# taz.de -- Wunsch und Wirklichkeit: Ihr Kinderlein kommet | |
> Die Zahl der Paare, die darauf setzen, steigt. Doch der Erfolg einer | |
> künstlichen Befruchtung ist nicht garantiert – und sie hat Auswirkungen, | |
> von denen die Betroffenen nicht immer wissen. | |
Bild: Da lacht der Schöpfer: Das erste Retortenbaby der Welt, Louise Joy Brown… | |
HAMBURG taz | Als Louise Joy Brown im Sommer 1978 in England geboren wurde, | |
bekam sie so viel mediale Aufmerksamkeit wie sonst kaum ein Baby zuvor. Sie | |
war das erste im Reagenzglas entstandene Kind. Was damals eine medizinische | |
Sensation war, ist heute Alltag in den Kinderwunschkliniken. Weltweit sind | |
bisher mehr als fünf Millionen Kinder auf diese Weise entstanden. | |
In Deutschland sind die Behandlungszahlen seit Jahren steigend. Statistisch | |
gesehen sitzt in jeder größeren Schulklasse ein Kind, das durch künstliche | |
Befruchtung entstanden ist. Über 130 Kinderwunschkliniken gibt es im | |
Bundesgebiet, allein sechs in Hamburg. | |
Von ihren Internetseiten lächeln gesunde, pausbackige Babys. Geworben wird | |
mit überdurchschnittlichen Erfolgsraten, Spezialisten mit reichlich | |
Erfahrung und individueller Betreuung „von Anfang an bis zum Happy End“. Es | |
ist ein Buhlen um Kund*Innen. Die Kund*Innen sind Paare, die oft einen | |
langen Leidensweg hinter sich haben. Wenn es mit dem Wunschkind nicht | |
klappen will, weicht die Hoffnung schnell der Verzweiflung. | |
## Selber schuld? | |
Die Frauen, die sich 2016 einer Kinderwunschbehandlung unterzogen, waren | |
durchschnittlich 35,5 Jahre alt. Im Vergleich zum Vorjahr ist das Alter | |
noch einmal gestiegen. Sind die Frauen also selber schuld, weil sie sich zu | |
spät für ein Kind entscheiden? Schließlich nimmt die Fruchtbarkeit einer | |
Frau ab dem 30. Lebensjahr kontinuierlich ab. Dennoch erwecken prominente | |
Frauen über 40, die mit dickem Bauch von den Hochglanzmagazinen lächeln, | |
den Eindruck, dass mit medizinischer Hilfe heutzutage alles möglich sei | |
Doch abgesehen davon, dass viele Frauen diese Fakten nicht kennen, wäre das | |
zu einfach gedacht. Unfruchtbarkeit betrifft nicht nur junge Frauen unter | |
30, die von Eileiter- und Gebärmuttererkrankungen und hormonellen Störungen | |
betroffen sind, sondern auch Männer in den 20ern. | |
Die moderne Reproduktionsmedizin bietet verschiedene Möglichkeiten, damit | |
sich Paare den Wunsch vom eigenen Kind erfüllen können. Welche Methode | |
gewählt wird, ist abhängig von der Ursache für die ungewollte | |
Kinderlosigkeit. Trotz der ausgefeilten Technik kann der Weg zum „Happy | |
End“ lang sein. Oft durchläuft eine Frau mehr als einen Behandlungszyklus. | |
Eine Garantie für das ersehnte Kind gibt es trotzdem nicht. Die | |
Schwangerschaftsrate variiert je nach Behandlungsmethode um die 30 Prozent. | |
Und ein positiver Schwangerschaftstest heißt nicht, dass auch ein Kind | |
geboren wird. Die Rate der Fehlgeburten liegt konstant bei 20 Prozent. Die | |
Zahlen sind jedoch wiederum abhängig vom Alter der Frau. Mit Blick auf | |
einen sogenannten Embryotransfer bekommen 27 Prozent der 35-jährigen Frauen | |
ein Kind. Bei einer 40-jährigen Frau liegt die Geburtenrate nur noch bei 15 | |
Prozent. | |
Die Zahlen verdeutlichen den enormen psychischen Druck, der auf Paaren | |
lastet, die sich zu einer Kinderwunschbehandlung entscheiden. Es ist eine | |
Zeit zwischen Hoffen und Bangen, eine emotionale Herausforderung, auch für | |
die Beziehung der Paare. Einige Kinderwunschkliniken bieten deshalb auf | |
Wunsch Einzel- oder Gruppengespräche mit Psychotherapeut*Innen an. Doch die | |
Hemmschwelle, solche Angebote in Anspruch zu nehmen, ist hoch. Hinzu kommen | |
eventuell zusätzliche Kosten, die die ohnehin schon finanziell belasteten | |
Paare vom Weg zum Therapeuten abhalten. | |
## Kein Spaziergang | |
Auch für den Körper ist der Weg zum Wunschkind kein Spaziergang. Mehrmals | |
täglich müssen sich die Frauen Hormone spritzen, damit sie genug Eizellen | |
produzieren, die dann wiederum unter Narkose operativ abgesaugt werden, um | |
sie im Reagenzglas zu befruchten. Normalerweise produziert eine Frau pro | |
Zyklus eine Eizelle. In der Kinderwunschbehandlung wird bei ungefähr zehn | |
Eizellen von einem guten Ergebnis gesprochen. Schwerwiegende Komplikationen | |
bei den Eingriffen oder der Hormonbehandlung sind zwar selten, können bei | |
einer Behandlung mit Medikamenten und Operationen aber nie ausgeschlossen | |
werden. | |
Risiken gibt es auch für die künstlich entstandenen Kinder. Es wird davon | |
ausgegangen, dass sie ein leicht erhöhtes Risiko für angeborene | |
Fehlbildungen haben. Hinzu kommt, dass es bei künstlichen Befruchtungen | |
vermehrt zu Mehrlingsschwangerschaften kommt, die wiederum ein erhöhtes | |
Risiko für Frühgeburten mit sich bringen. 2015 kamen 78 Prozent der durch | |
Kinderwunschbehandlung entstandenen Zwillinge zu früh auf die Welt. | |
So schwer es angesichts der Emotionalität des Themas auch sein mag: Der | |
Entscheidung für eine Kinderwunschbehandlung muss eine kritische | |
Auseinandersetzung mit diesen Zahlen und Risiken vorausgehen, und zwar | |
sowohl von Seiten der Mediziner*Innen als auch der Paare. | |
Den ganzen Schwerpunkt zu künstlichen Kindern, unklaren Rechtslagen und, | |
klar, der unbefleckten Empfängnis lesen Sie in der gedruckten | |
Weihnachts-taz – oder [1][hier]. | |
23 Dec 2017 | |
## LINKS | |
[1] /e-kiosk/!114771/ | |
## AUTOREN | |
Marthe Ruddat | |
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