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# taz.de -- Fake-Video über vermeintliche Tötung: Virale Desinformation
> Im Netz verbreitet sich ein Video über die angebliche Tötung eines Mannes
> durch Ukrainer. Es kommt von einer selbst ernannten
> „Friedensjournalistin“.
Bild: Teilte das Video über die angebliche Tötung in Euskirchen: Aktivistin A…
Es ist nicht zuletzt ein Nährboden für Desinformation. Seit Ausbruch des
Krieges beklagt die russische Botschaft in Berlin wachsende „Russophobie“.
Um es in den Worten der Diplomat:innen aus Moskau auszudrücken: „Vor
dem Hintergrund der Sonderoperation Russlands in der Ukraine hat die
Verfolgung russischsprachiger Menschen in Deutschland ein beispielloses
Ausmaß erreicht.“ Die Rede ist von Diskriminierung, Mobbing,
Stigmatisierung. „Zielscheibe der Schikanen“ seien „alle russischsprachig…
Bürger ohne Ausnahme – Russen und Juden sowie Spätaussiedler“.
[1][Es gibt solche Fälle durchaus], das Problem ist real. Aber unter solche
Fälle, die konkret und nachvollziehbar geschildert werden, mischen sich
Erzählungen, die übertreiben oder [2][ganz erfunden] sind. Am Wochenende
ging die Story viral, „ein Mob ukrainischer Flüchtlinge“ habe in Euskirchen
im Rheinland einen 16-jährigen Russlanddeutschen namens Daniel zu Tode
geprügelt. Verbreitet wurde sie unter anderem auf dem Telegram-Kanal „Neues
aus Russland“ der Aktivistin Alina Lipp mit inzwischen mehr als 100.000
Abonnent:innen.
Lipp strahlte ein eineinhalbminütiges Video aus, das bis Montagmittag mehr
als 150.000 Mal gesehen wurde. Eine Frau mittleren Alters stellt sich darin
vor als Mutter von vier Jungen. Sie schildert auf Russisch in dramatischer
Tonlage und unter Tränen, was sich zugetragen haben soll. „Leute! Er ist
gestorben! Ich kann es mir nicht vorstellen. […] Der Junge war 16 Jahre
alt. 16! Ich kann mir das Leid seiner Mutter nicht vorstellen. […] Diese
Hundesöhne.“ Dazu kommentiert Lipp: „Der Junge hat sich ‚schuldig‘ gem…
Russisch zu sprechen.“ Und: „Ich fürchte, das ist nur der Anfang.“
Die Polizei in NRW geht indes davon aus, dass es sich um ein vorsätzlich
angefertigtes „Fake-Video“ handelt, „das Hass schüren soll“, wie die
Beamt:innen am Sonntagabend twitterten. „Der für Kapitalverbrechen im
Bereich Euskirchen zuständigen Polizei Bonn liegen keinerlei Informationen
über einen solchen gewalttätigen Übergriff oder gar über einen Todesfall
vor“, teilte diese dazu mit. [3][Auch das Bundesinnenministerium warnt vor
dem Fake]. Der polizeiliche Staatsschutz ermittelt.
## „Friedensjournalistin“ mit bizarren Kontakten
Seine Wirkung entfaltet das Video wohl dennoch: Die 28-jährige Alina Lipp
gilt in Teilen der russischen Community als Heldin. Als „Putins deutsche
Infokriegerin“ stellte sie das Nachrichtenportal t-online jüngst vor. Lipp
forschte, bevor es sie zur Kriegsberichterstattung in die Ostukraine zog,
für eine Zweigstelle der Moskauer Lomonossow-Universität auf der von
Russland annektierten Krim-Halbinsel. Mit den Grünen, für die sie mal
Kommunalpolitikerin in Hannover war, hatte sie zu diesem Zeitpunkt schon
abgeschlossen, die kanzelte sie als „antirussisch“ ab. Lipp, mit deutscher
Mutter und russischem Vater, arbeitet aktuell für russische
Propagandamedien aus der selbst erklärten „Volksrepublik“ Donezk. Sie
selbst nennt sich „Friedensjournalistin“.
