| # taz.de -- Streit über Wirksamkeit der Homoöpathie: Die Grünen und die Glob… | |
| > Die Grünen als Partei haben ein besonderes Verhältnis zur Homöopathie. Am | |
| > Anfang ihrer Umweltpolitik stand auch eine diffuse Furcht vor der | |
| > Moderne. | |
| Bild: Haben die Grünen ein Globuli-Problem? | |
| Es läuft für die Grünen. Relativ stabil hohe Zustimmung, starke | |
| Vorsitzende, eine gesellschaftliche Stimmung, die sowohl das ökologische | |
| Standing der Grünen honoriert als auch deren Haltung zu dem, was man | |
| liberalfundamentalisierte Bundesrepublik nennen könnte. Auch der gerade | |
| abgeschlossene Parteitag war in der Lage, kritische Themen abzuarbeiten, | |
| den Willen zur Regierungsverantwortung zu unterstreichen. Kaum etwas kann | |
| also derzeit das grüne Wässerchen trüben, wäre da nicht eine Debatte, deren | |
| Heftigkeit überraschen muss – die Debatte um die grüne Haltung zur | |
| Homöopathie. | |
| Weil die Grünen diesen Streit nicht so recht abgeräumt bekommen, hat die | |
| Partei zu jenem Mittel gegriffen, welches in der Politik immer dann greift, | |
| wenn ein Kompromiss nicht ganz einfach scheint: Wenn man nicht mehr | |
| weiterweiß, [1][gründet man ’nen Arbeitskreis –] auch auf die Gefahr hin, | |
| dass dieser kaum zur Klärung beiträgt. So wollen die Grünen nun, so | |
| beschloss es die Partei in Bielefeld, ihr Verhältnis zur evidenzbasierten | |
| Medizin klären. Der darin eingeschriebene Versuch, ein neues, ein anderes | |
| Verhältnis zur Wissenschaft zu definieren, er kann nur zum Scheitern | |
| verurteilt sein – schließlich gibt es dem wissenschaftlichen Vernehmen nach | |
| keinen „Beweis“ für die Wirksamkeit über den Placebo-Effekt hinaus. Und | |
| damit kaum eine wissenschaftliche Begründung für die Erstattung von | |
| homöopathischen Präparaten. | |
| Und dennoch wären die Grünen [2][nicht gut beraten, sich von der | |
| Homöopathie als komplementärmedizinischem Ansatz zu distanzieren]. Nicht | |
| weil die bisweilen plumpe Kritik einer harten Prüfung selten standhält. So | |
| kann dem ökonomischen Argument der gesellschaftlichen Kosten auch immer das | |
| Gegenargument von Arbeitsplätzen und Steuereinnahmen entgegengehalten | |
| werden. Überdies sind auch Placebos nicht kostenfrei zu bekommen. Und das | |
| Argument, Homöopathie allein könne etwa bei Krebspatienten fatale Folgen | |
| haben, gilt schließlich auch für den legalen Tabak-, Alkohol- und | |
| Fleischkonsum – allein ein Verzicht auf ein Tabakwerbeverbot dürfte höhere | |
| gesellschaftliche Kosten verursachen als die Erstattung von Homöopathie. | |
| ## Leiden an der Moderne | |
| Aber gerade darum sollte es bei [3][der grünen Klärung zur Homöopathie] | |
| nicht gehen. Die entscheidendere Richtschnur für das Verhältnis liefert | |
| vielmehr der Blick in die – leider an vielen Punkten verschüttete – | |
| Geschichte der Partei und, weiter gefasst, in die ökologische | |
| Ideengeschichte und das weitgehend in bürgerlichen Kreisen brüchige, | |
| bisweilen irrationale Verhältnis zu Fortschritt und Moderne. | |
| Schließlich steht am Beginn der ökologischen Ideengeschichte nicht zufällig | |
| ein (irrationales) Leiden an Moderne, an Fortschritt, ja, an Evidenz. Und | |
| nicht zufällig ist es jene Epoche der von Stefan Zweig so treffend | |
