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# taz.de -- Grüne und Homöophatie: Glaubenskrieg um Globuli
> Sanfte Heilung oder Hokuspokus? Den Grünen droht auf ihrem Parteitag ein
> Streit über den Sinn und Unsinn von Homöopathie. Der Vorstand ist
> alarmiert.
Bild: Homöopathische Mittel werden im Moment von vielen gesetzlichen Krankenka…
Berlin taz | Paula Piechotta hält Homöopathie – kurz gesagt – für teuren
Humbug. „Wir Grüne verweisen stets auf die Wissenschaft, wenn es gegen
Klimaleugner geht“, sagt Piechotta, Ärztin an der Uni-Klinik Leipzig und im
dortigen Grünen-Kreisvorstand aktiv. „Deshalb müssen wir uns auch anderswo
klar gegen Esoterik und Wissenschaftsfeindlichkeit positionieren.“
Wissenschaftsferne Positionen, sagt Piechotta, „schrecken viele Menschen
ab, die uns gerne wählen würden.“
Für die Ökopartei ist das Thema heikel, weil ihr ein Glaubenskrieg droht.
Viele WählerInnen und Mitglieder schwören auf Globuli und Co. – als sanfte
Alternative zur klassischen Schulmedizin. Viele andere halten die Mittel,
oft Zuckerkügelchen, auf die hochverdünnte Substanzen aufgebracht wurden,
für Hokuspokus. Besonders ein Punkt erhitzt die Gemüter: Viele gesetzliche
Krankenkassen übernehmen bisher [1][die Kosten für homöopathische
Behandlungen].
Finanziert die Allgemeinheit fragwürdige Voodoo-Medizin? Oder ist es
richtig, Homöopathie zu unterstützen? Für die Grünen-Spitze, die um die
Zerrissenheit ihrer Klientel weiß, sind das unbequeme Fragen. Auf dem
Bundesparteitag im November könnte der Konflikt eskalieren. Piechotta und
andere Mitglieder haben einen Antrag formuliert, der es in sich hat – und
die Sympathie, mit der die Grünen der Homöopathie bisher begegnen, abkühlen
würde.
Der Antrag fordert, dass Sonderrechte der Homöopathie [2][„aufgehoben oder
zumindest kritisch überdacht werden“] müssten. Die Registrierung und
Zulassung von Homöopathika als Arzneimittel sollten erschwert, PatientInnen
besser aufgeklärt werden. Und, am wichtigsten: Die Erstattung „dieser
nachgewiesenermaßen nicht über den Placebo-Effekt hinaus wirksamen
Behandlungsmethoden durch die Krankenkassen“ solle beendet werden, fordern
Piechotta und Co.
## Über 250 Unterschriften
Den Antrag haben bereits über 250 Mitglieder unterschrieben – darunter zum
Beispiel der Europaabgeordnete Rasmus Andresen. So viele Unterschriften
werden so gut wie nie vorab für Anträge eingesammelt. Auch die
Homöopathie-Befürworter haben sich bereits in Stellung gebracht, sie
kontern mit mehreren Anträgen. [3][Einer fordert, bei der Finanzierung
durch die Kassen am Status quo festzuhalten.] Grundsätze der Grünen seien
schließlich Toleranz und „die Akzeptanz verschiedener Ansichten“.
Die Homöopathie hat in der Partei wichtige Fürsprecher. „Baden-Württemberg
ist ein traditions- und erfolgreicher, anerkannter Standort für hochwertige
Naturheilkunde-Verfahren und homöopathische Medizin“, sagt Manfred Lucha,
Sozialminister in Baden-Württemberg – und auch für Gesundheit zuständig.
„Ein breites Therapieangebot, das auch Naturheilkunde und
Komplementärmedizin umfasst, ist den Menschen im Land sehr wichtig.“
Deshalb müssten diese Leistungen auch weiterhin von den gesetzlichen
Krankenkassen vergütet werden dürfen. Luchas Fazit: „Wir sollten den Nutzen
von gemeinsamen Therapien aus Naturheilkunde und Schulmedizin weiter
erforschen.“
In der Bundestagsfraktion ist die Abgeordnete Kordula Schulz-Asche für das
Thema zuständig. Sie persönlich glaube nicht an Homöopathie, sagt sie.
„Vielen Menschen aber hilft Homöopathie.“ Das ausführliche Gespräch mit …
Arzt werde als sehr zugewandt erlebt, der Placebo-Effekt wirke nachweislich
bei vielen. „Es ist gut, dass sich Menschen auch für diesen Weg entscheiden
können.“ Deshalb sollten die Kassen solche Leistungen – vor allem das
Gespräch – weiter bezahlen.
Es ist nicht einfach, mit Grünen über den Sinn oder Unsinn von Homöopathie
zu sprechen. Viele winken ab, wenn man sie fragt – ihnen ist das Thema zu
heiß. Die Parteivorsitzenden bitten um Verständnis, man wolle der Debatte
auf dem Parteitag nicht vorgreifen. Die taz-Anfrage an den hessischen
Sozialminister geht ins Leere, vielleicht hat er zu viel zu tun. Und
gestandene Bundestagsabgeordnete, die sich mit der Materie beschäftigt
haben, bitten darum, nicht zitiert zu werden.
## Rindermist in Kuhhörnern
Leute, die Homöopathie gut finden, haben Angst, als esoterische Spinner
hingestellt zu werden. Und die SkeptikerInnen ahnen, dass die Debatte den
Grünen schadet. Christian Lange, SPD-Staatssekretär im Justizministerium,
verursachte am Dienstag einen veritablen Shitstorm auf Twitter, weil er
Homöopathie als Teil einer „guten Patientenversorgung“ bezeichnet und dazu
[4][ein Foto von sich und der Weleda-Geschäftsführung gepostet hatte]. Das
Unternehmen Weleda verdient viel Geld mit anthroposophischen Arzneimitteln
und Naturkosmetik.
