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# taz.de -- Erwärmung der Meere: Tintenfisch und Austern
> Der Klimawandel hat Nord- und Ostsee drastisch verändert. Heimischen
> Arten wird es zu warm, andere sind neu gekommen. Was heißt das für die
> Fischerei?
Bild: Die Meeresspiegel werden nach Schätzungen des Weltklimarates IPCC bis En…
Berlin taz | In der Nordsee gibt es jetzt auch Tintenfische. Ursprünglich
zu Hause sind diese Kopffüßer in warmen Regionen, beispielsweise im
Mittelmeer. Inzwischen allerdings gehen sie Fischern auch im nordöstlichen
Randmeer des Atlantiks immer häufiger ins Netz: Immerhin 300 Kilogramm
Tintenfisch wurden im vergangenen Jahr vor den Küsten Niedersachsens und
Schleswig-Holsteins gefangen, das zeigt die Statistik der Bundesanstalt für
Landwirtschaft und Ernährung.
Grund für diese Entwicklung ist der Klimawandel. „Seit 1962 ist die
Jahresmitteltemperatur der Nordsee um 1,7 Grad gestiegen“, sagt Karen
Wiltshire, Vizedirektorin des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und
Meeresforschung und Leiterin der Außenstelle auf Sylt. „Wir messen,
[1][dass sich die Nordsee doppelt so schnell aufheizt wie die globalen
Ozeane.]“ Vermutlich ist das so, weil die Nordsee relativ flach ist und
viele Flüsse in sie münden.
Die Erwärmung hat aus der Nordsee bereits ein anderes Meer gemacht: Weil
die Temperaturen im Winter nicht mehr so tief sinken, überleben plötzlich
Arten, die dort früher keine Chance hatten. Die Rippenqualle Mnemiopsis
leidyi beispielsweise, die früher in subtropischen Atlantikgewässern
heimisch war, wurde 2006 erstmals vor Helgoland gesichtet und geht seitdem
nicht wieder weg. Die auch als „Meerwalnuss“ bezeichnete Qualle hat in der
Nordsee keine Feinde. Und mittlerweile sind die bis zu zehn Zentimeter
großen Tiere auch in der benachbarten Ostsee heimisch.
Neue Arten, andere Natur – [2][das wird an der Pazifischen Auster
Crassostrea gigas] deutlich. Ursprünglich vor den Küsten Koreas und Japans
zu Hause, setzten Fischer sie erstmals Mitte der 1980er Jahre vor der
friesischen Nordseeinsel Sylt in Drahtkörben im Wattenmeer aus. Damals
glaubten die Züchter, im kalten Wasser der Nordsee könnten die Tiere zwar
wachsen, sich aber nicht fortpflanzen.
## Auster ausgebüxt
Ein defekter Drahtkorb – und der Klimawandel – genügten dann aber, um das
Leben im Wattenmeer komplett umzukrempeln: Die aggressive Ausbreitung der
fremden Art verdrängte die einheimische Miesmuschel. Damit wurden ganze
Nahrungsketten unterbrochen, denn die hier lebenden Enten oder Möwen
ernähren sich von Miesmuscheln. Die dicken, sperrigen Schalen der
Pazifischen Austern können sie hingegen nicht knacken. Miesmuscheln
vermehren sich nur nach eisigen Wintern richtig gut, weil ihre Feinde,
junge Krebse, Kälte nicht ertragen. Aber solche Winter gibt es immer
seltener.
Einst typischen Arten wie dem Kabeljau ist es in Teilen der Nordsee längst
zu warm geworden. Für seine Fortpflanzung braucht der Dorsch, wie er als
Jungtier genannt wird, eine Wassertemperatur von um die drei Grad. Die
findet er hier immer seltener und wandert deshalb nordwärts Richtung
Polarmeer. Wurden vor 20 Jahren noch um die 8.000 Tonnen Kabeljau jährlich
in deutschen Hoheitsgewässern gefischt, so waren es 2023 gerade noch 630
Tonnen.
Noch rasanter ist die Entwicklung beim Hering, einst die von der deutschen
Fangflotte hauptsächlich gefischte Art: Vor 20 Jahren gingen den Fischern
noch gut 35.000 Tonnen Hering in die Netze, 2023 waren es gerade noch 320
Tonnen.
## Die Sardellen kommen
Statt kälteliebender Speisefische wie Makrele oder Seelachs finden die
Nordseefischer zunehmend mediterrane Arten wie Sardellen oder Tintenfische
in ihren Fanggeräten. In der südlichen Nordsee werden Sardinen bereits
gezielt befischt. Aber die wenigen Tonnen, die diese neuen Arten bringen,
können die abgewanderten Arten nicht ersetzen: Wurden in deutschen
Hoheitsgewässern vor 20 Jahren noch 100.000 Tonnen Fisch gefangen, so waren
es im vergangenen Jahr keine 20.000 Tonnen mehr.
