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# taz.de -- Verhandlungsoption der EU: Ein Klimadeal mit Russland
> Russland hat mit dem Export von Öl und Gas nur auf absehbare Zeit eine
> sichere wirtschaftliche Existenz. Die EU kann Russland Alternativen
> bieten.
Bild: Bau der EUGAL Pipeline 2019 in Mecklenburg
Es ist erstaunlich! Im Zusammenhang mit dem Ukraine-Konflikt wird über die
Versorgung von Deutschland mit Gas und die Pipeline Nord Stream 2 und
Kohlegruben im Osten der Ukraine geredet, was in Zeiten des Klimawandels
recht seltsam anmutet. Warum verhandeln Annalena Baerbock oder Emmanuel
Macron mit Russland stattdessen nicht über handfeste langfristige
ökologische und ökonomische Lösungen. Die EU und gerade Deutschland können
Russland viel bieten, wenn sie es klug anstellen.
Die Ausgangssituation für Russland ist extrem schwierig. Die russischen
Exporte resultieren in den letzten Jahren zu fast zwei Dritteln aus dem
[1][Export von fossilen Rohstoffen]. Mit den Einnahmen aus dem Erdgas für
unsere Heizungen bezahlt Russland die Importe von Maschinen und
Konsumgütern aus Deutschland. Die drei mit Abstand größten russischen
Konzerne [2][Gazprom, Lukoil und Rosneft] produzieren Öl und Gas. Im
russischen Staatshaushalt bringen die Steuern und Zölle auf fossile
Energien [3][fast die Hälfte der Einnahmen].
Als in den 1990er Jahren diese Einnahmen wegfielen, konnte der damalige
Präsident Boris Jelzin die Renten nicht mehr bezahlen. Das Renommee von
Putin basiert nicht zufällig auf der Renationalisierung großer Teile der
Energiewirtschaft, die nach der Perestroika privatisiert worden war. Auch
wenn die Renten nicht hoch sind und Millionen von Rentnern durch Nebenjobs
etwas dazu verdienen müssen, hat Putin zumindest dafür gesorgt, dass die
Renten pünktlich bezahlt werden.
Mittlerweile wurden aus den Öl- und Gas-Einnahmen sogar über 150 Milliarden
Dollar in einem sogenannten Wohlfahrtsfonds zurückgelegt, der auch als
geheime Kriegskasse dient und sicherstellt, dass Russland im Falle von
Sanktionen zahlungsfähig bleibt. Noch setzt Russland auf steigende fossile
Exporte. Nach der [4][Energiestrategie von 2020] soll der Export von Kohle
bis 2035 um 20 bis 90 Prozent zunehmen, der von Erdgas um 50 bis 100
Prozent.
## Vorerst keine Klimaschutzmaßnahmen
Dies soll durch erhöhte Förderung und durch den Ausbau der Atom- und
Wasserkraft für die heimische Energieversorgung ermöglicht werden. Dagegen
kommen Wind- und Solarenergie in den Planungen schlicht nicht vor. Und was
ist mit dem Klimaschutz? Russland hat zwar das Pariser Abkommen
unterschrieben, plant aber kaum Klimaschutzmaßnahmen und beruft sich
darauf, dass sich durch die Perestroika die CO2-Emissionen seit 1990
halbiert haben.
Eine Senkung der Emissionen ist bislang nur durch Aufforstungsmaßnahmen
vorgesehen. Die Emissionen der Energiewirtschaft bleiben nach dem Protest
der Konzerne Gazprom und Co. unangetastet. Bis 2030 sollen die Emissionen
nach der aktuellen Planung sogar um 50 Prozent zunehmen. Erst für die Zeit
danach hat Putin eine Senkung versprochen.
Was also kann Russland der EU bieten, wenn die Gas- und Ölexporte nicht
mehr benötigt werden? Und was kann die EU bzw. Deutschland Russland
anbieten? Das „[5][Handbuch Klimaschutz]“ rechnet auf Basis der vorhandenen
wissenschaftlichen Studien damit, dass Deutschland bis 2040 maximal 1.200
Terawattstunden Primärenergie – davon 90 Prozent Strom aus Solar- und
Windkraftwerken – bereitstellen kann. Damit kann der heimische Strombedarf
mehr als abgedeckt werden.
