# taz.de -- Das Sterben der Buchsbäume: Kahle Stellen im Kulturdenkmal | |
> In Hannover befindet sich eine einzigartige barocke Gartenanlage. Dort | |
> bedrohen wie überall ein Falter und ein Pilz die prägenden | |
> Buchsbaumhecken | |
Bild: Noch gesund: ein Buchsbaum in den Herrenhäuser Gärten bekommt Wasser | |
HANNOVER taz | Pest oder Cholera? Diese Frage stellt sich nicht für Boris | |
Schlumpberger. „Wir haben hier beides“, sagt der Biologe. Die Pest – | |
[1][ein aus Asien eingeschleppter Schmetterling] – und die Cholera – ein | |
Pilz – bedrohen ein in Deutschland einzigartiges Kulturdenkmal, [2][den | |
Großen Garten in Hannover-Herrenhausen]. Er ist eine der wenigen großen | |
barocken Gartenanlagen in Europa, die in ihrem im 17. Jahrhundert | |
entstandenen Ursprung erhalten sind. Die meisten anderen wie Sanssouci in | |
Potsdam wurden ab der Mitte des 18. Jahrhunderts im Stil der englischen | |
Landschaftsparks umgestaltet. Vom Barock blieben meistens nur ein paar | |
Beete übrig. | |
Der Große Garten – Teil der vier Herrenhäuser Gärten – hingegen sieht fa… | |
noch genau so aus wie zu Zeiten von Herzog Ernst August, der sich Ende des | |
17. Jahrhunderts Herrenhausen als prachtvolle Residenz ausbauen ließ. Seine | |
Frau Sophie von der Pfalz gestaltete den Garten nach barocker Mode: Streng | |
geometrische Rabatten im vorderen Teil und streng geometrische Wäldchen im | |
hinteren. Dazu Fontänen, akkurat geschnittene Lindenalleen und | |
Hainbuchenhecken, Teiche, Pavillons. Boris Schlumpbergers Job als Kurator | |
der Herrenhäuser Gärten ist es, dafür zu sorgen, dass das so bleibt. | |
Doch das ist derzeit schwer, denn Pilz und Schmetterling haben es auf ein | |
zentrales Element aller barocken Gartenanlagen abgesehen: die Broderien. | |
Der Begriff – abgeleitet vom französischen Wort für „Stickerei“ – | |
bezeichnet niedrige Hecken, meistens aus Buchs, die nicht nur Beete | |
einfassen wie im Bauern- oder Klostergarten, sondern zusätzlich Ornamente | |
bilden. Manche sind mit Blumenbeeten ausgefüllt oder nach historischem | |
Vorbild mit Rasen oder Schotter in verschiedenen Farben. 20 Kilometer | |
Buchshecke stehen im Großen Garten – so viel wie wahrscheinlich nirgendwo | |
in Deutschland. | |
„Das sieht nach Pilz aus“, sagt Thomas Amelung und zeigt auf ein paar Meter | |
grauer Zweiggerippe im Großen Parterre – in Barockgärten die Bezeichnung | |
für die terrassenartigen Beete in unmittelbarer Nähe des Schlosses. Amelung | |
ist der Gartenmeister des Großen Gartens, wie Schlumpberger Angestellter | |
der Stadt, denn die Gärten – auch das eine Besonderheit – sind in | |
kommunalem Besitz. An einem windigen, nasskalten Tag Anfang April führen | |
die beiden über geharkte Kieswege durch den Park. Nicht überall ist der | |
Schaden so deutlich zu sehen, aber es gibt immer wieder kahle Stellen oder | |
solche, wo das Laub der Büsche braungrau verfärbt ist. | |
Seit 2004 breitet sich der zehn Jahre zuvor erstmals in Großbritannien | |
diagnostizierte Pilz Cylindrocladium buxicola auch in Deutschland aus, zwei | |
Jahre später tauchte der Buchsbaumzünsler hierzulande auf. Als blinder | |
Passagier günstig in China gezogener Buchsbäume. Solche Neozoen, die keine | |
