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# taz.de -- Die Wahrheit: Wohnraum für mehr als 1.000 Jahre
> Weltweit exemplarische Planungspolitik: Was passiert, wenn die AfD das
> Berliner Tempelhofer Feld randbebaut.
Markus Mauser, ein untersetzter pensionierter Finanzbeamter, steht auf und
öffnet das Sitzungsraumfenster eines leerstehenden Berliner Bürogebäudes.
„Ich unterbreche unsere 54. THF-Dialogwerkstatt zur Zukunft des Tempelhofer
Felds kurz“, so der 69-Jährige, „um dem heutigen Richtfest beizuwohnen.“
Die restlichen zwölf der ursprünglich 275 THF-Mitglieder drängeln sich, um
einen Blick auf den Festplatz zu haben.
Dort sind Pult und Stühle, Mikrofone und Lautsprecher aufgestellt, schräg
dahinter eine Zehn-Mann-Kapelle. Der etwa 100 Meter breite „Platz der
Freiheit“ hat den vagen Umriss Berlins und kann für kulturelle und
politische Veranstaltungen „im deutschen Geist“ genutzt werden. Die
begeisterte klingende Stimme des Regierenden Bürgermeisters Dietmuth Karzer
von der AfD schallt hoch: „… freue ich mich, heute am 8. August 2041, den
letzten Bauabschnitt der Randbebauung des Tempelhofer Feldes mit diesem
Richtfest zu eröffnen, äh, zu beenden, äh, feiern zu dürfen“.
Als die AfD vor längerer Zeit noch nicht in Berlin an der Macht war, war
die Randbebauung des Felds ständiges Diskussionsthema. War. „Hier, am Rand
des Platzes der Freiheit, stehen nun die letzten fünf 120-stöckigen
Wohnhäuser der inneren Randbebauung. Mögen sie für die nächsten 1.000 Jahre
den Bürgern ein sicheres deutsches Heim und Dach über dem Kopf bieten.“ Die
anwesenden Politiker, Architekten und Geschäftsführer der Baukonzerne, die
die Gebäude realisiert haben, applaudieren. Die Kapelle spielt einen Tusch.
„So schön, mitzuerleben, wie sich diese Gegend entwickelt hat“, sagt Markus
Mauser. „Seit unsere Dialogwerkstatt THF zur Zukunft des Tempelhofer Feldes
damals 2025 vom Berliner Senat ins Leben gerufen wurde, haben wir fast
wöchentlich getagt und uns Gedanken zur Gestaltung und Nutzung dieser
riesigen, ungenutzten Brache gemacht.“ Heute soll nun zumindest mal die
„Bodenversiegelungsgestaltung“ des Platzes beschlossen werden.
Während unten weitere Reden gehalten werden, führt uns Markus Mauser zu
einem Tempelhofer-Feld-Modell. Im Norden und Westen wurde die äußere
Randbebauung in Traufhöhe und Fassadengestaltung dem alten Flughafengebäude
aus dem Jahr 1936 angepasst. Dort wohnen seit 2030 bereits die ersten
Berliner. Der zweite Ring der Randbebauung, der durch eine achtspurige
Straße vom ersten separiert wird, ist seit 2035 bewohnt. Seine zehn- bis
fünfzehnstöckigen Gebäude bestehen aus meist 200 bis 300 Quadratmeter
großen Wohnungen.
## Kostbare Touristen durch herunterfallende Schafe getötet
Ein etwa zehn Meter breiter Ringpark trennt die Häuser von Europas größtem
Einkaufszentrum, der Mall of Freedom. Hier ist von Aldi bis Swarovski alles
vertreten, viele Läden sind allerdings geschlossen. Die Dachterrasse ist
wie bei fast allen Gebäuden betoniert und begrünt. Schafe weiden allerdings
nicht mehr dort, seit Tiere über den Rand fielen und Menschen töteten –
darunter kostbare Touristen.
Der nunmehr letzte Teil der Randbebauung, der durch eine sechsspurige
Straße von der Mall getrennt ist, wird heute per Richtfest eingeweiht. „Ein
Wahnsinnsprojekt“, schallt jetzt die Stimme von Berlins AfD-Bausenator
Bernd Brömmel nach oben, von den Einheimischen scherzhaft Beton-Brömmel
genannt. „Wir haben dreieinhalb Millionen Quadratmeter in knapp 15 Jahren
hochgezogen. Unsere blaue Regierung hat der Hauptstadt den Wohnraum
geschenkt, um den die rot-rot-grüne Regierung die Bürger einst ständig
betrogen hat!“
95 Prozent der Wohnungen auf dem Tempelhofer Feld sind heute
Eigentumswohnungen. Und natürlich wohnen die allermeisten Besitzer nicht
hier, sondern in München oder Florida und vermieten die Wohnungen zu den
marktüblich entgrenzten Preisen. Der Rest gehört immer noch Berlin,
darunter 98 Sozialwohnungen als „Gates Community“. Der neue Wohnraum hat
die Lage am Markt deutlich entspannt. „In den letzten zwei Jahren sanken
die Mieten im Durchschnitt um 0,3 Prozent“, verkündet Bausenator Brömmel.
Verkehrstechnisch sei das Quartier hervorragend erschlossen,ergänzt Mauser
im Sitzungsraum. Das gesamte Gebiet wurde jüngst mit einer dreistöckigen
Tiefgarage unterkellert, die größte der Welt. In Krisenzeiten, etwa wenn
Russland den Polenfeldzug doch noch gewinnen sollte und ein Stück weiter
westwärts zieht, kann sie als Luftschutzbunker genutzt werden. Allerdings
nur für Tempelhofer-Feld-Bewohner.
„So“, sagt Markus Mauser, schließt das Fenster zum Richtfest und setzt
sich. „Lassen Sie uns mit der Sitzung fortfahren. Wie soll der Boden des
Platzes der Freiheit denn nun gepflastert werden?“ Zum letzten Mal trifft
sich heute die Dialogwerkstatt THF. Ab September leitet Mauser die
Dialogwerkstatt zur Randbebauung am Berliner Grunewald.
8 Aug 2025
## AUTOREN
Michael-André Werner
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