# taz.de -- Die Grünen und die umstrittenen Pillen: Homöopathie für den Chef | |
> Robert Habeck übernimmt persönlich die Leitung der Kommission, die den | |
> Globuli-Streit befrieden soll. Verbände bieten bereits ihre Hilfe an. | |
Bild: Jetzt auch Chef der Globuli: Grüner Robert Habeck | |
BERLIN taz | Die Grünen-Spitze war froh, dass das heikle Thema erstmal | |
abgeräumt schien. Als Bundesgeschäftsführer Michael Kellner vor zwei Wochen | |
auf dem Parteitag in Bielefeld [1][den Kompromiss zur Homöopathie] | |
vorstellte, dankte er allen AntragstellerInnen. Ausdrücklich, namentlich | |
und einzeln. Die Erleichterung war ihm anzumerken. Ein offener Streit über | |
Globuli, hieß es danach bei den Grünen, „wäre fatal gewesen“. | |
Eine Kommission soll nun bis zum nächsten Bundesparteitag die Haltung der | |
Ökopartei zu Homöopathie klären. Darin sollen FachpolitikerInnen | |
diskutieren – aber auch ExpertInnen von außerhalb zu Wort kommen. Es steht | |
viel auf dem Spiel: Zu große Sympathie für Homöopathie stieße gerade junge | |
Leute vor den Kopf, die auf die Wissenschaftlichkeit von Medizin pochen. | |
Mit einer allzu kritischen Haltung könnten die Grünen viele WählerInnen | |
vergraulen, die fest an die segensreiche Wirkung von Globuli glauben. | |
Wie heikel die Sache von der Grünen-Spitze eingeschätzt wird, zeigt eine | |
Personalie: Parteichef Robert Habeck wird persönlich die Leitung der | |
Kommission übernehmen. Das erfuhr die taz am Donnerstag aus Parteikreisen. | |
Eine Grünen-Sprecherin bestätigte die Personalie, betonte aber, dass | |
weitere Details unklar seien. „Zusammensetzung und Arbeitsplan der | |
Kommission werden derzeit erarbeitet.“ Homöopathie wird bei den Grünen also | |
Chefsache. | |
Habeck, der sich schon vor dem Parteitag eingeschaltet hatte, um den Streit | |
zu befrieden, steht vor einer großen Aufgabe. Allein wer in der Kommission | |
sitzen darf – und wer nicht – ist umstritten. | |
## Auf „sachlicher Ebene“ | |
Verbände, die für Homöopathie werben, bieten den Grünen bereits an, | |
ExpertInnen in die Kommission zu entsenden. Mit dem Parteitagsbeschluss | |
werde die Diskussion wieder „auf eine sachliche Ebene gebracht“, sagte | |
Sigrid Heinze, Geschäftsführerin der Hufelandgesellschaft. | |
„Selbstverständlich stehen wir für diesen Prozess bei Bedarf jederzeit mit | |
unserer Expertise zur Verfügung.“ | |
Auch der Dachverband [2][Anthroposophische Medizin] in Deutschland (DAMiD) | |
begrüßte den Beschluss der Grünen – und bot Hilfe an. „Besonders freut es | |
uns, dass die Grünen bereit sind, über eine ganzheitlich orientierte | |
Gesundheitsversorgung zu diskutieren“, sagte DAMiD-Geschäftsführerin | |
Barbara Wais. Und: „Wenn von der Kommission gewünscht, bringen wir uns | |
selbstverständlich mit unserem Sachverstand in die Diskussion ein.“ | |
Beide Verbände machen sich vehement für homöopathische Behandlungsmethoden | |
stark. Auch die Gesellschaft Anthroposophischer Ärzte in Deutschland (GAÄD) | |
lobte die Grünen für ihre Kommission. „Es gibt viele Studien und | |
Metanalysen, welche die Wirksamkeit homöopathischer Medikamente annehmen | |
lassen“, teilte ihr Vorstand auf taz-Anfrage mit. Diese Ergebnisse gelte es | |
zu bewerten, um Schlüsse zu ziehen. „Eine Kommission mit Unterstützung von | |
Experten ist dafür ein geeignetes Format.“ | |
Sätze wie diese bringen die Homöopathie-KritikerInnen bei den Grünen auf | |
die Palme. Die betonen mantrahaft, dass Homöopathie nicht über den | |
Placeboeffekt hinaus wirke. Auch renommierte Institutionen wie die | |
Helmholtz-Gemeinschaft verweisen auf fehlende wissenschaftliche Belege für | |
die Wirksamkeit. „Homöopathische Mittel allein wirken nicht gegen die | |
Beschwerden, gegen die sie empfohlen werden“, stellte die | |
Helmholtz-Gemeinschaft im April fest. Schließlich sind in den | |
hochverdünnten Mitteln oft keine Wirkstoffe mehr nachweisbar. | |
## Abgedriftet in wolkige Metafragen | |
Entsprechend sorgen auch die Angebote der Homöopathie-Verbände für Ärger. | |
„Der Versuch, den Beschluss für die Kommission im eigenen Sinne zu | |
interpretieren, ist durchsichtig“, sagte die Grüne Paula Piechotta am | |
Donnerstag. Piechotta, Ärztin an der Uni-Klinik Leipzig und im dortigen | |
Grünen-Kreisvorstand aktiv, wirbt in der Partei für eine | |
homöopathie-kritische Haltung. Und betonte: „Fakt ist: Alle Entscheidungen | |
sind offen.“ Es könne auch sein, dass die Kommission angesichts der Fülle | |
der Fragen scheitert. | |
Dieser Verdacht ist nicht unbegründet. In ihrem Bemühen, alle Seiten | |
zufrieden zu stellen, sind die Grünen in wolkige Metafragen abgedriftet. | |
Ihr Beschluss liest sich so, als könne das Unterfangen schnell ausufern. So | |
wollen die Grünen zum Beispiel klären, „in welchem Spannungsverhältnis“ | |
evidenzbasierte Wissenschaft und ein ganzheitlicher Gesundheitsbegriff | |
stehen. Ebenso wollen sie „den Wissenschaftsbegriff in der Medizin“ | |
diskutieren. | |
Die Fronten stehen sich unversöhnlich gegenüber: Der Streit sei „giftig“ | |
geführt worden, heißt es. Wichtige Grüne betonen hinter vorgehaltener Hand, | |
das Thema sei ja angesichts der Herausforderungen der Zeit eigentlich | |
irrelevant. Andere widersprechen vehement. „Wenn wir als Grüne die | |
Homöopathie in Frage stellen, dann berührt das unsere programmatische DNA | |
und ist etwa so, als wenn die CDU sich für die Abschaffung des | |
Religionsunterrichts aussprechen würde“, sagte Baden-Württembergs | |
Sozialminister Manfred Lucha der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. | |
Was, wenn sich die Kommission nicht einig wird? „Dann müsste die nächste | |
Bundesdelegiertenkonferenz über die harten Punkte entscheiden“, sagte | |
Homöopathie-Kritikerin Piechotta. Die Grünen-Spitze bekäme also den Streit, | |
den sie nun erstmal verschob, Ende 2020 erneut serviert – [3][pünktlich zum | |
beginnenden Bundestagswahlkampf]. | |
28 Nov 2019 | |
## LINKS | |
[1] /Parteiinterner-Streit-ueber-Homoeopathie/!5639052 | |
[2] /Waldorf-Weleda-Demeter-und-Co/!5638891 | |
[3] /Machtambitionen-der-Gruenen/!5638650 | |
## AUTOREN | |
Ulrich Schulte | |
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