# taz.de -- Das Phänomen der Montagsdemos: Die Rechte und die bürgerliche Mit… | |
> Wer sind die Leute, die auf die neuen Montagsdemos gehen? Woher kommen | |
> sie, was treibt sie um? Beobachtungen aus Brandenburg an der Havel. | |
Bild: Detail auf einer Demonstration der AfD, hier in Erfurt, Ende September 20… | |
BRANDENBURG AN DER HAVEL taz | Unter Trommelgerassel und Trillergepfeife | |
setzt sich der Demonstrationszug in Bewegung. Brandenburg-Flaggen und | |
solche mit Friedenstauben wehen im Wind, auf einem Banner, das vorneweg | |
getragen wird, steht „Frieden, Freiheit, Souveränität“. Seifenblasen | |
fliegen durch die Luft. Die etwa 150 Menschen, die am Montagabend durch | |
Brandenburg an der Havel ziehen, sind ein eingespieltes Team. Viele hier | |
sind dabei, seit die Coronaleugner:innen während der Pandemie | |
begonnen haben, allmontaglich durch die Stadt zu ziehen. Man kennt sich, | |
begrüßt sich mit Handschlag, nutzt den Spaziergang, um sich über das | |
Neueste auszutauschen. | |
Die Montagsdemos des verschwörungsideologischen und rechten Spektrums sind | |
in Brandenburg und ganz Ostdeutschland zurück. War im Sommer das | |
Protestgeschehen nahezu vollständig eingeschlafen, gingen an den | |
vergangenen beiden Montagen brandenburgweit mehr als 10.000 Menschen in | |
etwa 40 Orten auf die Straße. „Die politische Rechte scharrt in Brandenburg | |
derzeit mit den Füßen“, sagt Christoph Schulze vom Moses Mendelssohn | |
Zentrum der Uni Potsdam, der die rechte Szene seit Jahren beobachtet. Er | |
rechne mit dem „massiven Versuch“ des Spektrums, in den nächsten Monaten | |
„flächendeckende Proteste“ auf die Beine zu stellen. | |
Um Coronamaßnahmen geht es inhaltlich dabei kaum noch. Das neue große Thema | |
sind die hohen Energiepreise – und die Sanktionen gegen Russland. Denn | |
diese seien schuld an Inflation und Krise, nicht etwa der russische | |
Angriffskrieg oder die Abhängigkeit von den fossilen Brennstoffen | |
kriegstreibender Diktatoren, da sind sich am Montag auch in der Stadt | |
Brandenburg alle einig. „Wir kriegen ja Gas, wenn wir den Boykott | |
auflösen“, sagt ein Mann auf der Auftaktkundgebung. Immer wieder ruft | |
jemand auf der Demo in ein Megaphon: „Sanktionen beenden! Keine | |
Waffenlieferungen! Nord Stream 2 öffnen!“ Die Menge antwortet darauf mit: | |
„Auf die Straße!“. | |
Aufbauen kann die neue rechte Protestwelle auf der guten Vernetzung der | |
Coronaproteste und deren Mobilisierungspotenzial. Das Netz der | |
Telegramkanäle der „Freien Brandenburger“, der örtlichen Kopie der | |
rechtsextremen „Freien Sachsen“, spannt sich über alle Landkreise. [1][Bis | |
in Kleinstädte wie etwa Seelow] (5.500 Einwohnende) reicht das | |
Protestangebot. Die Akteure seien „die gleichen wie vorher“, sagt Schulze. | |
Neben den Freien Brandenburgern spiele die AfD eine große Rolle. Das | |
Spektrum der Organisator:innen reiche bis zu Neonazis und | |
Reichsbürgern. | |
## Wie schon bei den Coronaprotesten | |
Wichtig ist ihm aber zu betonen, dass es sich „auf der Ebene der | |
Teilnehmer:innen“ wie schon bei den Coronaprotesten um eine „heterogene | |
Bewegung“ handelt. Selbst Menschen, die 2015 noch ehrenamtlich Geflüchtete | |
unterstützt hätten, seien dabei. Das verschwörungsideologische Milieu | |
rekrutiere sich aus dem gesamten politischen Spektrum. Liberale ziehe es | |
ebenso dorthin wie Menschen aus dem „linksnationalen“ Lager um die | |
Aufstehen-Bewegung von Sahra Wagenknecht. | |
Auch in Brandenburg an der Havel mutet der Großteil der Demonstrierenden | |
bürgerlich an. Es sind Menschen um die 50, Ehepaare, Freunde aus der | |
Nachbarschaft. „Wir sind seit Anfang an dabei“, sagt eine von zwei Frauen, | |
die sich als ungeimpfte Pflegerinnen vorstellen. Am Anfang sei es ihnen um | |
die Impfpflicht gegangen, inzwischen seien sie aber „wegen allem“ hier. | |
„Wir wollen, dass es wieder so wird wie vor zweieinhalb Jahren“, sagt die | |
eine, die eine Fahne mit einer Friedenstaube trägt. Von Rechten, die auf | |
der Demo sind, wollen beide nichts wissen. | |
Dabei stand der Reporter keine fünf Minuten am Rand der Demonstration, da | |
steckte ihm eine junge Frau bereits einen Flyer der Jungen Alternative zu, | |
dem als [2][zum Teil rechtsextrem geltenden] Jugendverband der AfD. „Falls | |
du mal mehr machen willst, als auf Demos zu gehen“, sagt sie. In einem | |
Infostand wird vor dem „Great Reset“ gewarnt, eine rechte | |
Verschwörungstheorie, laut der globale Finanzeliten die Pandemie erfunden | |
