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# taz.de -- Community Curator über seine Arbeit: „Ein urbanes Heimatmuseum“
> Ayhan Salar ist Community Curator des Altonaer Museums in Hamburg. Ein
> Gespräch über Veränderung und die Inklusion hybrider Herkünfte.
Bild: Will, dass Menschen mit interkulturellem Background Teil des Altonaer Mus…
taz: Herr Salar, was macht ein Community Curator?
Ayhan Salar: Es ist eine auf vier Jahre befristete Stelle im Rahmen des
2018 aufgelegten „360 Grad“-Programms der Bundeskulturstiftung, auf das
sich Museen und Theater bewerben konnten. Bundesweit sind es sind insgesamt
39 Projekte. Einige der Institutionen nennen die Stelleninhaber
„360-Grad-Agent“, andere Diversitätsreferent oder eben Community Curator.
In der Museumswelt des englischsprachigen Raums ist das jemand, der um die
Institution herum versucht, eine Vernetzung mit den unterschiedlichen
Communitys in Gang zu setzen.
Mit welchem Ziel?
Der Inklusion hybrider Herkünfte. Man will diese Menschen nicht nur als
Publikum gewinnen, sondern sie auch in die Programmgestaltung einbeziehen.
Das ist dringend nötig, weil sie in den Entscheidungsgremien großer
Institutionen nicht präsent sind. Dabei ist etwa das Altonaer Museum
verpflichtet, die diverse Gesellschaftsstruktur des Stadtteils zu
abzubilden. Altona hat eine lange Migrationsgeschichte, angefangen mit den
portugiesischen Juden, die im 16., 17. Jahrhundert hierher flohen; später
kamen Hugenotten und Mennoniten. Außerdem müssen wir die hiesige
Kolonialgeschichte aufarbeiten. Letztlich soll dieses Haus ein urbanes
Heimatmuseum werden.
Viel zu tun.
Ja, das ist eine Mammutaufgabe, weil die Institutionen über Jahrzehnte
verfestigte Strukturen gebildet haben. Eine meiner Aufgaben besteht also
darin, die Institution so zu verändern, dass sich auch das
Personalportfolio wandelt. Denn es gibt in den Communitys durchaus
qualifizierte KandidatInnen. Bislang werden sie aber auf die Themen
„Migration“ und „Herkunft“ reduziert. Man gesteht ihnen nicht zu, sich
genauso gut mit der deutschen Kultur auszukennen.
Wie wollen Sie Ihre Arbeit konkret angehen?
Erst mal muss man Vertrauen aufbauen, denn viele Kulturaktivisten aus den
Communitys sagen: Obwohl wir seit 40 Jahren in diesem Bereich arbeiten,
müssen wir das immer noch ehrenamtlich tun. Die Menschen bezweifeln, dass
sich etwas ändert.
Sie nicht?
Ihr teile ihre Skepsis durchaus. Diversität hat ja zurzeit Konjunktur.
Überall wird von Vielfalt geredet, aber welche Strukturen ändern sich? Ich
bevorzuge den Begriff „Repräsentanz“, weil er korrekter ist. Denn diese
Menschen – meist deutsche Staatsbürger und Steuerzahler – haben ein Recht
darauf, dass ihre Herkunfts- und Kulturgeschichte in hiesigen Institutionen
sichtbar wird.
Mit wem wollen Sie kooperieren?
Mit Kulturverbänden und -aktivisten etwa der türkischen, afrodeutschen,
afghanischen, portugiesischen, italienischen, auch mit der Sinti-Community.
Begegnet Ihnen kein Misstrauen?
Doch, aber wenn die Menschen sehen, dass ich nicht „Hans“ heiße, öffnen s…
sich. Und wohlgemerkt: Es geht hier nicht um gefällige Internationalität,
sondern um echte Interkulturalität. Das ist ein Riesenunterschied.
Inwiefern?
Internationalität würde bedeuten: Wir holen türkische Kunst aus der Türkei,
iranische Kunst aus Iran. Ich will stattdessen versuchen, gemeinsam mit
Menschen, die seit Generationen hier leben und einen interkulturellen
Background haben, dieses Museum zu verändern. Ich möchte mit ihnen
gemeinsam Ausstellungen und Diskussionsabende veranstalten – zum Beispiel
im Eingangsbereich des Museums, der zum kostenlosen Public Space werden
soll.
Werden Sie die Communitys auch zu kritischer Selbstreflexion animieren?
