# taz.de -- Drehbuchautor*innen über Anerkennung: „Ohne mich entsteht nichts… | |
> Am Freitag wird der Deutsche Filmpreis verliehen. Drei | |
> Drehbuchautor*innen verraten uns ihre Tricks gegen Schreibblockaden. | |
Bild: v.l.: Drehbuchautor*innen Paul Salisbury, Ariana Berndl und Oliver Ziegen… | |
Sie stehen meist im Schatten der Regisseur*innen, dabei sind sie | |
diejenigen, die die Geschichten hinter den Filmen erdenken: | |
Drehbuchautor*innen kommen in Deutschland kaum zu Berühmtheit. Am heutigen | |
Freitag wird in Berlin der Deutsche Filmpreis verliehen. Über ihre Arbeit | |
sprechen die Drehbuchautor*innen Oliver Ziegenbalg, mit „25 km/h“ | |
nominiert für den Besten Spielfilm, Paul Salisbury, mit [1][„Atlas“] | |
nominiert für das Beste Drehbuch, und Ariana Berndl, deren Langfilmdebüt „O | |
Beautiful Night“ auf der [2][Berlinale] lief und im Juni in den Kinos | |
startet. | |
taz: Herr Salisbury, Frau Berndl, Herr Ziegenbalg, Sie schreiben | |
Filmdrehbücher. Wie fängt man dabei am besten an? | |
Paul Salisbury: In Deutschland hat man am besten eine Idee – das klingt | |
jetzt vielleicht zynisch –, die zum Themenfilm taugt. | |
Ariana Berndl: Ja, man muss sie mit etwas Höherem verknüpfen. Mit einem | |
Thema, das Relevanz hat, vor allem auch für einen selbst. | |
Salisbury: Beim „Deutschen Kind“ war das ein Mädchen, das von einer | |
muslimischen Familie aufgenommen wird. Quasi umgekehrte Integration. Ich | |
dachte: „Das ist ein Mittwochsfilm der ARD.“ Tatsächlich ist es einer | |
geworden. Das schien mir dann fast selbst etwas kalkuliert. Bei „Atlas“ war | |
es anders, da haben wir, ausgehend von einer einzelnen Figur, eine ganze | |
Welt gebaut. Das würde ich aber nicht empfehlen, es ist langwierig. | |
Oliver Ziegenbalg: Ich erlebe häufig Situationen, in denen ich denke: „Das | |
interessiert mich nicht nur als Mensch, sondern als Filmemacher.“ Bei „25 | |
km/h“ hatte mir Regisseur Markus Goller erzählt, dass er seine Eltern in | |
Bayern besucht hat und in der Garage sein altes Mofa stand. Mit dem Teil | |
hat er einen Kumpel in München besucht und für die 100 Kilometer vier | |
Stunden gebraucht. Ich fand das so witzig und anrührend, dass ich im Urlaub | |
anfing, die Geschichte weiterzudenken. | |
Arbeiten Sie mit besonderen Techniken oder Tricks? | |
Ziegenbalg: Um gute Laune fürs Schreiben zu bekommen, schaue ich mir jeden | |
Morgen dieselbe Sequenz eines Films an – je nachdem, an welchem Projekt ich | |
gerade sitze. Den Anfang von „Moneyball“ habe ich im letzten Jahr | |
garantiert 40-mal gesehen. | |
Berndl: Als Inspiration für einen bestimmten Stoff? | |
Ziegenbalg: Ja, für einen Film, der eine ähnliche Stimmung haben soll. Nach | |
ein paar Minuten breche ich ab, sitze da und denke: An dieser Stelle muss | |
ich weitermachen. Das trägt mich häufig ganz weit. | |
Berndl: Ich nutze kreative Schreibtechniken, bei denen man zum Beispiel an | |
einen Ort fährt, an dem man noch nie war, und dort das Geschehen | |
beobachtet. Um Ideen zu generieren, kann man sich auch den Wecker auf eine | |
Viertelstunde stellen und einfach frei drauflosschreiben. | |
Ziegenbalg: Drauflosschreiben ist eine Technik? Von der habe ich ja noch | |
nie gehört. | |
Berndl: Na ja, zum Beispiel Morgenseiten zu schreiben, also direkt nach dem | |
Aufstehen. | |
Salisbury: Das habe ich auch mal probiert. | |
Ziegenbalg: Funktioniert das bei dir? | |
Salisbury: Es hilft, wenn man sich einbildet, eine Schreibblockade zu | |
haben. Aber ich glaube nicht an Schreibblockaden. Ich glaube, in | |
Wirklichkeit sind sie nur ein Unwohlsein mit dem Stoff. Die Suche nach | |
Ideen empfinde ich nicht als das Schwierige, sondern sie zur Geschichte | |
auszubauen. | |
Berndl: Die wesentliche Aufgabe des Drehbuchautors liegt darin, die Essenz | |
eines Stoffs freizulegen. Man muss Ideen ausloten, all diese möglichen Wege | |
gehen. Das einzig Sichtbare, was übrig bleibt, ist nur die Spitze eines | |
Eisbergs, den man geschaffen hat. Ein Drehbuch zu schreiben bedeutet ja | |
nicht, für einen 90-Minüter 90 Seiten zu schreiben. Es bedeutet, darunter | |
eine Kiste zu haben mit Charakteren, Backstorys, möglichen Szenen, | |
alternativen Strukturen, die man braucht, um irgendwann zu wissen: So wird | |
die Geschichte, nicht anders. | |
Ziegenbalg: Ich stelle mir das immer wie eine Landkarte vor. Der Film, den | |
die Zuschauer am Ende sehen, ist wie ein direkter Weg von Süden nach | |
Norden. Alle denken: „Na ja, so schwer ist das ja nicht, den hätte ich auch | |
