# taz.de -- Nachhaltiges Gärtnern: Langsam mit den Blumen | |
> Das Essen auf dem Tisch soll bio sein. Was aber ist mit den Blumen dazu? | |
> Claudia Werner setzt mit der Slowflower-Bewegung auf nachhaltige | |
> Schnittblumen. | |
Bild: Prachtvolle Slowflower: eine Dahlie in Claudia Werners Garten | |
BREMEN taz | Wie den Seiten der Landlust entstiegen sieht der Garten von | |
Claudia Werner selbst Anfang November noch aus. Hinter dem kleinen | |
Einfamilienhaus in einer Bremer Nachkriegssiedlung stehen Apfelbäume, | |
Strauch- und Kletterrosen – manche tragen eine letzte Blüte –, und überall | |
geht es unter Spalieren zu [1][Beeten und noch mehr Beeten]. Auf ihrem | |
eigenen Grundstück und denen zweier Nachbarn. | |
Der Garten ist Claudia Werners Arbeitsplatz, hier wachsen ihre | |
Schnittblumen aus nachhaltigem, regionalem Anbau. Werner gehört dem im März | |
2019 gegründeten Verein [2][„Slowflower Bewegung“] an, er hat derzeit rund | |
200 Mitglieder. Wer ihm beitritt, verpflichtet sich, Schnittblumen ohne den | |
Einsatz von Pestiziden anzubauen, nur organischen Dünger zu verwenden und | |
keine genmanipulierten Pflanzen. | |
Darüber hinaus geht es um eine bessere Energiebilanz. 90 Prozent aller in | |
Deutschland verkauften Schnittblumen kommen [3][nach Angaben des | |
Fairtrade-Verbands], der auch das gleichnamige Siegel vergibt, aus | |
Südamerika und Afrika. Dort werden sie in Monokulturen unter Einsatz von | |
Giften angebaut. Jede dritte Rose soll bereits aus Betrieben stammen, die | |
Arbeitsbedingungen nach den Fairtrade-Kriterien bieten. Das erfüllt nicht | |
zwangsläufig Bio-Standards. Aus Fairtrade-Sicht ist der Import dennoch | |
ökologisch sinnvoll: Denn die CO2-Bilanz beispielsweise niederländischer | |
Gewächshäuser ist noch schlechter. | |
## Kurze Wege | |
Die Wege, die die Slow Flowers zurücklegen, sind dagegen kurz. Werner | |
bringt ihre Sträuße ein bis zwei Mal wöchentlich in fünf Bremer Bioläden. | |
Hinzu kommen Aufträge für Hochzeiten und andere Feiern, außerdem lehrt sie | |
Kränze und Sträuße binden. Andere Vereinsmitglieder arbeiten mit | |
Abonnements, vergleichbar den Kisten mit Biogemüse, die Kund:innen ans | |
Haus geliefert werden. Einige verarbeiten nur, was ihnen andere liefern. | |
Nicht alle haben so malerische Gärten wie Claudia Werner, [4][sondern | |
beackern Felder]. Auch sie hat noch eine 500 Quadratmeter große Fläche im | |
Bremer Umland, auf der sie robuste Arten anbaut, Sonnenblumen und Amaranth. | |
Wegen ihres fotogenen Gartens, vermutet Claudia Werner, hatte das | |
Landlust-Magazin sie schon im vergangenen Jahr porträtiert, da war ihr | |
Betrieb gerade einen Monat alt. | |
Auch die meisten der sieben Gründungsmitglieder des Vereins hatten sich | |
erst kurz vor ihrem ersten Treffen selbstständig gemacht oder wie der | |
etablierte Berliner Alternativ-Florist [5][Marsano] angefangen, eigene | |
Blumen zu produzieren. Dabei sei die Idee, Schnittblumen nach den | |
Slow-Flowers-Leitlinien anzubauen, nicht neu, sagt Emma Auerbach, | |
Sprecherin des Vereins. Schon länger gibt es Biohöfe, die Blumen anbauen | |
und auf Wochenmärkten neben dem Gemüse verkaufen, aber meistens nur für | |
wenige Sommermonate. | |
„Bio-Essen sagt allen etwas, aber bei Blumen denken die wenigsten daran, wo | |
sie herkommen“, sagt Claudia Werner nach einem Gartenrundgang beim Gespräch | |
in ihrer Küche. | |
## Staunenswertes Variantenreichtum | |
Vielleicht liegt das daran, dass Schnittblumen als Deko-Gegenstand | |
wahrgenommen werden. Slow-Flowers-Sträuße kann man damit nicht | |
verwechseln, dafür sind sie zu lebendig. Sie sehen aus, als wäre jemand | |
durch seinen Garten gestreift und hätte mit Liebe zum Detail all ihre | |
Bestandteile ausgesucht, neben auffälligen oder zarten Blüten auch Gräser, | |
Zweige mit Blättern oder Beeren. | |
Und das alles in einem Variantenreichtum, der selbst erfahrene | |
Hobbygärtner:innen staunen lässt. Beim Normalfloristen gibt es immer | |
dieselben, vom Großhandel gelieferten Pflanzen. In den Gärten und auf den | |
Feldern von Claudia Werner und ihren Mitstreiter:innen wachsen nicht | |
nur unzählige Arten, sondern die auch noch in ganz verschiedenen Sorten. | |
Aber eben nur zu ihrer jeweiligen Saison – im Winter gibt es Trockenblumen. | |
Auch das macht es – neben dem hohen Arbeitsaufwand und den geringen | |
Erträgen – den Betrieben schwer, auskömmlich zu wirtschaften. Kaum jemand | |
hat Anspruch auf Subventionen, die gibt es nach Vereinsangaben erst ab | |
einem Hektar, die Hälfte der Mitglieder betreiben maximal 500 Quadratmeter, | |
