# taz.de -- Reform des Abstammungsrechts: Lebensrealitäten sind schon weiter | |
> Die Justizministerin will Regenbogeneltern gleichstellen. Kritik kommt | |
> von Betroffenen, die Opposition sieht den Vorstoß als Zwischenschritt. | |
Bild: Ob zwei Väter, Mütter oder sogar drei Elternteile: Familie kann vielfä… | |
BERLIN taz | Im Konfettiregen feierte Ulle Schauws (Grüne) den | |
[1][Beschluss der Ehe für alle im Bundestagsplenum.] Die Freude über diesen | |
historischen Schritt für die Gleichstellung homosexueller Paare war riesig. | |
Knapp zwei Jahre später allerdings überwiege unter vielen [2][lesbischen | |
Paaren insbesondere mit Kindern die Ernüchterung], sagte Schauws der taz. | |
Eigentlich hätte die Ehe für alle auch die Grundlage für eine | |
Gleichstellung der Elternschaft sein sollen. „Die Ehe für alle ist eben | |
immer noch nicht die Ehe für alle“, kritisiert die frauen- und | |
queerpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion heute. | |
Nun legte Bundesjustizministerin Katarina Barley vergangenen Mittwoch einen | |
Entwurf zur Überarbeitung des Abstammungsrechts vor. Ziel sei die Anpassung | |
des Rechts an „heutzutage gelebte Familienkonstellationen“ und neue | |
Möglichkeiten der Fortpflanzungsmedizin. Eine Arbeitsgruppe hatte rund zwei | |
Jahre an dem Entwurf gefeilt. Mit der Union ist er noch nicht abgestimmt. | |
Grundlegend für Barleys Vorhaben ist weiterhin die „genetisch-biologische | |
Verwandtschaft“. Dennoch soll es beispielsweise lesbischen Paaren möglich | |
sein, von Geburt an als rechtliche Eltern eines Kindes zu gelten. Notwendig | |
sei eine „Dreier-Erklärung“, in der auch der betreffende Samenspender | |
zustimmt. Mit dem „Zwei-Eltern-Prinzip“ wird Elternschaft auch weiterhin | |
beschränkt. Somit müsse eine Entscheidung zwischen Samenspender und | |
sogenannter „Mit-Mutter“ getroffen werden, beide können nicht die | |
Elternschaft anerkennen. Als Mutter gilt uneingeschränkt diejenige Frau, | |
die ein Kind gebärt. Schwule Eltern könnten weiterhin erst durch Adoption | |
vollständig rechtlich Eltern werden. | |
Auch Patchworkfamilien, in denen durch neue Partnerschaften oder | |
Freund*innen mehr als nur zwei Personen Erziehungsarbeit übernehmen, bleibt | |
die Möglichkeit rechtlich gebundener Verantwortung für das Kind verwehrt. | |
Zwar räumt Barleys Entwurf ein, wie wichtig die „sozio-familiäre Beziehung�… | |
sei, behält jedoch starre Grenzen bei. | |
## Der Entwurf bilde nicht alle Lebensrealitäten ab | |
„Längst überfällig und zu begrüßen“, findet Schauws den Entwurf. Denno… | |
müsse diesem Zwischenschritt noch sehr viel mehr folgen. Nicht alle | |
Lebensrealitäten von Menschen in Regenbogen- und Patchworkfamilien würden | |
abgebildet. Die Grünen-Fraktion hatte das Thema durch einen eigenen Entwurf | |
schon 2018 auf die Tagesordnung gesetzt, der unter anderem die | |
Gleichstellung lesbischer Eltern ermöglichen will. | |
Auch die Bundestagsabgeordnete Katrin Helling-Plahr (FDP) vermisst | |
grundlegende Reformen und betitelt den Entwurf als | |
„öffentlichkeitswirksamen Testballon“. Doris Achelwilm, | |
Bundestagsabgeordnete für Die Linke, bemängelt eine zu kurz gegriffene | |
Reform, begrüßt gegenüber der taz jedoch, „dass Familienmodelle im Gesetz | |
vielschichtiger und realitätsgetreuer behandelt werden als bisher“. | |
Deutliche Widersprüche birgt der Entwurf gegenüber trans Personen. | |
Zweigeschlechtlichkeit bleibt zentral, die Rolle der Mutter wird strikt | |
biologisch festgeschrieben. Auch eine dritte Geschlechtsoption wird nicht | |
berücksichtigt. Zwar wird angekündigt, dass inter- und transsexuelle | |
Menschen jede Rolle in der Elternschaft einnehmen könnten. Dies steht | |
jedoch im Widerspruch zum biologischen Mutterschaftsbegriff. [3][So klagte | |
ein Transmann 2017 gegen die Bezeichnung seiner Person als Mutter]. Der | |
Mann war rechtlich als eben dieser anerkannt, konnte jedoch aufgrund nicht | |
vollzogener chirurgischer Angleichung ein Kind gebären. Auch mit der | |
angedachten Gesetzesänderung bliebe ihm nur die Zuschreibung als Mutter. | |
## Biologistische Definition von Mutterschaft | |
„Die gesellschaftliche aber auch rechtliche Realität ist schon weiter“, | |
kommentiert Petra Weitzel den Entwurf im Gespräch mit der taz. Die | |
Vorsitzende der „Deutschen Gesellschaft für Transidentiät und | |
Intersexualität“ (dgti) sieht „die Situation von trans*- und | |
inter*geschlechtlichen Menschen in diesem Gesetz nicht berücksichtigt“. So | |
stelle die biologistische Definition von Mutterschaft ein Problem dar. | |
Gebärende Männer oder zeugende Frauen ebenso wie diejenigen Personen, die | |
sich nicht einem binären Geschlecht zuordnen wollen, würden in ihrer | |
geschlechtlichen Selbstbestimmung eingeschränkt. Statt „Mutter“ könne es … | |
Gesetzestexten „Elternteil“ heißen, in Geburtsurkunden könnte die Angabe | |
Mutter oder Vater entfallen, um nichtbinäre Menschen zu berücksichtigen und | |
vor Zwangsouting zu schützen. „Es muss das gleiche Recht für alle gelten“, | |
so Weitzel. | |
Darüber hinaus plant Barleys Entwurf auch einen rechtlichen Anspruch von | |
Kindern auf die Klärung, wer die eigenen biologischen Eltern sind. Zwar | |
steht Menschen bisher eine Überprüfung der rechtlichen Eltern auf | |
biologische Verwandtschaft zu, gegenüber Dritten gilt dies jedoch nicht. | |
Das soll sich nun ändern. Vermutet ein Kind ab 16 Jahren also, dass eine | |
dritte Person die biologische Mutter oder Vater ist, soll die Klärung | |
möglich sein. Die soll auch Männern zustehen, wenn sie eine Vaterschaft | |
vermuten. | |
Als „sehr elternzentrierten Entwurf“ kritisiert Anne Meier-Credner vom | |
Verein Spenderkinder den Vorstoß. Zwar sei das Recht auf Klärung der | |
biologischen Verwandtschaft Dritter zu begrüßen, dies müsse jedoch im | |
Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens umgesetzt werden. „Spenderkinder | |
haben ein Recht darauf, ihre Abstammung auch öffentlich feststellen zu | |
lassen“, betont Meier-Credner. | |
19 Mar 2019 | |
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## AUTOREN | |
Kevin Culina | |
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