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# taz.de -- Postume Technostücke von Silent Servant: Hoffnungslose Härte
> Bis zu seinem Tod legte Silent Servant im Berghain auf. Nun
> veröffentlicht das Sandwell Districteinen Teil des Nachlasses. Für was
> steht diese Musik?
Bild: Silent Servant, Sandwell-District-Mitglied, legte bis zu seinem Tod im Be…
Es ist noch gar nicht so lange her, dass die US-amerikanische
[1][Schauspielerin Claire Danes] in der TV-Talkshow der Moderatorin Ellen
DeGeneres von ihrer Erfahrung im Berliner Technoclub Berghain erzählte.
Halb aus Unkenntnis, halb aus Spaß spielte das Team der Talkshow zur
Untermalung von Danes’ Aussagen einen knallbunten Mix aus Trance und
Late-Hardcore-Sound ein, wahrscheinlich einer CD für lizenzfreie Musik
entnommen. Der Billosound sollte die Minderbemitteltheit von elektronischem
Dancefloor für die TV-Gemeinde bezeugen. Danes beschwert sich schnell und
bezeichnet die Einspielmuzak als „bad techno“. In Berlin klinge das viel
besser, nämlich in [2][„the berghainian way“.]
Das führte 2015 noch zu Lachern in sozialen Netzwerken, immerhin konnte man
– was ein gerne geprobtes Manöver ist – damit auch mal wieder darauf
verweisen, dass Amis keine Ahnung von Techno haben.
Dabei ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass Danes in Berlin zum Sound
eines Landsmanns tanzte, denn in gewisser Weise stehen nur wenige Namen so
sehr für das Klangspektrum des Berliner Clubs wie die beiden US-DJs und
Produzenten Silent Servant und Function (der ein Berghain-Resident ist).
Gemeinsam mit zwei Engländern, die sich Female und Regis nennen, bildete
das Quartett zwischen 2001 und 2012 ein Kollektiv: Es startete ein eigenes
Label, eine hyperintensive Erfahrung namens Sandwell District. Das
Vier-Mann-Stahlross war maßgeblich beteiligt an der Etablierung des rohen
Beton-Sounds, der seit der Club-Eröffnung im Jahr 2004 den Mythos Berghain
mitbegründet – und zur internationalen Vermarktung des Elektronik-Standorts
Berlin beigetragen hat.
## Das tiefe Dröhnen der Maschine
Wer bei der ersten Inkarnation des Kollektivs noch zu jung, zu unerfahren
oder klanglich in einer anderen Welt zuhause war, der hat seit Juli letzten
Jahres die Chance, sein Wissen aufzupolieren: „Feed-Fordward“, das erste
Sandwell-District-Album aus dem Jahr 2010, wurde bei PIAS erneut aufgelegt.
Und das Label legt dieser Tage gleich mit „Where Next?“ nach. Diese
Compilation nimmt sich Perlen vor, die bei dem schieren Output des
Kollektivs (44 Veröffentlichungen allein auf dem eigenen Label) etwas in
Vergessenheit geraten sind.
Großes Federlesen wird nicht betrieben, schon mit dem Auftakt-Track
„Reykjavik“ stürzt man kopfüber in das tiefe Dröhnen der modernistischen
Maschine mit ihren dumpfen Bässen, den flirrenden Synth-Pads,
unregelmäßigen Klatschern, die durch ordentlich Hall in der Unendlichkeit
einer verlassenen Lagerhalle entschwinden. Die oszillierende Bass-Line ist
der Inbegriff dessen, was Techno seit dem Untergang der Berliner Loveparade
um das Jahr 2000 ausmacht: Härte, Düsternis, auf befreiende Art und Weise
auch Hoffnungslosigkeit.
„Hypnotic Scale“ wirkt dagegen fast schon strahlend mit seinem
synkopierendem Geklapper und dem Shuffle, der wie ein übermotivierter
Cocktailmixer Köpfe wie Hüften durchschüttelt. Die Bandbreite des
Kollektivs wird vor allen Dingen beim Track „Sampler 1 B1“ (hier im
Regis-Edit) offenbart, bei dem sich der Großraum-Sound durch elegische
Orgelanschläge zu einem Requiem, zur Trauermusik hochschaukelt.
