# taz.de -- Erste deutsche Kinderwunschmesse: Glück auf Bestellung | |
> Auf den „Kinderwunsch Tagen“ in Berlin preisen Kliniken und Samenbanken | |
> illegale Praktiken an. Trotzdem läuft das Geschäft gut. | |
Bild: Wenn alles befruchtet und alles bezahlt ist, kann der Klapperstorch den E… | |
BERLIN taz | An einer Ausfallstraße im Berliner Stadtteil Moabit, in einem | |
Hotel zwischen Edeka und Asia-Restaurant mit All-You-Can-Eat-Büfett, wartet | |
die Hoffnung. Sie verdichtet sich hinter den bunt bedruckten Stellwänden | |
der Stände, hängt zwischen spermienförmigen Ballons in der Luft und blickt | |
mit großen blauen Augen von Postern, auf denen steht: „Ihr Traum, Mutter zu | |
werden, beginnt hier.“ | |
Die Hoffnung hat ihren Preis. Je mehr man zahlt, desto höher die Chance, | |
dass der Wunsch sich erfüllt. „Die Schwangerschaftsgarantie gibt es für | |
25.000 Euro“, sagt die Ärztin der Reproduktionsklinik IVF Spain in | |
Alicante, eine resolute Tschechin mit strengem Zopf. Sie sitzt an einem | |
runden Plastiktisch und erledigt Beratungsgespräche im Akkord. In ihrer | |
Klinik gibt es alle Arten von Behandlungen, sagt sie, auch Eizellenspenden | |
sind möglich, was in Deutschland illegal wäre. Die Klinik ist gut | |
vorbereitet auf deutsche Patientinnen, mit TÜV-zertifizierten Standards und | |
Ärzten, die fließend Deutsch sprechen. „Wir haben das auf deutsche Weise | |
organisiert“, sagt sie, „E-Mails beantworten wir innerhalb von 24 Stunden.�… | |
In der Datenbank gebe es alle möglichen Frauentypen, viele Spenderinnen | |
seien Studentinnen, alle Nationalitäten seien vertreten: „Es gibt im Moment | |
viele Ukrainerinnen in Spanien“, sagt die Ärztin, „die sehen aus wie ich, | |
blonde Haare, blaue Augen.“ In der dritten Märzwoche wären noch Termine | |
frei, „bitte tragen Sie hier Ihre Daten ein“. | |
Willkommen bei den „Kinderwunsch Tagen“, der ersten Messe rund ums Thema | |
Reproduktionsmedizin in Deutschland. Der Veranstalter, die britische | |
Agentur F2F, ist auf Verbrauchermessen im Bereich Gesundheit spezialisiert | |
und verspricht auf der Website: „Wir verstehen es, dynamische | |
Live-Erlebnisse zu kreieren und reale Mehrwerte für unsere Teilnehmer und | |
Sponsoren zu gewährleisten.“ | |
## Die Kluft zwischen legal und illegal | |
Was sich den Besuchern für 20 Euro Eintritt öffnet, ist ein flirrendes | |
Panoptikum der Fruchtbarkeit mit über 40 Ausstellern, Kinderwunschkliniken, | |
Samenbanken, Heilpraktikern, Hormonspezialisten und Ernährungsexperten. In | |
Deutschland sind die rechtlichen Grenzen vergleichsweise eng. Es gibt eine | |
Kluft zwischen dem, was möglich ist, und dem, was legal ist. Die | |
Veranstalter wissen das. Die Kluft ist ihre Nische. Die Mehrheit der | |
Aussteller kommt aus dem Ausland, viele bieten Methoden, die in Deutschland | |
verboten sind, Eizellenspende, aber auch Leihmutterschaft. | |
Die Gänge sind am Vormittag gut gefüllt, am frühen Nachmittag bilden sich | |
kleine Schlangen an einigen Ständen. Von rechts und links reichen | |
Angestellte mit Verkäuferlächeln Broschüren, auf den Tischen stehen | |
Pralinen, die niemand anrührt, am Stand der tschechischen Klinik Karlsbad | |
Fertility wird Becherovka ausgeschenkt. „Wenn Sie wollen, ist ein | |
Erstgespräch auch hier in Berlin möglich“, sagt die junge Frau am Tresen. | |
Eine Frau mit schulterlangen Haaren, 45 Jahre alt, blickt um sich auf die | |
Bilder kleiner Babys, perfekte geschlossene Lider, rosa Speckfalten, Haut | |
wie Marzipan. Sie sagt: „Ich hab mich anlocken lassen, vom Namen | |
