| # taz.de -- Enteignung von Wohnungsunternehmen: Immobilienlobby wehrt sich | |
| > Ein vom Wirtschaftsverband beauftragtes Gutachten hält die von einer | |
| > Initiative angestrebte Enteignung von Immobilienkonzernen für | |
| > verfassungswidrig. | |
| Bild: Wo soll es hingehen mit dem Berliner Wohnungsmarkt? Darüber wird zur Zei… | |
| Keine Überraschung: Ein vom [1][Verband Berlin-Brandenburgischer | |
| Wohnungsunternehmen] (BBU) in Auftrag gegebenes juristisches Gutachten | |
| kommt zu dem Schluss, dass die von einer Initiative angestrebte Enteignung | |
| der größten Berliner Wohnungsunternehmen per Volksbegehren | |
| verfassungswidrig sei. | |
| Diese Auffassung hatte die BBU-Vorsitzende Maren Kern bereits in der | |
| Vergangenheit öffentlich vertreten. Gestützt wird sie nun durch das | |
| 108-seitige Gutachten des Verfassungsrechtlers Helge Sodan, das am Mittwoch | |
| in Berlin vorgestellt wurde. Ein vom Senat in Auftrag gegebenes | |
| Kurzgutachten des Juristen Reiner Geulen war hingegen zu dem Schluss | |
| gekommen, dass die Enteignung rechtlich möglich sei. | |
| Die [2][Initiative Deutsche Wohnen & Co Enteignen], die hinter dem | |
| Volksbegehren steht, beruft sich für das Vorhaben im Wesentlichen auf | |
| Artikel 15 des Grundgesetzes. Dieser schreibt fest, dass „Grund und Boden, | |
| Naturschätze und Produktionsmittel (…) zum Zwecke der Vergesellschaftung“ | |
| gegen eine Entschädigung in Gemeineigentum überführt werden können. Da | |
| dieser Paragraf bislang noch nie zur Anwendung kam, können sich juristische | |
| Gutachten dazu nicht auf vorhandene Urteile beziehen, was die Sache | |
| komplizierter macht. | |
| Sodan, ehemaliger Präsident des Verfassungsgerichtshofs des Landes Berlin, | |
| äußert in seinem Gutachten verschiedene Zweifel an der Rechtmäßigkeit des | |
| Vorhabens. Einige beziehen sich auf den Grundgesetz-Artikel selbst, so ist | |
| Sodan etwa der Auffassung, Immobilien seien davon gar nicht berührt. In dem | |
| Vorschlag der Initiative, nur Unternehmen mit mehr als 3.000 Wohnungen zu | |
| enteignen, sieht er außerdem einen Verstoß gegen den | |
| Gleichbehandlungsgrundsatz. Sein Hauptargument ist, dass in der 1995 | |
| verabschiedeten Berliner Landesverfassung die Möglichkeit zur | |
| Vergesellschaftung fehle. | |
| Die BBU-Vorsitzende Kern sagte, sie sei angesichts des Volksbegehrens „sehr | |
| besorgt“. Schließlich berühre dieses „die Grundlagen unseres | |
| Eigentumsrechts, das sich über Jahrzehnte bestens bewährt hat.“ Eine | |
| ähnliche politische Auffassung vertrat auch der Verfassungsrechtler Sodan: | |
| Sollte sich die Initiative durchsetzen und Schule machen, „dann haben wir | |
| ein anderes Wirtschaftssystem als das, was 70 Jahre lang für Wohlstand in | |
| der Bundesrepublik gesorgt hat“. | |
| Die Volksbegehren-Initiative wies die Auffassung Sodans am Mittwoch zurück: | |
| „Helge Sodan hatte auch den Mindestlohn und das Zweckentfremdungsverbot zu | |
| Rechtsverstößen erklärt. Letztlich stellten sich beide als rechtmäßig | |
| heraus“, so Sprecherin Clara Eul. So werde es auch bei der Enteignung von | |
| Wohnkonzernen sein. | |
| Neben der Frage der grundsätzlichen Rechtmäßigkeit ist auch die nach der | |
| [3][zu zahlenden Entschädigung] ein Streitpunkt. Die Initiative vertritt | |
| die Auffassung, dass diese deutlich unter dem Marktwert der Immobilien | |
| liegen dürfe, auch das vom Senat in Auftrag gegebene Gutachten stützt diese | |
| Auffassung. Sodan hingegen erklärte am Mittwoch, eine „deutliche | |
| Unterschreitung“ sei nicht rechtmäßig. Auf Nachfrage räumte er allerdings | |
| ein, dass eine Entschädigung grundsätzlich unter dem Marktwert liegen | |
| könne. | |
| Bereits vor der Veröffentlichung des Gutachtens hatte dessen Ankündigung | |
| einigen Wirbel ausgelöst. So wurde Sodan, der auch Mitglied im Beirat der | |
| Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände ist, etwa im | |
| Tagesspiegel als „wirtschafts- und branchennah“ bezeichnet, was er am | |
| Mittwoch von sich wies. Desweiteren wandten sich 108 Mieter von | |
| BBU-Mitgliedern mit einem Protestbrief an die Öffentlichkeit. Dort fordern | |
| sie unter anderem, der BBU, der eigentlich nicht nur die privaten, sondern | |
| auch die landeseigenen, genossenschaftlichen und kirchlichen | |
| Wohnungsunternehmen vertritt, müsse dieser Rolle wieder stärker gerecht | |
| werden, anstatt „gegen gemeinwohlorientierte Reformen“ zu agieren. | |
| Die Mieter sprechen in ihrem Brief außerdem von einem | |
| „Gefälligkeitsgutachen“. Diesen Begriff wiesen sowohl Sodan als auch Kern | |
| am Mittwoch vehement zurück. „Wir als BBU nehmen keinesfalls nur Gutachten | |
| mit einem von uns gewünschten Ergebnis an“, so Kern. Eine Bitte der taz um | |
| eine Auflistung von Gegenbeispielen blieb bis Redaktionsschluss | |
| unbeantwortet. | |
| 20 Mar 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Malene Gürgen | |
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