| # taz.de -- CTM-Festival in Berlin: Eintauchen in polyphone Klangwelten | |
| > Es gab ausgelassene Beats, thailändische Protest-Songs und tschechischen | |
| > Drone-Folk. In Berlin fand die 25. Ausgabe des Festivals CTM statt. | |
| Bild: Die schwedische Organistin und Sängerin Anna von Hausswolff singt beim C… | |
| „Flowers rot, bring me stones, I want a lot!“ – „Blumen verfaulen, bring | |
| mir Steine, ich will viele!“, singen die beiden Iren Paddy Shine und Phil | |
| Masterson von der psychedelischen Folk-Band Moundabout in einer betörenden | |
| Spirale der Wiederholung mit ebenfalls repetitiver Gitarrenbegleitung. | |
| Passend zu diesen und anderen bizarren bis makaberen, dennoch eingängigen | |
| Liedzeilen, in denen etwa Moorleichen besungen werden und die dem in Trance | |
| versetzenden Folk einen ironisch-düsteren Anstrich verleihen, fällt auch | |
| die Wahl der Location aus: Auf dem Gelände des Silent Green befand sich | |
| früher das Weddinger Krematorium. | |
| Moundabout eröffnete mit diesem Konzert am Abend des 26. Januars die 25. | |
| Ausgabe des Festivals „für abenteuerliche Musik und Kunst“ CTM in Berlin. | |
| Unter dem Motto „Sustain“ fand dieses bis zum 4. Februar an verschiedenen | |
| Locations in Berlin statt. | |
| Den zweiten Teil des Eröffnungskonzerts spielte die schwedische Organistin | |
| und Sängerin Anna von Hausswolff mit ihrer sechsköpfigen Band. Musikalisch | |
| gemahnte dieser Act an eine stellenweise überdramatische Fusion aus Kate | |
| Bush und [1][Bendik Giske] – dem Publikum gefiel es, insgesamt ein | |
| gelungener Festivalbeginn. | |
| Weiter ging es direkt im Anschluss im Berghain mit einem angenehm | |
| abwechslungsreichen Programm für den sonst eher orthodoxen Technotempel. In | |
| der Panorama Bar wurde ausgelassen zu den Beats des weltbekannten | |
| US-amerikanischen DJs Skrillex getanzt, der ab 3 Uhr morgens b2b mit der | |
| Kameruner, in Paris lebenden DJ Tatyana Jane auflegte. Aber auch zum Set | |
| der von Skrillex an das CTM vermittelten DJ KENYA20HZ aus Rio de Janeiro | |
| ließ sich ganz ohne Beihilfe von synthetischen Pulvern die Hüfte schwingen. | |
| Karaoke mit Protestsongs | |
| Besonders ungewöhnlich und unterhaltsam war die Karaoke-Performance | |
| „Raveoke“ [2][des thailändischen Künstlers Pisitakun] und seines | |
| indonesischen Kollegen Ariel William Orah, bei der das Publikum | |
| Protestsongs aus beiden Ländern einstudierte und mitgrölte. | |
| Die Protestkultur Südostasiens wurde ein paar Tage später bei einer der | |
| zahlreichen „Theorie“-Veranstaltungen im Radialsystem, die ebenfalls Teil | |
| des Festivals sind, noch kontextualisiert: Neben Pisitakun nahmen die | |
| französische Forscherin Eugénie Mérieau und die Noise-Künstlerin Pinky Htut | |
| Aung aus Myanmar am Nachmittag des 31. Januars an einer Diskussion zum | |
| Thema Teil. | |
| Am selben Abend spielte dann [3][der ukrainische Komponist Heinali] ein | |
| Konzert im Radialsystem – einer der vielen musikalischen Höhepunkte des | |
| Festivals. In der Welt der experimentellen Musik erlangte Heinali durch | |
| einen unverwechselbaren Sound Bekanntheit: In seinen Stücken vereint er | |
| mittelalterlich inspirierte polyphone Melodien und Synthesizer. Die | |
| Mehrstimmigkeit seiner Musik erfüllte den gesamten Raum mit verspieltem | |
| Wohlklang, sodass man sich wie in einer Art Space-Kirche fühlt. | |
| Erbauliche Performance | |
| Die perfekt auf die sphärischen Sounds abgestimmten abstrakten Projektionen | |
| der Berliner Duos u-matic & telematique im Hintergrund verstärkten diesen | |
