Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Patriotismus an russischen Schulen: Spezialoperation im Klassenzimm…
> Schon vor der Invasion der Ukraine stand Patriotismus in Russland auf dem
> Lehrplan. Doch nun müssen auch Dreijährige der russischen Armee huldigen.
Bild: Das Symbol der Unterstützung der „Spezialoperation“: Feier zum Jahre…
Moskau taz | Ein verschneiter Spielplatz, gelbe Klettergerüste und mehr als
50 Kinder. Die Jungen und Mädchen aus dem Kindergarten Nummer 9 in der
Industriestadt Nischni Tagil, knapp 2.000 Kilometer von Moskau entfernt,
stehen in ihren warmen Schneeanzügen und in bunten Bommelmützen in der
Kälte und schwenken russische Fähnchen. „Wir sind für den Präsidenten, f�…
den Sieg und den Ruhm Russlands“, schreien sie.
Irgendjemand hat sie aus der Höhe gefilmt, so lässt sich die Aktion, die
sich die Kindergartenleitung hat einfallen lassen, besser verkaufen: Die
Kleinen formen ein Z. Der lateinische Buchstabe steht im Russland dieser
Tage für die Unterstützung [1][der „Spezialoperation“, unter der der Kreml
seine Taten in der Ukraine ausführt.] Zur Huldigung der russischen Armee
müssen selbst Dreijährige antreten. Quer durchs Land.
Der Kulturpalast von Nischni Tagil postete das Video in seinem
Instagram-Account. Eigentlich ist Instagram in Russland mittlerweile
verboten. Bildungseinrichtungen veröffentlichen auf ihren Internetseiten
und in den sozialen Medien „Reporte“, wie sie die Anforderungen des
Bildungsministeriums – in Russland Aufklärungsministerium genannt –
umsetzen.
Im Kindergarten Nummer 2 in Kalininsk in der Region Saratow haben die
Erzieher*innen zwölf Kinder in zwei Reihen hingesetzt und jedem von
ihnen ein DIN-A4-Blatt mit einem orange-schwarzen Z in die Hand gedrückt.
In Nowowoskresenka bei Nowosibirsk halten zwei Jungen und zwei Mädchen ein
mit Fingerfarben bemaltes Z in Weiß-Blau-Rot in den Händen. Im Kindergarten
Nummer 111 in Sankt Petersburg präsentieren die Erzieher*innen eine
„patriotische Ausstellung“ ihrer Schützlinge: Panzer aus Eierkartons,
Panzer aus Streichholzschachteln, Panzer aus Buntpapier. Ein Putin-Porträt
hängt an der Tür, darüber ein Z, daneben steht eine Puppe.
## Auch im Klassenzimmer läuft es „nach Plan“
Die Sprecherin des russischen Außenministeriums, die stets streitlüsterne
Maria Sacharowa, hatte vor einigen Tagen Moskauer Lehrer*innen zu einem
Online-Treffen gebeten. Das Thema: „Die Sicht der russischen Behörden auf
die Situation in der Ukraine“. Lehrer*innen sollen in ihren Klassen
lediglich die offizielle Sicht der Dinge an ihre Klassen weitergeben,
lautete Sacharowas Aufforderung: Die russische „Spezialoperation“ zur
„Entnazifizierung und Entmilitarisierung“ der Ukraine laufe „nach Plan“.
So sagt es auch Russlands Präsident Wladimir Putin immer wieder. Was dieser
Plan letztlich ist, sagt er nicht. Dafür arbeitet das
Aufklärungsministerium an weiteren Plänen, den offiziell nicht
existierenden Krieg in der Ukraine ins Schulleben einzubeziehen. Der
frühere Bildungsminister und jetzige Verhandlungsführer der russischen
Seite, Wladimir Medinski, hat da ganz eigene Ideen.
Der Mann, der den Schlächter Stalin lobt und sich in seinen angeblich
geschichtlichen Arbeiten wenig um Quellen schert, will die erste
Schulstunde mit einem Gebet anfangen lassen: auf den Ruhm Russlands. Das
Aufklärungsministerium prüft nun seinen Vorschlag, wonach auch die
russische Flagge besungen werden soll.
