| # taz.de -- Der Newsroom von morgen: Alles neu im Alten Land | |
| > Das „Stader Tageblatt“ will seinen Lokaljournalismus ins Digitale | |
| > überführen. Machen soll das der neue Chefredakteur Arno Schupp. | |
| Arno Schupp strahlt Energie aus, Wachheit, Fokussierung. „Das hier wird der | |
| neue Konferenzraum!“, sagt er, und deutet in die Runde. Er sagt das mit | |
| Nachdruck, so als wäre es ein Statement. Der Raum ist groß und wirkt noch | |
| sehr verlassen. Früher saß hier Wolfgang Stephan, Schupps Vorgänger als | |
| Chefredakteur des Stader Tageblatts. Aber: „So viel Platz brauch’ ich | |
| nicht!“, sagt Schupp, [1][seit gut zwei Monaten im Amt]. „Ich nehm’ den | |
| kleinen Raum hier drüben. Reicht völlig.“ Eine symbolische Handlung, die | |
| zeigen soll: Schluss mit der Vergangenheit. Haken dran. Ende. | |
| „Wir sind mitten im Transformationsprozess!“, sagt Schupp – „Macht irre | |
| Spaß!“ Seine Kleidung ist lässig, die Wortwahl pointiert und ironisch, | |
| seine Gestik sparsam und spontan. Er möchte rüberkommen wie ein Macher. Die | |
| Rolle hat er auch drauf. Und er möchte rüberkommen wie ein Gleicher unter | |
| Gleichen – daran muss er noch feilen. Sein Blick hat was von einem | |
| ungeduldigen, ehrgeizigen Feldherrn, der in die Schlacht stürmt, seinen | |
| Truppen voraus. Der darauf hofft, dass ihm auch jemand folgt. | |
| Es ist kurz nach 13 Uhr und die Tischgruppen der verschachtelten, etwas | |
| düsteren Redaktion sind verwaist, die Monitore abgeschaltet: Homeoffice, | |
| wir leben in Pandemiezeiten. Aber Lars Strüning ist da, einer von Schupps | |
| Stellvertretern. Heute hat er Tante Käthe dabei, eine Mischung aus Pudel | |
| und Labrador. Die kriegt ein paar Augenblicke lang die volle | |
| Aufmerksamkeit. | |
| Schupp sagt, er habe Erfahrung in Kampfsport. Man kann sich das vorstellen: | |
| Er scannt seine Umgebung, füllt sie aus und kontrolliert sie. Bevor er nach | |
| Stade in der Nähe von Hamburg kam, war Schupp Lokal- und Homepage-Chef der | |
| Berliner Zeitung. Er sieht sich als Veränderer, als Wegbereiter. Er sagt | |
| Sachen wie: „Ich bin hier, um dem Blatt eine neue Strategie zu geben, es | |
| ins digitale Zeitalter zu führen.“ Er will seinem 30-köpfigen | |
| Redaktionsteam zeigen, wie er sich einen Lokaljournalismus vorstellt, der | |
| auch im Online-Geschäft besteht. Dafür hat er Schulungen angesetzt. | |
| Was das konkret heißen könnte: Fotos, auf denen sich Leute aufreihen und | |
| frontal in die Kamera lächeln, findet er gruselig. Texte, die nur | |
| Kleinräumiges beschreiben, ohne Perspektive aufs Überregionale, aufs | |
| Großthema, auch. | |
| Und den „Workflow“ will Schupp ändern, die Technik. In dem, was mal der | |
| neue Konferenzraum werden soll, fallen Worte wie „Medienwand“ und „Kamera, | |
| webfähig“. Das klingt hip und trendy, steht aber noch in starkem Kontrast | |
| zur Gegenwart hier. Schlechter ist die nicht unbedingt, nur anders. | |
| Schupps Zukunftsvision bedeutet nicht nur viel Arbeit, [2][sie kostet auch | |
| ziemlich viel Geld]. Aber das ist da, offenbar. „Coole Typen“, sagt Schupp | |
| über seine Verleger. „Die haben hier echt was vor.“ Auch seine „Mannscha… | |
| lobt er für ihre Bereitschaft, sich auf neue Ideen einzulassen: „Die haben | |
| total schnell antizipiert, was ich hier umsetzen will.“ | |
| Haben sie? Die Ausgabe von heute Morgen atmet jedenfalls noch stark den | |
| Geist von früher. Gelesen wird sie trotzdem. Zum Beispiel so: Draußen | |
| stehen drei Tageblatt-Drucker in der Pause auf der Heberampe vertieft in | |
