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# taz.de -- Jagd- und Waldgesetze in Brandenburg: Wald vor Wild?
> Die Landesregierung plant zum Schutz des Waldes ein neues Jagdgesetz. Das
> führt zu heftigem Streit.
Bild: Im brandenburgischen Neuenhagen flitzt ein Reh über die Wiese
Berlin taz | Enno Rosenthal hat es schon vorher gewusst: „Das kriegt der
Vogel nie durch“, sagt er, während er [1][durch den Ende April
staubtrockenen brandenburgischen Kiefernwald stapft], um neu gepflanzte
Setzlinge vom vergangenen Jahr zu begutachten. Axel Vogel ist der grüne
Umweltminister Brandenburgs. „Die CDU will kein modernes Jagdgesetz, und
der SPD ist es egal.“
Rosenthal, 61, ist Forstwirt und Vorsitzender des Waldbauernverbands
Brandenburg, der [2][die Interessen der zahlreichen Waldbesitzer vertritt,
die kleine Waldflächen ihr Eigen nennen]. Im Norden des Landes nahe
Neuruppin verwaltet er eine Genossenschaft von 345 Waldbesitzern. In diesem
Frühling herrscht dort schon Waldbrandstufe 4 – hohe Brandgefahr. An
manchen Stellen ist der Boden rissig, Kiefern liegen im Forst, umgestürzt
in den Winterstürmen.
„Wir müssen diesen Wald dringend zu einem Mischwald umbauen, der dem
Klimawandel gewachsen ist“, sagt Rosenthal. Das heißt: Zwischen den Kiefern
müssen Laubbäume heranwachsen, Eichen, Ebereschen, Buchen. „Das Einzige,
was hier wächst“, Rosenthal zieht am Ast eines kleinen, saftig grünen
Strauchs, „ist die Amerikanische Traubenkirsche“ – frech wippt der Ast –
„die fressen Rehe und Hirsche nicht.“ Womit wir beim Thema wären.
Die brandenburgische Regierungskoalition, eine Notgemeinschaft aus SPD, CDU
und Grünen, plant zum Schutz des bedrohten Waldes zwei Gesetze: ein neues
Jagd- und ein Waldgesetz. Seit vor einigen Monaten ein Entwurf des Ersteren
in die Öffentlichkeit gelangte, gibt es mächtig Ärger. Das Forum Natur
Brandenburg, in dem Verbände vom Landesjagd- bis zum Landesanglerverband
organisiert sind, lehnt das Gesetz ab. Naturschutzverbände wie Nabu und
Grüne Liga sowie der Ökologische Jagdverein verteidigen es.
Interviews, Pressetermine, Gesprächsrunden folgten, der Landesjagdverband
stellte einen Briefgenerator auf seine Website, mit dem Jäger bundesweit
Protestschreiben an das Umweltministerium schickten. Mitglieder des
Ökologischen Jagdvereins beklagten eine verrohte Debattenkultur.
Schließlich zog das Ministerium sein Gesetz zurück. Ein Antrag der Linken,
eine breite Beteiligung der Öffentlichkeit an dem Verfahren zu
organisieren, mit rundem Tisch und Online-Befragung, scheiterte am Freitag
an den Stimmen der Regierungskoalition im Brandenburger Landtag. Vogel
begründete seine Ablehnung weiterer Konsultationen damit, er habe einen
solchen Prozess mit Verbänden und Vereinen bereits im September 2020
angestoßen. Dabei sei eine gespaltene Verbände-Landschaft offen zutage
getreten. „Die Argumente sind ausgetauscht, sie liegen alle auf dem Tisch.“
Am Ende gehe es nicht um einen „Aushandlungsprozess“, sondern um ein
Gesetzgebungsverfahren.
