# taz.de -- Die Linke in Niedersachsen: Das System Diether Dehm | |
> Diether Dehm ist Schlagersänger, Romanautor, Millionär und Politiker der | |
> Linkspartei. Seinen Landesverband Niedersachsen hat er fest im Griff. | |
Bild: Diether Dehm im Bundestag, 2016 | |
BERLIN/HANNOVER taz | Aha. Didi Hallervorden hat also Geburtstag. Zu Beginn | |
der Zugfahrt nach Hannover platziert Diether Dehm seinen Rollkoffer im | |
hinteren Teil des Speisewagens, setzt sich an einen Restauranttisch und | |
zieht das Telefon aus der Tasche. Ob er vor dem Interview noch kurz einen | |
alten Freund anrufen könne, um zum Geburtstag zu gratulieren? | |
Na klar. Ist ja kein Geheimnis, dass Dehm mit dem Kabarettisten vertrauten | |
Umgang pflegt, genauso wie mit Peter Gauweiler (CSU), Christian Wulff | |
(CDU), Sahra Wagenknecht (Linke), Konstantin Wecker (Liedermacher), | |
Christian Klar (Webmaster), Sabine Kebir (Autorin), Peter Sodann | |
(Schauspieler), Wolf Biermann – ach nee, Biermann nicht mehr, so ein | |
„Kriegstreiber und Staatsdichter“. | |
Alles Namen, die während der eineinhalbstündigen Zugfahrt fallen. Es ist ja | |
auch kein Geheimnis, dass Diether Dehm, Politiker, Schlagersänger, | |
Romanautor, Millionär, Tabubrecher, einer der bestvernetzten Strippenzieher | |
in der Linkspartei ist. | |
Seinen niedersächsischen Landesverband hat er jedenfalls seit 15 Jahren im | |
Griff. Nächstes Wochenende wird der Hannoveraner Landtag neu gewählt, die | |
Linkspartei hofft nach vierjähriger Abstinenz auf den Wiedereinzug. Die | |
Spitzenkandidaten der Linken heißen Adler, Stoeck, Weißer-Roelle, Behrens – | |
Personen, die man jenseits des Harzes nicht kennt. Anders als Diether Dehm, | |
den heimlichen Hannoveraner Häuptling der Linkspartei: „Keiner kann an ihm | |
vorbei“, sagt Gunda Pollok-Jabbi. | |
## Finanziell unabhängig | |
Sie ist ehemalige Ratsfrau der Linken in Hannover und im September aus der | |
Partei ausgetreten. Per Pressemitteilung schob sie nach, im Landesverband | |
herrschten unerträgliche Zustände. Es gehe nur darum, dem | |
Bundestagsabgeordneten Dehm die Macht zu sichern. Vom „System Diether Dehm“ | |
spricht sie. Ein System, das auf Belohnung und Bedrohung basiert, wenn man | |
denen glauben mag, die mit Dehm noch ein Hühnchen zu rupfen haben. „Wer | |
nicht in den Kram passt, wird angefeindet“, sagt Pollok-Jabbi. | |
Alles frei erfunden von einer, die nicht mehr für den Stadtrat aufgestellt | |
wurde, wie der Kreisvorsitzende Johannes Drücker klarstellt. Oder ist doch | |
was dran? Nachfragen führen oft zu Leuten, die wie Pollok-Jabbi ausgetreten | |
sind und nichts mehr zu verlieren haben. Aktive Mitglieder halten sich mit | |
Kritik an Diether Dehm zurück. Er wolle noch was werden in der | |
Landespartei, sagt einer. | |
Dehm stieß 2001 zur niedersächsischen PDS. Göttinger Genossen hatten den | |
Ex-SPDler als Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl vorgeschlagen. Dehm | |
reiste durchs Land, zeigte Präsenz wie kein anderer PDS-Kandidat zuvor. Er | |
war finanziell unabhängig, hatte für Wahlveranstaltungen immer eine Truppe | |
von Künstlern im Schlepptau und konnte mit jedem: „Er gibt dem kleinsten | |
Ortsvereinsvorsitzenden das Gefühl, dass dieser der wichtigste Mensch auf | |
der ganzen Welt ist“, meint Juan Sanchez Brakebusch, damals im | |
Landesvorstand aktiv. | |
Dehm, der Umarmer, so lernten ihn die Genossen kennen. Die PDS verpasste | |
2002 zwar den Einzug in den Bundestag und Dehm blieb ohne Mandat. Doch in | |
Niedersachsen hatte er sich wie weiches Wasser in den Stein gegraben. „Nach | |
und nach hat er alle alten Strukturen und Personen verdrängt, darunter | |
mich“, sagt Brakebusch. | |
## Strömungsübergreifende gemeinsame Linie | |
Dehm versah den bisher glanzlosen Landesverband mit Glamour. Er war | |
maßgeblich daran beteiligt, dass 2008 der Einzug in den Landtag gelang. Er | |
schwor die diversen Grüppchen auf eine strömungsübergreifende gemeinsame | |
Linie ein. So lautet die eine Version der Erzählung. Andere berichten, dass | |
Dehm gern Gefälligkeiten verteile – hier die Aussicht auf einen Bürojob, da | |
eine Materialspende, auch mal etwas Geld. Viele Mitglieder der | |