Ein Zeichentrickfilm eines kremlloyalen Senders will in zweieinhalb Minuten
erklären, was zwischen Russland und der Ukraine passiere. „Wanja und Kolja
waren beste Freunde“, heißt es darin. „Alles machten sie zusammen. Dann
aber wechselte Kolja (ein Junge in den Farben der ukrainischen Flagge) in
eine andere Klasse und wollte sich fortan Mykola nennen. Er hatte neue
Freunde gefunden (ein Junge in den Farben der US-amerikanischen Flagge ist
dabei zu sehen). Er fing an, andere zu verhauen, angestiftet von seinen
neuen Freunden.
## Militarismus von klein auf
Wanja (ein Junge in den Farben der russischer Trikolore) nahm ihm
schließlich den Stock weg, damit er niemanden mehr schlägt. Aber Kolja
heulte laut, so sahen alle drumherum in Wanja den Schuldigen. Dabei wollte
Wanja nur Frieden für alle.“ So ähnlich verhalte es sich zwischen den
Brudervölkern Russland und der Ukraine, sagt die Stimme danach und verkauft
den russischen Angriff auf sein Nachbarland als Friedensmission.
Der Militarismus von klein auf ist nicht neu in Russland. Patriotische
Erziehung ist bereits im Kindergarten Teil der Erziehungsarbeit. In den
staatlichen Schulen gehört der Patriotismus-Unterricht zum Lehrplan. Seit
einigen Tagen steht dabei auch neues Videomaterial zur Verfügung: eine
offene Stunde unter dem Namen „Die Verteidiger des Friedens“. Wobei das
russische Wort für „Frieden“ genauso lautet wie das russische Wort für
„Welt“. Somit lässt es sich mit dem Begriff spielen.
Die offene Stunde ist eine Propagandaveranstaltung für Kinder ab sechs. Da
sitzt die zwölfjährige russische Sängerin Sofia Chomenko im Studio und sagt
mit ihrer hellen Stimme: „Lasst uns über alles sprechen, was uns dabei
helfen wird, herauszufinden, was gerade los ist.“ Sie hat „Experten“
eingeladen. Einen Moderator, der bei Putins Allrussischer Volksfront
mitmischt, einst zu Wahlkampfzwecken gegründet, und einen Militärexperten,
der, wie Russlands unabhängige Journalist*innen herausfanden, als Beleg
seiner „Expertise“ nie etwas publiziert hat.
Sofia also stellt vermeintlich naive Fragen: Dürfen denn russischsprachige
Ukrainer kein Russisch mehr sprechen? Hat denn alles mit dem Zerfall der
Sowjetunion angefangen? Sind die USA denn eine wahrhaftige Bedrohung?
## Kritischen Lehrkräften droht Haft
Die „Experten“ erklären der Schülerin, dass die Orange Revolution in der
Ukraine eine „Generalprobe“ für die Bedrohung Russlands gewesen sei,
sprechen über den acht Jahre andauernden „Terror“ in den sogenannten
Volksrepubliken im Donbass, legen nahe, dass die Nato Moskau „einkreise“
und sagen das, was das russische Staatsfernsehen Tag für Tag sagt: „Die
Spezialoperation hat das Ziel, die Ukraine zum Frieden zu zwingen.“ Nach
einer halben Stunde nickt Sofia und sagt: „Ich fange an, die Logik zu
sehen.“
Vor allem zum [2][Jahrestag der russischen Annexion der ukrainischen
Halbinsel Krim], die Moskau als „Heimholung“ bezeichnet, häuften sich die
„Friedensstunden“ in den Schulen. Schulleitungen bekamen vom
Aufklärungsministerium ganze Handbücher mit möglichen Fragen der
Schüler*innen und den offiziellen Antworten darauf.
„Was denkt ihr, warum Präsident Putin eine solche Entscheidung getroffen
hat? Erinnert euch an die Geschichte. Russland ist stets als
Sicherheitsgarant der Ukraine aufgetreten. Lässt sich das Handeln unseres
Landes denn nicht als Hilfe des Älteren für den Jüngeren beschreiben?“,
steht darin. Zudem wird sogleich darauf verwiesen, welchen Quellen zu
vertrauen sei: dem russischen Präsidenten, der russischen Regierung, der
Website des russischen Verteidigungsministeriums und den staatlichen
Medien.