## Großer Ärger, wenig Gewinn
Warum der Aufruhr? „Bundesweit schauen Forstpolitiker und Jäger nach
Brandenburg“, sagt Eckhard Fuhr. Der stellvertretende Vorsitzende des
Ökologischen Jagdvereins Brandenburg, Jäger und Journalist, hat sein
Berufsleben bei der FAZ und Welt verbracht. „In den vergangenen Jahren
sind auf Landes- wie Bundesebene alle Versuche gescheitert, das Jagdrecht
zu reformieren.“ In Niedersachsen beschloss der Landtag diese Woche nach
langem Streit eine Novelle des Jagdrechts. Sie kommt vor allem einer
Forderung der Jägerschaft nach, den Wolf als jagdbares Wild zu definieren.
In Nordrhein-Westfalen wurde das „ökologische Jagdgesetz“ des grün
geführten Umweltministeriums von 2015 nach dem Regierungswechsel von der
neuen schwarz-gelben Koalition sofort wieder abgeräumt. Und nach vier
Jahren Debatte scheiterte das Bundesjagdgesetz kurz vor Ende der
Legislaturperiode.
Gelinge es in Brandenburg, das Jagdrecht im Sinne von „Wald vor Wild“ zu
reformieren, dann zögen auch andere Landesregierungen Entwürfe aus den
Schubladen, ist Fuhr sicher. „Wenn es aber nicht gelingt, sind die Reformen
tot.“ Ein Politiker sehe beim Jagdgesetz großen Ärger und wenig Gewinn,
warum solle er sich das wegen eines so randständigen Themas antun?
„Allerdings“, sagt der Jäger, „ist das Jagdrecht für die Zukunft des Wa…
zentral, es ist ein ganz großes politisches Projekt“.
Das wichtigste Problem, das die gescheiterten Reformversuche anpacken
wollten, ist der hohe Bestand an Schalenwild, also an Rehen, Hirschen und
Damwild, in den deutschen Forsten. Wild lässt sich seriös nicht zählen.
Allerdings lässt sich aus der Zahl der geschossenen Tiere – Jäger nennen
das „Strecke“ – ablesen, wie viele der Tiere in etwa im Wald leben. Man
geht davon aus, dass der Bestand etwa dreimal so hoch ist wie die Strecke.
Laut dem Brandenburgischen Umweltministerium hat sich diese seit 1957
versechzehnfacht – „damit muss auch der Wildbestand entsprechend
angewachsen sein“, so das Ministerium. In Niedersachsen versucht man, mit
der „Wildtiererfassung Niedersachsen“ der Zahl von Hirsch & Co genauer auf
die Spur zu kommen. Die Strecken weisen aber auch hier darauf hin, dass die
Bestandszahlen im Laufe der vergangenen 60 Jahre stark gestiegen sind.
Die Tiere erfreuen Besucher und Wanderer, sie gehören in den Wald. Nur
brauchen sie auch Nahrung. Wildschweine suchen sich ihr Fressen gern auf
Maisfeldern. Die Ernteausfälle erstatten die Jäger den Bauern. Rehe,
Hirsche und Damwild hingegen knuspern gern kleine Bäumchen. Anders als
Verwüstungen auf Äckern gilt das nicht als Wildschaden. Und so ist zu
hören, die Jagdpächter schössen Wildschweine, um die Wildschäden gering zu
halten – und ließen den Bestand an Schalenwild anwachsen, um Tiere mit
schönen Trophäen – Hirschgeweihen, Rehgehörnen – erbeuten zu können.
## 51 Prozent verbissen
Nicht nur Enno Rosenthal bei Neuruppin ist wütend über abgefressene Eichen
und Ebereschen. Wer in Deutschland mit Förstern in den Wald geht, bekommt
ganz sicher den beeindruckenden Unterschied vorgeführt: eine mit einem
Wildzaun umzäunte Fläche, mit dichtem Unterwuchs unterschiedlichster
Laubbäume verschiedener Altersklassen. Und außerhalb des Zauns: mit
rostbraunen Blättern bedeckter Waldboden. Laut der letzten
Bundeswaldinventur waren 51 Prozent der jungen Pflanzen im Brandenburger
Wald verbissen. Hingegen fand das Landeskompetenzzentrum Forst Eberswalde
heraus, dass in umzäunten Gebieten der Wald kaum verbissen wird.
