| # taz.de -- Clubkultur und Technoszene in Kyjiw: Elektro, Tanz und Widerstand | |
| > Der Club K41 in Kyjiw war bis Kriegsbeginn einer der gehyptesten Clubs | |
| > Osteuropas. Mitarbeitende im Exil sammeln nun Spenden für die Ukraine. | |
| Bild: So sieht er aus: Außenaufnahme des Clubs „K 41“ in Kiew | |
| Was für wohl alle Menschen in der Ukraine gilt, gilt auch für den Club K41 | |
| im nordwestlichen Zentrum Kyjiws: Es gibt eine Zeitrechnung vor dem 24. | |
| Februar 2022 und eine danach. In der davor war der Veranstaltungsort nach | |
| nicht einmal drei Jahren seines Bestehens zu einem der gehyptesten Clubs in | |
| Osteuropa geworden. Hier startete die queere Partyreihe „Veselka“, hier | |
| fanden sexpositive Partys statt, hier standen junge ukrainische DJs wie | |
| Nastya Vogan, Gael, Recid und Omon Breaker hinter den Decks. Auch ein | |
| hauseigenes Label – [1][Standard Deviation] – gründete der Club im Jahr | |
| 2020, ein Jahr nach seiner Eröffnung. K41 wird die Venue deshalb genannt, | |
| weil sie in der Straße Kirillowskaja Nr. 41 liegt. | |
| Und dann gibt es die Zeit nach Beginn des russischen Angriffskriegs auf die | |
| Ukraine, in der eine Mitarbeiterin und ein Mitarbeiter des K41 in einem | |
| Café in Berlin-Kreuzberg sitzen. Ihre Namen wollen sie nicht öffentlich | |
| machen, weil die Clubphilosophie die eines Kollektivs ist; nennen wir sie | |
| Stephan und Tanya. Beide sind nach Kriegsbeginn nach Berlin gekommen, von | |
| hier aus helfen sie dem K41, Veranstaltungen zu organisieren und Spenden | |
| für die Ukraine zu sammeln. | |
| Die [2][Clubszene in der ukrainischen Hauptstad]t, sagt Stephan, habe sich | |
| bereits während der Maidan-Proteste 2014 politisiert: „Auch davor gab es | |
| natürlich schon Clubs in Kyjiw, aber mit dem Euromaidan bekamen sie eine | |
| größere Bedeutung. [3][Die elektronische Musikszene] stand für die | |
| Hinwendung zu europäischen Werten, in den Jugendkulturen hat sich die | |
| Westorientierung manifestiert.“ | |
| Stephan, ein schmaler, großer Typ, lugt aus einer bunten Kapuze hervor, | |
| Tanya, eine junge Frau, hat schwarz gefärbtes Haar und trägt schwarze | |
| Klamotten. Bald nach dem 24. Februar 2022 hat ihr Kollektiv einen | |
| [4][Community Fund] gegründet, mit dem sie unter anderem Geld für | |
| humanitäre Hilfe und psychologische Unterstützung der Kämpfer*innen an | |
| der Front sowie für Armee-Equipment und Medikamente sammeln. Inzwischen | |
| sind mehr als 140.000 Euro zusammengekommen. | |
| Im Dezember 2022 hat das Label Standard Deviation zudem die zweite | |
| Soli-Kompilation „From Ukraine, For Ukraine“ veröffentlicht. Wie schon beim | |
| ersten Sampler vom März 2022 („Together for Ukraine“) sind darauf | |
| ukrainische und internationale Acts versammelt, diesmal unter anderem | |
| Marcel Dettmann, DJ Stingray und Katarina Gryvul. | |
| ## Viele Fans, wenig Positionierung zum Krieg | |
| Neben Stephan und Tanya sind noch weitere Mitglieder des K41 nach Berlin | |
| geflohen, von wo aus sie auch neue Projekte realisieren. Gemeinsam mit dem | |
| Videokollektiv Remote Control sind Kurzfilme aus der Ukraine zu | |
| Kriegszeiten entstanden, unterlegt mit elektronischer Musik („Ridne“). Mit | |
| den Filmen wollen sie durch Europa touren, in Berlin haben sie bereits im | |
| Januar aufgeführt. | |
| Was die Hilfsbereitschaft in der elektronischen Musikszene betrifft, sind | |
| beide zwiegespalten. „Einerseits gibt es viel Interesse und Unterstützung“, | |
| sagt Stephan, „meines Erachtens hat es noch nie so viel Support seitens der | |
| Szene für ein politisches Anliegen gegeben wie für die Ukraine.“ Und doch | |
| erlebten sie auch Zurückhaltung: „Andererseits passiert es auch, dass | |