| ihre eigene Zeitung. Ob sie wissen, wie Schupp sich das Neue denkt? Oder | |
| dass er unter Erfolgsdruck steht, weil sich das alles natürlich irgendwann | |
| auch rechnen muss? | |
| Und Schupp muss hohen Ansprüchen genügen, immerhin leitet er hier eine | |
| Traditionszeitung: [3][150 Jahre alt ist das Stader Tageblatt.] In der | |
| Jubiläumsausgabe bestätigte Vorgänger Wolfgang Stephan, nach zwei | |
| Jahrzehnten bei dieser „großartigen Zeitung“, dass Schupp in die richtige | |
| Richtung marschiere: Das Blatt, sagt er, „wendet sich im wahrsten Sinne des | |
| Wortes“. Der gedruckten Zeitung werde nur noch eine begrenzte Haltbarkeit | |
| unterstellt, weil den digitalen Nachrichten „die Zukunft gehört.“ | |
| Journalismus ist im Wandel, die Zeitungshäuser auf der Suche nach neuen | |
| Geschäftsmodellen. Das gilt auch für Stade. Und Schupp ist hier nun der | |
| Mann, der es richten soll. Es geht darum, Leser zu erreichen, die auf dem | |
| Smartphone keine langen Texte wollen, nur knackige Kernbegriffe, kurze | |
| Überblicks-Facts. Es geht um Crossmedialität, um engen Dialog mit dem | |
| Leser. | |
| ## Alles muss raus | |
| Schupps Blick schweift über die Redaktion, über die Möbel, die | |
| Raumaufteilung. „Hier muss sich einiges tun“, sagt er. „Wichtig ist doch, | |
| dass wir uns wohlfühlen, wo wir arbeiten.“ Und vorher? Hat sich hier | |
| niemand jemals wohlgefühlt? Oder tut das vor allem Schupp nicht? | |
| Redakteur Björn Vasel jedenfalls fühlt sich an seinem Schreibtisch | |
| sichtlich wohl, auf dem sich Recherchematerial halbmeterhoch auftürmt. | |
| Schupp schaut kurz rein: ein Zeichen der Kollegialität. Sein „Du“ ist | |
| demonstrativ. Genauso Sätze wie: „Wir sitzen hier alle an einem Tisch!“ Im | |
| Moment klingt das ein bisschen seltsam, weil ja kaum jemand da ist. Schupp | |
| liebt Anglizismen. „Ich bin hier ja keine One-man-Show“, sagt er. Und: | |
| „Alle hier sind open minded.“ Es wirkt, als ob er das schon oft gesagt | |
| habe. Wie man das eben so macht mit Credos, mit Mantras: „Wir sind hier ja | |
| keine Insel!“ | |
| Manche Entwicklungen machten ihm allerdings auch Angst, sagt Schupp. Er | |
| denkt dabei weniger an Branchenumbrüche als an die zunehmende Verhärtung | |
| und Zuspitzung gesamtgesellschaftlicher Diskurse. Dazu passt: Kurz vor dem | |
| 150-Jahres-Jubiläum tauchte die AfD beim Tageblatt auf. „Die haben von uns | |
| verlangt, unsere NS-Vergangenheit aufzuarbeiten“, sagt Schupp. „Skurril | |
| oder? Ausgerechnet die AfD! Ein Versuch, uns zu destabilisieren, sich | |
| selbst positiv zu profilieren. Ziemlich durchsichtig.“ Ja, das Stader | |
| Tageblatt war NS-belastet. „Eine unrühmliche Zeit“, sagt Schupp. „Die ha… | |
| wir auch offen dokumentiert.“ | |
| Auf der anderen Straßenseite, vor dem Tageblatt-Pressehaus, steht ein | |
| Stromkasten, angemalt fast wie eine Reichsflagge, mit „FCK/NZS“-Sticker | |
| dran. Themen liegen eben manchmal wirklich auf der Straße. „Hab ich noch | |
| gar nicht bemerkt, das Teil!“, sagt Schupp, „Danke!“ | |
| ## Im Maschinenraum | |
| Wir sind auf dem Weg runter zum „Epizentrum“, zur Rotationsmaschine. Das | |
| ist nicht ganz leicht zu finden: Treppen, Türen, Gänge. Aber schließlich | |
| kommen wir an, wo die Arbeit von oben über Nacht auf tonnenschwere | |
| Papierrollen übertragen wird. Heiß wird es dann hier unten und laut. Ein | |
| fast archaisches Gegenbild zur Medienmoderne, für die Schupp stehen soll: | |
| Videos, Podcasts, … | |
| Massive Stahlgeländer an Treppen aus Gitterrosten. Maschineneingeweide, in | |