## Ein tragisches Ereignis
Was ohnehin ein sehr treffendes Bild darstellt, trägt inzwischen auch eine
beklemmend aktuelle Note in sich. Denn Silent Servant, bürgerlich Juan
Mendez, ist am 18. Januar, gemeinsam mit seiner Partnerin Simone Ling und
dem ebenfalls sehr beliebten Musiker Luis Vasquez (The Soft Moon), tot in
Vasquez’ Wohnung aufgefunden worden.
Der Titel von Silent Servants letzter EP, „In Memoriam“, verkommt im fahlen
Licht dieses tragischen Ereignisses schnell zu einem bösen Omen: Hat da
jemand vorausgeahnt, was ihm geschehen wird? Wohl kaum. Die Umstände des
Todes, wie sie zum Beispiel von der Tageszeitung Los Angeles Times
geschildert werden, weisen eher auf einen Unfall hin, darauf, dass da drei
wichtige Akteur*innen der kalifornischen Musikszene zu Opfern der immer
noch grassierenden [3][Opiat- und Fentanylkrise in den USA] geworden sind.
„In Memoriam“ stellte kurz vor seinem Tod nochmal eine Wegmarke für Mendez
dar. Die Tracks sind ein Rückblick auf das eigene Schaffen als
Techno-Produzent und DJ. Sie stecken in musikalischem Rahmen eine intime
und persönliche Retrospektive ab. Sorgfältig und mit viel Herz begegnete
Mendez seinen eigenen Wurzeln und den vielfältigen Genres, die ihn als DJ,
aber auch als Mensch, in knapp 30 Jahren Karriere geprägt haben.
## Schliff am Sound
Mit seinen Eltern verließ Mendez schon als Baby Guatemala. 1994, mit gerade
einmal 16 Jahren, begann Mendez als DJ in seiner Heimatstadt Los Angeles
und der gesamten Metropolregion in Südkalifornien Platten aufzulegen.
Eindimensionalität war nie Mendez’ Fall, seine musikalischen Interessen
erschöpften sich längst nicht in elektronischer Tanzmusik; schon vorher
hatten Punk und Postpunk, Industrial und Hardcore Eindruck bei ihm
hinterlassen.
Dazu gesellten sich nun neuere Techno-Trends wie Minimal und Dub Techno.
Über fünf Jahre schliff er an seinem Sound, schuf eine eigenwillige Mixtur,
die sich auf „In Memoriam“ nachhören lässt: Es ist der Sound der großen
Techno-Hochburgen Detroit und Berlin; dabei kommen aber unerwartete
Referenzen, etwa von belgischem New Beat und Electronic Body Music, die
sich ohne große Suchmanöver als Spurenelemente entdecken lassen.
Als Silent Servant war Mendez keiner, der irgendetwas zu verstecken hatte,
ganz im Gegenteil: Seine vielfältigen Einflüsse hatte er ganz offenkundig
und selbstbewusst im richtigen Moment präsentiert, wie Joker beim Pokern.
Dass es dabei gelegentlich zu idiosynkratischen Interpretationen kommen
konnte, erzählte er bereits 2010 dem Berliner DJ und Journalisten Finn
Johannsen in einem ausführlichen Interview.
## Abgrenzungen ohnehin schnell unwichtig
Beim Gespräch erkannte Mendez den Sound der kalifornischen Szene als stete
Fehlinterpretation der Techno-Entwürfe in den Ballungsräumen Detroit,
Chicago und Berlin. Für Mendez werden Abgrenzungen ohnehin schnell
unwichtig; wichtig ist nur, dass es hart, schnell und dem Loop als
grundlegende Struktur verpflichtet ist.
Von da aus entdeckt er Industrial, vor allen Dingen jener britischen
Machart, was ihn kurze Zeit später zum Kollektiv Sandwell District führt.
Regis (bürgerlich: Karl O’Connor) aus Birmingham leitet damals, es ist das
Jahr 1999, nicht nur das Label Downwards, er baut gleichzeitig das
Kollektiv auf und lädt Mendez zum Mitmachen ein: Silent Servant wird 2001
musikalischer Teilhaber und Grafik-Designer für Sandwell District.
Und der Kalifornier war, für einige Beobachter:Innen überraschend,
auch mit von der Partie bei der Sandwell-District-Reunion letztes Jahr.
Dass es dazu nun nicht mehr in einem größeren Rahmen kommt, betrauern nicht
nur Fans des guten „berghainian“ Techno, es sollte allgemein Anlass zum
Lamento sein.
8 Feb 2024
## LINKS
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## AUTOREN
Lars Fleischmann
## TAGS
Musik
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Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
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