals mit ihrem etwa vierjährigen Sohn Can lebte. Die Tat löste | |
| bundesweit Entsetzen aus. Hatun Aynur Sürücü wurde 23 Jahre alt. Heute | |
| erinnert an diesem Ort ein Gedenkstein an den Mord an der jungen Frau, die | |
| sich zuvor aus eigener Kraft aus einer Zwangsehe und patriarchaler Gewalt | |
| befreit hatte und ihr Leben selbstbestimmt für sich geplant hatte. | |
| In der gesellschaftlichen Debatte wurde [2][die Tat zu der Zeit als | |
| „Ehrenmord“ diskutiert]. Inzwischen hat sich der Begriff „Femizid“ oder | |
| „Feminizid“ dafür durchgesetzt, um genau solche Taten zu benennen: bei | |
| denen Männer Frauen töten, weil sie Frauen sind. Was hat sich geändert in | |
| den 20 Jahren seit Sürücüs Tod? Was hilft, um Frauen ein eigenständiges | |
| Leben zu ermöglichen und sie vor Gewalt zu schützen? | |
| „Als Hatun Sürücü getötet wurde, haben wir das Thema noch sehr stark | |
| individualisiert, als schrecklichen, brutalen Einzelfall“, sagt Asha | |
| Hedayati, Rechtsanwältin für Familienrecht, die sich auch aktiv für | |
| Betroffene von häuslicher Gewalt und Stalking engagiert. Dass vor allem von | |
| „Ehrenmord“ die Rede gewesen sei, das habe die Tat „an den | |
| gesellschaftlichen Rand gedrängt“ und sie in einem migrantischen Milieu | |
| verortet. „Jetzt sehen wir die strukturelle Ebene, da sind wir einige | |
| Schritte weiter“, sagt sie, das zeige auch der Begriff Femizid. | |
| „Dennoch: [3][Die Tötungen werden nicht weniger, im Gegenteil, die Zahlen | |
| steigen]“, sagt Hedayati. Sie kritisiert: „Hier muss der Staat mehr | |
| Verantwortung übernehmen.“ Von der Istanbul-Konvention, vor sieben Jahren | |
| verabschiedet, [4][habe die Politik bisher nichts umgesetzt]. Dabei liste | |
| diese konkrete Maßnahmen auf. | |
| ## Gefährliche Trennungen | |
| Bis dahin müsste die Politik zumindest dafür sorgen, dass Betroffene sich | |
| [5][leichter aus Gewaltbeziehungen befreien können], fordert die Anwältin. | |
| Aber auch nach einer Trennung seien die Frauen noch gefährdet: etwa weil | |
| Polizist*innen unterschwellig die Opfer für die Gewalt verantwortlich | |
| machten, weil Familiengerichte in Verfahren über den Verbleib der Kinder | |
| die Gewaltgeschichte ausblendeten. | |
| „Frauen sind in der Phase der Trennung und in der Zeit danach besonders | |
| gefährdet“, sagt Anja Klamann, die in Berlin die Anlaufstellen für | |
| Alleinerziehende koordiniert. Seit 2014 hat der Senat berlinweit [6][ein | |
| Netzwerk von Koordinierungsstellen aufgebaut], in jedem Bezirk gibt es seit | |
| 2020 eine Ansprechperson, die sich für die Belange von Alleinerziehenden | |
| einsetzt. Dabei stellte sich heraus, dass der Bedarf nach konkreten | |
| Beratungen groß war. | |
| Seit 2024 hat jeder Bezirk nun auch eine Beraterin für Alleinerziehende, an | |
| die Frauen sich auch vor einer Trennung wenden können, etwa, wenn sie die | |
| Folgen abschätzen wollen. „In den Beratungen ist Gewalt oft ein | |
| Nebenthema“, sagt Klamann. Die Stellen sind in einigen Bezirken bei Trägern | |
| angesiedelt, die auch Antigewaltberatung machen. „Grundsätzlich arbeiten | |
| wir intensiv und eng mit dem Gewaltschutz zusammen, die Kolleg*innen | |
| wissen also, wo sie hinverweisen können“. | |
| Der Mord damals habe „einen Stein ins Rollen“ gebracht, sagt Bahar | |
| Haghanipour, die frauenpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im | |
| Abgeordnetenhaus. „Daraus sind Maßnahmen entstanden, aber es gab auch eine | |
| rassistische Debatte“, sagt sie. Sie [7][nennt das Projekt „Heroes“, das | |
| sich explizit „gegen Unterdrückung im Namen der Ehre“ wendet]. Es startete | |
| 2007 in Neukölln, inzwischen arbeitet es berlinweit und hat bundesweit | |
| Nachahmer gefunden. | |
| ## Präventionsarbeit und Beratung | |
| Dafür gehen junge Männer in Schulen und Jugendfreizeiteinrichtungen, um | |
| dort über Vorträge und Workshops mit anderen Jugendlichen ins Gespräch zu | |
| kommen über Identität, Gleichberechtigung und Rechte von Frauen, Gewalt in | |