| deren Enge U-Boot-Feeling aufkommt. Kettenzüge und Schläuche. Stahlplatten | |
| auf dem Boden, Türme von Paletten. Die News-App, die Schupp bald | |
| „scharfschalten“ will, scheint hier unten wie ein Raumschiff aus anderen | |
| Welten. | |
| Gefühlt ist man hier jedenfalls näher an 1872, als der erste Vorfahre des | |
| Stader Tageblatts als Behördenanzeiger gegründet wurde. Heute ist das Blatt | |
| eine Regionalzeitung für den gesamten Landkreis Stade, Buxtehuder und | |
| Altländer Tageblatt inklusive; der Mantelteil kommt von der | |
| Redaktionsgemeinschaft Nordsee in Bremerhaven. | |
| Wann Andruck ist? Schupp gibt die Frage vorsichtshalber an die Drucker | |
| weiter. Aha, Mitternacht. Weiter zur Tiefgarage. Wir wollen in die Stadt. | |
| Dorthin, wo die Themen sind, über die Schupps neuer Lokaljournalismus | |
| „Diskussionen befeuern“ will. Dorthin, wo die Leser sind, die diese | |
| Diskussionen anzetteln sollen. | |
| Als Schupp seinen schwarzen Škoda-Kombi anlässt, brandet „Killing in the | |
| Name“ auf, von Rage Against the Machine. Schupp erzählt von seinem Studium: | |
| Politik- und Sozialwissenschaft, acht Semester lang. „Kurz vor der | |
| Zielgeraden hab’ ich das abgebrochen. Die meisten anderen haben viel | |
| schneller geschaltet, dass das nichts bringt.“ | |
| ## Zurück in den Norden | |
| Schupp war lange beim Bremer Weser Kurier, er war beim Regionalmagazin | |
| „Buten un binnen“ von Radio Bremen. Und jetzt kehrt er nach sechs Jahren | |
| Hauptstadt wieder in den Norden zurück. „Ich habe in Berlin viel gesehen, | |
| viel gelernt“, sagt er. „Das war eine total spannende Zeit. Aber ich bin im | |
| Norden geboren und aufgewachsen, bin durch und durch norddeutsch.“ In | |
| Berlin hat Schupp in Kreuzberg gelebt, inmitten von fast vier Millionen | |
| Menschen. Heute wohnt er in Buxtehude. Da sind es 40.000. | |
| Die Fahrt endet am Fischmarkt, [4][in der Stader Altstadt]. Drumherum: | |
| Postkartenidylle mit schmalen, verwinkelte Gassen und pittoresk schiefen | |
| Fassaden in vielen Farben. Ein Stilmix von Renaissance bis Jugendstil. | |
| Gefühlt jedes zweite Haus ist ein Baudenkmal. „Derbe schön hier“, sagt | |
| Schupp und lehnt sich ans Geländer zum Hafen, mit Blick auf einen schmuck | |
| restaurierten Einmaster. | |
| In den Laden hinter ihm, mit Elvis Presley, James Dean und Marilyn Monroe | |
| im Schaufenster, will er unbedingt mal rein. „Kann natürlich der totale | |
| Kitsch sein. Aber vielleicht ists ja auch echt schräg da drin.“ Die Idylle | |
| hat auch Grenzen: Im Schaufenster eines Militariahandels steht das | |
| schlammfarbene Modell eines Panzerkampfwagens VI „Tiger“, Balkenkreuz | |
| inklusive. | |
| Während wir durch die Stadt gehen, vorbei an potenziellen Lesern seines | |
| neuen Lokaljournalismus, sagt Schupp: „Manchmal frage ich mich in solchen | |
| Augenblicken, ob wir die mit unseren Texten erreichen oder an ihnen | |
| vorbeischreiben.“18.000 Exemplare werden vom Tageblatt gedruckt, Tendenz | |
| sinkend. Und noch immer stehen die Schiffe drin, die in Hamburg anlegen – | |
| ein Gruß wie aus alten Tagen. | |
| 21 Feb 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://kress.de/news/detail/beitrag/148533-er-wechselt-von-der-berliner-ze… | |
| [2] /Corona-und-Journalismus/!5681088 | |
| [3] https://www.tageblatt.de/lokales/lokalesalle_artikel,-150-jahrestader-tageb… | |
| [4] https://www.stadt-stade.info/portal/seiten/denkmalroute-altstadt-900000042-… | |
| ## AUTOREN | |
| Harff-Peter Schönherr | |
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