Allerdings: 1 Hektar Wald zu umzäunen, kostet rund 4.000 Euro. Bei etwa
500.000 Hektar Wald, die in Brandenburg dringend zu klimaangepassten
Mischwäldern umgebaut werden müssten, sei das weder finanzierbar noch
wünschenswert, heißt es aus dem Potsdamer Umweltministerium: Zäune
verringerten den Lebensraum des Wilds und verschärften die Situation
außerhalb.
Die Lösung: weniger Wild im Wald. Dafür will das Brandenburgische
Umweltministerium die Jagd neu organisieren und den Waldbesitzern mehr
Einfluss geben. Den haben sie bislang nicht. In Brandenburg sind sie in
sogenannten Jagdgenossenschaften organisiert, die ihre Flächen gemeinsam an
Jäger verpachten. Die Mindestgröße eines Reviers beträgt dabei in der Regel
500 Hektar. Wie darin gejagt wird, bestimmt der Pächter. Er muss zwar
behördliche Abschusspläne erfüllen, doch die bestünden nur auf dem Papier,
sagt Peter Schendel, Waldbesitzer, Jäger und Naturschützer in der Grünen
Liga Brandenburg.
Minister Vogel wollte das ändern, indem er die zulässige Reviergröße auf 10
Hektar absenkte. Diese „10-Hektar-Regel“ war der Kern des neuen Gesetzes.
Es hätte dem Besitzer erlaubt, ein kleines Waldstück aus einer
Jagdgenossenschaft herauszunehmen und an einen anderen Jäger zu verpachten,
wenn dort starker Verbiss überhandgenommen hätte. „Das hätte die
Machtverhältnisse auf dem Land verändert“, sagt Schendel: „Es hätten den
Besitzern kleinerer Waldflächen Rückhalt gegenüber den Jagdpächtern
gegeben, und es hätte die häufigen Konflikte zwischen Waldbesitzern und
Jagdpächtern befriedet.“ 6.000 Pächter gibt es in Brandenburg, und
angesichts einer „Verschiebung von Machtverhältnissen“ waren sie sehr
aufgebracht.
„Es wäre extrem schädlich, wenn etwa auf einem nur zehn Hektar großen Stü…
Wiese am Waldrand irgendwelche Leute jagen dürfen“, sagt Kay Laudien,
Präsidiumsmitglied im Landesjagdverband Brandenburg. Eine so kleinteilige
Parzellierung sei kontraproduktiv, weil sie Unruhe in Wald und Biotope
bringe. Das Wild ziehe sich in den Wald zurück – und richte noch mehr
Schaden an. „Man muss das Landesjagdgesetz nicht ändern, um mehr Wild zu
schießen“, ist Laudien überzeugt. Er sieht im Umweltministerium „Ideologen
am Werk“, mit wenig Verständnis dafür, was auf dem Land wirklich vorgeht.
Es sei doch sehr erstaunlich, dass ausgerechnet Natur- und Tierschützer
dafür seien, Rehe und Hirsche aus dem Wald zu tilgen.
Dagegen verwahren sich das Umweltministerium und die Unterstützer aus den
Umweltverbänden. Natürlich gehöre Wild in den Wald, heißt es – aber
weniger. Er fühle sich für das gesamte Ökosystem Wald verantwortlich, sagt
Jäger Schendel, und habe nicht nur Rehe oder Hirsche im Sinn. „Den 6.000
Jagdpächtern in Brandenburg stehen 3 Millionen Einwohner gegenüber, die ein
Recht auf einen intakten Wald haben.“
Man soll keine Prophezeiungen machen, die Zukunft betreffend – aber für das
neue Landesjagdgesetz in Brandenburg sieht es schlecht aus. Aus dem
Umweltministerium heißt es trotzig, das Gesetz sei nicht vom Tisch, es
werde nur überarbeitet. Minister Vogel, sagt Enno Rosenthal, wolle
wirklich etwas verändern, er sei vom Fach und habe einen Plan. „Aber in
dieser Landesregierung wird das nichts“.
20 May 2022
## LINKS
[1] /Trockenheit-in-Berlin-und-Brandenburg/!5840320
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## AUTOREN
Heike Holdinghausen
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