,Kinderwunsch Tage', weil ich einen Kinderwunsch habe.“ Nun aber ist ihr | |
ein bisschen unwohl. Sie ist gerade erst gekommen; bisher hat sie nur mit | |
der Mitarbeiterin einer niederländischen Samenbank gesprochen. Dort, hofft | |
sie, könne man ihr helfen. „Mein Partner und ich haben seit geraumer Zeit | |
keinen Sex mehr. Trotzdem habe ich einen Kinderwunsch. Da ist die Frage, | |
was kann man tun?“ | |
## Nur das beste Material | |
Zwischen den Ständen flanieren einzelne Frauen und Paare, heterosexuelle, | |
aber auch schwule und lesbische. „Mir ist alles viel zu heteronormativ | |
hier“, sagt ein junger Queermensch mit Undercut, „Transsexuelle wurden mal | |
wieder nicht mitgedacht.“ Vor dem Stand der Klinik Oregon Reproductive | |
Medicine stauen sich ein Dutzend Leute, die auf eine Beratung warten. | |
Das Paar, das gerade an der Reihe ist, wirkt blass und ernst. Die beiden | |
interessieren sich für eine Leihmutterschaft mit gespendeter Eizelle; der | |
Mann redet, die Frau steht still daneben, er fragt: „Wir wollen natürlich | |
sichergehen, dass wir das beste Material bekommen. Wie ist das | |
gewährleistet?“ | |
Die „Kinderwunsch Tage“ haben schon im Vorfeld bundesweit Schlagzeilen | |
gemacht: Der Berufsverband der Frauenärzte teilte mit, dass er die Messe | |
„ausdrücklich nicht“ unterstützt, die Gynäkologen warnten vor unseriöser | |
Geschäftemacherei. Auch die Senatsverwaltung für Gesundheit hatte ihre | |
Bedenken. Ein Sprecher sagt: „Wir befürworten das nicht, dass zum Teil über | |
illegale Praktiken informiert wird, aber wir sehen keine rechtliche | |
Handhabe.“ | |
## Die „Ernte“ von Eizellen | |
Eine Eizellenspende ist ein gravierender Eingriff: Die Frau muss Hormone | |
nehmen, was mit starken Nebenwirkungen verbunden ist. Die „Ernte“ der | |
Eizellen erfolgt unter Vollnarkose. Schätzungen zufolge nehmen jedes Jahr | |
1.000 bis 3.000 Paare aus Deutschland Fruchtbarkeitsbehandlungen im Ausland | |
wahr, im Fachjargon „reproduktives Reisen“. | |
Der Wunsch nach einem Kind ist ein machtvoller Antrieb, ebenso der Wunsch, | |
seine eigenen Wurzeln zu kennen. Daher hat auch der Verein Spenderkinder | |
die Messe scharf kritisiert; Es gehe dort vorrangig um die Erfüllung des | |
Kinderwunsches; ethische Fragen oder die Bedürfnisse der Kinder würden | |
ausgeblendet. In vielen Ländern sind Eizell- und Samenspenden anonymisiert. | |
Das Kind wird also später keine Chance haben, etwas über seine biologische | |
Herkunft zu erfahren. In Deutschland sind seit dem Jahr 2013 keine anonymen | |
Samenspenden mehr möglich. | |
In der Hotellobby ruhen sich zwei Paare aus Brandenburg aus. Die vier | |
wirken müde, sie sind bereits in Behandlung in einem Berliner | |
Kinderwunschzentrum. Hier wollten sie sich über alternative Methoden | |
informieren, über Homöopathie und Akupunktur. Ihre Erfahrungen haben sie | |
desillusioniert. „Da wird Kasse gemacht mit dem Schicksal der Menschen“, | |
sagt einer der Männer. Beide haben zwei künstliche Befruchtungen hinter | |
sich. „Je mehr Versuche man macht, umso mehr steigt die Hoffnung, dass es | |
beim nächsten Mal klappt“, sagt eine Frau. „Man muss irgendwann eine Grenze | |
finden, um nicht kaputtzugehen.“ | |
## „Rein informativer Charakter“ | |
Der Veranstalter agiert in einem heiklen juristischen Spannungsfeld: | |
Werbung für Eizellspenden ist in Deutschland nicht illegal. Dagegen machen | |
sich Mediziner strafbar, wenn sie Patientinnen solche Methoden empfehlen. | |
Die Agentur F2F hatte versichert, die Messe solle „rein informativen | |
Charakter haben“, die Aussteller hätten sich verpflichtet, „werbliche | |