Natürlich. Viele jüngere Menschen tun das ja schon. Wie gesagt: Es wird
nicht so sein, dass die türkische Gemeinde herkommt und ihre türkische
Herkunft thematisiert. Es geht um das Hier und Jetzt, um Gemeinsamkeiten
und universelle Werte. Um Deutsche mit hybriden Identitäten. Dazu zählen
auch die hier aufgewachsenen Menschen aus multi-ethnischen Ehen, die man
nicht auf eine Nationalität oder Herkunft reduzieren kann. Darüber werden
wir diskutieren: Woher komme ich, welches ist mein Platz heute in Altona?
Werden Sie auch den Arbeitskreis „Hamburg Postkolonial“ einbeziehen?
Wahrscheinlich. Zu diesem Thema hat allerdings jedes Museum auch eigene
Arbeitskreise.
Werden Sie dafür sorgen, dass Exponate und Texte mit kolonialem Hintergrund
aus der Dauerausstellung des Altonaer Museums entfernt werden?
Selbstverständlich, denn auch da geht es um Sensibilisierung. Ich bin schon
mit vielen afrodeutschen Menschen durch die Dauerausstellung gegangen und
habe wahrgenommen, wo ihnen mulmig zumute wurde. Darüber wird es
Auseinandersetzungen geben – sowie künstlerische Interventionen.
Eine Intervention gab es ja schon: die aus Kolonialmaterial gefertigten
Masken des ghanaischen Künstlers Joe Sam-Essandoh zwischen den Modellen von
Kaufmannsschiffen aus der Kolonialzeit.
Ja, und es wird weitere derartige Aktionen geben. Ich könnte mir
vorstellen, in der „Langen Nacht der Museen“ eine „Black Night“ zu
veranstalten, wo Menschen mit afrodeutschem Hintergrund eine Intervention
im ganzen Haus durchführen.
Oder eine Führung, in der People of Color oder andere Communitys Exponate
zeigen, die sie verletzen.
Ja. Es war für mich zum Beispiel ein bewegender Moment, als ich mit
Menschen aus dem Sinti-Verein durch die Bauernstuben des Museums ging. Sie
waren fasziniert von den Schränken und erzählten, dass die Sinti früher auf
die Restaurierung alter Bauernschränke spezialisiert waren. Sie haben sie
den Bauern abgekauft, instand gesetzt und auf dem Flohmarkt verkauft. Das
ist eine wunderbare Kulturgeschichte, in der wir diese Menschen mit ihrem
Fachwissen erfahren können. Trotzdem erlaube ich mir, auch kritisch
gegenüber Communitys zu sein und zu sagen: Kommt mal aus eurer Blase, lasst
uns als Altonaer überlegen: Welche Gemeinsamkeiten haben wir? Und versucht
mal, eure Perspektive zu uns rüberzutragen.
Wie wollen Sie das schaffen?
Neben den erwähnten Ausstellungen und Vorträgen wird das Altonaer Museum in
Jahr 2020 die große Ausstellung „Kleine Freiheit – Große Freiheit. Über …
Religionsfreiheit in Altona vom 17. Jahrhundert bis heute“ zeigen, wo auch
die Communitys zu Wort kommen. Auch an der Planung der Schau werden wir
Beiräte aus den Communitys beteiligen.
Und wie steht es um das Museumspersonal?
Natürlich müssen wir auch das Personal diversitätssensibel schulen. Da geht
es nicht um Antirassismus-Schulungen – obwohl sie Teil der Seminare sind,
die ich organisieren will. Wenn aber zum Beispiel Menschen ins Museum
kommen, die nicht deutsch aussehen, soll unser Empfangspersonal nicht
sofort aufspringen und sagen: „Die klauen uns alles weg“, sondern ihnen mit
Respekt und Neugier begegnen.
Schaffen Sie das in vier Jahren?
Es kann nur ein Anfang sein. Nach den vier Jahren ist es den Häusern
freigestellt, ob sie die Stellen verstetigen. Ich für meinen Teil möchte
dann aufhören. Denn es geht ja gerade nicht darum, auf Dauer einen
„Diversitätsbeauftragten“ zu brauchen. Nach vier Jahren sollte sich diese
Institution so gewandelt haben, dass Menschen mit diversen Hintergründen
selbstverständlicher Teil des Hauses sind, für deren Rechte man nicht mehr
kämpfen muss.
10 Oct 2019
## AUTOREN
Petra Schellen
## TAGS
Integration
Inklusion
Migration
Altona
Community
Museum
Diversität
Geflüchtete
Altona
Diversität
Theater
Grüne
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