niedersächsischen Linken lebten in prekären Verhältnissen, da seien 100 | |
Euro willkommen, meint ein ehemaliges Parteimitglied, das Dehms Aufstieg | |
mitverfolgte und aus beruflichen Gründen anonym bleiben will. | |
Belege für Geldzuwendungen an Parteimitglieder gibt es nicht. „Diether habe | |
ich eher als geizig wahrgenommen, er hat selten mal ’ne Runde spendiert, | |
wenn wir alle zusammensaßen“, meint Brakebusch. Ein Mäzen sei Dehm nicht, | |
aber ein Geschäftsmann, der knallhart kalkuliere. | |
Das scheint auch ein Brief an das Büro des damaligen PDS-Vizes Dehm zu | |
belegen, der der taz vorliegt. Sahra Wagenknecht-Niemeyer, damals noch | |
ziemlich abgebranntes, einfaches Parteivorstandsmitglied, stellte Dehm im | |
September 2002 eine Rechnung für Wahlkampfauftritte. Dehms Büro hatte | |
offenbar pauschal 1.000 Euro versprochen. Doch das hätte bedeutet, so | |
Wagenknecht, „dass ich die Hälfte der Veranstaltungen bei euch kostenfrei | |
hätte machen müssen“, und verlangt stattdessen 1.953 Euro. | |
Dehm und Wagenknecht hatten mal eine Affäre, politische Freunde sind sie | |
bis heute geblieben. Er organisiert das linke Lager in der Fraktion für | |
sie. Doch beim Geld hört ja die Freundschaft oft auf. | |
## Lerryn und „Plärryn“ | |
Die Grünen-Mitgründerin Jutta Ditfurth begegnete Dehm 1979. Damals | |
organisierten beide in einem breiten Bündnis das zweitägige Open-Air | |
Festival „Rock gegen rechts“. Dehm, der Schallplatten unter dem | |
Künstlernamen Lerryn produzierte, hieß bei Ditfurth und ihren Freunden nur | |
„Plärryn“. „Wegen seiner schrecklichen Musik.“ | |
Die „Rock gegen rechts“-Konzerte, auf denen unter anderem die | |
niederländische Band Bots auftrat, wurden ein Erfolg. Als sich das Bündnis | |
das nächste Mal traf, sagte Dehm zu Ditfurth: „Jutta, weißt du, was ich | |
mache? Ich fahre jetzt in die Niederlande und hole mir einen | |
Exklusivvertrag mit den Bots.“ Typisch Dehm, sagt Ditfurth: „Er hat ein | |
politisches Ereignis genutzt, um daraus geschäftliches Kapital zu | |
schlagen.“ | |
Dass er polarisiert, ist Dehm selbst bewusst, er genießt das sogar. „Wenn | |
ich in den Raum komme, teilt sich das Meer wie bei Moses“, sagt er im | |
Speisewagen. Seine Kritiker verortet er vor allem beim „rosa-grünlichen“ | |
Teil von Partei und Medien. Sie verachteten die „alten weißen Männer“, die | |
einfachen Industriearbeiter. Er hingegen fühle sich immer noch dem | |
IG-Metaller verbunden. Vielleicht auch durch ein gemeinsam verortetes | |
Misstrauen gegen „emanzipationstheoretische Bevormundung“ und eine | |
schwärmerische Begeisterung für starke Frauen. Frauen wie Sahra | |
Wagenknecht. | |
Kurz vor der Bundestagswahl in Hannover: Dehms Team hat an jeder freien | |
Laterne vor der Geschäftsstelle des Kreisverbandes Plakate der | |
Spitzenkandidatin aufgehängt. Ein Mitarbeiter macht den Chef darauf | |
aufmerksam: „Haste gesehen, Diether, da hängt die Sahra.“ Eine Laterne war | |
allerdings schon besetzt mit einem Plakat, von Parteichefin Katja Kipping. | |
Dehm mustert das Bild. „Der Blick“, murmelt er, „da gefriert’s mir.“ | |
## Gegen das Grundeinkommen | |
Das Grundeinkommen, für welches Kipping sich einsetzt, lehnt er ab, es sei | |
im Grunde ein Alimentierungsprogramm für RTL-II-Zuschauer, bei Schonung von | |
Kapitalprofiten. Die Avancen der Parteivorsitzenden an das grüne, | |
großstädtische Milieu betrachtet er mit Misstrauen. Dehms Ansichten seien | |
Konsens in der Landespartei, seufzen Kritiker. | |
Doch Dehm gilt als angezählt. Zur Listenaufstellung im Januar schickten | |
drei Kreisverbände mit dem 35-jährigen Victor Perli einen Gegenkandidaten | |
ins Feld, der in der Stichwahl um Platz 2 nur knapp gegen Dehm verlor. Es | |
sei so langsam Zeit für eine Verjüngung, hieß es aus den Kreisverbänden. | |
Bevor wir in Hannover aussteigen, kommt der Kellner mit der Rechnung. | |
„Lassen Sie mal“, sagt Dehm. Ich übernehme das.“ Und als das abgelehnt | |
wird: „Das war wohl der Versuch, eine Journalistin zu bestechen.“ Wir | |
lachen. | |
12 Oct 2017 | |
## AUTOREN | |
Anna Lehmann | |
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