Trotzdem wird Deutschland weiterhin ein Drittel der Primärenergie
importieren müssen. Dabei geht es nicht um Strom, sondern um grünes Kerosin
für den Flugverkehr, grünen Treibstoff (voraussichtlich Methanol) für die
Schifffahrt, grünes Naphta (Rohbenzin), Ammoniak und andere Rohstoffe für
die chemische Industrie. Als Lieferanten kommen solche Regionen in Frage,
in denen günstig in großen Mengen mit Wind und Sonne erneuerbarer Strom
produziert werden kann.
Abu Dhabi, Marokko und Jordanien sind schon besonders aktiv und
veranstalten regelmäßig internationale „Desertec-Konferenzen“, wo
Regierungen, Forschungseinrichtungen und internationale Konzerne die
Zukunft ohne Kohle, Öl und Gas planen. Aus Deutschland sind unter anderem
Siemens, EON, Thyssen-Krupp und die Fraunhofer-Gesellschaft beteiligt.
## Reichlich Sonne und Wind
Russland hat große Gebiete mit hohen Windgeschwindigkeiten am Weißen Meer,
insbesondere auf der Halbinsel Kola, sowie in den Steppen zwischen Rostow
am Don und dem Kaspischen Meer. Südrussland hat naturgemäß auch eine hohe
Sonneneinstrahlung durch die südliche Lage und das sehr trockene Klima. Die
Ampelregierung könnte den Russen also anbieten, über langfristige Verträge
die Abnahme von Wasserstoff, Strom oder anderen grünen Roh- und
Brennstoffen zu garantieren.
Die Verträge könnten auch durch deutsche Investitionsbeteiligungen
abgesichert werden, die langfristig im Rahmen der Lieferungen abgezahlt
werden. Der Transport der Lieferungen kann über eine gemeinsam finanzierte
Infrastruktur laufen, was beiden Seiten wirtschaftliche Sicherheit
gewährleisten würde. Der Transport in die EU kann entweder in Form von
Strom über Hochspannungsgleichstromleitungen erfolgen.
Als Alternative kommen [6][Pipelines für grüne Rohstoffe] wie Wasserstoff,
Naphta und Methanol in Frage. Der Transport in Form von Methan sollte nicht
ins Auge gefasst werden, da die Gefahr von Leckagen bei dem extrem
klimaschädlichen Gas zu groß ist. Langfristige wirtschaftliche Beziehungen
sind für beide Seiten nicht nur ökonomisch wichtig.
Sie vergrößern auch die gegenseitige Abhängigkeit, schaffen Vertrauen und
sichern damit den Frieden. Russland braucht dringend eine Perspektive für
die Zeit nach 2030, wenn die Nutzung von fossilen Brenn- und Rohstoffen
ausläuft. Die EU kann sie bieten und zugleich günstige Rohstoffe für den
Flug- und Schiffsverkehr und für die chemische Industrie bekommen. Es ist
ein Win-win-Konzept. Gerade jetzt ist die Gelegenheit günstig, über
langfristige Perspektiven der Zusammenarbeit zu reden.
17 Feb 2022
## LINKS
[1] https://www.weltexporte.de/exportprodukte-russland/
[2] https://www.weltexporte.de/unternehmen-russland/
[3] https://www.bundestag.de/resource/blob/794024/dcecee2d94350a3d30f3cd9a7aed7…
[4] https://www.bpb.de/themen/europa/russland-analysen/2020/308763/analyse-russ…
[5] https://handbuch-klimaschutz.de/anlagen/
[6] https://www.osti.gov/biblio/5584641-transport-methanol-pipeline
## AUTOREN
Karl-Martin Hentschel
## TAGS
Russland
Nord Stream 2
Erneuerbare Energien
Fossile Rohstoffe
Wladimir Putin
klimataz NUR FÜR DAS KLIMAHUB
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