| beschriebenen Fortschrittsreligion, dem Szientismus seiner Zeit, | |
| einhergehend mit massiven Veränderungen der Kommunikations- und Bildgewalt | |
| der Zeit – Grammofon, Fotografie, Telefon –, in der Rationalitätsflucht en | |
| voque war, in der jeder zehnte Münchner Bürger an Séancen teilnahm, in der | |
| Max Weber auf den mythenumrankten Monte Verità floh, in der der bis heute | |
| zu Recht Widerspruch provozierende Rudolf Steiner die Homöopathie – | |
| Akasha-Chronik beseelt – weiter popularisierte, in der er den | |
| demeter-Landbau aufs Gleis der Geschichte setzte. | |
| Es ist dies der Anknüpfungspunkt auch, an dem die junge grüne Bewegung – | |
| insbesondere im anthroposophisch geprägten Landesverband Baden-Württemberg | |
| – andockte. Am gebrochenen Fortschrittsversprechen des Zeitalters von | |
| Planbarkeit und Machbarkeit, dem die Ölpreiskrisen von 1973 und 1979 ein | |
| Ende setzen, am aufkommenden Zeitalter des Neoliberalismus und der | |
| Globalisierung, war es ein esoterisch-verschrobener, später ins rechte | |
| Milieu abdriftender demeter-Bauer, der den Beginn der grünen | |
| Parteigeschichte mit markierte: Baldur Springmann, der Liebling auch der | |
| Medien in den späten siebziger Jahren. | |
| Und auch die damit eng verwobene Ökologiegeschichte ist eher eine, die, | |
| neben dem Aufbau von rationaler Expertise in Fragen von Risiken der | |
| Kernkraft und Gefährdungen der Umwelt, von esoterischem Alarmismus | |
| überwölbt wurde. Wenn man die zeitgenössischen Äußerungen etwa Carl Amerys | |
| zum mythologisch aufgeladenen Waldsterben liest, dann kann man, mit dem | |
| Umwelthistoriker Frank Uekötter, kaum noch von einer Annäherung an | |
| rationales Denken sprechen. Anders gesagt, der wissens- und evidenzbasierte | |
| Ansatz der Grünen in der Klimapolitik stand gerade nicht am Anfang der | |
| Parteigeschichte. | |
| ## Evidenz und Irrationalität | |
| Ein letzter Zeitsprung mag die Ambivalenz von Evidenz und Irrationalität in | |
| die heutige Zeit zu transportieren. Es steht außer Frage, dass die | |
| ökosoziale Nachhaltigkeitsrevolution, bisher indes mit bescheidenem Erfolg, | |
| längst auf die Gesellschaft ausstrahlt. Und an der Spitze dieser Revolution | |
| steht, wiederum nicht zufällig, die Anthroposophie: Die GLS-Bank, | |
| Unternehmen wie Alnatura, dm, tegut, Marken wie Weleda oder Dr. Hauschka, | |
| sie alle teilen sich nicht nur eine anthroposophische Gründungsgeschichte – | |
| sie sind auch die Adressaten jener bürgerlichen Sehnsucht nach einer | |
| anderen, weniger evidenzbasierten Moderne, von der auch die Grünen | |
| profitieren dürften. | |
| Wer also heute im aufklärerischen, szientistischen Gewand | |
| modernistisch-fortschrittlich-rational die Welt durchmisst, der übersieht | |
| vielleicht, dass es gerade im bürgerlichen Milieu auch schon immer eine | |
| Flucht vor dieser Weltbeschreibung gab, in der Lebensreform, in den 70ern, | |
| heute. Dies ist auch der Ort der Homöopathiedebatte, die sich weniger um | |
| Evidenz scheren sollte als um die Ermöglichung, Weltflucht in | |
| (informierten) Zuckerkügelchen als Flucht vor den Härten und | |
| Unübersichtlichkeiten der späten Moderne zu finden. | |
| 28 Nov 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Michael Lühmann | |
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