hätten, um die Macht an sich zu reißen. Außerdem dort zu finden: Artikel | |
über Impfungen, Flüchtlingsströme, Chemtrails, Blackouts, | |
Kinderpornographie. Für alle Ängste ist etwas dabei. | |
Schulze sagt, die Szene sei dabei, neue Inhalte auszutesten. Erzählt werde | |
„mit anderen Vokabeln die gleiche Geschichte“: Dunkle Mächte, meist | |
antisemitisch konnotiert, hätten sich verschworen, um das einfache Volk zu | |
unterdrücken. „Dafür haben sie das Coronavirus hochgejazzt, nun zwingen sie | |
das friedliebende russische Volk in einen Krieg, um unsere | |
Energieversorgung zu zerstören.“ Alles Leid würde diesen Mächten | |
zugeschrieben. | |
## Bis weit in den Mainstream | |
„Es ist die Mischung aus rechten Organisationsstrukturen und bürgerlichem | |
Publikum, das die Proteste so gefährlich macht“, sagt auch Thomas Prenzel. | |
Er engagiert sich im Aktionsbündnis Brandenburg, einer Art Dachorganisation | |
für zivilgesellschaftliche Initiativen gegen Rechts. Mit Sorge beobachtet | |
er, wie in der Energiekrise rechte Narrative über den russischen | |
Angriffskrieg bis weit in den Mainstream vorrückten. | |
Wohin es führen kann, wenn nicht-rechte Menschen rechte Argumente | |
übernehmen, hat sich kürzlich ebenfalls in der Stadt Brandenburg gezeigt. | |
An einem Samstag Mitte September hatten Politiker:innen der Linken | |
Potsdam-Mittelmark, die dem „Aufstehen“-Bündnis zuzurechnen sind, eine Demo | |
mitorganisert, die vom örtlichen, ebenfalls aus einer Aufstehen-Initiative | |
hervorgegangen „Bündnis für Frieden“ veranstaltet wurde. | |
Etwa 2.000 Menschen kamen zu dem überraschend großen Protest. Darunter auch | |
das Klientel der Montagsdemos, AfD-Politiker, Rechtsextreme und | |
Querdenker:innen, [3][wie etwa der Journalist „Pressefuchs“ auf Twitter | |
dokumentierte]. Bekennende Linke liefen neben Menschen mit Kleidungsstücken | |
und Flaggen des Deutschen Kaiserreichs. Ein Demonstrant hielt ein Schild | |
mit der Forderung, „die Zuwanderung von Sozialschmarotzern“ zu „stoppen�… | |
Vor allem in den Reihen der Rechten dürfte diese Konstellation Freude | |
ausgelöst haben. Dort träumt so mancher unverhohlen davon, dass sich | |
[4][Linke und Rechte zusammentun], um die verhasste Regierung zu stürzen. | |
Dabei setzen sie jedoch voraus, dass sich die Linken in die nationale | |
Hierarchie einordnen und ihre Träume von Selbstorganisation, | |
Internationalismus und ihre antifaschistischen, antirassistischen und | |
feministischen Überzeugungen aufgeben. Von linken Inhalten bliebe da nichts | |
übrig, außer vielleicht eine etwas symbolische Betätschelung der nun | |
rassifizierten Arbeiterklasse. | |
## Applaus für die Brandenburger Demo | |
Von einigen Linken, wie etwa dem Berliner Abgeordneten Alexander King, kam | |
dennoch Applaus für die Brandenburger Demo. Dabei hatten die Forderungen | |
vom „Bündnis für Frieden“ mit linken Inhalten kaum etwas zu tun. In einem | |
auf Telegram geteilten Aufrufflyer wurde „Souveränität für Deutschland“ | |
gefordert, ein Code aus der Reichsbürger-Szene. Man müsse sich gegen die | |
„Vormundschaft der USA“ wehren. Es brauche eine „Politikerhaftung“ und … | |
„Aufarbeitung der Regierungsentscheidungen, vor allem der vergangenen 2,5 | |
Jahre“. Und natürlich: Nord Stream 2 solle geöffnet, die Sanktionen gegen | |
Russland beendet werden. | |
Nur einen Tag nach der Demo distanzierte sich der Kreisverband der Linken | |
in Brandenburg an der Havel deutlich von dem Protest und verwies auf den | |
verantwortlichen Kreisverband Potsdam-Mittelmark. Dessen Vorsitzender | |
Harald Mushack gestand der taz gegenüber ein, dass eine Abgrenzung nach | |
rechts auf der Demo „zum Teil nicht gelungen“ sei. Welche Forderungen der | |
Demo überhaupt linken Ideen entsprochen hätten, sagte er nicht. | |
Stefan Wollenberg, Landesgeschäftsführer der Brandenburger Linken, schrieb | |
der taz, es gebe „keine Schnittmenge“ zwischen der Partei Die Linke und den | |
Forderungen der Demo. Distanziere sich das Bündnis nicht klar von rechts, | |
könne es keine „wie auch immer geartete Zusammenarbeit mit | |
Linken-Mitgliedern“ geben. | |
10 Oct 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.moz.de/lokales/seelow/politik-in-mol-montagsdemo-in-seelow-_-we… | |
[2] https://aktionsbuendnis-brandenburg.de/junge-alternative/ | |
[3] https://twitter.com/Pressefuchs_Brb/status/1571408219066728449 | |
[4] https://blog.campact.de/2022/09/heisser-herbst-querdenker-rechtsextremisten/ | |
## AUTOREN | |
Timm Kühn | |
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