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# taz.de -- ZDF-Krimi: Ihre Blessuren sind Auszeichnungen
> Sarah Kohr ermittelt in ihrem dritten Fall – und prügelt wie ein
> Kampfsport-Champion. Im ZDF können also auch Frauen auf dicke Hose
> machen. Bravo!
Bild: Kurzer Moment der Schwäche: Sarah Kohr (Lisa Maria Potthoff) im Nahkampf
Ganz allein, mit bloßen Händen schaltet sie drei Personenschützer aus.
Nimmt sich die Zeit, die von ihr niedergestreckten mit dem Smartphone zu
knipsen. Machen heute alle so, ständig, und Killer sind schließlich auch
nur Menschen. Das nämlich kommt als nächstes: Ein Fußtritt und offen ist
die Wohnungstür. Sie geht rein und schießt dem Mann in der Wohnung in
bester „Nikita“-Manier zweimal in die Brust. Zu „Nikita“-Zeiten (1990) …
es natürlich noch keine Smartphones. Auch die Exekution wird nämlich
sorgfältig dokumentiert.
Aber was hat Sarah Kohr (namentlich nicht zu verwechseln mit Sarah Connor)
sich nur dabei gedacht? Ist sie auf die dunkle Seite gewechselt? Wann?
Warum? Der treue ZDF-Zuschauer kennt sie doch aus zwei vorangegangenen
Filmen (Idee: Stefan Kolditz), nicht zimperlich, keine Paragraphenreiterin,
aber eben doch: eine Polizistin.
Die Auflösung lässt nicht lange auf sich warten. Reißverschluss auf. Der
Mann im Leichensack ist putzmunter. Alles nur Theater. Der skrupellose
Superschurke Lasarew, Osteuropäer, hat die Tochter eines Polizisten
entführen lassen, damit dieser, um das Leben seiner Tochter zu retten, den
Kronzeugen im anstehenden Prozess gegen Lasarew beseitigt. Staatsanwalt
Mehringer will beide retten, das Kind und seinen Prozess. Und für den Job
kommt nur eine in Frage: Ihre Blessuren sind ihre Auszeichnungen. Sarah
Kohr (Lisa Maria Potthoff) hat mehr Eier in der Hose als alle Hamburger
Polizisten zusammen.
Ausgenommen vielleicht Til Schweiger, wenn er als „Tatort“-Kommissar Nick
Tschiller auch schon mal mit der Panzerfaust aufräumt. Oder seiner Tochter
eigenhändig eine Bombe aus dem lebendigen Leib schneidet. Bomben
entschärfen kann Sarah Kohr natürlich auch, aber da wären wir dann schon am
Ende des Films. Dessen Szenen im Wesentlichen alle nur dazu dienen, zu
demonstrieren, dass im ZDF anno 2019 auch eine Frau so richtig auf dicke
Hose machen kann. Aber was heißt hier: auch?
## Die taffen TV-Bullen
Bei einem Mann wär’s genau so peinlich wie Til Schweigers Auftritte in der
ARD nun einmal sind. Schimanski ist over. Dessen Faustkämpfe, damals in den
seeligen 1980ern, sahen aus wie Kneipenschlägereien – und waren oft auch
nichts anderes (Soundtrack: Westernhagen, „Hier in der Kneipe fühl ich mich
frei“). Heute hingegen ist die Ironie sogar James Bond abhanden gekommen,
und ein taffer TV-Bulle à la Nick Tschiller – oder eben Sarah Kohr – muss
es jederzeit mit jedem Mixed Martial Arts-Champion aufnehmen können.
Kohrs (Krav Maga-)Nahkampf mit Egor Mewedew, Lasarows Mann fürs Grobe,
Kindermord inklusive, ist durchaus beeindruckend choreographiert. Mewedew
gibt, mit irgendwie osteuropäischem Akzent, versteht sich, Stipe Erceg. In
weiteren Rollen treten auf: Golo Euler, Corinna Kirchhoff, Herbert Knaup,
Ursula Strauss, Devid Striesow. Eine Wahnsinnsbesetzung, eigentlich.
Und den Superschurken spielt kein Geringerer als Ulrich Matthes, der als
neuer Präsident der Deutschen Filmakademie die Streamingdienste nicht mag –
gegen öffentlich-rechtlichen TV-Schund aber offenbar nichts einzuwenden
hat. „Ich weiß, mit wem ich’s zu tun hab. – Wissen Sie das auch?“, sagt
Sarah Kohr ihm ins Gesicht: „Stirbt das Mädchen, stirbt ihr Sohn. Das ist
der Deal!“
Wir erinnern uns kurz daran, wie einmal ein Frankfurter
Vizepolizeipräsident einem Kindesentführer „Schmerzen“ androhen ließ und
ihm daraufhin – völlig zurecht – der Prozess gemacht wurde. Aber wer sagt
denn auch, dass Fernseh-Räuberpistolen realistisch sein müssten? Gut
gemacht müssen sie sein, unterhaltsam – auf keinen Fall redundant,
penetrant. Wie „Sarah Kohr – Das verschwundene Mädchen“ (Buch: Timo Bern…
Regie: Christian Theede).
Es reicht also nicht, dass Mehringer ihr sagt: „Du bist ganz allein! Aber
da stehste ja wohl drauf!“ Nein, sie muss es später unbedingt selbst auch
noch einmal sagen: „Ich bin besser allein.“ Die Schlussszene mit dem
zwischenzeitlichen Love Interest macht – unmissverständlich – deutlich: Sie
bleibt auch allein. Der vierte „Sarah Kohr“-Film ist bereits in der Mache.
PS: Hat eigentlich schon mal jemand nachgezählt, wie viele Fernsehfilme es
mit diesem Titel bereits gab: „Das verschwundene Mädchen“?
6 May 2019
## AUTOREN
Jens Müller
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ZDF
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