fahren können.“ Aber wenn man den Arbeitsprozess drüberblendet, ist die | |
ganze Karte rot von Straßen, die man alle gefahren ist. In tausend | |
Sackgassen ist man gelandet, war in ganz Deutschland unterwegs – aber am | |
Ende ist nur dieser eine Weg sichtbar. | |
Das Drehbuch zu dem Film [3][„Herbert“], das auf Ihrer Vorlage beruhte, | |
Herr Salisbury, schrieb letztlich Regisseur Thomas Stuber mit dem | |
Schriftsteller Clemens Meyer. Welche Lehren ziehen Sie daraus? | |
Salisbury: Dass man sicher sein muss, eine künstlerische Vision zu teilen. | |
Gerade mit der Regie. Ich dachte damals schon früh: „Der Regisseur will | |
einen Krankheitsfilm und ich ein Liebesdrama, das geht nicht zusammen.“ | |
Aber ich wollte, dass dieser Film gemacht wird und habe versucht, das zu | |
erzwingen. Es war mir eine Lektion, seitdem verlasse ich mich mehr auf mein | |
Bauchgefühl. | |
Ziegenbalg: Es gibt ein Paar beim Filmemachen, das sich gegen alle | |
behaupten kann: Autor und Regisseur. Das ist der Grund, warum ich zwei | |
Produktionsfirmen mit Regisseuren habe, eine mit Markus Goller, eine mit | |
Sebastian Schipper: Ich würde allen Autoren raten: Wenn es mit einem | |
Regisseur funktioniert und ihr dieselben Filme mögt: Haltet ihn fest! | |
Mit beiden Regisseuren haben Sie schon gemeinsam Drehbücher geschrieben. | |
Wie erleben Sie dieses Co-Autorentum? | |
Ziegenbalg: Man reagiert wahnsinnig sensibel auf das, was der andere sagt. | |
Zusammen zu schreiben bedeutet, eine Vertrauensbasis zu haben, weil man so | |
angreifbar und verletzlich ist. Wenn der andere sagt: „Diese Figur ist ein | |
Klischee“, zieht einem das die Beine weg. | |
Wie sieht gemeinsames Schreiben konkret aus? | |
Berndl: Für „O Beautiful Night“ saßen Xaver Böhm und ich an meinem | |
Küchentisch, mit einer Onlinesoftware, auf die beide gleichzeitig zugreifen | |
können. So konnten wir verschiedene Rollen übernehmen und auf das | |
reagieren, was der andere gerade schreibt. | |
Ziegenbalg: Das würde mich killen. Ich habe es einmal probiert und fühlte | |
mich, als würde mir beim Schreiben immer jemand über die Schulter gucken. | |
Wie arbeiten Sie? | |
Ziegenbalg: Ich schreibe alles auf Papier. Ein Schulheft mit 80 Blatt ist | |
fast ein ganzes Drehbuch. Wenn etwas im Rechner steht, habe ich Probleme, | |
es wieder zu löschen, dann ist es manifestiert. Wenn ich es auf Papier | |
schreibe, reiße ich das Blatt raus oder streiche es durch. Ich muss mir | |
keine Gedanken machen, ob das jetzt gut oder schlecht ist. Ich muss es ja | |
eh noch mal abtippen, quasi als Revision. | |
Berndl: Ich schreibe nur auf Papier, wenn ich aus der Ichperspektive eines | |
Charakters erzähle. Ich zeichne aber und lege Ordner an, in die ich Moods | |
reinlege. Bilder, die mich in bestimmte Stimmungen bringen. | |
Frau Berndl, Sie haben für das junge UFA-Label Freder Fredersen eine Serie | |
geschrieben. Was macht für Sie den Charme dieses Formats aus? | |
Berndl: Serien sind die Novellen des Films, aber erzählen in epischem | |
Ausmaß. Als Autor ist deine Stimme unfassbar präsent, weil nicht nur die | |
ästhetische Umsetzung im Vordergrund steht, sondern eine Welt mit ihren | |
Charakteren. Dazu die Dramaturgie, die den Zuschauer süchtig machen soll, | |
ohne dass alles einer strengen Dreiaktstruktur folgen muss: Man kann sich | |
austoben. | |
Als Erfolgsgeheimnis von US-Serien gilt der Writers ’ Room. Warum gibt es | |
ihn bei uns noch nicht? | |
Salisbury: In den USA arbeitet ein Dutzend Autoren an einer Sitcom, die | |
beste Punchline kommt in die Szene. In Deutschland gibt es einen Autor, | |
vielleicht werden dann noch zwei, drei dazugecastet … | |
Ziegenbalg: … weil er die Arbeit allein nicht mehr packt. Der einfache | |
Grund, warum das in Deutschland so ist: zu wenig Geld. Finde mal einen | |
Produzenten, der sechs Autoren von Anfang an bezahlen kann. | |
Was muss passieren, damit Drehbuchautor*innen hierzulande mehr | |
Wertschätzung erfahren? | |
Ziegenbalg: Alle Autor*innen sollten ihre Perspektive ändern und sich | |
sagen: „Nicht ich brauche die anderen, sondern die anderen brauchen mich. | |
Ohne mich entsteht nichts, und da draußen gibt es so unendlich viele | |
Produktionsfirmen, die Spielfilme und Serien produzieren wollen. Ich bin | |
der, den ihr sucht.“ | |
2 May 2019 | |
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## AUTOREN | |
Kaspar Heinrich | |
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