Handlungen“ zu unterlassen. | |
An der Rückwand der fensterlosen Halle sind ein paar Stuhlreihen aufgebaut; | |
kurz vor Mittag versammeln sich dort etwa zehn Frauen. Vor ihnen baut sich | |
eine Yoga-Trainerin auf und ruft: „Wir denken jetzt liebevoll an unseren | |
rechten Eierstock und atmen ein.“ An ihrem Stand gegenüber gibt es CDs mit | |
„Kinderwunsch-Yoga“ für 20 Euro zu kaufen. | |
Wie die Erfolgsquote ist? „Auch nicht schlechter als bei den ganzen | |
Künstlichen“, sagt sie und deutet mit einem Kopfnicken durch die Halle. Oft | |
sagen die Frauen ihr auch: Ich bin zwar nicht schwanger, aber wieder | |
glücklicher. „Yoga kann dazu beitragen, das Leben aus einer anderen | |
Perspektive zu sehen, und plötzlich klappt es dann auch mit dem Kind.“ | |
## Mittel aus Menstruationsblut | |
Es gibt auch nicht vorrangig profitorientierte Anbieter, Beratungsangebote | |
für Regenbogenfamilien, eine Organisation, die die Vermittlung von | |
Pflegekindern unterstützt. Sonst aber wirkt die Messe wie ein Jahrmarkt der | |
Fruchtbarkeiten, wo es so gut wie alles gibt, Kräuter-Tinkturen, die den | |
Östrogenhaushalt in Schwung bringen sollen, Mittel, die aus | |
Menstruationsblut individuell hergestellt werden, und Swim Count, den | |
Fruchtbarkeitstest für den Mann. | |
Die Anbieter rivalisieren um Aufmerksamkeit: Eine ukrainische Klinik bietet | |
Gutscheine für eine Gratisuntersuchung, man muss nur seine Daten in ein | |
Formular eintragen, bei Karlsbad Fertility gibt es 5 Prozent Rabatt für | |
alle, die Namen und Kontakt hinterlassen. | |
Die zwei Männer, die ihren Rundgang gerade beenden, sind schon weiter als | |
die meisten anderen hier: Ihre Behandlung in Oregon hat bereits begonnen. | |
Sie wünschen sich Zwillinge, ihrer Leihmutter sollen zwei Embryonen | |
eingesetzt werden, jeweils befruchtet von einem der beiden. „Wir finden es | |
super, dass es diese Messe gibt“, sagt der jüngere der beiden, ein 31 Jahre | |
alter Psychotherapeut. | |
## Eine Leihmutter als gute Fee | |
Sein Partner, zwei Jahre älter und Ingenieur, fügt an: „Viele Schwule | |
können sich immer noch nicht vorstellen, dass sie Kinder haben können.“ | |
150.000 Euro wird ihr Familienglück kosten. Hemmungen, eine Leihmutter zu | |
nehmen, haben sie nicht: „Der Impuls der Frauen ist in erster Linie | |
altruistisch: Die wollen anderen Paaren helfen.“ | |
Viele der Kliniken bemühen das Bild der selbstlosen Frau, die aus Güte | |
handelt. Tatsächlich werden Leihmütter und Eizellenspenderinnen vor allem | |
in armen Ländern rekrutiert. Die zwei Väter in spe sagen, eine | |
Leihmutterschaft sei für sie nun mal der einzige Weg, eine Familie zu | |
gründen. „Wir werden mindestens so gute Eltern sein wie Menschen, die auf | |
natürlichem Weg Kinder kriegen.“ Dann machen sie sich auf den Heimweg, | |
vorbei an zwei Frauen, die vor dem Hotel protestieren, eine im Arztkittel, | |
eine im Osterhasenkostüm, die hält einen Korb mit Eiern und ein Schild: | |
„Wer bringt die Eier?“ | |
An einem der Stehtische am Ausgang hängt die Frau, die keinen Sex mehr mit | |
ihrem Partner hat, ihren Gedanken nach. Ja, der Besuch war hilfreich. Sie | |
hat erfahren, dass sie gar nicht ins Ausland muss, weil sie auch eine | |
deutsche Samenbank in Anspruch nehmen kann. „Mir ist aber auch klar | |
geworden, dass ich am besten eine Paartherapie mit meinem Partner machen | |
sollte.“ Dann packt sie ihre Tüten mit Pröbchen und Broschüren und | |
verschwindet im Strom der Passanten. | |
20 Feb 2017 | |
## AUTOREN | |
Gabriela Keller | |
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