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# taz.de -- Drama „#diewelle 2022“ in Lüneburg: „Es geht jeden an“
> Ganz auf Nähe setzt die Dramatisierung von Morton Rhues „Die Welle“. Im
> Lüneburger e-novum wird sie von Jugendlichen gespielt.
Bild: Hitlerjugend Jungvolk, 1943: Ordnung und Disziplin macht Jugendliche gef�…
taz: Frau Hasselbrink, Sie haben das Stück in „#diewelle 2022“ umbenannt.
Mussten Sie so viel aktualisieren?
Edina Hasselbrink: Jein. Das Stück von Jochen Strauch, mit dem wir hier
arbeiten, heißt eigentlich „#diewelle 2020“, [1][weil es da Uraufführung …
Berliner Grips-Theater hatte]. Es basiert auf dem berühmten Roman von
Morton Rhue und aktualisiert ihn. Uns war wichtig, es so nah an uns
heranzuholen, wie möglich. Dafür haben wir den Titel geändert, die
aktuellen politischen Ereignisse, die im Text vorkommen, durch Themen
ersetzt, die gegenwärtig eine Rolle spielen. Und wir haben es an Lüneburg
angepasst.
An Lüneburg?!
Ja, klar: Bei Strauch spielt das Stück in Berlin. Da könnte man sich hier
nachher zurücklehnen und sagen, ach, Berlin, das ist weit weg, das geht
mich nichts an. Aber das ist falsch: Es geht jeden an. Kaum einer ist davor
gefeit.
Der Stoff basiert auf dem Versuch eines US-Highschool-Lehrers, seinen
Schüler*innen klarzumachen, wie sich der NS-Terror durchgesetzt hat.
Sollte man diese [2][zweifelhafte Experimentalpädagogik abfeiern]?
Auf keinen Fall. Das tun wir auch nicht. Die Lehrerin – bei Strauch ist es
eine Lehrerin, die den Versuch durchführt – verliert erkennbar die
Kontrolle. Sie wird davon selbst mitgerissen, unter anderem weil die Kids
eben nicht aufhören. Und sie richtet sich in der Rolle der Führerin ein.
Erst in dem Moment, in dem ihre Frau und ihr Rektor sie darauf hinweisen,
wie sehr die Lage ihr bereits entglitten ist, kann sie da wieder
ausbrechen.
Es geht also weniger um die historische Genese von Faschismus, als um eine
Dimension von Gesellschaft?
Ja, absolut. Es geht darum, was eine Gruppe ist, wie sie entsteht und wie
sie, durch Abgrenzung und starre Regeln, zu Gewalt verführen kann. Dabei
fängt alles so harmlos mit gruppenbildenden Spielen an. Ähnlich wie bei uns
im Theater…
Weil man um gemeinsam Theater zu machen erst zum Team werden muss?
Genau: Wenn wir anfangen zu Proben, gehört die Bildung eines starken
Gemeinschaftsgefühls dazu. Und dann sieht man im Stück plötzlich, wohin das
führen kann. Das wirft Fragen auf, die uns alle beschäftigen: Gerade jetzt
in der Endprobenphase nehmen die Diskussionen darüber immer mehr zu.
Allerdings habe ich auch den Eindruck, dass meine Spieler*innen hier
viel zu aufgeklärt und zu informiert sind, um so verführbar und
manipulierbar zu sein. Die Jugendlichen wissen sehr genau: Das ist alles
falsch, was da geschieht, hier müsste das Experiment abgebrochen werden.
Und das ist eine Frage der Informiertheit?
Ja, das sehen Sie ja gegenwärtig sehr deutlich an Russland, wo Putin sein
ganzes Volk von Informationen abschneidet, damit sich kein Widerstand
bildet. Aber das kann ich auch aus eigener Erfahrung sagen: Ich bin in der
DDR aufgewachsen, einerseits mit einem sehr stark gelenkten Zugang zu
Informationen, [3][der selbst die Sachaufgaben im Mathematikbuch erfasst
hat]. Über diese Lenkung denkt man, wenn man ihr ausgesetzt ist, überhaupt
nicht nach. Andererseits hat man ein Bewusstsein, dass man bestimmte Dinge
nicht nach außen trägt: Man hat die Gefahr verinnerlicht, dass man damit
ernste Folgen auf sich ziehen könnte. Die Angst das dann etwas passiert,
dass man bestraft wird – das ist die Macht der totalitären Gruppe.
31 Mar 2022
## LINKS
[1] https://www.grips-theater.de/de/stuecke/welle/27
[2] https://libcom.org/article/third-wave-1967-account-ron-jones
[3] https://enquete-online.de/
## AUTOREN
Benno Schirrmeister
## TAGS
Lüneburg
Kinder- und Jugendtheater
Faschismus
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Experiment
Gymnasium
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