15 Prozent bis zu einem halben Hektar, die anderen liegen dazwischen. | |
Einige der Gründungsmitglieder haben sich wieder aus der Selbstständigkeit | |
verabschiedet. „Reich wird von uns niemand“, sagt Claudia Werner. Sie | |
selbst ist froh, im ersten Jahr nach Gründung keine Verluste zu machen. | |
Leben können wird sie davon vermutlich nie ganz oder wenn, dann nur knapp. | |
Sie könnte mehr machen, sagt sie, größer werden, Mitarbeiter:innen | |
anstellen, aber das ginge zulasten ihrer Gesundheit. Deswegen hat die | |
52-Jährige auch ihren Beruf als Erzieherin aufgegeben, sie wollte sich | |
nicht mehr nur um andere kümmern. | |
Jetzt hat sie zwar „verflixt viel Arbeit“ an sieben Tagen die Woche und | |
steht im Sommer um halb fünf auf, weil der frühe Morgen die beste Zeit zum | |
Schneiden ist. Dafür würden die Blumen nicht an ihr ziehen wie die Kinder, | |
alles sei einfach da und wachse, ohne dass sie etwas von sich geben müsse. | |
## Vitale Pflanzen | |
Im Garten hatte sie auf ein kreisrundes Beet gezeigt, das bedeckt ist mit | |
Sämlingen, die sich selbst ausgesät haben und im nächsten oder übernächsten | |
Jahr blühen werden. „Ich jäte hier nicht und warte ab, was durchkommt“, | |
sagt sie. Auf diese Weise bleibe nicht nur der Boden bedeckt und vor | |
Austrocknung geschützt, so erhalte sie auch vitale Pflanzen. | |
Claudia Werner nutzt kein schweres Gerät, bis auf die Dahlien wachsen immer | |
mehrere Arten in einem Beet, überall liegen Totholzhaufen für Insekten und | |
Kleinsäuger, und gegen die Schnecken hält sie drei Laufenten. Ein | |
Bio-Siegel hat sie wie die meisten Slow-Flowers-Farmer dennoch nicht und | |
strebt es auch nicht an. Der finanzielle und bürokratische Aufwand für | |
solche Zertifizierungen sei zu hoch für Kleinunternehmen. Bei 85 Prozent | |
der Mitglieder handelt es sich nach Angaben des Vereins um Ein- oder | |
Zwei-Personen-Betriebe, nur 30 Prozent leben ganz von den Blumen. | |
Die Bio-Qualität ließe sich auch deshalb schwer einhalten, weil nicht | |
genügend Bio-Saatgut in guter Qualität produziert werde, sagt Werner. Nicht | |
alle Pflanzen kann sie selbst vermehren. In diesem Jahr hatte sie zu spät | |
Tulpenzwiebeln bestellt und bekam nur noch konventionelle Ware, die sie | |
gerade mit ihrer ältesten Tochter unter die Erde gebracht hat. Elf | |
beschriftete Holzleisten ragen in einer Ecke des Gartens aus der Erde, das | |
Beet sieht aus wie ein frisch angelegtes Grab. „Pretty Princess“ liegt hier | |
begraben und „Apricot Beauty“. Tulpen und Nachhaltigkeit passen allerdings | |
nicht besonders gut zusammen, sagt Claudia Werner, denn sie seien Wasser- | |
und Nährstoffzehrer, die häufig nur eine Saison blühen und dann ersetzt | |
werden müssen. | |
Die langsamen Blumen blühen nicht in einer besseren Welt. Die Sträuße sehen | |
schöner aus als die vom Discounter, oft auch dann, wenn sie verblüht sind, | |
kosten aber viel mehr. Im Vergleich mit normalen Blumenläden sind aber | |
zumindest Claudia Werners Sträuße günstig, und wer sich Floraldesigner | |
nennt, kassiert ein Vielfaches mehr. | |
Warum sich die Mehrausgabe für langsame Blumen lohnt, ist nachzulesen in | |
einem Buch des Vereins, das gerade erschienen ist. In einem Beitrag geht es | |
um „resiliente regionale Systeme“, die nicht zusammenbrechen, wenn in einer | |
Krise ein Teil der Lieferkette ausfällt oder gleich der ganze Transportweg | |
versperrt ist. In einem anderen Beitrag weist die österreichische | |
Bioblumenpionierin Margrit de Colle darauf hin, dass Blumen in fast allen | |
Kulturen bei Festen und Ritualen, also bei bedeutenden Übergängen, eine | |
wichtige Rolle gespielt haben. | |
„Alles Blühende und Grüne [6][wirkt auf unsere Seele zugleich beruhigend | |
und belebend]“, schreibt sie, die ihren Betrieb schon 2005 in der | |
Steiermark gegründet hat. Er ist mit über sieben Hektar Fläche und 15 | |
Mitarbeiter:innen einer der größten der deutschsprachigen Branche. | |
Margrit de Colle erinnert damit daran, dass die Menschen im Kampf ums | |
Überleben nicht die Schönheit vergessen sollten und vermeintlich nutzlose | |
Werte der Effizienz unterordnen. Das wäre unmenschlich. | |
27 Nov 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Gaertner-in-Coronazeiten-auf-hohem-Niveau/!5763269 | |
[2] https://www.slowflower-bewegung.de/ | |
[3] https://www.fairtrade-deutschland.de/produkte/blumen/hintergrund-fairtrade-… | |
[4] /Grabstaetten-und-Gartenbau/!5808907 | |
[5] https://marsano-berlin.de/ | |
[6] /Blume-gegen-den-Herbstblues/!5894548 | |
## AUTOREN | |
Eiken Bruhn | |
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