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# taz.de -- FAQ zu Gaspreisen: Warum ist das Gas knapp?
> Dass Gas teuer ist, hat nicht nur mit Putin zu tun. Was Deutschland
> machen kann, welche Alternativen es gibt und warum erst mal niemand
> frieren muss.
Bild: Hier fließt bald russisches Gas: Bauarbeiten an einer Gaspipeline bei Pa…
1 Warum ist das Gas knapp?
Erinnert sich noch jemand an die vielen schönen Frühlingstage im letzten
Jahr? Nein, natürlich nicht. Es gab ja kaum welche. Der Mai 2021 war der
kälteste seit 2010, es schien selten die Sonne und es regnete
außergewöhnlich oft. Weil der Winter so lange anhielt, mussten die
Deutschen mehr heizen als sonst. Dazu kam, dass nach dem ersten Coronajahr
die Konjunktur wieder anzog und die Industrie mehr Energie benötigte.
Unterm Strich lag der Gasverbrauch über das ganze letzte Jahr gerechnet so
hoch wie zuletzt im Jahr 2006.
Auf den langen Winter folgte auf dem Gasmarkt ein ungewöhnlicher Sommer:
Normalerweise nutzen die europäischen Energieunternehmen die Zeit bis zum
Herbst, um ihre Gasspeicher nachzufüllen. Im besten Fall sind die
Kapazitäten dann wieder zu nahezu 100 Prozent ausgelastet. Dieses Jahr
geschah das nicht. Der Gaspreis auf den internationalen Märkten war hoch,
unter anderem, weil auch anderswo die Industrie wieder hochfuhr und
Russland nach einem ebenfalls harten Winter seine eigenen Speicher
auffüllte. Die Unternehmen warteten auf fallende Preise, die aber nicht
kamen, sodass Deutschland mit einem Speicherstand von gerade mal 72 Prozent
in den Winter ging. Und jetzt bleibt der Nachschub größtenteils aus, weil
Russland als Hauptherkunftsland gerade mal so viel Gas liefert, wie es
muss.
2 Benutzt Putin das Gas als Druckmittel?
Europäische Unternehmen haben mit dem russischen Staatskonzern Gazprom für
einen Teil ihres Bedarfs langfristige Verträge abgeschlossen. Bisher
erfüllt Gazprom diese Verpflichtungen. Allerdings liefert der Staatskonzern
nur so viel Gas, wie vereinbart wurde – und nicht wie in der Vergangenheit
bei Bedarf auch mehr, trotz der sehr hohen Marktpreise. Dahinter stecke
System, meint EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. „Russland
nutzt Gaslieferungen als Druckmittel“, sagte sie in einem Interview [1][mit
dem Handelsblatt.] Einen Beweis für diese Behauptung ist die ehemalige
deutsche Verteidigungsministerin allerdings schuldig geblieben. Ihre
Beamten prüfen bereits seit Monaten, was sich wirklich am Gasmarkt abspielt
und ob Gazprom die Preise manipuliert – bisher ohne Ergebnis.
3 Was müsste passieren, damit Putin den Gashahn ganz zudreht?
Dafür müsste es wohl erst zum Krieg mit der Ukraine kommen – und als
Reaktion des Westens zum endgültigen Aus für die umstrittene Ostseepipeline
[2][Nord Stream 2]. Der Kremlchef behauptet, dass er keinen Krieg wolle,
und er fordert die sofortige Inbetriebnahme von Nord Stream 2. Eine
Unterbrechung der russischen Gaslieferungen wäre daher wohl nur als
Gegenreaktion auf westliche Sanktionen zu erwarten. Den Worst Case am
Gasmarkt würden die USA und die EU also letztlich selbst herbeiführen.
Doch selbst für diesen Fall rechnet man in Brüssel nicht mit einem
vollständigen Stopp der Gaszufuhr. „Ich glaube, das liegt nicht in
Russlands Interesse“, antwortete von der Leyen auf eine entsprechende
Frage. Schließlich profitiere Putin von den Einnahmen aus dem Gasgeschäft –
mit einem Embargo würde er sich selbst schaden. Zwei Drittel der Einnahmen
Russlands stammen aus Gas- und Ölexporten, und davon wiederum gehen zwei
Drittel nach Europa. Deshalb haben beide Seiten ein Interesse, den Schaden
zu begrenzen.
4 Sitzen wir bald alle in kalten Wohnungen?
Wohl nicht, keine Sorge. Die deutschen Gasspeicher sind mittlerweile zwar
nur noch zu rund 36 Prozent gefüllt. Das müsste aber für den Rest des
Winters reichen – selbst für den unwahrscheinlichen Fall, dass Russland die
Gaslieferungen doch noch komplett einstellt. Der [3][Brüsseler Denkfabrik
Bruegel] zufolge könnten die EU-weiten Reserven höchstens dann bis Ende
März ausgehen, wenn zusätzlich auch noch die Temperaturen extrem sinken.