Fressfeinde haben und auf Pflanzen treffen, die noch keine Resistenzen | |
ausbilden konnten, sind kein buchsbaumspezifisches Problem. Ein bekanntes | |
Beispiel ist die Miniermotte, die der Rosskastanie zusetzt. Und Pilze haben | |
auch schon andere Arten an den Rand des Aussterbens gebracht: zum Beispiel | |
die Ulme. | |
## Der Pilz war vor dem Falter da | |
Der Buchsbaumzünsler wurde in Herrenhausen 2017 das erste Mal entdeckt, da | |
war der Pilz längst da. Wo der ursprünglich herkommt, sei unbekannt, sagt | |
Thomas Brand, bei der Landwirtschaftskammer Niedersachsen verantwortlich | |
für den Pflanzenschutz von Zierpflanzen, Baumschulen und öffentlichem Grün. | |
„Es kann auch sein, dass es ihn schon länger gibt, aber die Erkrankung, die | |
er auslöst, neu ist. Wir wissen es einfach nicht.“ Ob [3][der Klimawandel] | |
ihm in die Sporen spielt? Wahrscheinlich nicht. | |
Viel unternehmen gegen den Pilz können der Herrenhausen-Kurator | |
Schlumpberger und Gartenmeister Amelung nicht. Hobbygärtner:innen | |
glauben es besser zu wissen. Jedes Mal nach Erscheinen von Medienberichten | |
rufen sie an und geben ihm todsichere Tipps, erzählt Schlumpberger. „Einige | |
schwören auf Algenkalk.“ Das schädige allerdings auf Dauer die Pflanze. | |
Andere Anrufer würden anbieten, die Herrenhausen-Buchsbäume mit | |
Schutzformeln zu besprechen, und wieder andere seien überzeugt, bei sich im | |
Garten den super toughen Buchs stehen zu haben, der resistent ist gegen | |
Krankheit und Schädling. Sie bieten Stecklinge an oder gleich den ganzen | |
Busch. | |
Schlumpberger und der Gartenmeister Amelung wissen es besser. Früher oder | |
später erwischt es alle. Denn die bisher verwendeten Sorten, sogar die | |
Züchtungen aus asiatischen Arten, haben weder Pilz noch Schmetterling, die | |
sich beide ausschließlich am Buchsbaum laben, etwas entgegenzusetzen. Dass | |
Meisen und Spatzen lernen, die Schmetterlingslarven in ihren Speiseplan | |
aufzunehmen, kann das nicht ausgleichen. Und den Pilz frisst niemand. Die | |
wenigen deutschen Wildvorkommen des Buxus sempervirens in | |
Südwestdeutschland sind daher akut vom Absterben bedroht. | |
In den Parks haben sie mit intensiven Pflegemaßnahmen zwar eine Chance – | |
aber wie hoch darf der Preis sein?, fragt Thomas Amelung, der | |
Gartenmeister. „Ich hatte schlaflose Nächte, als das mit dem Zünsler | |
losging“, erzählt er, der seit 1998 in Herrenhausen arbeitet, „der Garten | |
ist ja irgendwie auch meiner.“ Aber irgendwann habe er sich damit | |
abgefunden. Schließlich gehe es nur um Buchshecken. „Braucht der Mensch | |
die?“ Eine Frage, die letztlich [4][für alle nur zur Zierde gehaltenen | |
Pflanzen] gilt. Boris Schlumpberger verzieht das Gesicht. Noch ist er nicht | |
bereit, sie zu verneinen. | |
Deshalb werden ihre Mitarbeiter:innen in diesen Wochen verstärkt nach | |
Kotpillen der Falterraupen suchen, die mit den wärmeren Temperaturen aus | |
der Kältestarre erwachen. Zweimal im Jahr spritzen sie im Garten ein auch | |
für den Biolandbau zugelassenes Pflanzenschutzmittel. Das muss zum | |
richtigen Zeitpunkt geschehen, weil es nur bis zu einer bestimmten Größe | |
der Raupen wirkt. | |
