| # taz.de -- Eltern deutsch-israelischer Geisel: „Deutschland könnte definiti… | |
| > Die Eltern der von der Hamas am 7. Oktober 2023 entführten Geisel Itay | |
| > Chen fordern wirtschaftliche Sanktionen von Deutschland. | |
| Bild: Itay Chen ist seit 671 Tagen eine Geisel der Hamas: Seine Eltern Ruby und… | |
| taz: Herr Chen, Frau Chen, Ihr 19-jähriger Sohn Itay ist einer von sieben | |
| deutschen Staatsbürgern, die in Geiselhaft in Gaza sind. Tut Deutschland | |
| genug für ihre Freilassung? | |
| Hagit Chen: Wir erfahren viel Empathie und emotionale Unterstützung, schon | |
| von der vorherigen Regierung. Der deutsche Botschafter in Israel, Steffen | |
| Seibert, ist in regelmäßigem Austausch mit uns und den anderen den | |
| Geisel-Familien. | |
| Ruby Chen: Aber die deutsche Regierung war bislang nicht aktiv genug. Sie | |
| spricht zwar mit den katarischen Vermittlern. Wir hoffen aber, dass die | |
| neue Regierung unter Merz mehr tun wird. Vergangenen Freitag trafen wir den | |
| Außenminister und sagten ihm das persönlich. Ja, diese sieben Geiseln | |
| haben die doppelte Staatsbürgerschaft, aber das macht sie nicht weniger | |
| deutsch als alle anderen, die in Deutschland leben. Es ist nicht allgemein | |
| bekannt, aber am 7. Oktober wurden etwa zwei Dutzend deutsche Staatsbürger | |
| von der Hamas getötet. | |
| taz: Was soll die deutsche Regierung konkret tun? | |
| Ruby Chen: Deutschland könnte als führende Wirtschaftsmacht und | |
| diplomatische Stimme in der EU definitiv mehr tun, wenn es um | |
| wirtschaftliche Sanktionen geht. Die Daten zeigen, dass die Hamas selbst | |
| heute noch in der Lage ist, ihren Anhängern im Gazastreifen monatlich | |
| zwischen 10 und 20 Millionen Dollar zu zahlen. Woher kommt dieses Geld? Die | |
| Hamas nutzt verschiedene Wege, um sich Zugang zu einem globalen Netzwerk | |
| zur Finanzierung des Terrorismus zu verschaffen – etwa in der Türkei, wo | |
| heute viele Hamas-Führer leben, die für die Tötung deutscher Staatsbürger | |
| mitverantwortlich sind. Die Frage lautet: Ist Deutschland bereit, sein | |
| politisches Kapital gegenüber der Türkei einzusetzen, damit sie aufhört, | |
| als Drehscheibe für finanzielle Hilfe für die Hamas zu fungieren? | |
| taz: Vergangene Woche veröffentlichten der Palästinensische Islamische | |
| Dschihad und die Hamas [1][zwei Videos der Geiseln Rom Braslavski und | |
| Evyatar David] – Ersterer ist ebenfalls deutscher Staatsbürger. Wie haben | |
| Sie sich beim Ansehen dieser Videos gefühlt? | |
| Hagit Chen: Ich habe angefangen zu weinen, als ich sah, wie dünn Evyatar | |
| geworden ist. Das ist unmenschlich. Die Hamas hat offensichtlich Essen. In | |
| einer Szene des Videos sieht man den Arm des Terroristen, der so breit wie | |
| Evyatars Bein ist. Sie lassen die Geiseln also absichtlich verhungern. | |
| Diese Videos haben in Israel für Unruhe gesorgt, der Druck auf die | |
| Regierung wächst. | |
| Ruby Chen: Die Videos zeigen, wie verheerend die Lage für die restlichen | |
| Geiseln ist. Es herrscht ein Gefühl der Dringlichkeit. Wir dachten, dass | |
| das Video eines deutschen Staatsbürgers die deutsche Regierung zum Handeln | |
| motivieren würde – oder zumindest dazu bewegen würde, mehr zu sagen. Wir | |
| danken der deutschen Regierung dafür, dass sie sich nicht den anderen | |
| europäischen Staaten angeschlossen hat, die nun einen palästinensischen | |
| Staat anerkennen wollen. | |
| taz: Warum? | |
| Ruby Chen: Für uns ist die Freilassung der Geiseln sowie eine Lösung der | |
| humanitären Krise in Gaza die Voraussetzung für jede Art von Diskussion. | |
| taz: Familien der Geiseln haben den israelischen Premierminister Benjamin | |
| Netanjahu wiederholt kritisiert, weil er ihrer Meinung nach unerreichbare | |
| Kriegsziele über die Freilassung der Entführten stellt. Sehen Sie das auch | |
| so? | |
| Ruby Chen: Ja. Enttäuscht will ich nicht sagen – das, was die | |
| Netanjahu-Regierung bei mir auslöst, ist so viel stärker. Er ist | |
| mitverantwortlich für diese Gräueltaten, er hat uns am 7. Oktober nicht | |
| geschützt. Ja, die Hamas ist daran schuld. Aber es liegt ein Vertragsbruch | |
| zwischen der Regierung und ihrem Volk vor, wenn sie nicht in der Lage ist, | |
| uns zu schützen. Die Regierung muss das ändern, indem sie der Freilassung | |
| der Geiseln Priorität einräumt. Wenn der Premierminister nach 22 Monaten | |
