# taz.de -- Ein Jahr Krieg in Sudan: Die Krieger zerstören ihr Land | |
> Nach einem Jahr Krieg zwischen Armee und RSF-Milizen funktioniert in | |
> Sudan nichts mehr. Es droht eine Hungersnot und eine Ausweitung der | |
> Kämpfe. | |
Bild: Auf der Flucht vor Gewalt und Elend: Darfur-Flüchtlinge warten auf die R… | |
BERLIN taz | Verkohlte Aschehaufen reihen sich aneinander, aus einigen | |
steigt noch Rauch auf. „Das Lager ist endgültig zerstört“, heißt es im | |
Begleittext zu dieser [1][Videoaufnahme aus Darfur], die am Samstag | |
verbreitet wurde. Nichts sei vom Feuer verschont geblieben, selbst die | |
Wasserquellen seien zerstört. | |
„Es brennt in Sarfaya und benachbarten Dörfern“, berichtet eine weitere | |
Quelle über die neuesten Kämpfe unweit der Stadt El Fasher. Die | |
US-Regierung und die UNO [2][warnten am Wochenende] vor den „verheerenden“ | |
Folgen von Kämpfen um die Hauptstadt der Provinz Nord-Darfur, „ein bereits | |
von Hungersnot betroffenes Gebiet“, wie UN-Generalsekretär António Guterres | |
[3][am Samstagabend mahnte]. | |
Diese jüngste Zuspitzung ist nur einer von unzähligen solcher Vorfälle in | |
Sudan, ein Jahr nach Ausbruch des Krieges. Am 15. April 2023 trat der | |
damalige Vizepräsident Hamdan Daglo Hametti mit seiner paramilitärischen | |
Miliz RSF in den Aufstand gegen Staats- und Armeechef Abdelfattah | |
al-Burhan, um die Integration seiner Miliz in die Streitkräfte und damit | |
den Verlust seiner Kommandogewalt zu verhindern. | |
Von einem Tag auf den anderen wurde Sudans Hauptstadt Khartum zum | |
Schlachtfeld. Ohne Rücksicht auf die Zivilbevölkerung beschossen beide | |
Seiten sich gegenseitig und die ganze Stadt mit schwerer Artillerie. | |
Hunderttausende ergriffen die Flucht, Ausländer wurden evakuiert, die | |
Regierung zog sich in die Hafenstadt Port Sudan am Roten Meer zurück. | |
## Erst brannte Khartum, heute das ganze Land | |
Ein Jahr später brennt nicht nur Khartum, sondern das ganze Land. Der Krieg | |
weitete sich ab Juni 2023 zunächst nach Westen aus, nach Darfur, wo | |
RSF-Führer Hametti beheimatet ist. Nur in El Fasher behielt die Armee die | |
Kontrolle, [4][die anderen vier Provinzhauptstädte] fielen bis November an | |
die RSF. Bei [5][Massakern der RSF] sollen Zehntausende getötet worden | |
sein. | |
Ab Dezember weitete die RSF ihre Angriffe auf den Süden und Osten Sudans | |
aus. [6][Wad Madani], eine Stadt voller Flüchtlinge aus Khartum und | |
Hauptstadt von Sudans Kornkammer Gezira, fiel Mitte Dezember 2023. | |
Inzwischen wurde auch der Bundesstaat Gedaref an Äthiopiens Grenze zum | |
Kriegsgebiet. In allen Konfliktgebieten agieren mittlerweile auch lokale | |
Milizen auf eigene Faust, denn keine der großen Kriegsparteien schert sich | |
um das Wohlergehen der Bevölkerung. | |
Die UN spricht von Sudan als der [7][größten Flüchtlingskrise der Welt]. | |
Vor Kriegsbeginn waren 2,5 Millionen Menschen aus Sudan inner- und | |
außerhalb des Landes auf der Flucht, heute sind es 10,7 Millionen. 3,5 | |
Millionen Menschen haben den Großraum Khartum verlassen, über die Hälfte | |
der Bevölkerung. | |
Sowohl Armee als auch RSF stellen den Krieg als einen zwischen Staatsmacht | |
und Rebellen dar. Die Armeeführung definiert die RSF als Terroristen, die | |
mit aller Härte zu zerschlagen seien. Die RSF posiert als Freiheitskämpfer | |
und sucht Verbündete unter Sudans ehemaliger Demokratiebewegung. | |
In Wahrheit sind beide Kriegsparteien Teile des skrupellosen sudanesischen | |
Militärapparats, der seit dem Volksaufstand von 2019 und dem Sturz des | |
Militärdiktators Omar Hassan al-Bashir versucht, die Pfründe der Generäle | |
zu retten. Die Armee und die paramilitärische RSF, hervorgegangen aus der | |
für den Genozid an Darfurs nichtarabischen Volksgruppen vor zwanzig Jahren | |
verantwortlichen regimetreuen Miliz Janjaweed, haben beide Zugriff auf | |
Banken und Staatsapparat, während der Rest der Bevölkerung ausblutet. | |
„Das ist kein Bürgerkrieg, es ist ein Krieg gegen die Bürger“, sagt die | |
Frauenrechtlerin Rabab Baldo. | |
## Die Landwirtschaft liegt praktisch brach | |
Nach sudanesischen Schätzungen ist Sudans Volkswirtschaft vergangenes Jahr | |
um 50 Prozent geschrumpft, Haushaltseinkommen um 40 Prozent. | |
Staatsgehälter, die wichtigste regelmäßige Einkommensquelle der | |
Bevölkerung, werden nur noch verspätet, bruchteilhaft oder gar nicht | |
ausgezahlt. Zwei Drittel aller Unternehmen haben geschlossen. Die | |
Landwirtschaft, von der die meisten Menschen in Sudan leben, liegt | |
praktisch brach – und damit droht eine weitreichende Hungersnot. | |
