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# taz.de -- Corona und Journalismus: Blatt ohne Papier
> Gerade in der Krise braucht es unabhängigen Journalismus – und zwar in
> der Breite. Verlage von Lokalzeitungen sind zum Umdenken gezwungen.
Bild: Wie, gedruckt? Können Zeitungen die Corona-Epidemie so überleben?
Manchmal braucht es eine Krise, um zu verstehen, was zählt. Wer krank wird,
weiß gute Versorgung mehr zu schätzen. Wer keine Freund*innen treffen darf,
entdeckt den Wert von Umarmungen. Leere Supermarktregale zeigen, wie
wichtig die sind, die sie auffüllen. Ärzt*innen, Pflege- und
Supermarktpersonal, sie alle sind nun „systemrelevant“. Waren sie natürlich
schon vorher. Aber wer hätte das schon so genannt?
Und Journalist*innen? Auf ihre Art ebenfalls relevant – da, wo sie
recherchierten, aufdeckten, kommentierten, und zwar nicht nur an den großen
Medienstandorten, sondern überall im Land. Aber oft wurden sie nicht als
unabdingbar wahrgenommen fürs Funktionieren der Demokratie. Beachtet wurden
stattdessen: Abos und Anzeigen.
[1][Nun erleben wir ein Paradox]. Die Nachfrage nach seriösem Journalismus,
der informiert und einordnet, steigt. Aber die Anzeigenerlöse, die ihn
mitfinanzieren, sinken oder bleiben ganz aus. Vor allem im Lokalen. Die
großen überregionalen Titel werden klarkommen. Aber was ist mit der
Vielfalt in der Breite?
Erkundigt man sich in diesen Tagen in den Redaktionen über ihre Situation,
hört man einerseits Jubel in Häusern wie der Frankfurter Allgemeinen
Zeitung, die von Wachstum „um 80 Prozent“ bei digitalen Zugriffen spricht,
andererseits große Besorgnis bei Lokalblättern. Die kleinen sind besonders
betroffen, wie die Neue Rottweiler Zeitung, ein unabhängiges Gratisblatt,
von einem Verein getragen. Ende März wurde die Printausgabe eingestellt.
Andere Lokalblätter haben ihre Seitenzahlen minimiert oder die Redaktionen
in Kurzarbeit geschickt.
## Widersprüche im System
Ende März veröffentlichte der Chefredakteur der Main-Post, Michael
Reinhard, einen Text in seinem Blatt, einer Regionalzeitung mit Sitz in
Würzburg, Auflage 115.000. „Wir über uns“, so der Titel, und: „Nie war …
wichtiger, die Menschen seriös zu informieren.“ Kein*e Chefredakteur*in
hatte in der Krise bis dahin so transparent aufgeschrieben, was die
Lokalzeitungsbranche umtreibt: Reinhard sprach über Werbeverluste in Höhe
von 80 Prozent. Als eine der ersten Zeitungen schickte die Main-Post ihre
Redaktion im April in Kurzarbeit.
Zwischen 50 und 70 Prozent werde in manchen Ressorts nur noch gearbeitet,
sagt Reinhard der taz. Mit dem gesellschaftlichen und kulturellen Leben
verschwand auch der klassische Terminjournalismus: Empfang beim
Bürgermeister. Die neue Rathausglocke wird eingeweiht. Ein Verein feiert
sein 100-jähriges Bestehen. Derlei Termine füllen normalerweise verlässlich
die Lokalzeitungsseiten.
Die Krise offenbart Widersprüche des derzeitigen Systems Zeitung: Während
der Bedarf nach gutem Journalismus steigt, schicken Verlage ihre
Redaktionen nach Hause. Dabei könnte es ganz anders sein. Die
Lokalzeitungen könnten die großen Profiteure der Krise sein. Das sieht
jedenfalls Hannah Suppa so, Chefredakteurin für Digitale Transformation der
Madsack-Mediengruppe.