| Familien und Familienehre. Zuvor haben sie sich selbst in kleineren Gruppen | |
| persönlich mit ihren Vorstellungen von Ehre und Männlichkeit | |
| auseinandergesetzt. | |
| Das [8][Projekt „Papatya“] wiederum richtet sich an Mädchen und junge | |
| Frauen mit Migrationshintergrund, und unterstützt sie, wenn sie sich von | |
| ihren Familien bedroht sehen oder diese ganz verlassen wollen. Seit 2013 | |
| verleihen die Berliner Grünen den von ihnen initiierten | |
| [9][„Hatun-Sürücü-Preis“] an Projekte, die Mädchen und junge Frauen | |
| empowern. | |
| „Alle Projekte zu Zwangsehen machen eine sehr gute Beratung und | |
| Präventionsarbeit. Gleichzeitig sehen wir große Lücken, weil der Bedarf | |
| eigentlich größer ist“, sagt Haghanipour. Sie fordert: Prävention, Beratung | |
| und Schutzplätze müssten ausgebaut werden. „Der Senat hat nun ein Gutachten | |
| zu Zwangsehen in Auftrag gegeben. Ich befürchte, dass es Ergebnisse | |
| hervorbringt, die eigentlich längst bekannt sind. Das Geld dafür sollte | |
| besser Projekten zugutekommen.“ | |
| Das [10][Netzwerk gegen Feminizide] macht seit 2020 Tötungen von Frauen aus | |
| patriarchaler Gewalt in Berlin bekannt, etwa über Kundgebungen, Mahnwachen | |
| und die Begleitung von Gerichtsprozessen. In der Diskussion um Feminizide | |
| sehen sie auch heute noch eine rassistische Komponente. „Auch wenn das Wort | |
| ‚Ehrenmord‘ nicht mehr gebräuchlich ist, bekommen Taten, in denen der Tät… | |
| migrantisch ist, meist mehr Aufmerksamkeit“, sagt Rebecca Zorko vom | |
| Netzwerk. | |
| ## Soziale Umstände von Feminiziden | |
| „Wenn wir alle Fälle betrachten, sehen wir: Das ist eine Verstellung des | |
| Problems, da wird patriarchale Gewalt für Rassismus instrumentalisiert.“ | |
| Entgegen der medialen Sichtbarkeit sei es schlichtweg falsch, [11][dass | |
| Feminizide in den einen Kulturen öfter geschähen als in den anderen]. | |
| Wichtig sei auch die Analyse spezifischer sozialer Situationen, etwa | |
| Feminizide an Sexarbeiter*innen, Zwangsprostituierten oder | |
| Geflüchteten. „Diese Gruppen sind sehr gefährdet“, sagt Zorko. | |
| Die Gründe für Femizide seien komplex, betont auch Rechtsanwältin Hedayati. | |
| Erzählungen wie „eine Familie, die versagt“, oder „ein Gewalttäter, der… | |
| Kontrolle verliert“ erklärten nichts, sagt sie. Aus ihrer Sicht fehlt der | |
| politische Wille, entschieden dagegen vorzugehen. „Die Gewalt ist so | |
| normal, dass wir sie gar nicht wahrnehmen“, sagt sie. „Was es dagegen | |
| braucht, ist eine Haltung in der Gesellschaft, die Gewalt in keiner Weise | |
| toleriert.“ | |
| Trotz ihrer deutlichen Kritik sagt Hedayati: „Wir sind auf dem Weg.“ Dass | |
| der Bewegung gegen Gewalt gegen Frauen auch Gegenwind entgegenkomme, sei | |
| ein Zeichen für den Erfolg. „Die Forderungen werden kraftvoller und | |
| einflussreicher“, sagt sie. „Sie werden sich nicht zurückdrängen lassen.�… | |
| „Ich wünsche mir sehr, dass ich ihrem Sohn eines Tages von seiner Mutter | |
| erzählen kann“, sagt Mela D. Sie ist die Schwägerin von Hatun Aynur Sürüc… | |
| Der Sohn kam in eine Pflegefamilie, Sürücüs Familie war jeder Kontakt | |
| verwehrt. D. hat sich auch von der Familie distanziert – und würde den Sohn | |
| heute gern treffen. „Sie war eine starke, mutige und solidarische | |
| Schwägerin und Freundin. Seit 20 Jahren lebt sie in meinem Herzen fort“, | |
| sagt Mela D. | |
| 7 Feb 2025 | |
| ## LINKS | |
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| [2] /10-Jahre-nach-dem-Sueruecue-Mord/!5021214 | |
| [3] /Berliner-Opfer-von-Femiziden/!6021843 | |
| [4] /Gewalthilfegesetz-im-Bundestag/!6062298 | |
| [5] /Gewalt-gegen-Frauen/!5971581 | |
| [6] https://alleinerziehend-in-mitte.de/berlinweite-koordinierungsstellen/ | |
| [7] /Gedenken-an-Hatun-Sueruecue/!5830584 | |
| [8] https://papatya.org/ | |
| [9] https://gruene-fraktion.berlin/kampagne/hsp/ | |
| [10] /Widerstand-in-Berlin/!5771083 | |
| [11] /Femizide-in-den-Medien/!5944761 | |
| ## AUTOREN | |
| Uta Schleiermacher | |
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