Der Stand der Wissenschaft ist klar: „Homöopathische Mittel allein wirken
nicht gegen die Beschwerden, gegen die sie empfohlen werden“, heißt es in
einem im April veröffentlichten [5][Artikel der Helmholtz-Gemeinschaft].
Das sei seit Jahrzehnten wissenschaftlich erwiesen, etwa durch eine 1997 in
einem Fachmagazin erschienene Metaanalyse, die verschiedene Studien
auswertete. Allerdings weist auch die Helmholtz-Gemeinschaft darauf hin,
dass Millionen Deutsche zu homöopathischen Mitteln greifen: „Mit der
Homöopathie erhalten die Patienten einen ausgeklügelten Placebo-Effekt auf
Rezept.“
Für Grünen ist das eine Lose-lose-Situation. Eigentlich spricht nichts
dafür, Kassen für Zuckerkügelchen zahlen zu lassen. Aber wer das offen
sagt, zieht die Wut einer großen Fangemeinde auf sich. Der Kampf um die
Globuli steht dabei für ein tieferes Problem. Teile der
Grünen-Anhängerschaft neigen bei manchen Themen zur Esoterik. Erst kürzlich
rang sich die Bundestagsfraktion dazu durch, eine [6][Impfpflicht gegen
Masern] zu unterstützen. Viele Grünen-WählerInnen schwören auf die Produkte
der Demeter-Bauern. Jene vitalisieren Böden, indem sie Rindermist in
Kuhhörner stopfen und vergraben.
Aber die Grünen stehen nicht allein vor dem Dilemma: Gesundheitsminister
Jens Spahn (CDU) fand im September eine salomonische Lösung. Er verwies
darauf, dass die gesetzlichen Kassen bei Arznei-Ausgaben von rund 40
Milliarden Euro im Jahr etwa 20 Millionen für Homöopathie zahlten. Darüber
könne man emotional diskutieren und dabei viele vor den Kopf stoßen, sagte
Spahn. Oder man könne sich fragen, ob es das angesichts der gesamten
Größenordnung wert sei. Er habe sich entschlossen, es sei „so okay“.
## Alles, bloß keine Abstimmung
Die Grünen setzen sich seit Längerem zunehmend kritisch mit alternativen
Heilmethoden auseinander. Forderte die Partei im Bundestagswahlprogramm
2009 noch einen „gleichberechtigten Stellenwert“ für Naturheil- und
Komplementärmedizin, heißt es im Programm zur Bundestagswahl 2017 nur noch,
dass die bessere Erforschung von alternativmedizinischen Verfahren mit
anerkannten Methoden erforderlich sei. Dieser Passus, entstanden als
Kompromiss zwischen Fans und Skeptikern, entbehrt nicht der Ironie.
Eigentlich ist die Homöopathie hinreichend erforscht.
Die Grüne Jugend fasste im April einen dezidiert homöopathie-kritischen
Beschluss, der unter anderem für das Streichen der Erstattung durch die
Kassen plädierte. Bei den meisten Homöopathika handele es sich um
Zuckerkügelchen oder Tropfen ohne jeglichen Wirkstoffgehalt, hieß es in dem
Papier. „Das größte Risiko (…) liegt darin, dass Globuli häufig als Ersa…
für wirksame Therapien angewendet werden.“
Die Grünen-Spitze hat erkannt, wie unschön eine Zuspitzung auf dem
Parteitag im November wirken könnte. Die Vorsitzenden Annalena Baerbock und
Robert Habeck sollen beklatscht und neu gewählt werden, ein ausführlicher
Antrag zu Wirtschaftspolitik steht auf dem Programm. Böse Schlagzeilen über
einen Homöopathie-Streit würden da nur stören. Bundesgeschäftsführer
Michael Kellner arbeitet derzeit hinter den Kulissen daran, die
Kontrahenten zu versöhnen – mit dem Ziel, eine Abstimmung auf dem Parteitag
zu vermeiden.
Denkbar wäre etwa, eine Arbeitsgruppe einen Kompromiss erarbeiten zu
lassen, der dann im neuen Grundsatzprogramm der Ökopartei landet. Ein
Antrag zum Parteitag schlägt vor, den Bundesvorstand mit der Organisation
einer Fachtagung mit VertreterInnen aus Schul- und Komplementärmedizin zu
beauftragen. Auch diese Variante fände die Grünen-Spitze charmant. Die
Abgeordnete Schulz-Asche wünscht sich eine gütliche Lösung: „Ein
polarisierter Streit auf dem Parteitag wird dem Thema nicht gerecht.“
Auch die Ärztin Piechotta gibt sich kompromissbereit. Unter einer
Bedingung: „Es muss eine Lösung geben, die die wissenschaftlich und
rational denkenden Menschen nicht vor den Kopf stößt.“
13 Oct 2019
## LINKS
[1] /Kassenaerzte-gegen-Homoeopathie/!5611600
[2] https://antraege.gruene.de/44bdk/Echter_Patientinnenschutz_Bevorteilung_der…
[3] https://antraege.gruene.de/44bdk/Foerderung_der_integrativen_Medizin_Fuer_t…
[4] https://twitter.com/LangeMdB/status/1181521362868981762
[5] https://www.helmholtz.de/gesundheit/wirkt-homoeopathie-wirklich/
[6] /Masern-Risiko-fuer-Kinder/!5584951
## AUTOREN
Ulrich Schulte
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