Das Spritzen ist aufwendig, die Wege müssen abgesperrt werden, um die | |
Besucher:innen zu schützen. Und weil sich die Raupen in die Blätter | |
einwickeln, muss das Gift direkt in die Büsche eingebracht werden, eine | |
Giftdusche von oben reicht nicht. Eine Arbeit, mit der eine Person allein | |
zwei Monate beschäftigt wäre, rechnet Amelung das Arbeitsvolumen um. Auf | |
einem Meter Hecke stehen immerhin neun Pflanzen. Macht bei 20 Kilometern: | |
180.000 Buchsbäumchen. Zudem bringen die Gärtner:innen mit | |
Sexualpheromonen den Fortpflanzungszyklus der Schmetterlinge durcheinander. | |
## Resistente Sorten sollen helfen | |
Gegen den Pilz aber helfe kein Spritzen, vor allem nicht in so großen | |
Anlagen, weil die Fungizidbehandlung wetterabhängig sei, erklärt Amelung. | |
„Das können Sie nicht planen, da sind Sie schnell zu früh oder zu spät | |
dran.“ | |
Deshalb suchen er und Schlumpberger nach Alternativen zu den beiden in | |
Herrenhausen gepflanzten Buchssorten „Blauer Heinz“ und „Herrenhausen“.… | |
belgischer Pflanzenproduzent hat 2020 vier Hybriden auf den Markt gebracht, | |
die er derzeit als „Better Buxus“ an ausgewählte Kunden verkauft, darunter | |
auch die vergleichbar großen Anlagen in Het Loo in den Niederladen und | |
Villandry in Frankreich. Der bessere Buchs soll pilzresistent sein und | |
angeblich dem Zünsler nicht so gut schmecken. Letzteres stimme nach seiner | |
Erfahrung nicht, sagt Amelung. „Der frisst die halt erst zum Schluss.“ | |
An verschiedenen Stellen des Gartens haben die Gärtner:innen drei der | |
neuen Sorten gepflanzt. Ob sie in Wuchseigenschaften mit den alten | |
mithalten können und mit dem Klima zurecht kommen, müsse sich noch zeigen, | |
sagt Schlumpberger. Zudem ist die Farbe nicht so sattgrün, die | |
Herbstverfärbung stärker. | |
Der belgische Hersteller Herplant und auch die Baumschule im Ammerland – in | |
Deutschland der einzige Zwischenhändler –, werben allerdings bereits damit, | |
dass Herrenhausen auf das Produkt umsattle. Auf taz-Nachfrage reagiert der | |
Herplant-Geschäftsführer Didier Hermans verschnupft. Von Versuchsstadium | |
könne keine Rede sein, Better Buxus habe sich seit 2020 an zahlreichen | |
Standorten bewährt. | |
In Hannover, wo gerade die Sommersaison beginnt, wollen Amelung und | |
Schlumpberger noch abwarten. Zwei Jahre, sagen sie, seien zu wenig für eine | |
abschließende Beurteilung. Große Hoffnung hatten sie auch auf Euonymus | |
japonicus gesetzt, das ebenfalls immergrüne japanische Pfaffenhütchen, | |
dessen Blätter und Wuchs denen des Buchs ähneln. Im mittleren Teil im | |
Springwassergarten hat dieser den Buchs ersetzt. Doch auch hier gibt es | |
kahle Stellen. In diesem Winter erstmals aufgetreten, sagt Amelung, jetzt | |
nach dem Frühjahrsschnitt deutlicher zu erkennen. Könnte ein Pilz sein. | |
1 May 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Auf-der-Spur-einer-gefraessigen-Raupe/!5579957 | |
[2] https://www.hannover.de/Herrenhausen/Herrenh%C3%A4user-G%C3%A4rten/Gro%C3%9… | |
[3] /Historische-Gaerten-in-der-Klimakrise/!5712174 | |
[4] https://www.zeit.de/2009/31/N-Rosenkrieg | |
## AUTOREN | |
Eiken Bruhn | |
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