# taz.de -- Lesbisches Paar sucht aktiven Vater: Projekt alternative Familie | |
> Zwei Frauen wollen gemeinsam ein Kind. Statt einen anonymen Samenspender | |
> suchen sie einen aktiven Vater. Doch dieser Weg ist schwierig. | |
Bild: Die Suche nach einem Vater startet im Netz | |
Früher wollte ich nie Kinder. „Die müssen mindestens zehn Jahre alt sein, | |
damit ich mit ihnen was anfangen kann“, habe ich immer allen erzählt. Ich | |
bin jahrelang als Betreuerin auf Jugendfreizeiten mitgefahren. Da waren die | |
Kinder älter als zehn. Trotzdem: Familie war nie ein Thema für mich. Und | |
aufgrund der Tatsache, dass ich lesbisch bin, stellte ich mir das alles | |
auch viel zu schwierig vor. | |
Aber irgendwann Anfang 30 klopfte dann doch diese Mutter Natur an. Ich | |
konnte ihr aber nicht öffnen. Ich hatte mich da gerade frisch getrennt. | |
Als ich dann meine Freundin kennenlernte, war von Anfang an klar, dass wir | |
Kinder möchten. Aber: die Distanz (wir wohnten da noch nicht zusammen), die | |
Fragen, ob der Job sicher genug sei, ob man nicht vorher noch mal etwas | |
anderes gemacht haben möchte, ob man finanziell dafür ausgerüstet ist und | |
so weiter. Wir haben uns dann erst einmal zwei Katzen angeschafft. | |
Und wir haben getestet, ob wir überhaupt zusammenwohnen können. Dadurch und | |
durch zwei Jobwechsel mit Umzug ging Zeit drauf. Was ungünstig ist, denn | |
wenn man anfängt, nach einem potenziellen Vater zu suchen, weiß man ja | |
nicht, wie lange man suchen wird. Wir wollten ja nicht einfach nur einen | |
Samenspender, sondern einen aktiven Vater. Das macht unsere Suche noch | |
komplizierter. Und Mutter Natur hat mittlerweile angefangen Sturm zu | |
klingeln. | |
## Vater-Suche im Netz | |
Zwei Internetportale für alternative Familiengründung versprechen uns | |
Hilfe. Also bezahlen, Profil anlegen, gucken, was so auf dem Markt ist. | |
Lektion eins: Die meisten antworten gar nicht. Lektion zwei: Es melden sich | |
diejenigen bei einem, die man selbst kategorisch ausgeschlossen hat. | |
Heterosexuelle Männer von 18 bis 59, die sich unbedingt fortpflanzen | |
wollen. Manche wollen Geld dafür, viele beteuern, sie wollen einem helfen. | |
Einige wollen eigentlich die Erziehung alleine übernehmen. Und nicht wenige | |
verwechseln die Familienportale mit einer billigen Sex-Börse und betonen, | |
das Ganze ginge nur mit der natürlichen Methode. Es ist frustrierend. | |
Hinzu kommt, dass wir am Start der Suche in einer Kleinstadt in Nordbayern | |
wohnen. Die Wahrscheinlichkeit, jemand Passenden kennenzulernen, ist dort | |
nicht so hoch wie in Berlin oder Köln. Schließlich meldet sich der schwule | |
Michael. Wir mailen, dann telefonieren wir. Als es darum geht, sich zu | |
treffen, meldet sich Michael nicht mehr. | |
Dann lernen wir – nach dem zweiten Umzug – Thorsten kennen. Er ist Anfang | |
30, schwul, und will aktiver Vater sein. Wir richten eine WhatsApp-Gruppe | |
ein. Unsere Treffen verlaufen gut. Wir verstehen uns. Einziger | |
Wermutstropfen: Thorsten ist ziemlich schüchtern. Von ihm kommt nicht viel. | |
Wir sind noch beim Christopher Street Day zusammen und lassen uns am Stand | |