Schon 2023 sank die Getreideernte gegenüber dem Vorjahr aufgrund des | |
Krieges um 46 Prozent, in den besonders umkämpften Regionen Kordofan und | |
Darfur sogar um 80 Prozent. Die Kämpfe in Sudans Kornkammer Gezira ab | |
Dezember fanden mitten in der neuen Aussaat statt. Nach Angaben der | |
staatlichen Landwirtschaftsbank ist Sudans Anbaufläche dieses Jahr nun 60 | |
Prozent kleiner als sonst. Was das für die Ernte 2024 bedeutet, liegt auf | |
der Hand. | |
„Neben den wahllosen Luftangriffen der Armee, die einen Großteil der | |
lebensmittelverarbeitenden Betriebe in Khartum zerstört haben, wurden nach | |
Berichten von Bauern aus Gezira Bewässerungssysteme zerstört, Lagerhallen | |
voller Saatgut und Werkzeug geplündert und Bauern während der Ernte | |
überfallen“, berichtet Sudan-Expertin Anette Hoffmann vom niederländischen | |
Clingendael Institut, das Anfang Februar mit einer [8][Warnung vor einer | |
großflächigen Hungersnot in Sudan] als erstes Alarm schlug. Heute warnen | |
auch die Vereinten Nationen davor, und sudanesische Beobachter sagen, die | |
Hungersnot sei längst da. | |
Was überhaupt an Lebensmitteln zur Verfügung steht, ist deutlich teurer als | |
früher, mit Preissteigerungen von bis zu 118 Prozent gegenüber | |
Vorkriegszeiten. Treibstoff, den Armee und RSF für sich selbst brauchen, | |
ist höchstens noch auf dem Schwarzmarkt zu haben, zum vierfachen | |
Normalpreis; das macht Handel und Importe unerschwinglich. | |
Nicht nur die Landwirtschaft, auch das Gesundheitssystem ist | |
zusammengebrochen: Lebensmittel und medizinische Güter sind bevorzugtes | |
Plündergut insbesondere für die RSF, die nicht mehr staatlich versorgt wird | |
und nun auf dem Rücken der von ihr kontrollierten Bevölkerung lebt. Je | |
ärmer diese Bevölkerung wird, desto mehr bisher friedliche Gebiete muss sie | |
angreifen, um weitermachen zu können. Über 70 Prozent aller | |
Gesundheitseinrichtungen Sudans sind zerstört. | |
## Das Schlimmste kommt erst noch | |
Das Ergebnis vermelden die dürren [9][Statistiken der UN-Hilfswerke]. Sudan | |
hat rund 41 Millionen Einwohner, die Hälfte davon minderjährig. 24,7 | |
Millionen Menschen, davon 14 Millionen Kinder, sind auf humanitäre Hilfe | |
angewiesen, weil sie sich nicht mehr selber versorgen können. Nur 2,3 | |
Millionen wurden dieses Jahr bisher erreicht. | |
17,7 Millionen Menschen lebten Ende 2023 nach [10][Angaben des | |
internationalen Hungerfrühwarnsystems IPC] bereits in Phase 3 der | |
fünfstufigen IPC-Skala, also „akuter Hunger“. Das waren bereits zehn | |
Millionen mehr als ein Jahr zuvor. | |
Und das Schlimmste kommt noch. Ab Mai, wenn die Regenzeit beginnt, in der | |
eigentlich die nächste Ernte wachsen soll, befürchten Experten ein | |
Massensterben. Drei Viertel der Gesamtbevölkerung werden weniger als die | |
Hälfte ihres täglichen Bedarfs zur Verfügung haben, ein Drittel dürfte in | |
IPC-Phase 5 abgleiten, also „Hungersnot“, so Clingendael. Das entspricht | |
den Befürchtungen für Gaza – aber zwanzigmal höher. | |
Ende März [11][warnte das Hilfswerk Save the Children] auf Grundlage von | |
Daten der UN vor 222.000 verhungerten Kindern und 7.000 verhungerten | |
Müttern von Kleinkindern in Sudan in den kommenden Monaten. „Die Krise hat | |
ihren Höhepunkt noch nicht erreicht“, analysiert Do | |
Minic MacSorley vom Hilfswerk Concern und schildert die Lage in den | |
Flüchtlingslagern von Darfur: „Die Familien haben nur noch eine Mahlzeit | |
pro Tag. Frauen essen am wenigsten und als letzte.“ | |
Und Fatima Ahmed von der Frauenrechtsorganisation „Zenab Women for | |
Development“ sagt: „Für Schwangere, Alte und Behinderte gibt es nichts. Sie | |
sitzen einfach auf der Erde und warten.“ | |
14 Apr 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://twitter.com/dvs2030/status/1779127694287941861 | |
[2] https://sudantribune.com/article284395/ | |
[3] https://www.un.org/sg/en/content/sg/statement/2024-04-13/un-secretary-gener… | |
[4] /RSF-Miliz-in-Sudan/!5970378 | |
[5] /Krieg-in-Sudan-haelt-an/!5932906 | |
[6] /Grossstadt-am-Nil-erobert/!5975772 | |
[7] https://reliefweb.int/report/sudan/one-year-conflict-sudan-visualizing-worl… | |
[8] https://www.clingendael.org/sites/default/files/2024-02/PB_Sudan_famine.pdf | |
[9] https://reports.unocha.org/en/country/sudan | |
[10] https://www.ipcinfo.org/fileadmin/user_upload/ipcinfo/docs/IPC_Alert_Sudan… | |
[11] https://www.savethechildren.net/news/sudan-nearly-230000-children-and-new-… | |
## AUTOREN | |
Dominic Johnson | |
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