Ihr Publikum kommt aus alternativen Medienblasen wie der rechtsextremen
Szene, den verschwörungsideologischen Milieus und den mit diesen
verbandelten Teilen der Coronaleugner-Bewegung. Diese Milieus sind sich
zwar nicht völlig einig, wie Moskaus Angriffskrieg gegen die Ukraine zu
bewerten ist. Aber die Tendenz ist klar pro Putin. Suspekt scheint Lipps
Kreml-Hörigkeit bisher nur dem rechtsextremen „Volkslehrer“ Nikolai Nerling
zu sein. In einem Video von fast einer halben Stunde Dauer nahm er Alina
Lipp vor ein paar Wochen auseinander und verdächtigte sie, als
„pro-russische Agentin“ zu operieren. „Der neue fünfzackige Stern am
Telegram-Himmel“, höhnte Nerling in Anspielung auf den roten Stern im
Staatswappen der Sowjetunion. Doch Nerling steht in seinen Kreisen mit der
Kritik an Lipp ziemlich allein da.
Bei Alina Lipp waren die staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der
Coronapandemie seit 2020 ein bestimmendes Thema. Ende August 2020 lief sie
mit beim großen Querdenken-Protest in Berlin, drehte anschließend ein Video
auf Russisch, sagte, dass Corona in Deutschland alles „viel extremer
gemacht“ habe: „Meinungsfreiheit gibt es praktisch nicht mehr“, stattdess…
„kontrollierte Medien“. Tausende von Facebook-Posts und -Konten,
Youtube-Videos würden staatlicherseits gelöscht. Und: „Andersdenkende
Anwälte“ seien nach Kritik an den Maßnahmen „in psychiatrische Anstalten
eingewiesen“ worden. Lipp verbreitete die durch nichts belegte Legende,
dass sich an diesem Tag mehrere Hundert Menschen quasi auf der Flucht vor
gewalttätigen Polizeieinheiten vor der russischen Botschaft „hilfesuchend
an Putin wandten“.
Die Netzwerke von Lipp sind bizarr, die mediale Reichweite ist erheblich:
2019 startete der Youtube-Kanal „Glücklich auf der Krim“. 2020 folgte
„Drushba TV“, diesmal beworben unter anderem vom verschwörungsideologischen
Kanal Ken FM. Zum Kreis der Interviewten dieser Programme gehören der
Schweizer Verschwörungstheoretiker Daniele Ganser sowie auch Ralph
Niemeyer, der frühere Ehemann der Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht.
Niemeyer teilte 2021 auf Facebook ein Foto vom gemeinsamen Kneipenbesuch
mit Alina Lipp in Sankt Petersburg.
## Bilderkampf um die „wahren Zustände“
Mit ihrer Kriegspropaganda kommt Lipp auch in AfD-Kreisen gut an. Der
sächsische AfD-Landtagsabgeordnete Jörg Dornau übernahm die Putin’sche
Propaganda. Er postete gleich nach Kriegsbeginn auf Facebook: „Die Ukraine
wird entnazifiziert!“ Eine Solidaritäts-Friedensaktion mit der Ukraine an
einem Gymnasium in Grimma nannte Dornau „Gehirnwäsche an unseren Kindern“.
Er teilte das vom „Volkslehrer“ kritisierte Video der Aktivistin Alina
Lipp, in der sie von einer „Nazi-Regierung“ in Kiew spricht, von „Nazis
mitten in Europa“, die 2014 den früheren Präsidenten verjagt hätten. Dazu
schrieb der AfD-Mann: „Die Darstellung über die wahren Zustände in der
Ukraine, so wie es mir auch von Einheimischen erzählt wurde.“
Der angebliche Fall „Daniel“ aus Euskirchen derweil erinnert an den [4][von
Lisa F. aus Berlin-Marzahn, jener 13-jährigen Russlanddeutschen], die im
Januar 2016 auf dem Weg zur Schule verschwand und von ihren Eltern als
vermisst gemeldet wurde. Sie selbst behauptete, von „Südländern“
verschleppt und vergewaltigt worden zu sein. Die russische Botschaft
twitterte damals in Serie – und zitierte [5][unter anderem Außenminister
Sergei Lawrow] mit der Erwartung, es dürfe keine Vorfälle „wie mit unserem
Mädchen Lisa“ geben. Später stellte sich heraus, dass Lisa F. lediglich
Sorgen wegen der Schule hatte und sich nicht nach Hause getraut hatte.
Lawrow schob die Bitte hinterher, der Fall solle nicht ausgenutzt werden,
um die russische Diaspora als böse zu diskreditieren.
21 Mar 2022
## LINKS
[1] /Auswirkungen-des-Ukraine-Kriegs-hier/!5838179
[2] /Protestaktion-russischer-TV-Journalistin/!5838751
[3] https://twitter.com/BMI_Bund/status/1505883533377683461
[4] /Fall-Lisa-in-Berlin-Marzahn/!5273985
[5] /Moskau-schaltet-sich-in-Fall-Lisa-ein/!5269840
## AUTOREN
Matthias Meisner
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