vom Lesben- und Schwulenverband beraten, danach hören wir auch von Thorsten | |
nichts mehr. | |
## Ein neuer Versuch | |
Überforderung? Kalte Füße auf den letzten Metern? Frisch verliebt? Wir | |
verstehen es nicht, fragen aber auch nicht nach. Wenn man ein Kind zusammen | |
will, geht es um Stabilität und Verlässlichkeit. Wer die schon am Anfang | |
nicht leisten kann, scheidet automatisch aus. | |
Dann im Herbst schreibt uns ein Männerpaar an. Und diese Mail hat alles, | |
was wir uns nur wünschen können. Witz, Kompetenz, Eloquenz. Wir sind hin | |
und weg. Nach ein paar Nachrichten hin und her treffen wir uns. Und: Es ist | |
wie sich verlieben. Es passt einfach. | |
Aber: Wir vier sind inzwischen ziemlich alt. Die beiden über 40, ich bin in | |
der Zwischenzeit 40 geworden, meine Freundin 37. Und natürlich kommt die | |
Frage auf, ob es überhaupt noch klappen kann oder ob wir die | |
Reproduktionsmedizin brauchen. Und wenn ja, wie und wo man es am besten | |
anstellt. Der Kinderwunsch ist schließlich ein Riesengeschäft, und wir | |
müssten alles selbst bezahlen. Selten klappt es direkt beim ersten Versuch, | |
in 70 bis 80 Prozent der Fälle gibt man also Geld für eine Dienstleistung | |
ohne Ergebnis aus. | |
Und was, wenn es Komplikationen gibt? Mit diesen Gedanken und Zweifeln | |
stehen wir nicht alleine da, stellen wir überrascht fest. Im Freundeskreis | |
haben viele andere, auch Heteropaare, ebenfalls einen unerfüllten | |
Kinderwunsch und bereits die Hilfe durch ein Kinderwunschzentrum in | |
Anspruch genommen. Teilweise auch als Vollzahler, denn den staatlichen | |
Zuschuss gibt es nur, bis frau 40 Jahre alt ist. Jedes zehnte Paar bleibt | |
ungewollt kinderlos – und die Statistik redet nur von den Heteropaaren. | |
## Fehlschläge sind ein Tabu | |
Und nicht nur erfuhr ich, dass etliche Paare in meinem Freundes- und | |
Bekanntenkreis bereits den Wert eines mittleren Kleinwagens in die | |
Behandlung ihres Kindeswunsches gesteckt haben, sondern dass nicht wenige | |
im Zuge der Behandlung eine schmerzhafte Eileiterschwangerschaft hatten und | |
ihnen jetzt nur noch ein intakter Eileiter zur Verfügung steht. Bei einer | |
Bekannten klappte es endlich, aber dann verlor sie ihr Baby noch im achten | |
Monat. Mit diesem Risiko zu leben, ist schwer und macht Angst. Und es ist | |
noch immer ein Tabu, offen darüber zu reden – über die Behandlung, über die | |
Fehlschläge, über die Verletzungen. | |
Es kommt mir und meiner Freundin daher höhnisch vor, wenn konservative | |
Politiker wie vor Kurzem der Mediziner und Mitglied des Bundestags, Stephan | |
Pilsinger (CSU), mahnen, dass es kein Recht auf Elternschaft gebe: „Leben | |
ist ein Geschenk, nicht ein bestellbares Produkt“, sagte er und stellte die | |
Zahl der Abtreibungen der Diskussion über erweiterte Reproduktionshilfe | |
gegenüber. Als wäre der unerfüllte Kinderwunsch von Paaren nichts wert, | |
weil bei anderen Frauen ungewollte Schwangerschaften entstehen. Was ist | |
denn das für eine Logik? | |
Auch Kommentare im Netz unter Artikeln zur Ehe-Öffnung sagen seit Oktober | |
schreiend, aggressiv und beleidigend: Leute wie wir sollen am besten keine | |