| Promoter*innen und Künstler*innen mit vielen Fans sich einfach nicht | |
| zum Krieg äußern wollen, weil sie für eine Trennung von Politik und Musik | |
| sind. Das ist enttäuschend“, ergänzt Tanya. Für die ukrainische Szene gilt | |
| dies natürlich nicht – wer helfen kann, der hilft. | |
| Die [5][ukrainische Clubkultur beschränkt sich dabei bei Weitem nicht auf | |
| Techno und House], das zeigen die Veröffentlichungen von Standard | |
| Deviation. Vor wenigen Monaten erschien eine EP des Kyjiwer Produzenten | |
| Chaosy (Bogdan Temchenko), dessen Einflüsse aus Punk, Postpunk und Metal | |
| den sechs Tracks deutlich anzuhören sind. | |
| Im Mai erschien sphärische, düstere Musik mit Folk-Einschlag von Hanna | |
| Svirska („Yangola“). Die ukrainische Künstlerin Katarina Gryvul, die 2022 | |
| ihr Album „Tysha“ auf dem Label veröffentlicht hat, ist dagegen eher | |
| zwischen abstrakter Klangkunst, Ambient und elektro-akustischer Musik | |
| einzuordnen. Daneben gibt es aber auch klassischere | |
| Techno-Veröffentlichungen wie die Split-EP von D.Dan, dem Resident DJ des | |
| Berliner Kollektivs Mala Junta, mit dem Kyjiwer Produzenten Omon Breaker. | |
| ## Tanzen, um kurz zu vergessen | |
| In Kyjiw hat das K41 seit Oktober 2022 wieder geöffnet. „Aber nur tagsüber | |
| bis 22 Uhr, danach ist Sperrstunde“, sagt Tanya. Sie war vor einigen | |
| Monaten zuletzt in Kyjiw zu Besuch, ging auch tanzen im K41. „Es ist ein | |
| bisschen anders als vor Kriegsbeginn. Selbstdarstellung und solche Dinge | |
| spielen keine große Rolle mehr, stattdessen geht es darum, zusammenzukommen | |
| und sich gegenseitig Mut zuzusprechen. Beim Tanzen kann man mal kurz | |
| vergessen, was gerade passiert.“ | |
| Das K41 befindet sich in einem alten Industriegebäude, eingerichtet wurde | |
| es von denselben Designern, die das Berghain in Berlin gestaltet haben. | |
| Mehrere tausend Besucher*innen fasst der Club, eigentlich ist er nach | |
| dem mathematischen Zeichen ∄ (für „existiert nicht“) benannt. Da das sch… | |
| in Worte zu fassen ist, hat sich „K41“ als Name etabliert. Tanya klingt | |
| wehmütig, wenn sie von dem Veranstaltungsort spricht, ist er für sie doch | |
| ein Sehnsuchtsort: „Seit ich im K41 arbeitete, hatte ich das Gefühl, einen | |
| Teil von mir gefunden zu haben, der mein ganzes Leben lang gefehlt hat.“ | |
| Das Kollektiv habe vielen in der Stadt neue Perspektiven eröffnet. In | |
| Berlin sind Stephan und Tanya Teil einer ukrainischen Exil-Community, | |
| machen aber nicht nur positive Erfahrungen in der Stadt. Vom | |
| „Westsplaining“ berichten sie, von Menschen aus dem Westen, die ihnen nicht | |
| zugehört, aber umso besser gewusst hätten, was gut sei für ihr Heimatland. | |
| „Die Menschen sollten zuhören, was Ukrainer*innen zu sagen haben. Das | |
| Wichtigste für uns ist, verstanden zu werden und uns verstanden zu fühlen. | |
| Was wir am Wenigsten gebrauchen können, sind paternalistische Ansagen von | |
| Menschen aus dem Westen“, sagt Stephan. | |
| Vielleicht ist es derzeit die vorderste Agenda des Clubs und des Labels, | |
| die Aufmerksamkeit für die Ukraine hochzuhalten, gegen das alltägliche | |
| Verdrängen anzukämpfen. „Angesichts der imperialistischen Bedrohungen geht | |
| es mit dem Bestehen der Ukraine auch um das Überleben des westlichen | |
| Lebensentwurfs“, sagt Stephan. „Das sollte jedem bewusst sein, der darüber | |
| zu sprechen müde wird.“ | |
| 5 Jul 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://standard-deviation.bandcamp.com/ | |
| [2] /Ukrainischer-Alltag-im-Krieg/!5897684 | |
| [3] /Musik-fuer-die-Ukraine/!5908749 | |
| [4] http://k41community.fund | |
| [5] /Musik-ueber-Krieg-gegen-die-Ukraine/!5918272 | |
| ## AUTOREN | |
| Jens Uthoff | |
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