„Politische Pädophilie“ nennen Kritiker*innen die Methoden. Manche
Lehrer*innen wehren sich gegen die aufgezwungenen „Friedensstunden“ und
veranstalten lieber Teetrinkrunden mit ihren Schüler*innen. Manche
schreiben kritische Posts in den sozialen Netzwerken und werden von ihren
Direktor*innen zur Kündigung aufgefordert.
Der 28-jährige Geografie-Lehrer Kjamran Manafly aus Moskau machte seinen
Fall publik. Er hatte bei Instagram ein paar Zeilen veröffentlicht, hatte
geschrieben, dass er nicht der Spiegel staatlicher Propaganda sein wolle.
Die Direktorin der Moskauer Schule Nummer 498 hatte ihn daraufhin
aufgefordert, den Post zu löschen, er weigerte sich, sie drohte, ihn für 15
Jahre ins Gefängnis bringen zu lassen.
So erzählte er es später russischen Medien, die im Land längst gesperrt
sind. Da war er bereits ins Ausland geflüchtet, aus Angst vor dem Zugriff
der Strafermittlungsbehörden. Auch Eltern wehren sich gegen die
Indoktrination ihrer Kinder und nehmen sie aus den Schulen. Sie beziehen
sich auf das russische Schulgesetz, das die Beschulung der Kinder zu Hause
problemlos erlaubt – noch.
Politische Agitation in den Bildungseinrichtungen ist laut dem Schulgesetz
verboten. Eigentlich. In so manchen Kindergärten lernen die Kleinen derweil
Gedichte, die auf eine ganz andere Realität schließen lassen: „Die Jungs in
unserem Kindergarten sind echte Soldaten. Sie spielen den ganzen Tag Krieg
und beschützen die Mädchen.“
31 Mar 2022
## LINKS
[1] /Russlands-neue-Militaerstrategie/!5841438
[2] /Nationalistische-Feier-in-Moskau/!5842594
## AUTOREN
Inna Hartwich
## TAGS
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Antimilitarismus
Russland
Unterricht
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Lesestück Recherche und Reportage
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Verstrahlung
Lüneburg
Lesestück Recherche und Reportage
Russland
Fake News
## ARTIKEL ZUM THEMA
Neue Propaganda-Clips aus Russland: Worte wie Salven
Russland wähnt sich in einem neuen Propagandaclip im Besitz der einzigen
Wahrheit. Darin wird die Rote Armee im Zweiten Weltkrieg zur Referenz.
Ukrainische Schüler in Deutschland: Ihr Blick geht nach vorne
Denys und Illia sind Cousins. Sie sind aus der Ukraine geflüchtet. Der eine
besucht eine Willkommensklasse, der andere nimmt am Fernunterricht teil.
NGO-Mitarbeiterin zur Arbeit in Russland: „Sehe alles sehr pessimistisch“
Russland will die Heinrich-Böll-Stiftung für „unerwünscht“ erklären. Das
hätte weitreichende Folgen, sagt Stefanie Harter, die das Moskauer Büro
leitet.
Russische Truppen in Tschernobyl: Soldaten womöglich verstrahlt
Russische Truppen sollen ungeschützt im radioaktiv belasteten Tschernobyl
unterwegs gewesen sein. Wussten sie nichts vom Super-GAU 1986?
Drama „#diewelle 2022“ in Lüneburg: „Es geht jeden an“
Ganz auf Nähe setzt die Dramatisierung von Morton Rhues „Die Welle“. Im
Lüneburger e-novum wird sie von Jugendlichen gespielt.
Rassismus als Propagandawerkzeug: Da läuft was falsch
Seit Kriegsbeginn wird von Angriffen auf russischsprachige Menschen in
Deutschland berichtet. Aber darunter mischen sich Falschmeldungen.
Journalist:innen in Russland: „Permanente Anspannung“
Wegen des Ukrainekriegs verschärft Russland die Unterdrückung der freien
Presse. Einige Journalist*innen verlassen deswegen ihre Heimat.
Fake-Video über vermeintliche Tötung: Virale Desinformation
Im Netz verbreitet sich ein Video über die angebliche Tötung eines Mannes
durch Ukrainer. Es kommt von einer selbst ernannten „Friedensjournalistin“.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.