| # taz.de -- Erneuerung der Christdemokraten: Nichts ist gut bei der CDU | |
| > Die zwei Wahlsiege der Christdemokrat:innen sind Momentaufnahmen. | |
| > Der Partei steht ein schmerzhafter Erneuerungsprozess bevor. | |
| Bild: Klatschen für den Wahlsieger: Merz (l.) und Wüst | |
| Der verbreiteste Gesichtsausdruck unter Christdemokrat:innen war in | |
| dieser Woche das Grinsen. Bei NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst, | |
| gewöhnlich eher steif und mit sparsamer Mimik unterwegs, war es besonders | |
| auffällig. Aber egal auf wen man traf – Parteichef, | |
| Fraktionsgeschäftsführer oder einfache Abgeordnete – überall waren die | |
| Mundwinkel oben. [1][Nach dramatischen Niederlagen hat die CDU] innerhalb | |
| von acht Tagen die [2][beiden Landtagswahlen] in Schleswig-Holstein und NRW | |
| deutlich gewonnen. Da kann man schon mal grinsen. | |
| Dass Parteichef Friedrich Merz allerdings gleich behauptete: „Die CDU ist | |
| wieder zurück auf Platz eins unter den Parteien“ – das darf man wohl | |
| übertrieben nennen. Und es kann parteiintern auch so verstanden werden: | |
| Krise vorbei, alles wieder gut, wir können weitermachen wie bisher. Das ist | |
| für die CDU eine gefährliche Botschaft. Denn noch ist nichts gut. Der | |
| Erneuerungsprozess der CDU hat gerade erst begonnen. | |
| Der Krieg in der Ukraine spielt, auch wenn es zynisch klingt, der CDU in | |
| die Hände. Die alten Themen der Union – Bundeswehr und Sicherheit, | |
| Westbindung und Nato – haben Hochkonjunktur und erfreuen sich breiter | |
| Zustimmung. Auch die schlechte Performance des Bundeskanzlers und seiner | |
| Verteidigungsministerin zahlen bei der CDU ein. Und mit der Idee, ein | |
| Sondervermögen für die Bundeswehr zu schaffen, das mit Hilfe von | |
| Unionsstimmen im Grundgesetz verankert werden soll, hat die Ampel CDU-Chef | |
| Friedrich Merz [3][einen Hebel in die Hand] gegeben, mit dem er der | |
| Regierung das Leben schwermachen kann. | |
| Merz hat die CDU so weit beruhigt, dass Siegen überhaupt wieder möglich | |
| ist. Doch strukturell und inhaltlich verändert hat sich bislang wenig. Das | |
| sieht man selbst in NRW, wo die Christdemokrat:innen mit überraschend | |
| großem Vorsprung gewonnen haben. Im Vergleich zur Landtagswahl 2017 hat die | |
| Partei dennoch in absoluten Zahlen 250.000 Stimmen verloren. Bei den | |
| Kompetenzwerten ist sie eingebrochen – beim Kernthema Wirtschaft um 14 | |
| Prozent, bei Bildung und Verkehr fast genauso stark. | |
| Die CDU ist für die jungen Wähler:innen weiter wenig attraktiv. Nicht | |
| mal jeder und jede Fünfte glaubt, die CDU sei die Partei, die die besten | |
| Antworten auf die Fragen der Zukunft hat. Ohnehin fragen sich weiter viele, | |
| wofür die CDU überhaupt steht. Und die beiden neuen Fraktionen bieten ein | |
| ähnlich eintöniges Bild wie die alten: Sie werden von weißen Männern | |
| dominiert. | |
| Die Siege in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen sind nicht mehr als | |
| eine Momentaufnahme. Der CDU steht weiter ein schmerzhafter Prozess bevor, | |
| inhaltlich wie strukturell. Sie muss die Fehler der Vergangenheit | |
| aufarbeiten, etwa in der Russland- und Energiepolitik. Allein damit, mit | |
| dem Finger auf die SPD zu zeigen, wird sie nicht durchkommen. Sie muss ihre | |
| Kompetenz in Zukunftsfragen verbreitern – Klima, Digitalisierung, | |
| Sozialpolitik – und diese auch auf die Straße bringen. Sie muss klären, | |
| welche Art von Volkspartei sie sein will und wo deren Grenze ist. Und sie | |
| muss sich diverser aufstellen. | |
| Das kann nur gelingen, wenn Merz ausgerechnet seine konservativen | |
| Anhänger:innen und jene vom Wirtschaftsflügel enttäuscht, die ihn | |
| anfeuerten, auch noch ein drittes Mal für den Parteivorsitz zu kandidieren. | |
| Und es gleichzeitig schafft, seine früheren Gegner:innen weiter bei der | |
| Stange zu halten. Diese verhalten sich, von jahrelangen Querelen und dem | |
| Verlust der Macht bei der Bundestagswahl zermürbt, bislang ruhig. Merz | |
| allerdings hat in den ersten Monaten seines Parteivorsitzes auch | |
| integrativer gewirkt, als viele seiner Gegner:innen es ihm zugetraut | |
| hätten. | |
| Mitte Juni steht ein erster Härtetest an. Dann berät der Bundesvorstand | |
| über die Frauenquote, über die auf dem Parteitag im Herbst entschieden | |
| werden soll. Viele von Merz’ Unterstützer:innen halten die Quote für | |
| „Gendergedöns“, wenn nicht gleich für Teufelszeug, es ist ein | |
| symbolträchtiges Thema. Der Parteichef hat sich öffentlich noch nicht | |
| festgelegt, doch man hört aus der Partei, er habe erkannt, dass die CDU | |
| ohne Quote ihr Frauenproblem nicht lösen wird. Die Frage ist, ob er sie | |
| auch durchsetzen wird. Für Merz wird das ein Balanceakt. | |
| 21 May 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Sabine am Orde | |
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