In der Ostsee stirbt auch deshalb – und [3][wegen der industriellen
Überfischung vergangener Jahrzehnte] – gerade eine ganze Branche: 1991 gab
es in Mecklenburg-Vorpommern knapp tausend Fischer im Haupterwerb, heute
sind es noch 160. Und es werden Jahr für Jahr weniger. Die Arten, die
kommerziell verwertbar sind, werden immer knapper. „Das sind die Folgen des
Klimawandels“, sagt Christopher Zimmermann vom Thünen-Institut für
Ostseefischerei in Rostock. Beispielsweise laichen die Heringe der
westlichen Ostsee wegen milder werdender Winter heute viel früher, aber im
Januar und Februar finden die Heringslarven noch kein Futter und sterben.
Die Bestände dieser Art sind in den vergangenen Jahren nahezu
zusammengebrochen.
Verschärft werden die Folgen des Klimawandels durch Verschmutzung und die
Überdüngung durch Stickstoff, den Bauern als Gülle oder Kunstdünger auf die
Felder kippen: Was der Boden nicht aufnehmen kann, gelangt in die Flüsse
und schließlich ins Meer. Dadurch und wegen des wärmer werdenden Wassers
vermehren sich die Blaualgen im Sommer explosionsartig. Immer häufiger ist
vor allem der westliche Teil der Ostsee von einem riesigen grünen
Algenteppich bedeckt – mit dramatischen Folgen: Sterben die Algen, sinken
sie zu Boden, wo Bakterien die Reste zersetzen. Dafür brauchen sie aber
viel Sauerstoff, der dann anderen Tieren fehlt – Krebsen, Würmern,
Heringen.
## Todeszone Ostsee
Inzwischen gilt die Ostsee als die weltweit größte [4][Sauerstoffmangelzone
menschlichen Ursprungs,] mehr als 60.000 Quadratkilometer sind tot, eine
Fläche dreimal so groß wie Hessen.
Die [5][Erderhitzung sorgt auch für den Anstieg des Meeresspiegels]. Der
Pegel in Cuxhaven an der deutschen Nordseeküste liegt heute bereits rund 40
Zentimeter höher als zu Beginn der Messungen 1843, an der Ostseeküste in
Travemünde beträgt der Anstieg etwa 20 Zentimeter. Wird ungebremst weiter
immer mehr Treibhausgas produziert, werden die Meeresspiegel nach
Schätzungen des Weltklimarates IPCC bis Ende des Jahrhunderts um bis zu
1,10 Meter höher liegen. Dabei wird auch das Tempo des Anstiegs immer
schneller. Im 20. Jahrhundert betrug die durchschnittliche Rate 1,5
Millimeter pro Jahr, aktuell sind es schon 3,6 Millimeter – also mehr als
das Doppelte. Ende des Jahrhunderts könnten die Meeresspiegel bereits jedes
Jahr 15 Millimeter höher liegen, schätzt der IPCC, und im 22. Jahrhundert
dann um mehrere Zentimeter pro Jahr steigen.
Niederländische Forscher haben deshalb – als Gedankenspiel und Warnung –
das Projekt „Northern Europe Enclosed“ entwickelt. Das ist ein Deich, der
die Nord- und Ostsee vom Atlantik trennen soll, damit sich dessen
steigender Pegel nicht auf die beiden Meere überträgt und die
Anrainerländer geschützt werden. Dafür müssten 637 Kilometer Sperranlagen
gebaut werden, zwischen Norwegen und Schottland sowie zwischen Frankreich
und England, mindestens 50 Meter breit und 100 bis 320 Meter hoch. Auf rund
550 Milliarden Euro taxieren die Wissenschaftler die Kosten. Das allerdings
ist deutlich billiger, als wenn jedes einzelne Anrainerland die Deiche an
seinen Küsten erhöht.
25 Aug 2024
## LINKS
[1] /Folgen-des-Klimawandels/!5982856
[2] /Pazifische-Auster-hilft-der-Nordseekueste/!5969475
[3] /Beruf-Sea-Ranger/!6003784
[4] /Digitale-Ueberwachung-der-Ostsee/!6001544
[5] /Deichgraf-ueber-Umweltschutz/!6028945
## AUTOREN
Nick Reimer
## TAGS
Schwerpunkt Klimawandel
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Borkum
Aale
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