Suppa kümmert sich bei dem Medienkonzern um die Entwicklung einer digitalen
Strategie für die Regionaltitel, entwickelt Strukturen und Arbeitsabläufe
für Lokalzeitungsredaktionen, um sie stärker ins Digitale zu rücken. Die
Coronakrise spiele vor allem direkt vor Ort, sagt sie. „Es ist eine
Hoch-Zeit für den Regionaljournalismus – weil viele Leser wiederentdecken,
welchen Mehrwert unsere Arbeit für ihr Leben hat.“
In einer Krise wie dieser interessiert das Unmittelbare besonders: Wie
viele Infizierte gibt es in meiner Stadt, in meinem Landkreis? Was ist
erlaubt? Welche Anlaufstellen gibt es in meiner Umgebung? „Das sind die
dringenden Fragen, die die Menschen gerade haben – und die wir als
Regionalmedien beantworten“, sagt Suppa. Und: Was heute bundespolitisch
debattiert wird, wird morgen regional und lokal umgesetzt – oft sehr
unterschiedlich. Das Informationsbedürfnis sei deshalb sehr groß, sagt
Suppa. Genau da müssten Lokalmedien ansetzen. „Wir leben in der Region,
genauso wie die Menschen, für die wir da sind“, sagt Suppa. Lokalmedien
wissen, was die Menschen betrifft. Wissen sie das zu nutzen, können sie
wieder zur lokalen Plattform für eine Region werden.
## Weniger Termine, mehr Themen
Die Madsack-Mediengruppe besitzt zahlreiche Lokaltitel wie die Hannoversche
Allgemeine Zeitung, Ostsee-Zeitung und Leipziger Volkszeitung. Die seien
von der Coronakrise betroffen wie viele andere in der Branche, sagt Suppa.
Dennoch gibt sich Suppa in ihrem Bereich optimistisch. „Es zeigt sich, dass
die Anstrengungen, die wir in den letzten Jahren in der digitalen
Transformation unserer journalistischen Marken unternommen haben, sich in
dieser Krise auszahlen“, sagt Suppa. Dank eines digitalen Abomodells, das
Madsack vergangenes Jahr eingeführt hat, könnten Inhalte jetzt viel
einfacher monetarisiert werden. Die Coronakrise habe beschleunigt, woran
Suppa schon lange für das Unternehmen gearbeitet habe: eine digitale
Transformation. Ist es so einfach?
Sicher ist: der Regional- und Lokaljournalismus ist nicht erst neuerdings
in der Krise. Seit Jahrzehnten diskutiert die Branche Strategien und Ideen,
um relevant und finanziert zu bleiben.
Main-Post-Chefredakteur Reinhard sagt: „Was wir in der Coronakrise lernen,
wollen und müssen wir auf jeden Fall beibehalten.“ Für die Zeitung heiße
das: weniger Terminjournalismus, mehr eigene Recherchen und politische
Themen. Die Coronakrise hat klassische Ressortstrukturen aufgeweicht,
Reporter*innen arbeiteten deshalb vermehrt themenorientiert. „Wir planen
Themen, und daraus wird auch eine Zeitung gemacht, aber wir planen nicht
mehr von der Zeitung aus.“ Die Zukunft des Lokaljournalismus liege nicht in
der Papierzeitung. Vielmehr müsse man sich „als regionale Inhalte-Ersteller
für relevante Themen“ verstehen – egal ob diese dann im Print, im Netz oder
im Podcast landen.
Einen Masterplan haben beide nicht. Aber vielleicht ist die Utopie des
Lokaljournalismus ganz simpel: einer, bei dem kritische und investigative
Geschichten im Zentrum stehen – und nicht das Medium, das sie
transportiert.
30 Apr 2020
## LINKS
[1] /Medien-in-Coronakrise/!5675752
## AUTOREN
Erica Zingher
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