Langfristig wären anhaltend niedrige Lieferungen aber ein Problem – der
nächste Winter kommt schließlich garantiert. 2020 kamen immerhin 55 Prozent
der deutschen Gasimporte aus Russland. Es gibt also eine gewisse
Abhängigkeit.
5 Woher könnte Ersatz kommen?
Über diese Frage unterhalten sich die EU und die USA bereits seit einigen
Wochen. Als Erstes ging US-Präsident Joe Biden an die Öffentlichkeit. Die
USA seien im Gespräch mit großen Energiekonzernen und wichtigen
Produzentenländern in aller Welt, um die Gasversorgung in Europa zu
sichern, kündigte er an. Kurz darauf folgte eine gemeinsame Erklärung von
Biden und von der Leyen, in der es vor allem um Flüssiggas geht, das in
Tankern transportiert werden kann, dafür aber teuer ist.
Die CDU-Politikerin, die sich sonst gern den „European Green Deal“ auf ihre
Fahnen schreibt, erklärte sich bereit, auch das klimaschädliche Frackinggas
aus den USA zu kaufen. Auf Details hat man sich aber noch nicht geeinigt.
Dies soll bei einem Treffen des EU-US-Energierats am Montag in Washington
nachgeholt werden. Auch beim US-Besuch von Bundeskanzler Olaf Scholz am
Montag wird das Thema Gas eine Rolle spielen.
Die EU bemüht sich auch um zusätzliche Lieferungen aus Katar und
Aserbaidschan. Allerdings haben beide Länder erklärt, dass sie das
russische Gas nicht vollständig ersetzen können. So ist die Trans Adriatic
Pipeline (TAP), die von Aserbaidschan nach Südosteuropa führt, bereits zu
mehr als 80 Prozent ausgelastet. Ein Ausbau brauche Zeit, so der
aserbaidschanische Botschafter in London, Elin Suleymanov. „Es läuft nicht
so, dass jemand vorbeikommt und sagt ‚Gib mir mehr Gas‘“. Auch der Emir v…
Katar, Tamim bin Hamad al-Thani, dämpft die Hoffnungen. Sein Land, immerhin
Weltmarktführer beim Flüssigerdgas LNG (Liquified Natural Gas), könne eine
mögliche russische Versorgungslücke nicht kompensieren, sagte er. Die
Europäer sollten daher lieber auf Diplomatie setzen.
6 Was halten die Grünen vom Flüssiggas?
Die Grünen stehen, kaum in die Regierung eingetreten, vor einem kleinen
Dilemma. In ihrem Wahlprogramm hatten sie noch dafür geworben, keine
Hafenterminals zur Anlandung von Flüssiggas zu genehmigen. Sie lehnen es
vor allem ab, das besonders klimaschädliche Frackinggas aus den USA per
Schiff nach Europa zu transportieren. Eigentlich.
Wirtschaftsminister Robert Habeck deutete angesichts der aktuellen Lage im
Bundestag bereits eine Abkehr von der bisherigen Haltung an. „Wir brauchen
eine höhere Unabhängigkeit von einem Lieferanten; wir werden also den
Gaseinkauf diversifizieren und auch eigene Infrastrukturen dafür schaffen
müssen“, sagte er Ende Januar. Eine Option sei eine neue Pipeline aus
Nordafrika. Und wenn das nicht klappt? „Wenn das nicht der Fall ist, muss
man LNG einkaufen.“
Weil das fehlende russische Gas in diesem Winter bereits teilweise durch
Flüssiggas ersetzt wurde, sind die europäischen Hafenkapazitäten dafür
aktuell schon stark ausgelastet. In Deutschland, bislang ohne LNG-Terminal,
gibt es schon länger vage Baupläne, zum Beispiel in Brunsbüttel an der
Mündung der Elbe in die Nordsee. Kanzler Scholz ist für den Bau, sein Vize
Habeck zeigt sich zumindest offen dafür – und auch für eine staatliche
Co-Finanzierung.
7 Was kann die Bundesregierung noch machen?
Bisher hat sich Deutschland komplett auf die Märkte verlassen. Die
Konsequenz ist jetzt zu sehen. Beim Erdöl sieht es anders aus, hier gibt es
eine staatliche Reserve, die für 90 Tage den Ausfall aller Importe
kompensieren könnte. Beim Gas gibt es wegen der aktuellen Krise jetzt auch
entsprechende Überlegungen. Eine Option wären staatliche Speicher, eine
andere Vorgaben an die privaten Unternehmen, immer eine bestimmte
Notreserve vorzuhalten. Das Wirtschaftsministerium prüft aktuell die
Möglichkeiten. „Wir dürfen nicht noch einmal in so eine Situation
reinlaufen, wie wir sie jetzt erlebt haben. Das wäre wirklich fahrlässig“,
sagt Habeck.
6 Feb 2022
## LINKS
[1] https://www.handelsblatt.com/politik/international/ursula-von-der-leyen-im-…
[2] /Nord-Stream-2/!5829572
[3] https://www.bruegel.org/2022/01/can-europe-survive-painlessly-without-russi…
## AUTOREN
Eric Bonse
Tobias Schulze
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Ukraine
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