# taz.de -- Gärtnern und Geschlecht: Die Vergewaltigung einer Hecke | |
> Die Kolumnistin freut sich, über Buchsbäume zu recherchieren. Und liest | |
> das Buch eines Autoren, den das Heckentrimmen an eine Sexualstraftat | |
> erinnert. | |
Bild: Keine Vergewaltigung: Gärtner bearbeiten Buchsbaumhecken im Barockgarten… | |
Nicht alle [1][Kund:innen meiner Friseurin] sind so genügsam wie ich. Ich | |
bin froh, wenn ich nicht lange still halten muss und Jessi den Föhn stecken | |
lässt. Ansonsten vertraue ich ihrem Urteil. Wenn sie sagt: „Fertig, gut | |
so“, nicke ich und bin zufrieden. Andere hingegen beschweren sich | |
gelegentlich, wenn Jessi aus ihren wenigen feinen Haaren keine Löwenmähne | |
gezaubert hat. | |
Was sie aber nicht machen können: Jessi vorwerfen, sie hätte ihre Haare | |
raspelkurz geschnitten, wenn sie tatsächlich 30 Zentimeter lang sind. Denn | |
ein Blick in den Spiegel wird das Gegenteil beweisen und sollten sie | |
trotzdem dabei bleiben, müssen sie damit rechnen, dass Jessi widerspricht | |
und die Kundinnen links und rechts von ihr auch. | |
In meinem Beruf ist das anders. Es gibt tolle Leser:innen, die mit | |
sachlicher Kritik Denkanstöße geben oder auf Fehler hinweisen. Und es gibt | |
solche, die den Namen nicht verdient haben, weil sie die Artikel, die sie | |
im Internet kommentieren, nicht lesen. Sondern nur die Überschrift oder den | |
Text der eingeblendeten Werbetafel für kompostierbare Fahrradhelme. | |
Jedenfalls klingen manche Kommentare danach, als würden sie, um im Bild zu | |
bleiben, über die Frisur einer Passantin vor dem Ladenfenster reden oder | |
über deren Pinscher. Oder lesen diese Text-Benutzer:innen Artikel, aber | |
verstehen sie nicht? Sollten wir das Leseverständnis fördernde Fragen dazu | |
stellen und die Antworten gleich mit? | |
Aber ich will mich nicht weiter beklagen, dazu liebe ich meinen Beruf und | |
die Freiheiten, die er mir gibt, viel zu sehr. Ich darf mich zum Beispiel | |
eine halbe Woche mit [2][Buchsbaumhecken in historischen Barockgärten] | |
beschäftigen, einfach so. Bis Anfang April hatte ich auch nicht gewusst, | |
wie interessant dieses Thema ist beziehungsweise, dass es ein Thema ist. | |
## Banale Ratschläge und Bildungshuberei | |
Noch besser: Vom Hölzchen kommt man ja bekanntermaßen aufs Stöckchen, erst | |
recht bei Buchsbäumen, deren Samen übrigens von Ameisen verbreitet werden. | |
Ich begann nach Antworten auf die Frage zu suchen, was überhaupt Gärten | |
sind, worin ihre Funktion besteht und ob und wie diese sich im Lauf der | |
Jahrtausende gewandelt hat. Weil es mir Spaß macht. Dabei stieß ich auf ein | |
Buch, das zunächst danach klang, als würde es meine Fragen beantworten | |
können und als wäre der Autor – ein Professor für Alte Geschichte – ein | |
geeigneter Interviewpartner. | |
Um es kurz zu machen: Ich habe mich durch banale Ratschläge („Pflanzt | |
Forsythien!“) und Bildungshuberei („Ich habe in Oxford studiert!“) gequä… | |
und es zur Seite gelegt. Das macht nichts. Niemand ist perfekt und nicht | |
alle haben etwas Erhellendes über das Gärtnern und seine Geschichte | |
mitzuteilen und werden trotzdem ihre Leser:innen finden, so wie diese | |
Kolumne oder die Besinnungsaufsätze des Zeit-Chefredakteurs. | |
Aber spätestens dem Lektor des liebevoll gestalteten Büchleins hätte | |
auffallen sollen, dass das Trimmen einer Hecke nichts mit einer | |
Sexualstraftat zu tun hat und die vom Autor benutzte Formulierung | |
„Vergewaltigung der Natur“ darauf schließen lässt, dass er sich diese als | |
vermutlich weibliches, in jedem Fall passives Wesen vorstellt, das nur für | |
ausgewählte Gärtner freiwillig die Beine breit macht. | |
1 May 2022 | |
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## AUTOREN | |
Eiken Bruhn | |
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