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# taz.de -- Neues Album von Organistin Kali Malone: Zwischen Trost und Trotz
> Auf ihrem Dreifach-Album „Does Spring Hide Its Joy“ forscht die
> Organistin Kali Malone mit Gästen in der Klangwelt des
> Minimalismus-Genres Drone.
Bild: Gründliche Arbeiterin im Weinberg des Dronesounds: Kali Malone
Man muss sich den Entstehungsprozess von Kali Malones neuem Album „Does
Spring Hide Its Joy“ als eine Erfahrung unfreiwilliger Entschleunigung
vorstellen. Im Frühling 2020, als in vielen Teilen der Welt das öffentliche
Leben während des ersten Pandemielockdowns abrupt zum Stillstand kam,
erhielt die US-Komponistin die Möglichkeit, in den leeren Konzertsälen des
Berliner Funkhauses Nalepastraße zu arbeiten.
Von April bis Mai jenes Jahres wurde das ausgiebige musikalische und
akustische Erkunden der Räume zu einer Möglichkeit, die „Zeit
zusammenzuhalten“, wie die in Colorado aufgewachsene Künstlerin es
beschreibt.
Gemeinsam mit Stephen O’Malley, Gitarrist des US-Drone-Doom-Duos Sunn O))),
und der britischen Cellistin Lucy Railton verarbeitete die 29-Jährige den
kollektiven Stillstand zu hypnotischen Studien des Innehaltens. Diese
Klangskulpturen wurden später auch zum Material für Live-Konzerte auf
internationalen Bühnen, noch später zu einer immersiven Rauminstallation.
## Fünf Stunden sind eine halbe Ewigkeit
Monumentale fünf Stunden Tonmaterial erscheinen nun als Dreifach-Album von
zwei und drei Stunden Spielzeit sowie digital in voller Länge. Für ihre
sich langsam entwickelnden, minimalistischen Kompositionen wurde Kali
Malone spätestens mit „The Sacrificial Code“ (2019) über eingeweihte
Drone-Fankreise hinaus bekannt.
Die Musik, aufgenommen in der Wahlheimat Stockholm, war eine pathologische
Auseinandersetzung mit der Orgel der königlich- chwedischen Musikschule,
die jedes mechanische Detail, jedes Umgreifen hörbar machte. Durch die nahe
Mikrofonierung des Raumklangs und dadurch seiner sakralen Aufladung
beraubt, wurde die Orgel als Instrument hier zum meditativen Klangkörper
von überraschender Unmittelbarkeit.
Für den Nachfolger „Living Torch“ (2022) tauschte Malone die Orgel gegen
das elektronische Inventar in den INA GRM-Studios in Paris ein – wo viele
Meisterwerke der Musique concrète entstanden sind. Dazu erweiterte Malone
ihr Klangspektrum um Posaune und Bassklarinette.
## Polyphone Schichtungen
Komplexer, dräuender als der Vorgänger klang das, und – noch einmal im
direkten Vergleich mit der neuen Veröffentlichung gehört – geradezu
sanft.„Does Spring Hide Its Joy“ übersetzt eine von veränderter Wahrnehmu…
geprägte Zeit in polyphone Schichtungen aus Sinuswellen, Gitarrendrones und
einem sich immer wieder widerborstig herauswindenden Cello.
Bereits die flirrenden Oszillatoren im Eröffnungsstück suggerieren eine
Dringlichkeit und Schärfe, die den Gesamtklang bei aller Mythisierung des
Aufnahmeortes – große, leere Hallen! – fest in der dystopischen Gegenwart
verankern. Diese ist schließlich verwirrend genug, und so umkreisen und
überlagern mit fortschreitendem Hören die Einzelinstrumente einander auf so
sorgfältig durchdachte Art, dass sich nicht selten eine angenehme
Orientierungslosigkeit einstellt.
Kleinste Veränderungen lenken die Aufmerksamkeit auf überhörte
Verschiebungen, Harmonien scheinen sich zusammenzufügen, oder sind längst
nur noch im eigenen Kopf am Nachhallen. Gelegentlich nehmen die gefühlt
endlos schwingenden Sinuswellen und Rückkopplungen beklemmende Formen an,
sodass Lucy Railtons Cello die Rolle des organischeren Gegenpols zufällt.
Das An- und Absetzen des Bogens als hörbare Geste macht es zum fassbaren,
atmenden Element des Trios.
Am Stück gehört wird Malones Musik zur hypnotischen Erfahrung,
herausfordernd und faszinierend zugleich. Ein früher dramaturgischer
Höhepunkt ist dabei die dritte der namenlosen Kompositionen. Sie klingt wie
ein in sich geschlossener, zwanzigminütiger Trip in den Abgrund und spendet
allem Wummern von Feedback und Flimmern der Oszillatoren zum Trotz eine
trostreiche Wärme.
Dass der titelgebende Frühling nicht als sonniger Hoffnungsträger
daherkommt, mag bei Drone-Musik kaum überraschen. „Does spring hide its joy
/ When buds and blossoms grow?“, klagt in William Blakes 1789
veröffentlichter Gedichtsammlung „Songs of Innocence and Experience“ die
gequälte Erde angesichts ihrer misslichen Lage; auch Malone entwirft auf
ihrem neuen Werk einen Kosmos, der Fragen nicht beantworten kann.
Wer sich darauf einlässt, wird mit einem vielschichtigen Hörerlebnis
belohnt, das nach seinem Ausklingen noch lange weiterwirkt.
13 Jan 2023
## AUTOREN
Jana Sotzko
## TAGS
Orgel
Minimal Music
Neues Album
Metal
Doom
Tony Conrad
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