| immer noch behauptet, dass die Hamas eine unmittelbare, strategische | |
| Bedrohung für die nationale Sicherheit Israels darstellt, dann muss man | |
| sich fragen, was die IDF in den letzten 22 Monaten eigentlich gemacht hat. | |
| Hagit Chen: Nach 671 Tagen gibt es keine Ausreden mehr, diesen Krieg nicht | |
| zu beenden. Von den 50 Geiseln leben einige noch, andere sind | |
| verstorben. Doch sie alle müssen nach Hause kommen. Auch die Geiseln, | |
| die nicht mehr am Leben sind, bezeichnen wir als Geiseln – sie verdienen | |
| ein angemessenes Begräbnis und die Ehre und den Respekt, die ihnen als | |
| Menschen zustehen. | |
| taz: Netanjahu hat nun angekündigt, den Gazastreifen zu besetzen. Viele | |
| warnen, dass das die Geiseln weiter gefährden wird, da die Hamas-Kämpfer | |
| angewiesen sind, sie zu töten, wenn die IDF zu nahe kommt. Wie stehen Sie | |
| zu diesem Plan? | |
| Ruby Chen: Ich würde vorsichtig sein, solche Medienberichte für bare Münze | |
| zu nehmen. Damit das passiert, müsste einiges vorher passieren, unter | |
| anderem eine große Mobilisierung. Das sehen wir momentan nicht. Der Plan | |
| stünde auch im Konflikt mit einem Meeting zwischen Herrn Witkoff [einem | |
| Sondergesandten Donald Trumps; Anm. d. Red.] und uns am Samstag in Tel | |
| Aviv. Er sagte nämlich, dass es nun darum gehe, auf einen Schlag den | |
| Konflikt zu beenden und alle Geiseln zu befreien. Wir haben ihn mehrfach | |
| gefragt, ob dies in Abstimmung mit Netanjahu und Israels Chefverhandler | |
| geschieht, und er bejahte dies. Insofern sind wir Geisel-Familien sehr | |
| irritiert über die Meldung zu diesem Besetzungsplan. | |
| taz: Ihr Sohn Itay wurde am 7. Oktober 2023 entführt. Im März vergangenen | |
| Jahres bestätigte die israelische Armee, dass er bereits beim Hamas-Angriff | |
| an diesem Tag getötet wurde. | |
| Hagit Chen: „Bestätigt“ ist ein großes Wort, wir sagen benachrichtigt. | |
| Belege dafür lieferte die Armee nicht. Es bleibt deshalb immer der Zweifel, | |
| dass jemand einen Fehler gemacht haben könnte und Itay sich in den Tunneln | |
| unter Gaza befindet und uns gerade in diesem Moment zuhört. Das wissen wir | |
| schlicht nicht, bis er zu uns wiederkommt. Was Itay jetzt vor allem | |
| definiert, ist, dass er Geisel ist. | |
| taz: Die Hamas betrachtet Soldaten wie Itay als Kombattanten, die legitime | |
| Ziele in einem Krieg seien. | |
| Ruby Chen: Es gab am Morgen des 7. Oktobers keinen Krieg, sondern einen | |
| Waffenstillstand, den die Hamas gebrochen hat. Itays Einheit war nicht in | |
| einer offensiven Position, sondern sie haben Zivilisten in Israel sowie | |
| diesen Waffenstillstand geschützt. Die Hamas entführte ihn und verwehrte | |
| entgegen internationalem Recht jeglichen internationalen Kontakt oder | |
| medizinische Versorgung der Geiseln. Die Hamas hat kategorisch jede | |
| Einhaltung der Grundprinzipien abgelehnt, die wir als zivilisierte Menschen | |
| haben. Warum glaubt die Hamas, dass sie Tote als Verhandlungsmasse | |
| einsetzen sollte? Welche legitime Organisation tut so etwas? Ich denke, | |
| dass die internationale Gemeinschaft diesbezüglich eine viel stärkere | |
| Stimme haben sollte. Sie hat uns stattdessen im Stich gelassen. | |
| Hagit Chen: Als die Hamas am 7. Oktober angriffen, war Itay auf der | |
| Militärbasis in Nahal Oz. Wir haben inzwischen die zweieinhalbstündige | |
| Aufnahme der Blackbox im Panzer gehört, in dem er gegen die Terroristen | |
| kämpfte, bevor er verschleppt wurde. Er und die drei anderen Soldaten im | |
| Panzer sind Helden, sie haben Leben gerettet – und sie verstanden schnell, | |
| was die Hamas an diesem Tag vorhatte. Am nächsten Tag wurde uns mitgeteilt, | |
| dass Itay vermisst wird. Ein paar Tage später galt er als Geisel. | |
| taz: Wie hat die Entführung Ihres Sohnes Ihre Familie verändert? | |
| Hagit Chen: Alles hat sich verändert. Wir pendeln ständig zwischen Israel, | |
| Washington, Berlin, Doha. Wir haben auch zwei weitere Söhne. Es ist hart, | |
| in einer Familie aufzuwachsen, wenn die Eltern so gut wie nie da sind. Und | |
| es ist unmöglich, weiterzuarbeiten. | |
| Ruby Chen: Das hier ist jetzt unser Job: die Geiseln nach Hause zu bringen. | |
| 7 Aug 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Nicholas Potter | |
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