Kinder in die Welt setzen. Aber ich will mich nicht rechtfertigen müssen | |
für meine Lebensplanung. Warum soll mein Kinderwunsch weniger wert sein als | |
der meiner heterosexuellen, verheirateten Nachbarin? Und ich werde mir | |
meine Fähigkeit, eine gute Mutter zu sein, bestimmt nicht von vornherein | |
absprechen lassen – von einem Mann, dessen Fähigkeit, Vater zu sein, auch | |
keiner nachprüft. | |
## Wackelige Gesetzeslage | |
Diese Diskussion ist schon ziemlich schief – und wir sind noch nicht mal | |
beim Kindeswohl angelangt. Denn mit der Ehe-Öffnung gab es leider keine | |
Änderung des Familien- und Abstammungsrechts. Und obwohl der scheidende | |
Justizminister Heiko Maas (SPD) da noch etwas in die Wege geleitet hat – | |
mit der dritten Großen Koalition sieht es nicht so aus, als würde das | |
umgesetzt werden. Absolute Gleichstellung gibt es damit momentan nur für | |
schwule Paare, die nun auch das Recht auf Adoption eines Kindes von außen | |
haben. Aber lesbische Mütter, in deren Partnerschaft ein Kind hineingeboren | |
wurde, werden sich immer noch bis auf Weiteres durch ein unangenehmes | |
behördliches Verfahren wurschteln müssen, bis die Co-Mutter neben der | |
leiblichen als erziehungsberechtigt anerkannt wird – inklusive viel | |
Unsicherheit und Angst. | |
Unsere rechtliche Situation zu viert wäre ohnehin eine andere. Denn die | |
Vaterschaft soll anerkannt werden. Alles andere, etwa die finanzielle | |
Versorgung, was im Trennungsfall passiert oder dass meine Freundin und der | |
Partner des Vaters auch das Recht haben, das Kind vom Kindergarten | |
abzuholen oder zum Arzt zu bringen, wollen wir so weit wie möglich | |
notariell festlegen. Über Wochen bauen wir also unsere Freundschaft aus. | |
Wollen noch mal zusammen wegfahren, um uns auch in möglichen | |
Extremsituationen kennenzulernen. Wir reden auch darüber, wie ein | |
gemeinsames Kind unsere Beziehungen verändern kann. Und ob die Co-Eltern, | |
wenn sie das möchten, auch mal eine Auszeit nehmen können. | |
Vielleicht war das alles zu konkret, wir können nur vermuten. Aber nach | |
mehr als vier Monaten steigen die Jungs aus. Wieder plötzlich, von einen | |
Tag auf den anderen. Wir verlieren nicht nur das Projekt Familie, sondern | |
auch Freunde. „Das fühlt sich an wie eine Fehlgeburt“, sagt meine Freundin. | |
Und die Uhr tickt unbarmherzig weiter. | |
Ich will nicht so werden wie die Protagonistin in dem Film „Zwei Mütter“ | |
von Regisseurin Anne Zohra Berrached. Mit aller Gewalt will die Frau | |
schwanger werden, ist so fixiert darauf, dass sie nicht nur ihre | |
Gesundheit, sondern auch die Beziehung zu ihrer Freundin gefährdet. Ein | |
schwer erträglicher Film. Die Welt geht nicht unter für uns, wenn wir keine | |
Familie gründen können. Weder wird unsere Partnerschaft daran zerbrechen | |
noch wir beide als Personen. Dafür haben wir noch genug andere Interessen, | |
lieben beide unseren Beruf. Und wir werden uns auch nicht dafür finanziell | |
ruinieren. Ich habe ein bezauberndes Patenkind. Wir haben einen Garten | |
gekauft. | |
Und dann sind da ja noch die Katzen. | |
1 Apr 2018 | |
## AUTOREN | |
Kerstin Fritzsche | |
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