| Effekt noch. Selbst die kleinen Probleme bei der Übertragung störten das | |
| Eintauchen in die polyphone Klangwelt kaum, nach der knapp einstündigen | |
| Show war man vor allem eins: erbaut. Weiter ging es im Anschluss mit einer | |
| Performance der taiwanesischen audiovisuellen Künstlerin Sabiwa, die das | |
| Publikum in ihre paradiesische Welt aus psychedelischer Improvisation, | |
| ungewöhnlicher Videokunst und alltäglichem Ritual entführte. | |
| Das Tanz-Kino „Last and First Men“ in der Volksbühne am darauffolgenden | |
| Abend konnte hingegen nicht überzeugen: Zwar waren sowohl die | |
| Tanzperformance der Neon-Dance-Kompanie, die auf dem CTM-Festival | |
| prämierte, als auch der Film des 2018 in Berlin jung verstorbenen | |
| isländischen Komponisten Jóhann Jóhannsson für sich genommen beide | |
| Meisterwerke, doch die Kombination aus beidem wirkte überladen. | |
| Folgen konnte man dem apokalyptischen Narrativ des Films, das von der | |
| aufgezeichneten monotonen Stimme Tilda Swintons erzählt wurde, bei so viel | |
| Bewegung auf der Bühne jedenfalls nicht mehr. Dennoch ist eine positive | |
| Gesamtbilanz zu ziehen: [4][Beim diesjährigen CTM-Festival] wurde Musik aus | |
| der ganzen Welt und aus allerlei Genres in verschiedenen Settings – von | |
| Theorie-Talk über Tanzperformance und experimentelle Synth-Polyphonie bis | |
| hin zur Clubnacht mit Karaoke-Einlagen im Berghain – präsentiert, bekannte | |
| Musikgrößen und Newcomer teilten sich die Bühne und es war viel Neues zu | |
| entdecken. | |
| Ausverkauftes Abschlusskonzert | |
| Nicht alle Acts konnten gleichermaßen überzeugen, Highlights gab es aber | |
| viele: Einige der Veranstaltungen, wie das an gleich zwei Abenden | |
| stattfindende Konzert [5][der jungen amerikanischen Orgelikone Kali Malone] | |
| in der Gedächtniskirche oder das Abschlusskonzert am 4. Februar in der | |
| Volksbühne, waren restlos ausverkauft – zum Ärgernis der | |
| Festivalpass-Besitzer*innen, die 180 Euro ausgegeben und trotz des | |
| Versprechens „gewährt Zugang zu allen Veranstaltungen der CTM 2024“ beim | |
| Abschluss nicht dabei sein konnten. | |
| Bei dieser letzten Veranstaltung spielte zunächst die in Berlin lebende | |
| tschechische Musikerin Petra Hermanova virtuos auf ihrer Autoharp und sang | |
| dazu strahlend-melancholische Melodien, während Elizaveta Suslova an der | |
| Orgel und Jon Eirik Boska an den Schlaginstrumenten an dem eigenwilligen | |
| wie schönen musikalischen Drone-Folk-Gemisch mit Gothic-Ästhetik | |
| mitwirkten. Die Bühne war für die Show zu einer Art dunklen Kirche | |
| umgebaut, die Performance eine gelungene Wahl, um das Festival | |
| abzuschließen. Schwächer fiel hingegen der zweite Teil des Abends mit der | |
| Schweizer Produzentin Aïsha Devi (früher: Kate Wax) aus: zu viel Autotune, | |
| zu viel Pathos, auch wenn es gute Momente gab. | |
| [6][Vom Boykottaufruf „Strike Germany“], der vor Festivalbeginn für | |
| Schlagzeilen gesorgt hatte, da ihm einige Künstler*innen wie die | |
| Londoner DJ Manuka Honey gefolgt waren und ihre Teilnahme abgesagt hatten, | |
| war während der Veranstaltungen selbst wenig zu spüren. Devi jedoch nutzte | |
| ihre Show, um am Ende etwas ungelenk eine kryptische „spirituelle | |
| Dekolonisierung“ zu fordern. Entgegen dem Zensurmythos, der in der | |
| internationalen DJ-Bubble grassiert, hatte offensichtlich niemand die | |
| Absicht, sie daran zu hindern. | |
| 5 Feb 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Yelizaveta Landenberger | |
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